Das 'scharfe S' am Wortende - was ist die korrekte Transkription der Namen?

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  • Asterix
    Erfahrener Benutzer
    • 13.12.2014
    • 157

    [gelöst] Das 'scharfe S' am Wortende - was ist die korrekte Transkription der Namen?

    Hallo „Schriftkundige“

    Für mich ist bei der Transkription alter Kurrentschriften noch immer die korrekte Schreibweise des Buchstabens ß (‚es-zett‘, in heutiger lateinischer Schrift geschrieben) am Namensende unklar: gemeint ist es in der Schlusssilbe bspw. –bis, --biss, --biß usw. – dabei ist fraglich, ob es im Eintrag überhaupt als ‚ß‘ gemeint ist, oder eben anders! Man findet in den alten Schriften der Kirchenbücher (KB) dabei oft das ‚spitze s‘ vor dem ‚runden s‘ geschrieben, wobei der vorletzte Buchstabe aber häufiger mit ‚gerundeten Spitzen‘ geschrieben ist - also eigentlich dem alten ‚h‘ entspricht. Siehe dazu Beispiele 1hs und 2hs

    Pkt. 1) Bei der Umwandlung in die moderne (‚lateinische‘) Schrift habe ich auch in Dokumenten wie Ahnenpässen dazu neben der Interpretation als –biß auch –bies, --bihs sowie --biss gefunden! (Was ich selber da für richtig halte, schreib ich hier zunächst mal nicht - mich würde eure Sichtweise dazu interessieren!) Zusatzfrage: Gibt es dafür so etwas wie eine „offizielle“ Transskriptionsregelung?

    Pkt. 2) Andrerseits gibt es auch Fälle, wo die beiden Buchstaben am Wortende in umgekehrter Reihenfolge auftreten. Siehe Beispiele 3sh und 4sh. Wie würdet Ihr das interpretieren? Etwa als –bisch, oder wie vorstehend als –biß?

    Zur Orientierung: Es handelt sich hier um KB-Jahrgänge zwischen 1780 und 1810 in Oberschlesien. Ich würde mich über einige sachkundige Hinweise freuen. Um einem möglichen Einwand zuvorzukommen: Die Schreibweise ist mir nicht egal (insbesondere möchte ich nicht einheitlich die heutige Schreibweise verwenden), sondern ich verwende generell die Namensform des original Geburtstageintrags, falls möglich.


    Asterix

    3Endg sh(ss) 1801JPG.jpg 4Endg sh(ss) Gestorbene.png
    Angehängte Dateien
    Zuletzt geändert von Alter Mansfelder; 11.10.2024, 00:28.
    Viele Grüße
    Asterix
  • nav
    Erfahrener Benutzer
    • 30.03.2014
    • 790

    #2
    Zitat von Asterix Beitrag anzeigen
    Bei der Umwandlung in die moderne (‚lateinische‘) Schrift habe ich auch in Dokumenten wie Ahnenpässen dazu neben der Interpretation als –biß auch –bies, --bihs sowie --biss gefunden!
    "bihs" ist einfach ein Fehler, ein leider sehr verbreiteter Fehler. Woher kommt der?

    Zitat von Asterix Beitrag anzeigen
    aber häufiger mit ‚gerundeten Spitzen‘ geschrieben ist - also eigentlich dem alten ‚h‘ entspricht. Siehe dazu Beispiele 1hs und 2hs
    Eben von dieser Annahme. Siehe das erste Bild: Philipp Kalabiss. Hat der vorletzte Buchstabe auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit dem 'h' in Philipp? Nein.

    Was stimmt, ist folgendes

    Das kleine 'h' in deutscher Schrift sieht dem langen 's' sehr ähnlich.
    Das kleine 'h' in deutscher Schrift ist nicht mit dem langen 's' in deutscher Schrift zu verwechseln.
    Das kleine 'h' in lateinischer Schrift ist nicht mit dem langen 's' in lateinischer Schrift zu verwechseln.

    Beim lesen alter Dokumente macht man sich natürlich in der Regel keine Gedanken, in welcher speziellen Art von Schrift diese nun geschrieben wurden. Man macht sich Gedanken darüber, zu entziffern, was dort steht. Und man hat im Kopf, wie Buchstaben in alten Dokumenten aussehen, aber eben auch nicht unbedingt nach Art der Schrift getrennt.

