Merkwürdige Hofnachfolge und meine Gedanken dazu

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  • consanguineus
    Erfahrener Benutzer
    • 15.05.2018
    • 7521

    Merkwürdige Hofnachfolge und meine Gedanken dazu

    Hallo zusammen!

    Durch eine Prozeßakte konnte ich Licht in das Dunkel einer Familie bringen, mit deren Mitgliedern meine Vorfahren immer wieder zu tun hatten. Ich konnte einige Personen zusammenführen, von denen ich angenommen hatte, daß es sich um verschiedene gleichnamige Individuen handelt. Das Ergebnis ist so merkwürdig, daß ich es noch nicht richtig glauben kann. Die teilweise lückenhaften Taufregister der betreffenden Orte beginnen erst 1696 bzw. 1708, sodaß ich von der Existenz mancher Personen erst durch die Prozeßakte erfuhr.

    1701 heiratete Hans Fricke jun. auf den Weber'schen Ackerhof. Hans Fricke war der einzige Sohn von Hans Fricke sen., der im Nachbarort zwei Halbspännerhöfe zur gesamten Größe von ca. 212 Morgen besaß. Ein bedeutender Besitz immerhin. Leider war der ältere Fricke ein schlechter Landwirt, weswegen ein Ackermann im Ort die beiden Höfe 1691/92 "an sich brachte". Wie er das konkret hinbekam, kann ich mir nicht vorstellen. Er übergab den Besitz dann an einen weichenden Erben.

    Der jüngere Hans Fricke hatte nun also keinen Hof mehr zu erwarten, schaffte es aber, wie gesagt, Margaretha Weber zu heiraten, und mit ihr einen ca. 280 Morgen großen Ackerhof. Margaretha hatte einige Schwestern als weichende Erben. Dem Anschein nach hatte sie aber auch zwei Brüder, Jonas und Curd. Ob sie wirklich ihre Brüder waren, weiß ich nicht, aber die beiden oder auch Curds Frau treten immer wieder als Paten auf. Sonst gab es weit und breit kaum Webers. Falls Jonas und Curd Margarethas Brüder waren, fragt man sich, warum sie auf die Übernahme eines der größten Ackerhöfe in der Gegend verzichteten.

    Hans Fricke zeugte mit Margaretha einige Kinder, von deren Existenz man entweder aus der Prozeßakte oder aus Sterbeeinträgen erfährt. Nur in einem Falle liegt ein Taufeintrag vor. Zunächst ging ich davon aus, daß die meisten Kinder recht früh verstorben waren. Nur eine Tochter erreichte das Erwachsenenalter. Auch sie hatte kein Interesse am Hof ihrer Mutter und heiratete selbst in einen Ackerhof in der Nähe ein.

    1716 starb Hans Fricke. Seine Witwe heiratete den 18 Jahre jüngeren Hans Jürgen Knopf. Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt bereits 47 Jahre alt und es war nicht zu erwarten, daß sie in dieser zweiten Ehe noch Kinder haben würde. Knopf war also als Interimswirt der Mann, der den Hof bewirtschaftete um ihn für eines seiner damals noch lebenden Stiefkinder zu erhalten.

    1743 starb Margaretha Weber und Hans Jürgen Knopf heiratete im darauffolgenden Jahr im Alter von 55 Jahren die noch nicht einmal 18jährige Anna Clara Heine. Mit ihr zeugte er noch sechs Kinder, von denen eine Tochter und ein Sohn das Erwachsenenalter erreichten. Inzwischen waren auch, so nahm ich es jedenfalls vor Kenntnis der Prozeßakte irrtümlicherweise an, sämtliche seiner Stiefkinder aus der ersten Ehe seiner ersten Frau gestorben, von der auswärts verheirateten Tochter einmal abgesehen. Als Knopf 1764 starb, heiratete seine noch junge Witwe Andreas Jonas Baars, der nun seinerseits als Interimswirt fungierte. Knopfs jüngster Sohn Heinrich Hennig übernahm mit 24 Jahren den ehemals Weber'schen Ackerhof, mit dem er familiär eigentlich gar nichts zu tun hatte, von seinem Stiefvater Baars.

