Herrscher als Pate? Und Wegzug aus einem Ort?

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  • Jettchen
    Erfahrener Benutzer
    • 16.10.2011
    • 1355

    Herrscher als Pate? Und Wegzug aus einem Ort?

    Hallo in die Runde!
    nun nerve ich vielleicht schon wieder mit der Familie meines Ahns Hans Dressel im 17. Jahrhundert in Probstzella/Thüringen. Aber ich knabbere an einigen Stellen und würde mich über ein paar Gedanken von euch dazu freuen:



    Dank der Lesehilfe weiß ich:
    Bei der Taufe des Sohnes Albertus im Jahr 1677 war der einzige Pate des 6. Kindes der durchlauchtigste Fürst Herr Herr Albertus pp, zu dieser Zeit Herr zu Saalfeld mit den Ämtern Saalfeld, Gräfenthal und Probstzella, der spätere Herzog von Sachsen-Coburg. Bei der Taufe selbst wurde er vom Amtsschösser vertreten.
    Auch Paten der anderen Kinder waren u.a. der Richter, Kastenvorsteher und Handwerksmeister.



    Der Vater des Täuflings war aber in jungen Jahren (nur ?) Kärner und hat wohl 1666 die Wirtschaft des Vaters nach dessen Tod übernommen.
    Wie kann solch eine Patenbeziehung zustande gekommen sein?


    Beim Schreiben kommt mir in den Sinn, dass ich in dem KB von Probstzella aus dieser Zeit noch nie den Hinweis entdeckt habe, dass Personen dem Rat angehört hatten - im Gegensatz zu dem nahen Ludwigsstadt, wo dies ganz häufig auftaucht. Nahm der Vater vielleicht doch eine ganz gute Position im Ort ein? (Oder habe ich dies in Probstzella nur übersehen?)



    Aber dann passt für mich wieder ein anderer Aspekt überhaupt nicht dazu:
    Gestorben ist der Vater 1700 in dem kleinen Dorf Zopten, in der Nähe von Probstzella als Inwohner. Wenn er als Inwohner bezeichnet wird, hat er dann dort länger gewohnt und gearbeitet? Weshalb könnte er aber seinen Herkunftsort verlassen haben, in dem er doch offensichtlich gut integriert war?
    War etwas vorgefallen, dass er wegziehen musste?
    Oder zog er im Alter zu einem Sohn, der in Zopten lebte? Aber würde der alte Vater dann als Inwohner bezeichnet?
    Geld muss in der Familie gewesen sein, der sein Enkel konnte es sich leisten, einen großen Gasthof an einer wichtigen Handelsstraße über den Thüringer Wald zu erwerben.


    Mich interessiert halt immer, wie die Ahnen gelebt haben.


    Danke für eure Geduld mit mir!
    Jettchen
  • Gastonian
    Moderator
    • 20.09.2021
    • 3324

    #2
    Hallo Jettchen:


    1) Ja, Probstzella hat anscheinend nie die Markt- oder Stadtrechte erworben. Die Verbindung zur Obrigkeit ging also durch den Schultheißen.


    2) Zum Begriff Inwohner (nicht unbedingt das gleiche wie Einwohner), siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Inwohner


    3) Mir ist es auch vorgekommen (etwa 70 Jahre später), daß bei der Taufe des Sohnes eines Bauerns in Sandersleben nicht nur der regierende Fürst von Anhalt, Leopold (genannt der Alte Dessauer), sondern noch sieben andere Mitglieder des Fürstenhauses als Paten standen (http://www.archion.de/p/5f3fc6de32/). In diesem Fall war der Bauer auch Soldat in der preußischen Armee, wo der Alte Dessauer Generalfeldmarschall war. Aber wie Seine Hochfürstliche Durchlaucht mitsamt Familie auf diesen Bauern und Soldaten aufmerksam wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.