    Spätestens zur Standesamtszeit hat sich die ungeschriebene (nehme ich zumindest an) Regel etabliert, dass die Registereinträge hauptsächlich in deutscher Schrift geschrieben wurden, Eigennamen (in der Regel von Personen und Orten) aber dagegen in lateinischer Schrift. Sieht man nun ein Dokument, in dem das kleine 'h' meist zwei übereinanderstehenden Kringeln entspricht, und sieht dann in einem Namen einen Buchstaben, der genauso aussieht, ist die Versuchung natürlich groß, zu glauben, es handele sich auch um ein 'h'.

    Bild 2 ist ein gutes Beispiel: in "genothtauftes Töchterlein" ist zwei mal das deutsche "Kringel-h" geschrieben. Direkt darunter, im Namen (!) Johanna, ist das 'h' in lateinischer Schrift geschrieben, wie wir es heute kennen: Ein vertikaler Strich und ein Bogen daneben. Ebenso einen Eintrag darunter im Namen Goehrich. Beim 's' das gleiche: in Namen wie Rosalia oder Kallabiss ist in lateinischer Schrift das"Kringel-s" geschrieben worden, in der rechten Spalte bei "unversehn" dagegen das deutsche 'ſ': im Grunde ein einfacher Strich.

    Bezüglich der Interpretation von "ſs" und "sſ": in der Regel ist es vollkommen in Ordnung, diese einfach als "ss" zu interpretieren, solange es keine konkreten Gründe gibt, sie als "ß" zu transkribieren. Dass es mehrere (zeitgenössische sowie spätere) Schreibweisen und Interpretationen gab und gibt kommt immer vor. Dass "ſs" für "ß" steht galt spätestens nach 1900 als feste Regel, wurde vorher auch schon lange so gehandhabt (so ist schließlich das ß graphisch entstanden), aber man kann eben nie wissen, wie genau es welcher Schreiber jetzt damit genommen hat, und welcher Schreiber es überhaupt so genau wusste.

    Zitat von Asterix Beitrag anzeigen
    sondern ich verwende generell die Namensform des original Geburtstageintrags, falls möglich.
    Das ist eine ziemlich willkürliche und in manchen Fällen auch unsinnige Vorgehensweise. Im Geburts- bzw. Taufeintrag wird ja der Vater mit dieser speziellen Schreibweise bezeichnet, nicht das Kind. Zumindest steht bei den meisten Taufeinträgen kein Nachname beim Kind. Unsinnig ist die Vorgehensweise besonders in Gebieten, in denen Genanntnamen (nach Höfen oder Häusern) verwendet werden. Hat ein Herr Meyer z. B. ein Jahr lang als Pächter auf dem Hof Müller gelebt, dann wird er im Taufeintrag seines Sohnes, der in diesem Jahr geboren wird, Müller genannt. Danach zieht er wieder weg. Vater und Sohn nennen sich sonst ihr ganzes Leben lang Meyer. Wieso sollte man also dem Sohn den Namen Müller aufdrücken? Zugegeben, ein sehr konstruiertes Beispiel, aber es muss reichen. In Oberschlesien wird dieser Fall ja auch eh wenig relevant sein.

    Nico

    Kommentar

    • Scriptoria
      Erfahrener Benutzer
      • 16.11.2017
      • 3109

      #3
      Zitat von Asterix Beitrag anzeigen
      Pkt. 1) Bei der Umwandlung in die moderne (‚lateinische‘) Schrift habe ich auch in Dokumenten wie Ahnenpässen dazu neben der Interpretation als –biß auch –bies, --bihs sowie --biss gefunden! (Was ich selber da für richtig halte, schreib ich hier zunächst mal nicht - mich würde eure Sichtweise dazu interessieren!) Zusatzfrage: Gibt es dafür so etwas wie eine „offizielle“ Transskriptionsregelung?
      Hallo,
      falls noch nicht bekannt, die offiziellen Regelungen für Standesämter ab 1955, mit Ausführungen zum sog. Pastoren-s, das mit h verwechselt wird und einer Gegenüberstellung der Schreibweisen.


      Grüße
      Scriptoria

      Kommentar

      • Asterix
        Erfahrener Benutzer
        • 13.12.2014
        • 157

        #4
        Hallo,

        vielen Dank schon mal für die beiden kompetenten und hilfreichen Beiträge, die die meisten meiner Fragen dazu beantworten. Ich komme später noch darauf zurück.
        Vorab aber schon eine Frage an Nico: Was meint das Zeichen ſ genau, und wo/wie findet man es? (Habe es hier oben kopiert!)