    Zurück zu den Kindern des Hans Fricke und der Margaretha Weber: es gab, wie ich nun lernte, mindestens zwei Söhne, die den Hof hätten übernehmen können. Jonas Fricke lebte 1737 noch. In diesem Jahr ist er Pate zu einem Kind seiner Schwester. Er lebte zu der Zeit in einer kleinen Stadt in der Nähe. Was er dort tat, habe ich noch nicht herausbekommen. Sein jüngerer Bruder Curd Hennig, den ich immer einem anderen Vater Hans Fricke zuordnete (es gab tatsächlich noch einen im Ort!), wurde 1714 geboren und starb 1796. Kurioserweise wurde er durch Heirat 1746 mit Margaretha Cathrina Heine, der Tochter eines Nachbarn, des Halbspänners Heine, selbst Halbspänner in demseben Ort, in dem der Hof seiner Eltern lag. Zufälligerweise war seine Frau die jüngere Schwester von Anna Clara, der zweiten Frau seines Stiefvaters Knopf.

    Curd Hennig Fricke war also von Beruf Landwirt und ich komme einfach gedanklich nicht damit klar, daß er auf den großen Ackerhof seiner Mutter verzichtete, um in einen Halbspännerhof einzuheiraten, der flächenmäßig nicht einmal ein Drittel des ihm eigentlich zustehenden Hofes umfaßte. Was mag der Grund für diesen Verzicht gewesen sein? Er hatte auf jeden Fall ein weit größeres Anrecht auf den Hof als die (zum Zeitpunkt seiner Hochzeit noch nicht einmal geborenen!) Kinder aus der zweiten Ehe seines Stiefvaters Hans Jürgen Knopf.

    Es gibt für den betreffenden Ort leider kaum Akten, da er zu einem adeligen Gericht gehörte, dessen Gutsbesitzer im 19. Jahrhundert in Konkurs ging, weswegen vom Gutsarchiv nichts erhalten blieb. So werde ich nie erfahren, ob der Hof vielleicht stark verschuldet war. Denkbar ist das, denn es scheint sich schon zu Matthias Webers Zeiten, des Vaters von Margaretha, niemand um die Übernahme des Hofes gerissen zu haben. Dann kam Hans Fricke jun. auf den Hof, der sicherlich keine Abfindung von dem Hof seines Vaters zu erwarten hatte, da der alte Hans Fricke diesen seinen Hof ja einige Jahre vor seines Sohnes Hochzeit bereits verwirtschaftet hatte und losgeworden war. Andererseits hatte Margaretha einige Geschwister abzufinden. Häufig entsprach die Höhe der Abfindung der weichenden Erben dem, was der Ehepartner des Hoferben seinerseits mit in die Ehe brachte. In diesem Falle wird es sich aber so verhalten haben, daß der wahrscheinlich mittellose Hans Fricke die Abfindungen für die Geschwister seiner Frau tatsächlich aus den Erträgen des Hofes erwirtschaften mußte. Keine gute Ausgangsbasis, auch nicht bei einem so umfangreichen Besitz.

    Da keine Ehestiftungen überliefert sind, kann ich zu den wirtschaftlichen Verhältnissen Hans Jürgen Knopfs vor seiner ersten Eheschließung nichts sagen. Sein gleichnamiger Vater war aber ein sehr umtriebiger Mann, der, selbst von einem relativ kleinen Hof stammend, nacheinander mehrere Höfe bzw. Güter pachtete. Vermutlich war auf dieser Seite also Geld vorhanden und Knopf kam nicht mit leeren Händen auf den Hof. Dies vorausgesetzt, kann ich mir vorstellen, daß er seinen Stiefsöhnen Jonas und Curd Hennig Fricke nahelegte, ihm das von ihm mitgebrachte und in den Hof investierte Kapital zu erstatten, was diese natürlich nicht konnten. Wie auch? So war der Weg frei für Heinrich Hennig, den Sohn Knopfs aus zweiter Ehe.

