Fehlender Sterberegistereintrag eines Hingerichteten (1809)

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  • Laureate
    Erfahrener Benutzer
    • 15.02.2021
    • 448

    Fehlender Sterberegistereintrag eines Hingerichteten (1809)

    Hallo liebe Ahnenforscher,

    ich stehe momentan vor einem Rätsel.

    Bei der Suche nach dem Sterberegistereintrag meines Vorfahren, Lorenz Haun aus Oberbalbach (Main-Tauber-Kreis, BW) bin ich zu meiner Überraschung in dem Buch "Die Württemberger in Mergentheim" fündig geworden: demnach wurde ein "Lorenz Haun aus Oberbalbach" im Zusammenhang mit den Aufständen in Bad Mergentheim im Jahr 1809 als Hochverräter erschossen. Nach Durchsicht der digitalisierten Prozessakten bin ich mir zu 70% sicher, dass der hingerichtete Lorenz Haun und mein Vorfahre identisch sein müssen.

    Laut Prozessakten (http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-666048-165) war Lorenz Haun:
    • 50 Jahre alt (laut Geburtsregister von Oberbalbach wurde mein Lorenz Haun 1765 geboren - diese Angabe stimmt also nicht ganz, aber bei den anderen Mitverschwörern gab es ähnliche Abweichungen zwischen der Altersangabe in den Akten und den Geburtsregistereinträgen in den Kirchenbüchern)

    • verheiratet (das stimmt)

    • hatte 5 Kinder (das stimmt ebenfalls)


    Allerdings ist kein Sterberegistereintrag für Lorenz in den Kirchenbüchern zu finden, weder 1809, noch davor oder danach. Bei der Hochzeit seines Sohnes 1825 war er bereits tot, so viel ist sicher. Lorenz' Frau, Maria Eva Mohr, starb 1841, bei ihr stand ebenfalls, dass Lorenz Haun bereits tot ist: "Witwe des verlebten Häckers Lorenz Haun"

    Meine Frage ist nun: wurden Hingerichtete nicht im Sterberegister ihrer Heimatgemeinde geführt?

    Bei einem der Mitverschwörer von Lorenz, ebenfalls aus Oberbalbach, stand zumindest im Familienbuch in einem Randvermerk, dass er 1809 zu Mergentheim standesrechtlich erschossen wurde (auch hier fehlt der Sterberegistereintrag). Bei Lorenz Haun fehlen solche Kommentare vollkommen.


    Ich habe nun vier Hypothesen:

    1) es gab noch einen anderen Lorenz Haun aus Oberbalbach (eher unwahrscheinlich, da ich sämtliche Geburtsregister durchsucht habe, und keine Person mit gleichem Namen gefunden habe)

    2) Lorenz Haun, der Hochverräter, und Lorenz Haun, mein Vorfahre, sind doch nicht identisch, und mein Vorfahre starb nach 1809 (auch unwahrscheinlich, da er nirgendwo im Totenbuch zu finden ist, aber vlt habe ich ihn irgendwie übersehen)

    3) der Eintrag im Sterberegister von Oberbalbach wurde mit Absicht weggelassen

    4) da Lorenz Haun in Bad Mergentheim hingerichtet wurde, ist er auch dort im Sterberegister geführt


    Was meint ihr? Sorry für die lange Ausführung, aber ich bin ein wenig verzweifelt, da ich einfach nicht weiterkomme


    DANKE!
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  • Friedrich
    Moderator
    • 02.12.2007
    • 11325

    #2
    Moin Hubert,


    spontan würde ich sagen, dass Deine Hypothese 3 stimmt und dein Ahn am Ort der Hinrichtung im Kirchenbuch eingetragen wurde.


    Friedrich
    "Bärgaf gait lichte, bärgop gait richte."
    (Friedrich Wilhelm Grimme, Sauerländer Mundartdichter)

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    • Svenja
      Erfahrener Benutzer
      • 07.01.2007
      • 4353

      #3
      Hallo Hubert

      Sterbeeinträge wurden in der Regel am Todesort bzw. am Begräbnisort erstellt, also hier wohl in Mergentheim.

      Gruss
      Svenja
      Meine Website über meine Vorfahren inkl. Linkliste:
      https://iten-genealogie.jimdofree.com/

      Interessengemeinschaft Oberbayern http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=38

      Interessengemeinschat Unterfranken http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=37

      Interessengemeinschaft Sudetendeutsche http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=73

      Kommentar

      • Malte55
        Erfahrener Benutzer
        • 02.08.2017
        • 1625

        #4
        Moin,
        ich selbst habe an bekannten Hinrichtungsorten noch nie Beerdigungseinträge gefunden. Warum auch, die Hingerichteten wurden wenn sie nicht eh ersäuft wurden an Ort und Stelle verscharrt oder blieben zur Warnung einfach hängen.
        Wenn man Hingerichtete findet, dann sind das meist Hinweise bei anderen Einträgen wenn der Pastor seinen Unmut bekannt gibt das er den Hingerichteten begleiten mußte.
        Das betrifft aber vor allem die Zeit weit vor 1809.
        LG Malte

        Kommentar

        • GiselaR
          Erfahrener Benutzer
          • 13.09.2006
          • 2182

          #5
          Ich habe einmal einen Bericht eines Pfarrers in einem Kirchenbuch gelesen, wie er einen Delinquenten in seinen letzen Stunden oder Tagen begleitet hat und ihn dazu gebracht hat, christlich zu bereuen, gebetet hat etc.

