Gerichtsbericht 1914

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  • alfred47
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    Gerichtsbericht 1914

    Königliches Schöffengericht
    „Wittenberger Allgemeine Zeitung“ vom 24. Dezember 1914

    Wittenberg, 22. Dezember 1914

    Vorsitzender: Geh. Justizrat Thiemann; Beisitzer: Amtsrichter Hubrich – Pratau und Gemeindevorsteher Schneider – Piesteritz; Amtanwalts-Stellvertreter Wittig; Gerichtsschreiber: Sekretär Liebmann.


    1. Der Uebertretung der Verordnung des stellvertretenden Kommandierenden Generals 4. Armeekorps vom 12. September 1914 haben sich schuldig gemacht der Schuhmachermeister Karl Winn, 04. April 1873 in Leudingen, vorbestraft, und die unverehel. Berta Appelt, geboren 13. März 1882 in Meura, bisher unbestraft. Ende Oktober kamen zu dem Tischlermeister Lindner in der Pfaffengasse ein Trupp französischer Gefangener, um Bettstellen abzuholen. Die Angeklagte Appelt stand vor der Tür. Ein Franzose zog seinen Geldbeutel hervor, nahm ein Markstück heraus, hielt es der Angeklagten hin und sagte „Schokolad“. Die Angeklagte nahm das Geldstück und holte aus dem gegenüberliegenden Kaufladen dafür Schokolade. Ein anderer Franzose gab der 11 jährigen Tochter des Angeklagten Winn ein französisches Geldstück, wofür sie auch Schokolade holen sollte. Der Angeklagte nahm seiner Tochter dieses Geldstück ab und gab ihr dafür ein 10 Pfg-Stück, das französische hat er für sich behalten. Der Amtsanwalt betont in seinen Ausführungen, daß solche Sachen sehr streng bestraft werden müssen. In München wurde ein Fabrikant zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er Gefangenen Zuwendungen gemacht hatte. Seinerzeit mussten die Wege am Gefangenenlager gesperrt werden, weil es Frauen fertig gebracht hatten, über den Zaun Schokolade zu werfen. Ein hiesiger Fabrikant, in dessen Fabrik Gefangene beschäftigt wurden, hat ausgesagt, dass es nicht schön ist, wie die Frauen sich den Gefangenen gegenüber benehmen. Wenn man dagegen bedenkt, wie schändlich die deutschen Gefangenen behandelt werden, beschimpft und bespuckt, und das alles schon darüber berichtet worden ist; so muß gegen solche Sachen scharf vorgegangen werden. Er beantragt gegen die Angeklagten je 50 M. Geldstrafe. Der Gerichtshof schließt sich den Ausführungen des Amtsanwalts an. Der Angeklagte Winn wird zu 30 M. – die Angeklagte Appelt zu 20 M. Geldstrafe verurteilt. Beide haben die Kosten zu tragen.
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