    Was denkt Ihr? Könnte meine Spinnerei hinkommen? Irgendeine Erklärung für das auf den ersten Blick vollkommen irrationale Verhalten, also den Verzicht des regulären Hoferben, muß es doch geben. Die Kaffeesatzleserei werde ich natürlich in keine Chronik aufnehmen. Ich versuche nur, den Fall zu begreifen und einen Erklärungsansatz zu finden.

    Vielen Dank für die Zeit, die Ihr Euch genommen habt und für Eure Gedanken!
    consanguineus
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  • assi.d
    Erfahrener Benutzer
    • 15.11.2008
    • 2776

    #2
    Hallo,

    auch mein Großvater war der Erbe eines großen Hofes. Und dabei wollte er nie Bauer sein!
    Ihm lag viel mehr das Tüfteln und Erfinden. Er wäre viel lieber Schreiner oder Schmied geworden. Als einziger Sohn musste er aber den Hof übernehmen. Und das tat er nur mit halbem Herzen.
    Nach ein paar Jahren war der Hof auch nicht mehr so ansehnlich und "gut in Schluss". Gleichzeitig litt mein Opa unter Depressionen und starb dann früh.

    Er hätte auch NIE einen größeren Hof haben wollen.

    Vielleicht hilft es. Nicht jeder ist zum Bauen geboren, manche waren lieber Handwerker.

    Gruß
    Astrid

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    • consanguineus
      Erfahrener Benutzer
      • 15.05.2018
      • 7521

      #3
      Hallo Astrid,

      die Geschichte Deines Großvaters ist sehr traurig. Ein Landarzt hat mir einmal erzählt, daß die Hälfte seiner Patienten mit Depressionen Landwirte oder deren Familienmitglieder sind. Es gibt ja nicht nur die Version, daß man keine Neigung zu diesem Beruf verspürt, sondern inzwischen auch eine immer schlechter werdende Einkommenssituation, immer größer werdenden Druck von Seiten der Öffentlichkeit, die vor Verleumdung und Mobbing nicht zurückschreckt und dergleichen mehr. Alles in allem herrscht seit einigen Jahren in der Branche eine ziemliche Hoffnungslosigkeit.

      Bei besagtem Curd Hennig Fricke trifft es offenbar nicht zu, daß er keine Lust zur Landwirtschaft hatte. Er wurde dann ja Landwirt, wenn auch in einem sehr viel kleinerem Maßstab als es ihm nach Aktenlage eigentlich möglich gewesen wäre. Es muß also einen triftigen Grund gegeben haben, den elterlichen Hof auszuschlagen.

      Viele Grüße
      consanguineus
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      • Gastonian
        Moderator

        • 20.09.2021
        • 5781

        #4
        Hallo consanguineus:


        Das mit der Schuldenlast scheint mir einleuchtend zu sein. Da in einem adeligen Gericht mit nicht mehr vorhandenen Archiv, gibt es wohl keine Amtsrechnungen oder ähnliches mehr, aus denen man auf eine Nichtzahlung oder Spätzahlung der jährlichen landesherrlichen Abgaben schließen kann?


        Nur so am Rande: 280 Morgen?? Das ist ja schon auf amerikanischem Niveau! Die ganz großen in Frankenberg (Eder) um diese Zeit hatten mal gerade 30 Morgen.


        VG


        --Carl-Henry
        Wohnort USA

        Kommentar

        • consanguineus
          Erfahrener Benutzer
          • 15.05.2018
          • 7521

          #5
          Hallo Carl-Henry,

          ich gehe davon aus, daß die landesherrlichen Abgaben vom Gutsherrn eingezogen und von ihm der Staatskasse weitergeleitet wurden. In diesem Falle ist sicherlich nichts mehr erhalten, was uns weiterbringen könnte.

