Unterschied "Ortsbürger"- "Einwohner" (1850- 1880, Westthüringen)

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  • taraxacum
    Benutzer
    • 06.11.2016
    • 56

    Unterschied "Ortsbürger"- "Einwohner" (1850- 1880, Westthüringen)

    Hallo,

    ich habe bei einigen meiner Ahnen im KB- Eintrag der o.g. Zeit den Begriff, Ortsbürger“ vorgefunden, bei anderen Ahnen steht „Einwohner“. Scheinbar scheinen diese Anmerkungen wichtig gewesen zu sein.

    Heutzutage ist Bürger u.a. = Einwohner

    Bürger
    Bedeutungen:
    [1a] Einwohner einer Gemeinde
    [1b] Angehöriger eines Staates
    [2] Angehöriger der Mittelschicht, des Bürgertums
    , sodass ich erst einmal staune, dass es früher überhaupt notwendig war, explizit auf „Ortsbürger“ oder „Einwohner“ hinzuweisen.

    Von heutiger Sicht ausgehend (Bürger = Einwohner, man geht auf das Bürgeramt= Einwohnermeldeamt= Bürgerbüro= Bürgerservice) muss ich fragen, worin denn von ca. 1850 bis ca. 1880 der Unterschied zwischen „Ortsbürger“ und „Einwohner“ bestand?

    Beste Grüße

    taraxacum
    Zuletzt geändert von taraxacum; 06.12.2020, 21:32.
  • Saraesa
    Erfahrener Benutzer
    • 26.11.2019
    • 1110

    #2
    Ich verweise einmal auf diesen aufschlussreichen Beitrag hier.
    Vielleicht erklärt das einiges?
    "Ortsbürger" war nicht jeder Einwohner, sondern nur Männer, sofern sie aus dem Ort stammten oder bei Zuzug/Einheirat das Ortsbürgerrecht erhielten, was vom Gemeinderat beschlossen werden musste.
    Mit dem Ortsbürgerrecht verbunden war neben dem Wahlrecht auch die Wählbarkeit zum Gemeinderat (und damit auch zum Bürgermeister). Das war insofern wichtig, als auch Besitzer von größerem Grundeigentum Wahlrecht hatten und bei sehr großer Steuerleistung sogar automatisch im Gemeinderat waren, auch wenn sie gar nicht im Ort wohnten (also kein Ortsbürgerrecht besaßen).

    Kommentar

    • taraxacum
      Benutzer
      • 06.11.2016
      • 56

      #3
      Hallo,

      erst einmal herzlichen Dank an Saraesa für die mitgeschickten Ausführungen.

      Ich habe da auch noch etwas gefunden:
      Die Krabb von kambeckfilm und Creapolis

      --> 1. Abschnitt: „Bürger und Nichtbürger“

      Mein Fazit:
      ° Ein Ortsbürger war ein bessergestellter Einwohner.
      ° Ortsbürger wurde man durch Abstammung oder Aufnahme (Antrag beim Gemeinderat).
      ° Ein Ortsbürger durfte Beigeordnete und den Gemeinderat mit wählen, ein Einwohner nicht.
      ° Ein Ortsbürger hatte Stimmrecht in der Gemeindeversammlung, ein Einwohner nicht.
      ° Ein Ortsbürger durfte das Allmende (Gemeindegut) mit nutzen, ein Einwohner nicht.

      ° 1870 gab es eine Reformierung der Gemeindeverfassung, in deren Ergebnis alle Gemeindebewohner (also nun auch die Einwohner)
      den Gemeinderat und den Bürgermeister wählen durften.
      ° Nach 1870 war die Allmendenutzung abhängig von den Gegebenheiten der jeweiligen Gemeinde (Einwohner waren aber von der
      Allmendenutzung nicht mehr völlig ausgeschlossen.)
      Langsam näherte man sich den heutigen Verhältnissen Bürger = Einwohner.

      Sollte ich etwas falsch verstanden haben, bitte ich um Korrektur!


      Beste Grüße

      taraxacum
      Zuletzt geändert von taraxacum; 07.12.2020, 19:07.

