Liebe Birgit,
ich bin auf Paul Schlatermund gestoßen, weil mein Großvater 1990/91 im Altersheim begonnen hat, seine Erinnerungen über Familienmitglieder zu notieren, bevor der Tod seine Aufzeichnungen unterbrochen hat. Über Paul schrieb er:
"Laut Erzählungen war er nach Beendigung seiner Lehrzeit nach dem Süden gezogen. Er soll nicht gesund gewesen sein und der Süden soll für ihn günstig gewesen sein. Er war bei Kriegsausbruch in Ägypten und soll [sic] dort interniert werden. Mit Hilfe seiner Frau (Engländerin) gelang ihm die Ausreise in die Schweiz. Dort soll er eine Stellung beim deutschen Konsulat gehabt haben. Eines Tages soll ein Deutscher bei ihm gewesen sein, der eine Aufforderung zum deutschen Militär vorgelegt habe. Er bat Paul um Rücksichtnahme. Die lehnte er ab. Nach dem Kriege bewarb sich Paul in Berlin um eine Stellung bei einer deutschen Film Gesellschaft. Bei der Vorstellung wurde er dem zuständigen Chef vorgestellt. Dieser war der Herr, der ihm in der
Schweiz s. Zt. seinen Bescheid für das deutsche Militär vorgelegt hatte. Paul glaubte es würde nichts mit seiner Bewerbung, aber der Herr meinte solche Leute könne er gebrauchen.
Er wurde bei der Ufa als leitender Herr eingestellt."
Paul ist nachweislich 1908 emigriert, zuerst nach Madeira, da war mein 1903 geborener Großvater gerade einmal fünf Jahre alt, Paul war der Sohn seines Großonkels. nach 1908 scheint Paul nur noch zu gelegentlichen Familienbesuchen nach Deutschland zurückgekehrt zu sein.
Dank Deiner Hilfe konnte ich über das Zürcher Adressbuch die Angabe meines Großvaters betsätigen, dass Paul am Konsulat angestellt war -- darüber hatte ich zuvor weder beim auswärtigen Amt noch in der Botschaft in Kairo noch im deutschen Bundesarchiv irgendwas gefunden. Adressbücher sind aus meiner Sicht eine wertvolle Hilfe, ich habe damit schon viel über die Wohnsitze meiner Vorfahren herausfinden können -- aber es brauchte die Klavierlehrerannonce, um auf Zürich zu kommen (ich hätte wegen des Konsulats darauf kommen können, aber da war ich erst hinterher schlauer).
Wenn Du recht hast und Paul das Filmgeschäft wirklich zunächst nebenberuflich betrieben hat, hat seine Anstellung im Konsulat offenbar den verweigerten Wehrdienst überstanden, das würde zumindest den bis 1922 fortbestehenden Eintrag "Konsulatsbeamter" erklären. Ich gehe davon aus, dass Paul noch in Hamburg/Wilhelmsburg eine Ausbildung als Kaufmann durchlaufen hat, jedenfalls steht er so in den Schiffspapieren nach Madeira. Da er nach dem Bericht meines Großvaters 1914 schon verheiratet war, die Familie seiner Frau aber seinerzeit in Alexandria lebte, vermute ich, dass Paul bis 1914 ebenfalls in Alexandria lebte. Das wäre dann die zweite Qualifikation für die Stellung bei Universal Pictures gewesen. Die dritte dann die angenommene Nebenbeschäftigung im Filmgeschäft.
Wie Du siehst, schreibt mein Großvater erst etwas von einer deutschen Filmgesellschaft, danach von der UFA. Warum schrieb er nicht beide Male von der UFA? Ich vermute, dass in diesem Punkt die Erinnerungen fast sieben Jahrzehnte später nicht mehr ganz exakt waren, denn
* Paul hat nachweislich 1923 bei Universal Pictures in Alexandria begonnen, als "General manager for the Near East", also als "leitender Herr".
* Bis 1922 war er laut Adressbuch Konsulatsbeamter. Wenn das stimmt, hat er bis dahin im Filmgewerbe nur nebenberuflich gearbeitet. nebenberuflich und "leitender Herr" schließt sich aber aus meiner Sicht gegenseitig aus.
* Ich vermute, mein Großvater wusste eigentlich nur noch, dass es sich um eine große Filmgesellschaft handelte. Wenn man dann nach sieben Jahrzehnten angestrengt nachdenkt, wird leicht die damals größte deutsche Filmgesellschaft UFA daraus, dass deren Name wie der von Universal Pictures mit U beginnt, begünstigt die Verwechslung noch.