          Das Dorf war, verglichen mit den Nachbarorten, die zumeist Amtsdörfer waren, relativ arm. Der Grund hierfür war die Dienstpflicht. In den Amtsdörfern wurde von den Pflichtigen schon seit langer Zeit ein Dienstgeld gefordert, welches ursprünglich dem Wert des jeweiligen Dienstes entsprach. Da der Betrag der Dienstgelder nominell derselbe blieb, ich meine, sogar bis zur Ablösung, sank der reale Wert inflationsbedingt im Laufe der Zeit. Die Bauern eines adeligen Gerichts waren ungleich schlechter dran, denn sie mußten den Dienst in der Regel in natura leisten. Hierzu waren bei den Spannpflichtigen Pferde, Wagen etc. vorzuhalten, deren Wert sich im Laufe der Zeit teuerungsbedingt erhöhte. Besonders prekär wurde die Lage im Dreißigjährigen Krieg und in den Jahrzehnten danach. Es fehlten massiv Arbeitskräfte. Mit den wenigen, die noch verfügbar waren, mußte vorrangig der Herrendienst geleistet werden. Auf den eigenen Höfen blieb viel liegen. Noch Ende des 17. Jahrhundert lag im betreffenden Dorf viel Land wüst. Der Gutsherr, der das klassische Beispiel eines assholes, sorry: Willkürherrschers, war, ließ Bauern eines Nachbardorfes (sogar Nachbarstaates!) den Dienst "seiner" Bauern verrichten, die dazu einfach nicht imstande waren, und entschädigte die Nachbarn dann mit Acker seiner Untertanen. Im Prinzip hätten die Bauern gegen ihn klagen können, aber da der Gutsherr zugleich Vorsitzender des Appelationsgerichts war, hätte dieses Unterfangen am Ende wenig Zweck gehabt, was den Bauern zur Abschreckung auch genauso kommuniziert wurde.

          Unter diesen Umständen waren selbst 280 Morgen, und es gab im ganzen Fürstentum damals nur noch einen einzigen größeren Ackerhof, möglicherweise eine Belastung. Nein, zu den Reichen gehörten die Hofeswirte dieses Dorfes damals sicher nicht, auch wenn mancher der dortigen Großkothsassen mehr Land bewirtschaftete als ein Ackermann im benachbarten Hildesheimischen. Mit der wirtschaftlichen Lage war ein Stück weit auch das soziale Ansehen verbunden. Die Erben oder Erbinnen des hier in Rede stehenden großen Ackerhofes heirateten nicht selten "unter Stand", also Kinder von Halbspännern. Normalerweise waren die Ackerleute in der betreffenden Gegend eine sehr deutlich abgegrenzte Kaste, in die weder hinein- noch herausgeheiratet wurde. Dies änderte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Da waren die Besitzer "unseres" Hofes von Ihresgleichen weitgehend akzeptiert, wohl auch, weil es eine Reihe sehr fähiger Hofeswirte gab, die das Geld geschickt zusammenhielten.

          Viele Grüße
          consanguineus
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          • gki
            Erfahrener Benutzer
            • 18.01.2012
            • 5132

            #6
            Hallo,

            ich forsche ja hauptsächlich in einer anderen Ecke, von daher kann ich evtl. nicht viel Erhellendes beitragen, versuche es aber trotzdem.

            In Niederbayern war es so, daß die Bauern im Regelfall Pächter waren, auch wenn man von ihnen als "Bauer auf dem XY-Hof" sprach. Der eigentliche Grundbesitzer war der Grundherr, ein Kloster, Pfarrkirche, Adliger, etc.

            Dem Bauern gehörte als Eigentum nur das Vieh und die "Fahrnis", die Mobilien.

            Daher war das auch mit dem Erben anders als wir das heute gewohnt sind.