        Viele Grüße
        Asterix
        Viele Grüße
        Asterix

        Kommentar

        • nav
          Erfahrener Benutzer
          • 30.03.2014
          • 790

          #5
          Zitat von Asterix Beitrag anzeigen
          vielen Dank schon mal für die beiden kompetenten und hilfreichen Beiträge, die die meisten meiner Fragen dazu beantworten. Ich komme später noch darauf zurück.
          Vorab aber schon eine Frage an Nico: Was meint das Zeichen ſ genau, und wo/wie findet man es? (Habe es hier oben kopiert!)
          Das ist einfach das lange s, bzw. das entsprechende Zeichen das man am Computer dafür verwenden kann. https://de.wikipedia.org/wiki/Langes_s

          So kann man bspw. wenn man will den Eintrag aus Bild 1 wie folgt transkribieren:

          Philipp Kalabiſs
          Caſarius, Anna
          uxor ejus
          Es wird tatsächlich auch wie ein reguläres 's' behandelt. Sucht man also über Strg + F hier im Thema nach "Casarius", so findet man auch das obige "Caſarius". Es ist also im Grunde nur eine graphische Variante.

          Nico

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          • Anna Sara Weingart
            Erfahrener Benutzer
            • 23.10.2012
            • 16734

            #6
            Zitat von nav Beitrag anzeigen
            ...
            So kann man bspw. wenn man will den Eintrag aus Bild 1 wie folgt transkribieren:
            Hallo, nein.
            Der Buchstabe ſ ist nicht Teil unseres heutigen regulären Schriftsystems. Das wäre also kein transkribieren.
            Das historische handschriftlich lateinische Kalabiſs soll stattdessen zu Kalabiß transkribiert werden.

            Früher durfte der deutsche Buchstabe ß nicht in lateinischer Handschrift verwendet werden, daher nutzte man ſs als Hilfskrücke.
            Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 11.10.2024, 16:25.
            Viele Grüße

            Kommentar

            • Xtine
              Administrator

              • 16.07.2006
              • 29742

              #7
              Hallo,

              hier wird's auch erklärt:
              Viele Grüße .................................. .
              Christine

              .. .............
              Wer sich das Alte noch einmal vor Augen führt, um das Neue zu erkennen, der kann anderen ein Lehrer sein.
              (Konfuzius)

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              • Asterix
                Erfahrener Benutzer
                • 13.12.2014
                • 157

                #8
                Hallo

                danke euch allen für die vielfältigen Erklärungen und Hinweise! Der Gebrauch und die Schreibweise des ß (S-Zett) ist mir nun weitgehend klar geworden, ebenso habe ich verstanden, dass Interpretationen wie –bies oder –bihs bei der Endsilbe schlicht falsch sind. Insbesondere sei Nico (#2) für seine ausführlichen Erläuterungen gedankt, ebenso aber allen anderen. (Habe eben erst festgestellt, dass bei meinen Beispielen die Reihenfolge der hochgeladenen Scans so verändert ist: 3-sh, 4-sh, 1-hs, 2-hs!)

                Ich hätte nicht gedacht, dass es zur Transkription feste Regeln gibt, (von den bspw. „Hamburger“ Richtlinien zum „Pastoren-s“ ab 1955 ‚ bei #3, bis hin zu Wikipedia). Demach wäre es also ganz korrekt, ‚- ihs‘ als -iß und ‚-ish‘ als -iss zu interpretieren/transkribieren. Dabei ist der Gebrauch in den hier betrachteten Beispielen (Kirchenbuchabschriften von Bauerwitz/Baborów in Oberschlesien, Zeitraum 1780 - 1800) so, dass die Einträge häufig zwischen den Endsilben ‚-bihs‘ und ‚-bish‘ wechseln
                . Das ist irritierend, aber damit muss man wohl leben.

                Zum Schluss nochmals zu
                „ ich verwende generell die Namensform des original Geburtstageintrags, falls möglich“
                und
                Nikos Einwand dazu (#2, am Ende): Das sehe ich anders - nichts für ungut. Klar steht beim Taufeintrag der Familienname meist nur beim Vater - es ist aber der gültige Nachname des Kindes. (Der Vergleich mit den Hofnamen ist ja hier m.E. nicht gegeben!). Ich halte weiter an der Namensschreibweise des Geburtseintrags fest.

                Allen nochmals vielen Dank!
                Asterix
                Viele Grüße
                Asterix

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