Bitt- und Bettelbriefe im 18. Jahrhundert

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  • cgraaf
    Erfahrener Benutzer
    • 06.12.2009
    • 357

    Bitt- und Bettelbriefe im 18. Jahrhundert

    Mein Vorfahr Detlef Grave (Grafe) verstarb im Jahre 1729 in Techelsdorf.

    Techelsdorf liegt etwa 10km südlich von Kiel am Oberlauf der Eider. 1350 gab Marquard Schönbeck die Hälfte des Dorfes einschließlich der halben Mühle an das Kloster Itzehoe als Aussteuer für seine Schwester Wiburgis, die als Nonne in das Kloster eintrat. 1352 verkaufte Ivan Reventlow die zweite Hälfte des Dorfes an das Kloster.
    So weit, so ..... ??? (aber das ist ein anderes Thema....)

    Techelsdorf bestand aus 6 Vollhufen. Eine davon, die 4. Vollhufe wurde von meinem o.g. Vorfahr ab 1721 als Kätner bewirtschaftet.

    Die Witwe Anna Dorothea (Ann Dorthe) geb. Brandt, und jetzt komme ich zum eigentlichen Thema, schrieb (mit fremder Hilfe) am 19. Jan. 1731 einen Bitt- und Bettelbrief an das Kloster Itzehoe, welcher nur so von Unterwürfigkeit trieft; vielleicht habt Ihr ja im Rahmen Eurer Forschung ähnliches gefunden.
    Hier der Text:

    Hoch und Wohlgebohrner Herr,
    Höchstgebietender Herr Conference Rath
    und Closter Verbitter,
    Eure Excell. werden sich gnäd[igst] errinnern, wie ich verwichenen [Sommer] mit mehrern
    meine Noth und E[lende] wehmüthigst vorgestellt, daß [wir] nehmlich vor 9 Jahren erst die
    alhi[er] in Techelßdorff sehr ruinirte Hu[fe] welche mit vielen Schulden behafftet] von
    Gnädigster Hohen Herrschafft [an-] genommen, und ob wir unß zw[ar] alles Ernstes
    bemühet, solche wi[eder] in einen tüchtigen Stand zu bringen, so hat doch solches in so
    kurtzer Zeit

    und andern vorgefallenen wiedrigen Zufällen, auch daß der liebe Gott noch vor 1 1/2 Jahren
    meinen
Mann durch den zeitl. Tod hinweg genommen, nicht geschehen können, auch ist
    bey diesen sehr wohlfeilen Zeiten gar wenig vom Gelde bey einer Huffe auff zu bringen, daß
    ich allso mich biß dato der Schulden nicht erwehren können. Gelanget dahero nochmahlen
    an Eur. Excell. mein allerunterthänigstes und wehmüthigstes Bitten und Flehen, mein
    Elende und schlechten Zustand zu behertzigen, und aus gnädigster Mitleyden, wie Eur.
    Exell. schon im Sommer mit 12 Rthlr zu thun gnädigst resolveret, einen Erlaß wiederfahren
    und genießen zu laßen. Auch weilen ich noch letztens mit 20 rthlr Holtzbrüchen angesetzet,
    für das wenige Holtz, so ich nothdingende zu Beßerung deß Hauses

    etwa gehauen, gleichfalß einige moderation zu machen gnädigst geruhen mögen. Ich

    getröste mich gnädigster Erhörung, die ich nächst Empfehlung Göttl. Obhut allstets beharre.

    Eure Excellence
    Meines höchstgebietende[n] Herrn Conference Rath und Closter Verbitt[er]
    Unterthänigst gehorsambst Dienerin Anna Dorothea Gravin
    Techelsdorf, den 19ten Jan. Anno 1731

    Nothdringendes Momoriat und Bitte zu Sr. Excellence
    Sr. Königl. Meyt. zu Dennem. Norrw. und Conference und Land-Rath, wie auch Gouverneur und Ambtmann zu Suder Dittmarschen und zu Steinburg, Administrator der Graffschafft Rantzau, Ritter p. p. wie auch Verbitter deß Adl. Closter Itzehoe, Herrn Herrn Blome, Kiel

    Soweit der von meinem Familienforscher im LAS Schleswig aufgefundene Brief mit entsprechender Übersetzung bzw. Entzifferung.