            Grundsätzlich mußte ein einheiratender Ehepartner Geld mitbringen. Dafür bekam er oder sie dann eine virtuelle Hälfte des Hofes überschrieben, also ein eigenes Leibrecht. Wenn jetzt einer der Partner starb, wurde es notwendig zu klären, ob der Überlebende neu heiratete oder der Hof an Kinder übergeben wurde.

            Grundsätzlich war es meist so, daß beim Vorhandensein von jungen Kindern wahrscheinlich neu geheiratet wurde, aber auch dann wenn evtl. gar keine vorhanden waren.

            Nur wenn beim Erbfall ein vom Alter her passender Hoferbe da war, konnte der hoffen, den Hof zu übernehmen. Übergaben an "alte" Kinder kamen selten vor.

            Mitunter kam es auch vor, daß einem einheiratenden Ehepartner nur das Recht auf einen Auszug verschrieben wurde. Das war aber selten.

            Durch diese Strukturen war es eher der Normalfall, daß ein Übernehmer zwar auf dem Hof geboren wurde, aber oft beide Eltern nicht.
            Gruß
            gki

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            • Geschichtensucher
              Erfahrener Benutzer
              • 03.09.2021
              • 1081

              #7
              Heutzutage wäre die Antwort klar: Hof liegt im Funkloch
              Beste Grüße, Iris

              Kommentar

              • consanguineus
                Erfahrener Benutzer
                • 15.05.2018
                • 7521

                #8
                Zitat von Geschichtensucher Beitrag anzeigen
                Heutzutage wäre die Antwort klar: Hof liegt im Funkloch
                ...liegt er noch heute!
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                • consanguineus
                  Erfahrener Benutzer
                  • 15.05.2018
                  • 7521

                  #9
                  Hallo gki!

                  Vielen Dank für Deine Antwort!

                  Zitat von gki Beitrag anzeigen
                  In Niederbayern war es so, daß die Bauern im Regelfall Pächter waren, auch wenn man von ihnen als "Bauer auf dem XY-Hof" sprach. Der eigentliche Grundbesitzer war der Grundherr, ein Kloster, Pfarrkirche, Adliger, etc.
                  Das war in Südostniedersachsen anders. Pachtverhältnisse gab es, aber sie waren selten. Bauern hatten das Land von ihrem Grundherren meistens zu Meierrecht inne, manchmal als Erbenzinsgut und seltener als Afterlehen. Ich gehe darauf nicht näher ein, weil das ein zu komplexes Thema ist. Die Bauern hatten zwar nicht das Obereigentum über ihre Höfe, aber, außer bei gepachtetem Land, so eine Art Untereigentum. Im manchmal sehr fortschrittlichen Fürstentum Wolfebüttel (in welchem, nur so nebenbei, die Leibeigenschaft faktisch bereits 1433 abgeschafft wurde), hatte ein Bauer seit 1597 recht weitgehende Rechte über den von ihm bewirtschafteten Hof. So einfach loswerden konnte der Grundherr ihn nicht.

                  Zitat von gki Beitrag anzeigen
                  Dem Bauern gehörte als Eigentum nur das Vieh und die "Fahrnis", die Mobilien.
                  Das war ganz früher hier ähnlich. Häufig, nicht immer, gehörten dem Bauern auch die Gebäude, zumindest alles über dem gemauerten Sockel. Die übliche Bauweise war Fachwerk. Mitunter baute der abziehende Bauer seine Fachwerkgebäude ab und nahm sie mit. Das Vieh und die "Fahrhabe", wie es hier hieß, gehörte dem Bauern, allerdings insofern eingeschränkt, als er zu bestimmten Anlässen das beste Stück Vieh oder das beste Kleid dem Gutsherrn überlassen mußte.

                  Zitat von gki Beitrag anzeigen
                  Daher war das auch mit dem Erben anders als wir das heute gewohnt sind.