* Ich bin mir nicht einmal sicher, ob "Berlin" stimmt: Mein Großvater wusste mit Sicherheit, dass die UFA in Potsdam/Berlin ihren Sitz hatte, da verschiebt sich bei angestrengtem Nachdenken leicht die Erinnerung.
Ich gehe also derzeit davon aus, dass die Anstellung bei Universal Pictures die erste hauptamtliche Anstellung Pauls in der Filmindustrie war. Auf der anderen Seite: Ich habe schon mehrfach die Erinnerungen meines Großvaters aus guten Gründen angezweifelt -- um später dann festzustellen, dass er doch recht hatte.
Die von Dir jetzt bei archives neu gefundenen Stellen kannte ich bis auf eine bisher noch nicht. Viele davon geben ja im Grunde nur seine Adresse an. Aber auch das finde ich interessant, damit lässt sich dann ähnlich wie mit Adressbüchern sein Wohnsitz (den ich am Firmensitz vermute) in Alexandria nachvollziehen.
Aus dem gleichen Grund finde ich auch Deinen Hinweis auf den Egypt Business Directory sehr interessant, dort ist er sogar als Besitzer eines Automobils ausgewiesen (jetzt muss ich mal sehen, dass ich bei LaTeX ein Symbol für Autos finde). Gibt es die Quelle auch für Jahre vor 1941? Muss ich mal suchen ...
Ich frage mich natürlich auch: Warum taucht er erst 1916 in Zürich auf? War er zuvor woanders in der Schweiz? Oder muss ich meine Geschichte umschreiben, weil er überhaupt erst 1916 interniert werden sollte und dann floh?
Das würde dann auch heißen, dass er die Schweizer Staatsbürgerschaft erst sehr kurz vor seiner Ausreise nach Alexandria annahm: Nach den 1916 geltenden Gesetzen hätte er sie bei Einreise 1916 zwei Jahre später, also 1918 beantragen können. Aber ab 1917 galt eine Frist von vier Jahren, also hätte er bis 1920 warten müssen. 1920 wurde die Frist auf sechs Jahre verlängert, also 1922 ...
Deine Hilfe hat mich jetzt bereits deutlich weiter gebracht, die Lücken in Pauls Leben schrumpfen ...
Vielen Dank und viele Grüße
Thorsten
ich bin auf Paul Schlatermund gestoßen, weil mein Großvater 1990/91 im Altersheim begonnen hat, seine Erinnerungen über Familienmitglieder zu notieren, bevor der Tod seine Aufzeichnungen unterbrochen hat. Über Paul schrieb er:
"Laut Erzählungen war er nach Beendigung seiner Lehrzeit nach dem Süden gezogen. Er soll nicht gesund gewesen sein und der Süden soll für ihn günstig gewesen sein. Er war bei Kriegsausbruch in Ägypten und soll [sic] dort interniert werden. Mit Hilfe seiner Frau (Engländerin) gelang ihm die Ausreise in die Schweiz. Dort soll er eine Stellung beim deutschen Konsulat gehabt haben. Eines Tages soll ein Deutscher bei ihm gewesen sein, der eine Aufforderung zum deutschen Militär vorgelegt habe. Er bat Paul um Rücksichtnahme. Die lehnte er ab. Nach dem Kriege bewarb sich Paul in Berlin um eine Stellung bei einer deutschen Film Gesellschaft. Bei der Vorstellung wurde er dem zuständigen Chef vorgestellt. Dieser war der Herr, der ihm in der
Schweiz s. Zt. seinen Bescheid für das deutsche Militär vorgelegt hatte. Paul glaubte es würde nichts mit seiner Bewerbung, aber der Herr meinte solche Leute könne er gebrauchen.
Er wurde bei der Ufa als leitender Herr eingestellt."
Paul ist nachweislich 1908 emigriert, zuerst nach Madeira, da war mein 1903 geborener Großvater gerade einmal fünf Jahre alt, Paul war der Sohn seines Großonkels. nach 1908 scheint Paul nur noch zu gelegentlichen Familienbesuchen nach Deutschland zurückgekehrt zu sein.
Dank Deiner Hilfe konnte ich über das Zürcher Adressbuch die Angabe meines Großvaters betsätigen, dass Paul am Konsulat angestellt war -- darüber hatte ich zuvor weder beim auswärtigen Amt noch in der Botschaft in Kairo noch im deutschen Bundesarchiv irgendwas gefunden. Adressbücher sind aus meiner Sicht eine wertvolle Hilfe, ich habe damit schon viel über die Wohnsitze meiner Vorfahren herausfinden können -- aber es brauchte die Klavierlehrerannonce, um auf Zürich zu kommen (ich hätte wegen des Konsulats darauf kommen können, aber da war ich erst hinterher schlauer).