      Kommentar

      • AKocur
        Erfahrener Benutzer
        • 28.05.2017
        • 1411

        #4
        Hallo taraxacum,

        der Inhalt deines Linkes bezieht sich auf das Großherzogtum Baden, der von Saraesa bezieht sich auf Hessen.

        Thüringen war im 19. Jh. ja sehr zersplittert, da reicht Westthüringen als Ortsangabe leider nicht aus um zu wissen, nach welchem Staat man suchen soll.
        Ich verlinke daher mal Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland von 1865 und hoffe, dass Fraktur dir keine Leseprobleme bereitet.

        LG,
        Antje

        Kommentar

        • taraxacum
          Benutzer
          • 06.11.2016
          • 56

          #5
          Hallo Antje,

          meine Ahnen im o.g. Zeitraum stammen alle aus den beiden Staaten Sachsen- Coburg- Gotha und Sachsen- Weimar- Eisenach. Bei ihnen hatte ich bisher von „Ortsbürgern“ und „Einwohnern“ gelesen oder sie waren nur mit ihrem Beruf erfasst, ohne dass ihre soziale Schicht innerhalb der Dorfgemeinschaft Erwähnung fand.
          Daher hat es mich interessiert, worin der damalige Unterschied zwischen „Ortsbürgern“ und „Einwohnern“ lag. Ich hatte auch schon beim Ortschronisten des Ortes nachgefragt, aus dem meine „Ortsbürger“- Ahnen stammten. Er konnte aber damit überhaupt nichts anfangen.

          Mangels Literatur war ich schon glücklich, durch die Verhältnisse im Großherzogtum Baden und im Großherzogtum Hessen etwas über den Unterschied Ortsbürger- Einwohner zwischen 1850 und 1880 zu erfahren, wohlwissend, dass es sich um andere deutsche Staaten handelte, als die, in denen meine Ahnen ansässig waren.

          Infolge der Französischen Revolution gab es eine Art Gruppendynamik der deutschen Staaten hinsichtlich der Durchsetzung von Reformen beim Umbau der Gesellschaft von feudalen hin zu kapitalistischen Verhältnissen, sodass sich letztendlich auch die ländliche Sozialstruktur der deutschen Staaten jener Zeit ähnelte, auch wenn die Bezeichnungen der sozialen Schichten je nach deutschem Staat variierten.

          Ich bedanke mich bei dir für die zusätzliche Quelle (Leseprobe: Georg Ludwig von Maurer, Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland) in die ich mich zunächst nur auf die Schnelle kurz eingelesen habe. Dort werden die im Dorf existierenden sozialen Schichten aufgeführt, die dann je nach Staat auch noch einmal eine andere Bezeichnung trugen, z.B. :
          ° In Kurhessen: Ortsbürger- Beisitzer
          ° In Baden: Gemeindebürger- Einsassen
          ° In Sachsen- Altenburg: Gemeindebürger- Schutzbürger/ Schutzverwandte
          ° In Bayern: Bürger- Beisassen/ Schutzverwandte/ Heimathsangehörige/ Inleute/ Miethleute
          ° Im Königreich Sachsen: Angesessene Bürger- unangesessene Mitglieder der Gemeinde
          usw. (Vgl. Von Maurer, S. 311- 314)
          Es gab auch deutsche Staaten, wie Sachsen- Meinigen, in denen bereits alle Bürger waren und gleiche Rechte hatten (Vgl. Von Maurer, S. 315).

          Die mich interessierenden Staaten Sachsen- Coburg- Gotha und Sachsen- Weimar- Eisenach werden hinsichtlich der sozialen Schichten jedoch nicht benannt, sodass ich weiterhin davon ausgehe, dass es sich bei den in den Kirchenbucheinträgen gefundenen Bezeichnungen „Ortsbürger“ und „Einwohner“ um die dörflichen Hauptschichten der Staaten Sachsen- Coburg- Gotha und Sachsen- Weimar- Eisenach handelt.

          Ich werde mir die Leseprobe noch mal in Ruhe zu Gemüte führen, in der Hoffnung, Genaueres bzgl. meiner Fragestellung für die betreffende Region in Erfahrung bringen zu können.

          Antje, nochmals 1000 Dank für deine Unterstützung!

          Beste Grüße

          taraxacum

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