                  Grundsätzlich mußte ein einheiratender Ehepartner Geld mitbringen. Dafür bekam er oder sie dann eine virtuelle Hälfte des Hofes überschrieben, also ein eigenes Leibrecht. Wenn jetzt einer der Partner starb, wurde es notwendig zu klären, ob der Überlebende neu heiratete oder der Hof an Kinder übergeben wurde.

                  Grundsätzlich war es meist so, daß beim Vorhandensein von jungen Kindern wahrscheinlich neu geheiratet wurde, aber auch dann wenn evtl. gar keine vorhanden waren.

                  Nur wenn beim Erbfall ein vom Alter her passender Hoferbe da war, konnte der hoffen, den Hof zu übernehmen. Übergaben an "alte" Kinder kamen selten vor.

                  Mitunter kam es auch vor, daß einem einheiratenden Ehepartner nur das Recht auf einen Auszug verschrieben wurde. Das war aber selten.

                  Durch diese Strukturen war es eher der Normalfall, daß ein Übernehmer zwar auf dem Hof geboren wurde, aber oft beide Eltern nicht.
                  Die Erbschaftsregelung war hier vollkommen anders.

                  Sog. "Interimswirte" gab es aber auch, denn eine Witwe konnte den Hof nicht alleine weiterführen. Der Interimswirt bewirtschaftete den Hof so lange, bis der Hoferbe aus erster Ehe, so es einen gab, alt genug war, den Hof zu übernehmen. Im Gegenzug erhielt er ein reguläres Altenteil. Analog zum Interimswirt brauchte natürlich auch ein Witwer jemanden, der auf die Kinder aufpaßte und den Haushalt erledigte, weswegen auch er meistens wieder heiratete.

                  Ein äußerst spannendes Thema!

                  Viele Grüße
                  consanguineus
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                  Kommentar

                  • Pommerellen
                    Erfahrener Benutzer
                    • 28.08.2018
                    • 2124

                    #10
                    Hallo,

                    habe den Artikel mit Interesse gelesen. Aus meiner Interpretation kommt es auf die Erbfolge und mögliche Alternativen an. So wie ich es lese musste der Erbe, der älteste Sohn? das Erbe nicht unbedingt antreten oder?
                    Ich habe hier einen Artikel gelesen, der so eine Erbfolge / bzw. das Ausschlagen aufzeigt.

                    Meine Vorfahren kommen aus Realteilungsgebieten und waren ehr die Handwerker, deshalb kann ich schlecht mitreden.

                    Viele Grüße
                    Zuletzt geändert von Pommerellen; 28.02.2023, 23:24.

                    Kommentar

                    • sternap
                      Erfahrener Benutzer
                      • 25.04.2011
                      • 4070

                      #11
                      die lösung des rätsels liegt bei den kleineren höfen, nicht beim riesen.

                      in zeiten von männerüberschuss versuchte man die höfe der kleinen leute nach oben zu verheiraten, was mitunter im sinne einer flurbereingung für den größeren betrieb durchaus sinnvoll war.


                      zumal bei deinem beispiel rundum weichende oder mittellose erben in mittlere höfe einheiraten konnten, deutet das eher auf männermangel - und - dienstbotenmangel hin.
                      letzterer entsteht automatisch immer neu, wenn weichende erben nicht auf ihren elternhöfen als ausbeutbare arbeitskraft verbleiben. der eigentliche grund aber waren die großen seuchen gewesen.




                      bei großflächigem dienstboten- und männermangel wird ein zu erbender großbetrieb unwirtschaftlich, zumal man unabhängig vom ertrag abgaben leisten musste, die dienstboten aber höher abfinden müsste,als dass es sich noch lohnte.


                      zusätzlich brach mit wucht die kleine eiszeit herein, die klimatischen bedingungen änderten sich radikal.

                      man könnte sich die überschwemmungs- und trockenjahre der kaltzeit ansehen,ob sich daraus zusätzliche hinweise ergeben.