    Sohn Hans(ß) Graff (jedes mal eine andere Schreibweise des Nachnamens) übernimmt die Hufe von seiner Mutter 1733 (Bewirtschaftung) bzw. 1742 endgültig durch Vertrag.

    1734/1735 brennt die Hufe ab. Hans schreibt einen entsprechenden Bittbrief an das Kloster Itzehoe. Auch hier kommen diverse Male die Begriffe „Hoch Wohlgeboren“, „gnädigst“, „untertänigst“, „in tiefer Demut“ u.s.w. vor.

    1736/1737 weitere Schreiben aufgrund Verluste, Schulden und Bitten um Holz (sic!)

    Am 25.11.1738 erfolgt ein längeres Schreiben mit der Bitte um Aufhebung einer möglichen Exekution des Grundstücks für kurze Zeit. (Heutzutage: Bitte um Verschiebung der Zwangsversteigerung)
    Hier ist die Not besonders greifbar wenn er u.a. schreibt:

    3tio Ich bey der 12 Wochen elend am Fieber kranck gewesen, und noch keine Beßerung
    spühre, meine Frau ebenfals am Fieber danieder liegt, daß wir unsere 3 kleine Kinder von anderen müßen warten laßen, mithin itzo bey unserem kräncklichen Zustand selbst keine Contribution machen können, die Haußhaltung derowegen sehr leydet.

    Als ergehet an Ew. Hochwürdigen Gnaden meine untertänigste flehentlichste Bitte, Sich über unß zuerbarmen, und woferne es immer möglich in die Wege zurichten, und
    Vorsprache bey dem H. Closter=Schreiber zu thun, daß Er entweder das Geld möge
    annehmen auf vorgeschlagenen Fuß, oder bis zu des H. Geheimen Rahts und Verbitters Ankunft, so nicht lange ausstehen kann die Execution aufheben möge. Gott wird dieses Werck der Barmhertzigkeit reichlich belohnen. Als der ich in tüffster Respect ersterbe.

    Euer Hochwürdigen Gnaden untertänigster Knecht
    Hans Grave aus Techelstorff
    Techelstorff d. 25sten Nov. 1738

    Hans war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt, seine Frau ca. 28.

    Die Ahnenforschung, also das Forschen nach Namen und Daten ist das eine, die gefundenen Personen in den Kontext der Zeitgeschichte zu setzen, eine andere.
    Beim Verfertigen der Chronik, die nunmehr fertig gestellt ist, gedruckt und gebunden, war insbesondere das gefundene „Begleitmaterial“ eine wertvolle Hilfe und Ergänzung.

    Beim Lesen dieser Zeitdokumente stellten sich mir dann auch grundsätzliche Fragen, zumal wir im LAS auch Dokumente zum Hufenbesitz in Böhnhusen (ab 1530/1535) und zu den Verlusten aufgrund des 30jährigen Krieges mit all seiner Not gefunden haben.

    Wie kam z.B. der Adel in den Besitz ganzer Dörfer, wie profitierten die Klöster davon (bis heute?), welchen Einfluss hatte die Landbevölkerung u.s.w. Natürlich kenne ich durch die Geschichtsforschung viele Antworten, es bleibt, und das war meine Motivation, hier davon zu berichten, auch heute noch (!) ein ziemlich schaler Geschmack, um mich mal zurückhaltend auszudrücken.









    MvH

    Carsten
  • tuedelluet
    Erfahrener Benutzer
    • 30.01.2015
    • 546

    #2
    Zitat von cgraaf Beitrag anzeigen
    ...
    Beim Verfertigen der Chronik, die nunmehr fertig gestellt ist, gedruckt und gebunden, war insbesondere das gefundene „Begleitmaterial“ eine wertvolle Hilfe und Ergänzung.

    Beim Lesen dieser Zeitdokumente stellten sich mir dann auch grundsätzliche Fragen, zumal wir im LAS auch Dokumente zum Hufenbesitz in Böhnhusen (ab 1530/1535) und zu den Verlusten aufgrund des 30jährigen Krieges mit all seiner Not gefunden haben.