Wenn Du recht hast und Paul das Filmgeschäft wirklich zunächst nebenberuflich betrieben hat, hat seine Anstellung im Konsulat offenbar den verweigerten Wehrdienst überstanden, das würde zumindest den bis 1922 fortbestehenden Eintrag "Konsulatsbeamter" erklären. Ich gehe davon aus, dass Paul noch in Hamburg/Wilhelmsburg eine Ausbildung als Kaufmann durchlaufen hat, jedenfalls steht er so in den Schiffspapieren nach Madeira. Da er nach dem Bericht meines Großvaters 1914 schon verheiratet war, die Familie seiner Frau aber seinerzeit in Alexandria lebte, vermute ich, dass Paul bis 1914 ebenfalls in Alexandria lebte. Das wäre dann die zweite Qualifikation für die Stellung bei Universal Pictures gewesen. Die dritte dann die angenommene Nebenbeschäftigung im Filmgeschäft.
Wie Du siehst, schreibt mein Großvater erst etwas von einer deutschen Filmgesellschaft, danach von der UFA. Warum schrieb er nicht beide Male von der UFA? Ich vermute, dass in diesem Punkt die Erinnerungen fast sieben Jahrzehnte später nicht mehr ganz exakt waren, denn
* Paul hat nachweislich 1923 bei Universal Pictures in Alexandria begonnen, als "General manager for the Near East", also als "leitender Herr".
* Bis 1922 war er laut Adressbuch Konsulatsbeamter. Wenn das stimmt, hat er bis dahin im Filmgewerbe nur nebenberuflich gearbeitet. nebenberuflich und "leitender Herr" schließt sich aber aus meiner Sicht gegenseitig aus.
* Ich vermute, mein Großvater wusste eigentlich nur noch, dass es sich um eine große Filmgesellschaft handelte. Wenn man dann nach sieben Jahrzehnten angestrengt nachdenkt, wird leicht die damals größte deutsche Filmgesellschaft UFA daraus, dass deren Name wie der von Universal Pictures mit U beginnt, begünstigt die Verwechslung noch.
* Ich bin mir nicht einmal sicher, ob "Berlin" stimmt: Mein Großvater wusste mit Sicherheit, dass die UFA in Potsdam/Berlin ihren Sitz hatte, da verschiebt sich bei angestrengtem Nachdenken leicht die Erinnerung.
Ich gehe also derzeit davon aus, dass die Anstellung bei Universal Pictures die erste hauptamtliche Anstellung Pauls in der Filmindustrie war. Auf der anderen Seite: Ich habe schon mehrfach die Erinnerungen meines Großvaters aus guten Gründen angezweifelt -- um später dann festzustellen, dass er doch recht hatte.
Die von Dir jetzt bei archives neu gefundenen Stellen kannte ich bis auf eine bisher noch nicht. Viele davon geben ja im Grunde nur seine Adresse an. Aber auch das finde ich interessant, damit lässt sich dann ähnlich wie mit Adressbüchern sein Wohnsitz (den ich am Firmensitz vermute) in Alexandria nachvollziehen.
Aus dem gleichen Grund finde ich auch Deinen Hinweis auf den Egypt Business Directory sehr interessant, dort ist er sogar als Besitzer eines Automobils ausgewiesen (jetzt muss ich mal sehen, dass ich bei LaTeX ein Symbol für Autos finde). Gibt es die Quelle auch für Jahre vor 1941? Muss ich mal suchen ...
Ich frage mich natürlich auch: Warum taucht er erst 1916 in Zürich auf? War er zuvor woanders in der Schweiz? Oder muss ich meine Geschichte umschreiben, weil er überhaupt erst 1916 interniert werden sollte und dann floh?
Das würde dann auch heißen, dass er die Schweizer Staatsbürgerschaft erst sehr kurz vor seiner Ausreise nach Alexandria annahm: Nach den 1916 geltenden Gesetzen hätte er sie bei Einreise 1916 zwei Jahre später, also 1918 beantragen können. Aber ab 1917 galt eine Frist von vier Jahren, also hätte er bis 1920 warten müssen. 1920 wurde die Frist auf sechs Jahre verlängert, also 1922 ...
Deine Hilfe hat mich jetzt bereits deutlich weiter gebracht, die Lücken in Pauls Leben schrumpfen ...
Vielen Dank und viele Grüße
Thorsten
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