Zitat von Geufke
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jetzt wollte ich mich auch noch zu dem Thema zu Wort melden. Nach meinen bisherigen Recherchen sollte unbedingt der historische und soziale Kontext sowie die Region berücksichtigt werden. Die Säuglingssterblichkeit war in Bayern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so hoch, dass dies von den offiziellen Stellen untersucht werden sollte. In der Sterbematrikeln ist bei Säuglingen häufig als Todesursache die "Fraiss" oder "Freissen" vermerkt. In diesen Fällen war es wohl so, dass die Neugeborenen nicht ausreichend mit Muttermilch versorgt werden konnten und deshalb einen Getreidebrei erhielten, der für den Organismus der Kleinen nicht geeignet war. Sie verhungerten unter schweren Krämpfen. Das geschah auch bei den verheirateten Müttern. Sie gebaren ein Kind nach dem anderen mit nur kurzen Intervallen, die für eine Regeneration der Mütter nicht ausreichend waren. Teilweise gab es 13 Kinder, von denen aber nur einige wenige die ersten Jahre überlebten. Die Bevölkerung litt nach mehreren Missernten unter Hungersnot, die Bauern hatten trotzdem hohe Abgaben zu leisten und kämpften mit weiteren schwierigen Lebensumständen. Wenn im Falle einer nichtehelichen Geburt die Väter sich der Verantwortung entzogen (soll ja auch heute noch vorkommen) und die Familie keinen Rückhalt geben konnte oder wollte, befand sich die junge Mutter in einer äußerst prekären Lage. Sie mussten für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen und unmittelbar nach der Entbindung wieder aufs Feld gehen oder in die Fabrik. Ich habe Bilder gesehen von Manufakturen in der Frühzeit der Industrialisierung, wo die Säuglinge der arbeitenden Mütter neben der Werkbank abgelegt wurden. Das scheint gängige Praxis gewesen zu sein.
In meiner Familie gab es den Fall von Bauersleuten, die immer mehr Teile ihres Ackergrundes verloren hatten, Missernten erlebten und so in die Verarmung (vielleicht auch Verschuldung) gerieten. Von elf Kindern haben nur drei überlebt. Ein Sohn aus dieser Familie ging nach Nordamerika (New Jersey).
Also mich überfiel angesichts des Schicksals dieser Frauen großes Mitleid. Nichts ist doch schmerzhafter als der Verlust eines Kindes. Da die Kenntnisse in Hygiene selbst bei den Medizinern zu der Zeit nicht sehr entwickelt waren, starben sehr viele Mütter auch im Kindsbett. Ich glaube auch nicht, dass es zu dieser ein großes Stigma war, ein Kind außerhalb der Ehe zur Welt zu bringen. Die Hürden für eine Heiratserlaubnis waren groß und auch das war ein Grund für viele, nach Nordamerika auszuwandern.
Ich meine, dass man dem Thema nicht gerecht wird, wenn heutige Maßstäbe angelegt werden. Es war eine sehr, sehr schwierige Zeit. Es gab weder Schwangerschaftsverhütung noch soziale Leistungen oder Mutterschutz.
Das wollte ich noch loswerden. Es lag mir sehr am Herzen.
Viele Grüße
mabelle
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