    Wie kam z.B. der Adel in den Besitz ganzer Dörfer, wie profitierten die Klöster davon (bis heute?), welchen Einfluss hatte die Landbevölkerung u.s.w. Natürlich kenne ich durch die Geschichtsforschung viele Antworten, es bleibt, und das war meine Motivation, hier davon zu berichten, auch heute noch (!) ein ziemlich schaler Geschmack, um mich mal zurückhaltend auszudrücken.
    Moin Carsten,

    jetzt bin ich mir nicht ganz sicher, was da bei Dir diesen schalen Geschmack hinterlässt, da Du ja auch Geschichtsforschung mit betrieben hast.

    Wenn es sich vorzugsweise um diese untertänigste Ausdrucksweise handelt: Wir dürfen nicht vergessen, dass der Stil "..ew. hochwohlgeboren ect. pp. ..." zum einen Zeitbedingt war. (bis vor rund 100 Jahren wurde auch hierzulande die "Obrigkeit" noch hofiert)
    Zum Anderen hatte die "Landbevölkerung" einen noch geringeren Stellenwert als ein Kaufmann / Handwerksmeister in einer Stadt - egal ob Groß- oder Kleinbesitz.

    Wenn es sich um die Frage dreht, warum die Adeligen oder kirchlichen Grundherren so ganze Dörfer bekamen... Auch hier kann ich für mich aus HEUTIGER Sicht nur sagen "es war halt so" und dies ohne dabei eine Wertung "Gut / Schlecht" vorzunehmen. Ebenso muss ich es hinnehmen, dass die Kolonialmächte willkürlich Ländereien aufteilten....
    Ich freue mich aber auch, dass die Zeiten sich weitestgehend geändert haben und wir "kleinen Leute" mehr Rechte haben, uns sachlicher ausdrücken dürfen, Willkür von Grundherren eingeschränkt wurde....
    Gruß aus Bremen

    tuedelluet

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    • trabajador
      Erfahrener Benutzer
      • 25.12.2014
      • 441

      #3
      Das war anscheinend ganz normale Sprache damals, von Bürgerlichen an die Hoheiten. Ich habe auch einige solche Briefe, die zum Teil noch unterwürfiger geschrieben sind. Beispiel eines Briefendes: "mit der unterthänigst geflißendsten Dankbarkeit, und verharre in alle Wege mit tiefgebückter veneration (Verehrung) und Erniedrigung".
      Oberschlesien, Neustadt: Wistuba, Henschel, Peschel, George
      Niederschlesien, Militsch: Titzmann, Bänisch, Matzke
      Schleswig-Holstein, Plön/Segeberg:
      Wisser, Sindt, Colmorgen, Rönnau, Nüser, Thedran
      Schleswig-Holstein, Ostholstein: Vorhaben, Wöbs, Bumann
      Mecklenburg: Weber
      Mittelpolen, Masowien: Biernacka/Berneck/Bernadse, Dawid, Lücke, Telke, Kelm, Klingbeil, Müske, Stein, Klaus, Ortlieb, Beyer, Bonkowski
      Posen, Großpolen: Dobslaw, Guderian, Egiert, Oheim, Wolter, Butz

      Kommentar

      • cgraaf
        Erfahrener Benutzer
        • 06.12.2009
        • 357

        #4
        Zitat von trabajador Beitrag anzeigen
        Das war anscheinend ganz normale Sprache damals, von Bürgerlichen an die Hoheiten. Ich habe auch einige solche Briefe, die zum Teil noch unterwürfiger geschrieben sind. Beispiel eines Briefendes: "mit der unterthänigst geflißendsten Dankbarkeit, und verharre in alle Wege mit tiefgebückter veneration (Verehrung) und Erniedrigung".
        Krass, Trabajador. Danke für ein weiteres Beispiel. Auch wenn es Ausdruck damaliger Zeit war: Furchtbar.

        Ja, natürlich hast Du recht, Tuedellnet. Schau Dir mal an, wie der Grundbesitz aus dem 19. Jahrhundert und davor heute verteilt ist. Keine Wertung meinerseits.
        MvH

        Carsten

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        • cgraaf
          Erfahrener Benutzer
          • 06.12.2009
          • 357

          #5
          Unsere Vorfahren wurden darüberhinaus auch immer wieder mit sonderlichen Abgaben gequält; hier ein Beispiel, dass es mir ermöglicht hat, meinen Urahn zu finden:

          Über das Fräuleinschatzregister des Klosters Bordesholm von 1564

          Seit dem 12. Jahrhundert war „Fräulein“ die Bezeichnung und Anrede für Jungfrauen adeligen Standes. Fräulein waren also früher die unverheirateten Fürstentöchter, die später auch Prinzessinnen genannt wurden.