          Dass ein*e Hinterichtete*r "christlich zur Erden bestattet" wurde, habe ich noch nie im KB gelesen, einfach, weil das in der Regel nicht vorgesehen war, wie Malte schon schrieb.

          In späteren Jahrhunderten gab es manchmal eigene Begräbnisstätten an den Hinrichtungsorten, d.h. nicht die jew. Gemeinde, sondern z.B. das Zuchthaus, in dem die Hinrichtung stattfand.

          Grüße
          Gisela
          Ruths, Gillmann, Lincke,Trommershausen, Gruner, Flinspach, Lagemann, Zölcke, Hartz, Bever, Weth, Lichtenberger, von der Heyden, Wernborner, Machwirth, von Campen/Poggenhagen, Prüschenk von Lindenhofen, Reiß von Eisenberg, Möser, Hiltebrandt, Richshoffer, Unger, Tenner, von Watzdorf, von Sternenfels

          Kommentar

          • Eva64
            Erfahrener Benutzer
            • 08.07.2006
            • 811

            #6
            Zitat von HH1712 Beitrag anzeigen
            3) der Eintrag im Sterberegister von Oberbalbach wurde mit Absicht weggelassen

            4) da Lorenz Haun in Bad Mergentheim hingerichtet wurde, ist er auch dort im Sterberegister geführt
            Hallo Hubert,


            ich würde diesen beiden Hypothesen zustimmen.

            1809 hat man sicherlich die Hingerichteten nicht mehr zur Schau gestellt. Vermutlich aber auch nicht ehrlich zur Erde bestattet, d.h. ein Eintrag in Mergentheim in den Kirchenbüchern zu finden ist eher unwahrscheinlich.
            Die Familie konnte seinen Leichnam nicht abholen und in Oberbalbach bestatten, da ja sein Vermögen konfisziert wurde.


            Meine Vermutung: es gab für die hingerichteten "Häcker" ein Massengrab in der Nähe der Hinrichtungsstätte oder in einer Ecke des dortigen Friedhofs.


            Grüße
            Eva

            Kommentar

            • Laureate
              Erfahrener Benutzer
              • 15.02.2021
              • 448

              #7
              Hallo Friedrich, Svenja, Malte, Gisela und Eva,

              ich danke euch ganz herzlich für eure ausführlichen und informativen Antworten!

              Wir sind uns alle also einig, dass die Kirchenbücher von Oberbalbach eine Sackgasse sind, was den Tod von Lorenz Haun betrifft. Ich werde mich demnächst mal an das Stadtarchiv Bad Mergentheim wenden, möglich, dass es dort detailliertere Unterlagen über den Aufstand gibt, bzw. Informationen bezüglich einer evtl. Begräbnisstelle von Hingerichteten.

              Habt noch einen schönen Sonntag!

              Kommentar

              • Laureate
                Erfahrener Benutzer
                • 15.02.2021
                • 448

                #8
                Neue Spur, noch mehr Verwirrung

                Hallo zusammen,

                ich bin soeben auf den Geburtseintrag von Lorenz' jüngstem Kind gestoßen, datiert auf den 13. März 1810. Darin heißt es "Josephus Michael Laurentii Haun Civis hic et Mariae Evae natae Mohrin filius legitimus."

                Diese Angabe "Civis hic" ist das, was mich stutzig macht, denn so wie ich das interpretiere, hat Lorenz Haun noch bei der Geburt seines Sohnes gelebt... kann demnach also nicht wie angenommen im Juli 1809 hingerichtet worden sein

                Oder schrieb man "Civis hic/Bürger von hier" auch, wenn der Vater eines Kindes bereits tot war?

                Nachtrag:
                Mal angenommen, dass Lorenz wirklich schon bei der Geburt seines Sohnes tot war - ich sehe da noch ein ganz anderes Problem: Der Aufstand, an dem Lorenz beteiligt gewesen sein soll, fand Mitte/Ende Juni 1809 statt und endete am 2. Juli mit den Hinrichtungen. Die Geburt war im März 1810 - das sind selbst wenn man großzügig rechnet mehr als 9 Monate ...
                Zuletzt geändert von Laureate; 10.08.2021, 20:48. Grund: Nachtrag

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                • MarthaLU
                  Erfahrener Benutzer
                  • 13.02.2013
                  • 509

                  #9
                  Hallo Hubert,
                  Mit der Schwangerschaft könnte es zeitlich schon hinkommen. Der Volksmund redet von 9 Monaten, aber es sind bei Lehrbuchverlauf eigentlich knapp 10. Nur wenn der Mann bereits Ende Mai inhaftiert war, ist es unwahrscheinlich.