    VG


    --Carl-Henry
    Zuletzt geändert von Gastonian; 16.01.2024, 23:29.
    Meine Ahnentafel: https://gw.geneanet.org/schwind1_w?iz=2&n=schwind1&oc=0&p=privat

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    • sternap
      Erfahrener Benutzer
      • 25.04.2011
      • 4072

      #3
      quer durch die deutschsprachigen adelskreise gibt es häufig bräuche wie ehrenpatenschaften für familien mit mehreren kindern, beispielsweise für jedes 6. 10 oder fünfzehnte kind.
      der wiener historiker dr. stekl arbeitete heraus, dass der adel sich ganze ahnenlinien an untertanen heranzog, indem kinder bereits durch patenschaft gedanklich an das herrscherhaus gebunden wurden.


      am exempel einer familie, opa fuhr die fürstenfamilie jedes jahr mit der kutsche ins ausland, der sohn bekam den herrn als paten, als er groß war, arbeitete er als schreiber für ihn,obwohl er anderswo mehr verdient hätte.
      der enkel des kutschers war bereits leibarzt einer fürstin.


      absolute diskretion, totale unterwürfigkeit, beruhten auf einer in der erziehung früh angelegten bindung zum fürstenhaus.


      es wären aber auch aufmüpfige dörfer durch ehrenpatenschaften des herrn für richter oder andere würdenträger, wieder persönlich an die örtlichen herrscher angenähert worden.


      eine schwarzenberg fürstentochter habe für jeden tag des jahres eine ehrenpatenschaft übernommen, starb eines der babys, war für das datum wieder ein platz frei. sie schrieb jedem geehrten kind jährlich zum festtag eine karte.
      freundliche grüße
      sternap
      ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
      wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




      Kommentar

      • Jettchen
        Erfahrener Benutzer
        • 16.10.2011
        • 1355

        #4
        Das sind sehr interessante Überlegungen von euch!
        Dass es einfach eine Ehrenpatenschaft war, denke ich nicht, denn er war höchstens das 5. überlebende Kind. Und dann hätte es ja noch einen anderen Paten gegeben.

        Dass man sich aber so eine frühzeitige Bindung von Untergebenen ans Herrscherhaus sicherte, ist gut vorstellbar. Da es in der mütterlichen und väterlichen Linie Schultheiße gab, wurde in dieser Familie sicherlich die Fähigkeit des Lesens, Schreibens und Rechnens weitergegeben. Leider fand ich zu diesem Albert keinen Heiratseintrag, aber auch keinen Sterbeeintrag. Wer weiß, wo er sich in die Dienste seines Paten stellte? Da muss ich einmal in die Coburger KB schauen.


        Das Nachlesen über "Inwohner" war mir hilfreich. Vielleicht ist Hanß Dressel doch erst im Alter zu einem Sohn nach Zopten gezogen, der dorthin geheiratet hatte? Aber gewohnt haben dürfte er nicht bei ihm, sonst wäre er doch nicht als "Inwohner" sondern als "Hausgenosse" bezeichnet?


        Ein ganz herzliches Dankeschön für eure Anregungen, Carl-Henry und sternap!
        Ihr habt mir sehr geholfen.
        Eiinen guten Tag - ohn Ausrutschen auf dem Glatteis -
        wünscht euch Jettchen

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        • Xtine
          Administrator
          • 16.07.2006
          • 28395

          #5
          Hallo,

          diese Patenschaft der Obrigkeit bei kinderreichen Familien war früher in vielen Gegenden üblich.

          Auch heute noch übernimmt der Bundespräsident (auf Antrag) für das 7. Kind eines Paares die Ehrenpatenschaft.