          Mit Fräuleinschatz oder Fräuleinsteuer, später auch Prinzessinnensteuer genannt, wurde i.d.R. eine von den Untertanen zu entrichtende Abgabe bezeichnet, die bei Vermählung einer Tochter des Herrscherhauses zur Beschaffung der Aussteuer erhoben wurde. Da Fürstentöchter bei ihrer Heirat üblicherweise auf ihr Erbe verzichteten, war die Ausstattung zugleich Erbabfindung und damit so hoch, dass sie nur über ein Sondersteuer aufgebracht werden konnte.


          Und in diesem Fräuleinschatzregister taucht unser Ahnherr 1564 zum ersten Mal auf.

          Fazit: Der Kreativität von Steuern und Abgaben waren schon im 16. Jahrhundert keine Grenzen gesetzt. Hat sich daran bis heute irgend etwas geändert?

          Quellenangabe für Interessierte:
          Bordesholmer Steuerlisten und Dorfbeschreibungen aus dem 16 Jahrhundert

          Transkription der Bederegister von 1501 und 1504 (Anmerkung: hier taucht mein Ahnherr noch nicht auf), des Fräuleinschatzregisters von 1564 des Klosters Bordesholm sowie des
          „Vortekenisse der Dörper, Güder und der Lüde, thom Closter Bordesholm gehörig“

          Geschichtsverein für das ehemalige Amt Bordesholm e.V. 2009
          (Bin dort Mitglied)
          Zuletzt geändert von cgraaf; 26.07.2016, 17:36. Grund: Ergänzung
          MvH

          Carsten

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          • tuedelluet
            Erfahrener Benutzer
            • 30.01.2015
            • 546

            #6
            Zitat von cgraaf Beitrag anzeigen
            Unsere Vorfahren wurden darüberhinaus auch immer wieder mit sonderlichen Abgaben gequält; hier ein Beispiel, dass es mir ermöglicht hat, meinen Urahn zu finden:

            Über das Fräuleinschatzregister des Klosters Bordesholm von 1564

            [.... snip ...]
            Fazit: Der Kreativität von Steuern und Abgaben waren schon im 16. Jahrhundert keine Grenzen gesetzt. Hat sich daran bis heute irgend etwas geändert?[.... snip ...]
            Guten Morgen Carsten,

            hiermit ein anerkennendes "WOW" von mir, dass Du so weit gekommen bist und was Du da aus dem LAS alles ausgegraben hast.

            Zu Deinem Fazit möchte ich aber sagen, dass sich in der Tat aus meiner Sicht schon erheblich was geändert hat.
            - Die von Dir weiter oben genannte Landeigentumsverteilung ist schon wesentlich geändert. Zugegeben: es gibt auch in S-H noch große Besitzflächen in kirchlicher oder privater Hand, aber dass Herr von Reventlow, der Prinz von Preussen, oder sonst ein Graf oder Herzog seit dem preußischen Reallasten-Ablösungsgesetz 1873 oder den Gesetzen des 20. Jahrhunderts ganze Dörfer wie sie "stehen und liegen" einfach verscheuert oder verschenkt ist nicht mehr möglich.
            - Wenn Du Grund- oder sonstiges Eigentum hast, gehört es Dir. (Pacht ist was anderes)
            - Aufhebung der Leibeigenschaft 1805
            - Die Verpflichtungen zu beliebigen Hand- und Spanndiensten oder willkürlichen Abgaben für den Pachtherren entfällt.
            - Steuern und (Kommunale) Abgaben werden nicht durch eine einzelne Person, sondern durch ein - auch von Dir - wählbares Gremium beschlossen. (Ausnahme ist die Rundfunkgebühr )
            - Diese Beschlüsse sind - auch von Dir - hinsichtlich der Einhaltung von Kriterien prüf- und anfechtbar.

            Was sich nicht geändert hat:
            Die Kreativität zur Erfindung von Steuern und Abgaben auf den verschiedenen Verwaltungsebenen, bzw. deren Beharrungsvermögen.
            Gruß aus Bremen

            tuedelluet

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