                      kurzum, einen teil der gesuchten antworten kann dir nur das städtische chronikbuch geben.
                      Zuletzt geändert von sternap; 01.03.2023, 02:41. Grund: anfügungen
                      freundliche grüße
                      sternap
                      ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
                      wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




                      Kommentar

                      • consanguineus
                        Erfahrener Benutzer
                        • 15.05.2018
                        • 7521

                        #12
                        Guten Morgen Pommerellen,

                        nein, es bestand kein Zwang, das Erbe anzutreten. Die Menschen waren persönlich frei. Es gibt immer wieder Beispiele, in denen sich der oder die Erbe(n) gegen den Hof entschieden. Nicht viele, denn geschenkt wurde einem auch anderswo nichts, aber es gab sie.

                        Anders als man denken mag, gab es hier auch nicht durchgängig das Ältestenrecht. Ich habe noch nirgendwo gesehen, daß es schriftlich fixiert war, aber es drängt sich der Eindruck auf, als gäbe es in jedem Dorf einen anderen Brauch. In meinem Heimatort und in dem daneben, also in denen die Geschichte dieses Threads spielt, folgte sehr lange Zeit fast immer der jüngste Sohn. Realteilung gab es hier glücklicherweise nie.

                        Der verlinkte Artikel läßt sich leider nicht öffnen.

                        Viele Grüße
                        consanguineus
                        Daten sortiert, formatiert und gespeichert!

                        Kommentar

                        • Pommerellen
                          Erfahrener Benutzer
                          • 28.08.2018
                          • 2124

                          #13
                          Hallo Consanguineus,

                          Danke für die Antworten. Den Link kann ich einwandfrei öffnen.
                          Es zeigt die Seite 131 der Publikation: Ruppiner Bauernleben 1648 - 1808 von Takashi Lida. Ich habe mit den Suchwörtern Amtsdörfer und Erbe gesucht in der Rubrik Google Bücher. Dann erscheint bei mir dieser Treffer mit der Seite 131.

                          Viele Grüße

                          Kommentar

                          • consanguineus
                            Erfahrener Benutzer
                            • 15.05.2018
                            • 7521

                            #14
                            Hallo sternap,

                            auch Dir Dank für Deine Zeilen!

                            Zitat von sternap Beitrag anzeigen
                            die lösung des rätsels liegt bei den kleineren höfen, nicht beim riesen.

                            in zeiten von männerüberschuss versuchte man die höfe der kleinen leute nach oben zu verheiraten, was mitunter im sinne einer flurbereingung für den größeren betrieb durchaus sinnvoll war.
                            Männerüberschuß habe ich bei Durchsicht der Kirchenbücher in der Zeit nicht feststellen können.

                            Was das "nach oben verheiraten" betrifft, so war das nicht so einfach. Es war aus fiskalischer Sicht nämlich gar nicht im Sinne des Landesherrn, wenn Höfe zusammengeheiratet wurden. Darum war das im Fürstentum Wolfenbüttel auch grundsätzlich verboten. In ganz seltenen Fällen kam es vor, aber regelmäßig mit der Auflage belastet, die Höfe, die rechtlich immer als getrennte Einheiten betrachtet wurden, auch wenn sie gemeinsam bewirtschaftet wurden, in der folgenden Generation wieder zu trennen, also an verschiedene Kinder weiterzugeben. Ich kenne kaum eine Handvoll Fälle, in denen eine Familie (und damit meine ich nicht die Gesamtfamilie!) länger als eine Generation zwei Höfe besaß. Aber auch in diesen Fällen hatte beispielsweise ein Ackermann nicht einfach zwei Höfe, sondern er wurde als "gedoppelter Ackermann" bezeichnet. Entsprechend lasteten alle Dienstpflichten, Abgaben etc. doppelt auf dem Hof.