          BVA
          Der Bundespräsident übernimmt die Ehrenpatenschaft, wenn einschließlich des Patenkindes sieben lebende Kinder von denselben Eltern oder demselben Elternteil (Mutter oder Vater) abstammen.
          Viele Grüße .................................. .
          Christine

          .. .............
          Wer sich das Alte noch einmal vor Augen führt, um das Neue zu erkennen, der kann anderen ein Lehrer sein.
          (Konfuzius)

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          • sternap
            Erfahrener Benutzer
            • 25.04.2011
            • 4072

            #6
            wenn jemand im auszüglerhaus lebte und von der familie des sohnes mit versorgt wurde, könnte er gut als inwohner bezeichnet worden sein, nicht jedoch als hausgenosse, da er ein eigenes häuschen besaß.


            vielleicht war er soferne inwohner, als er keine eigene herdstelle besaß, dann bezog er das mittagessen aus dem haupthaus und die wäsche wurde für ihn mitgewaschen.
            auf den zimmeröfen oder am kachelofen konnte man seine milch und die abendliche suppe wärmen.
            freundliche grüße
            sternap
            ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
            wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




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            • Sbriglione
              Erfahrener Benutzer
              • 16.10.2004
              • 1177

              #7
              Hallo allerseits,

              was die Patenschaften hoher Herrschaften beim "niederen Volk" betrifft, gehörte nach dem, was ich bisher so mitbekommen habe, falls die Herrschaft nicht aus irgendwelchen Gründen (gute Dienste...) selbst auf die Idee gekommen ist, die Patenschaft zu übernehmen, schlicht etwas Mut dazu, eine entsprechende Bittschrift zu verfassen oder eine kurze Gelegenheit, entweder den Wunschpaten selbst zu sprechen oder zumindest eine Person mit direktem Zugang zu diesem.
              Patenschaften waren in früheren Zeiten (und sind es gewissermaßen bis heute) eine "Ehrensache", die man - sofern man es sich leisten konnte, Pate zu werden - schon alleine aus diesem Grund nur selten ausgeschlagen haben dürfte - mal ganz abgesehen davon, dass man sich dadurch die Familie des Täuflings noch geneigter machen bzw. noch mehr verpflichten und an sich binden konnte.
              Ich hatte sogar einige Fälle, wo hochgestellte Personen solche Patenschaften übernommen haben, ohne dass irgend ein wie auch immer gearteter Bezug zur Familie des Täuflings erkennbar gewesen wäre.

              Vielleicht ein interessanter Neben-Punkt bezüglich ranghöherer Paten: bei Leuten, die für andere gearbeitet haben (Knechte, Handarbeiter etc.) wurden sehr gerne potentielle künftige Arbeitgeber als Paten gesucht (daneben aber auch der aktuelle Arbeitgeber gerne genommen).

              Beste Grüße!
              Suche und biete Vorfahren in folgenden Regionen:
              - rund um den Harz
              - im Thüringer Wald
              - im südlichen Sachsen-Anhalt
              - in Ostwestfalen
              - in der Main-Spessart-Region
              - im Württembergischen Amt Balingen
              - auf Sizilien
              - Vorfahren der Familie (v.) Zenge aus Thüringen (u.a. in Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und NRW)
              - Vorfahren der Familie v. Sandow aus dem Ruppinischen

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              • Jettchen
                Erfahrener Benutzer
                • 16.10.2011
                • 1355

                #8
                Vielen Dank für eure weiteren Ergänzungen!!!
                Inzwischen habe ich den Hochzeits- und Sterbeeintrag des Sohnes Albertus gefunden. Er lebte in Zopten - aber sonst war keinerlei interessante Ergänzung gefunden.
                Aus den Heiratseinträgen der Kinder des Hanß schließe ich, dass der Vater doch schon früher nach Zopten gezogen ist. Aber die Ausführungen zum Inwohner finde ich sehr interessant.

                Danke für all eure Hilfe und die Zeit, die ihr für mich aufgebracht habt!
                Viele Grüße
                Jettchen

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                • asd3
                  Erfahrener Benutzer
                  • 31.10.2015
                  • 267

                  #9
                  Hallo,

                  zugegeben bin ich in das Thema "nicht standesgemäße Patenschaften" noch nicht tiefer eingestiegen, aber aufgefallen ist es mir in meiner Ahnenreihe einmal. Da es Namensregister für die Taufen gibt, ging das Nachsehen auch ziemlich schnell. Das ganze findet in Strasskirchen, Passau, im ausgehenden 17. Jahrhundert statt.