                  LG Martha
                  Zuletzt geändert von MarthaLU; 12.08.2021, 13:57.

                  Kommentar

                  • Laureate
                    Erfahrener Benutzer
                    • 15.02.2021
                    • 448

                    #10
                    Hallo Martha,

                    Danke für die Info! Nein er wurde erst Ende Juni verhaftet und Anfang Juli hingerichtet. Ich bin trotzdem etwas skeptisch, weil das Zeitfenster für die Schwangerschaft so knapp ist, aber halten wir mal fest, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass er vor seinem Tod noch ein Kind gezeugt hat

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                    • Eva64
                      Erfahrener Benutzer
                      • 08.07.2006
                      • 811

                      #11
                      Hallo Hubert,


                      unabhängig von deiner Anfrage habe ich mal weiter gelesen zu dem Aufstand in Mergentheim. Und da habe ich mal wieder etwas gelernt. Ich wusste nicht, dass es in dieser Zeit solche Aufstände gab und warum es sie gab. Erschütternd wie mit den Menschen umgegangen wurde. Das lohnt sich das nachzuverfolgen, denn so wie ich gesehen habe, war nicht nur Mergentheim von Aufständen betroffen war.


                      Danke für die Horizonterweiterung!


                      Grüße
                      Eva

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                      • Laureate
                        Erfahrener Benutzer
                        • 15.02.2021
                        • 448

                        #12
                        Hallo Eva,
                        da stimme ich dir voll zu, es ist immer wieder erstaunlich, was man so alles lernt, wenn man seinen Stammbaum erkundet. Ahnenforschung geht oft Hand in Hand mit Geschichtsunterricht, das macht es ja so spannend.

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                        • Laureate
                          Erfahrener Benutzer
                          • 15.02.2021
                          • 448

                          #13
                          Kleines Update

                          Hallo zusammen,

                          ich dachte mir, ich gebe euch mal ein kleines Update zu meiner Recherche.
                          Ich habe vor kurzem das Diözesanarchiv Rottenburg abgeschrieben (Bad Mergentheim fällt unter die Zuständigkeit der Diözese Rottenburg Stuttgart) und mein Anliegen vorgetragen. Folgende Antwort bekam ich heute:

                          In den Totenregistern der Pfarrei Bad Mergentheim wurde der Tod des Lorenz Haun nicht eingetragen. Das Totenbuch M 303 Bd. 12, MF Nr. 30867, enthält jedoch ein maschinenschriftliches Blatt „Notiz zum Totenregister 1809“. Demnach sei Lorenz Haun am 2. Juli 1809 hingerichtet worden. „Die Hingerichteten wurden in der Nähe des Galgens auf der Wart begraben.“ Wann diese Notiz erstellt wurde, und auf welcher Quelle diese beruht, geht hier leider nicht hervor.

                          Im „Duplicat des Todten-Registers der Stadtpfarrei Mergentheim mit Filialien von 1808 angefangen und fortgeführt Mergentheim, den 14. Juni 1825 Vicarius Froelich“, M 303 Bd. 16, MF Nr. 30890, findet sich auf Seite 11 zu Beginn des Jahres 1809 ein Eintrag des Vicarius Froelich „Not: In diesem Jahre kamen mehrere außerordentliche Todtsfälle in Folge der in Mergentheim &. Umgebung entstandenen Bauern- Insurection vor, welche aber auf besonderem Befehl des K. Martial-Gerichts nicht in das gewöhnliche Todten-Register aufgenommen werden durften, und folglich noch abgesondert in einem eigenen Fascikel in der Stadtpfarrei-Repositur ad p. t. m. aufbewahrt liegen.“

                          Im Pfarrarchiv Bad Mergentheim konnte ich den oben genannten Faszikel nicht ermitteln. Auch in den Pfarrchroniken M 303 Bd. 43 und M 303 Nr. 533-534 fand ich keine Eintragungen zu Lorenz Haun.


                          Meine Sachbearbeiterin war wirklich freundlich und hat wie ihr sehen könnt sehr gründlich recherchiert. Allem Anschein nach gab es wohl mal ein extra Sterberegister für Hingerichtete, doch leider scheint es irgendwann verloren gegangen zu sein. Schade. Damit endet diese Spur. Aber ich gebe nicht auf, vielleicht finde ich doch noch ein brauchbare Quelle.

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