                            Zitat von sternap Beitrag anzeigen
                            zumal bei deinem beispiel rundum weichende oder mittellose erben in mittlere höfe einheiraten konnten, deutet das eher auf männermangel - und - dienstbotenmangel hin.
                            letzterer entsteht automatisch immer neu, wenn weichende erben nicht auf ihren elternhöfen als ausbeutbare arbeitskraft verbleiben. der eigentliche grund aber waren die großen seuchen gewesen.
                            Im Falle des Curd Hennig Fricke, der auf den Heine'schen Halbspännerhof heiratete, verhielt es sich so, daß Vater Heine drei Töchter hatte und keinen Sohn. Ja, das kann man durchaus als Männermangel bezeichnen. Aber über eine größere Grundgesamtheit betrachtet kann ich in diesem Zeitraum keinen generellen Männermangel beobachten.

                            Was den Dienstbotenmangel betrifft, so sieht das auf den ersten Blick tatsächlich so aus. Es gab zeitgleich in der Nähe andere Höfe ungefähr vergleichbarer Größe und Struktur wie "unser" Ackerhof mit 280 Morgen. Die hatten dann zwei Großknechte, zwei Mittelknechte und eine Magd. Das war dann schon oberste Grenze, aber sie werden sicherlich nicht mehr Leute gehabt haben als für die Bewirtschaftung ihrer Fläche notwendig war. Der 280 Morgen-Ackerhof hatte nur einen Knecht und eine Magd. Übrigens genau dieselbe Besetzung wie der Halbspännerhof, in den Curd Hennig Fricke einheiratete. Aber der war nur 110 Morgen groß. Offensichtlich war der Ackerhof also nicht imstande, seine komplette Ackerfläche zu bewirtschaften, ...

                            Zitat von sternap Beitrag anzeigen
                            bei großflächigem dienstboten- und männermangel wird ein zu erbender großbetrieb unwirtschaftlich, zumal man unabhängig vom ertrag abgaben leisten musste, die dienstboten aber höher abfinden müsste,als dass es sich noch lohnte.
                            ... während die Dienste und die Abgaben auf demselben Niveau blieben!

                            Zitat von sternap Beitrag anzeigen
                            zusätzlich brach mit wucht die kleine eiszeit herein, die klimatischen bedingungen änderten sich radikal.

                            man könnte sich die überschwemmungs- und trockenjahre der kaltzeit ansehen,ob sich daraus zusätzliche hinweise ergeben.

                            kurzum, einen teil der gesuchten antworten kann dir nur das städtische chronikbuch geben.
                            Die klimatischen Bedingungen änderten sich für alle gleichermaßen. Häufig waren solche Klimaverschlechterungen für die Bauern damals gar nicht so übel. Die Preise stiegen knappheitsbedingt und konnten die sinkenden Erträge kompensierten. Erntertrag und Preis waren also negativ korreliert, und zwar nahezu linear.

                            Viele Grüße
                            consanguineus
                            Daten sortiert, formatiert und gespeichert!

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                            • sternap
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                              • 25.04.2011
                              • 4070

                              #15
                              was man als grundherr nicht unbedingt voraussah, ein leerstehender großhof erzeugt druck von den neben-grundherrn.sie lassen vermeintlich kriminelle in brachliegende höfe eindringen .
                              denn jeder nicht voll bewirtschaftete hof minderte die wehrfähigkeitunseres dorfes x, jede nicht voll bewirtschaftete fläche bringt ungeziefer und unkräuter.

                              irgendwann begreift die obrigkeit vielleicht, dass für den hof die abgabenlast gemindert werden muss- und dann kann er wieder wirtschaftlich geführt werden.


                              hattet ihr in eurer gegend arbeitsverpflichtungrn vergleichbar mit einem frondienst- und das bei ohnehin zu wenig dienstboten?


                              jedenfalls muss es irgendwann beim dienstherrn zur einsicht gekommen sein.
                              Zuletzt geändert von sternap; 01.03.2023, 20:49.
                              freundliche grüße
                              sternap
                              ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
                              wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




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