                  Ab 1692 über einen Zeitraum von ca. 30 Jahren finden sich bei diesem Familiennamen (also auch mehrere Familie) fast ausschließlich Paten höheren Stands. Das geht über Juristen, Richter oder deren Ehefrauen, insgesamt ca. fünf unterschiedliche Personen mit ca. 8 Patenschaften/Kindern. Es handelte sie nie um Fürsten oder "Herrschende" wie es analog bei der Patenschaft des Bundespräsidenten denkbar wäre. Die Patenschaften finden (soweit ich das finden konnte) bei ersten Kindern eines Paares ebenso wie bei "mittleren" Kindern statt.

                  Einen Bezug konnte ich nicht herstellen. Ein Aufstieg war weder im Einzelnen noch für die Familie mit der Patenschaft verbunden, es blieben Landwirte auf kleineren Höfen. Außerhalb dieses Zeitraums gibt es dann keine weitere Patenschaft mit Domino/Domina oder Paten höheren Standes. Das ganze endet abrupt (habe noch nicht die Sterberegister durchforstet, ob das Ableben der Grund hierfür war). Es bleibt nach diesem engen Zeitraum bei der Patenschaft der Bauern für Bauern Innerhalb dieses Zeitraums gibt es kurz vor Ende nur eine Taufe eines bäuerlichen Paten, sonst folgen alle Taufen diesem "nicht standesgemäßen" Taufpatenmuster.

                  Eine Beziehung konnte ich zwischen den Paten und den Familien bisher noch nicht herstellen. Taufort und Wohn-/Wirkungsort der höhergestellten Paten lagen ca. 10 km und ca. 3-4 Ortschaften auseinander. Mehr habe ich nicht erkennen können.

                  Ich verstehe das ganze nicht wirklich, bin aber trotzdem neugierig, ob ich irgendwann einmal etwas konkretes dazu finden werde.

                  Viele Grüße und Danke für alle Beiträge hier
                  Andreas
                  Ahnenliste unter https://forum.ahnenforschung.net/sho...d.php?t=153579

                  Kommentar

                  • sternap
                    Erfahrener Benutzer
                    • 25.04.2011
                    • 4072

                    #10
                    Zitat von asd3 Beitrag anzeigen
                    Hallo,
                    fast ausschließlich Paten höheren Stands. Das geht über Juristen, Richter oder deren Ehefrauen, insgesamt ca. fünf unterschiedliche Personen mit ca. 8 Patenschaften/Kindern..........
                    Einen Bezug konnte ich nicht herstellen. Ein Aufstieg war weder im Einzelnen noch für die Familie mit der Patenschaft verbunden, es blieben Landwirte auf kleineren Höfen. Außerhalb dieses Zeitraums gibt es dann keine weitere Patenschaft mit Domino/Domina oder Paten höheren Standes.
                    Andreas

                    wenn es kein aufstieg war, so vermochte es doch einen abstieg verhindert haben.
                    juristen und richter samt deren frauen konnten wahrscheinlch die alten verträge der bauern lesen, glücklich wer noch eine solche urkunde hatte und zu entziffern vermochte.
                    darin enthaltene konditionen waren besser als neuere, aber wie sollte man das juristendeutsch bzw- latein ohne fachkundigen lesen und deuten ?
                    nur klug war es daher, sich einen ortsrichter privat gewogen zu machen.


                    die beliebtheit der lokalen größen wurde gerne an der anzahl der bitten um patenschaft gemessen , so hatte das ego des ortsrichters auch was davon.


                    das ist wie mit der zahl der follower in den heutigen sozialen medien, wer mehr hat, gilt mehr.
                    freundliche grüße
                    sternap
                    ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
                    wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




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