Fragen zu Staatsbürgerschaft und sozialem Status im Darmstadt des frühen 19.Jahrhunderts

Einklappen
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge
  • david4b
    Benutzer
    • 07.02.2025
    • 27

    Fragen zu Staatsbürgerschaft und sozialem Status im Darmstadt des frühen 19.Jahrhunderts

    Hallo,

    Ich bin ein professioneller Genealoge aus Großbritannien. Nach 14 Jahren Recherche konnte ich eine langjährige Mauer einreißen. Meine Urgroßmutter wurde in einer Stadt in Indien namens Pune geboren. Und so war es schwierig, etwas über ihre Abstammung zu finden. Mit Hilfe von DNA konnte ich herausfinden, dass sie eine deutsche Mutter hatte und dass die Familie ihren Herkunftsort und den Namen eines Bruders des Vorfahren in Indien - aus der Stadt Darmstadt - bequemerweise hinterlassen hatte. Während ich also mit der sozialen Situation Englands sehr vertraut bin, weiß ich wenig über die deutsche.

    Jetzt, wo ich mich mit den deutschen Aufzeichnungen und dem Skript des Schreibens (Kurent) auseinandersetze, erfahre ich endlich etwas über diese Vorfahren, die so viele Jahre verborgen waren.

    Mein Vorfahre lebte in der Stadt Darmstadt. Die erste Aufzeichnung, die ich von ihm habe, stammt aus dem Jahr 1809:

    1809... Nachgemeldete Bürger sind im Jahr 1809 Rezept geworden ... Junie... 24... Johann Heinrich Haller. [Profeßionen] Branntweinwirth
    Er heiratet im Dezember desselben Jahres in Reinheim, ebenfalls als Branntweinwirt, und wird dann 1812 als Laquay (Hausdiener) im Hause dieses Adligen beschrieben - https://de.wikipedia.org/wiki/Albrec...F%C3%BCrstenau - und zur Zeit lebt er in Michelstadt.

    1814 ist er dann wieder in Darmstadt und von diesem Jahr an wird er immer als eine Art Hofmusiker bezeichnet. Ebenfalls 1814 starb seine Frau und das Begräbnis befindet sich im Sterbe-Protokoll der Evangelischen Militär-Gemeinde zu Darmstadt.

    Ich habe ein paar Fragen. Welche Bedeutung hat das Bürgerrecht der Stadt Darmstadt von 1809? Bringt das ein Privileg mit sich, das den Lauf des Lebens verändern könnte? Wie es scheint, verwandelt er sich ab diesem Jahr vom Gastwirt zum Hofmusiker. Es scheint kein normaler Karriereverlauf für einen Mann zu sein, der damals 26-29 Jahre alt war. Hat ihm die Erlangung der Staatsbürgerschaft diesen Übergang ermöglicht? War er vielleicht ein angehender Musiker, der die Staatsbürgerschaft brauchte, um an einem Adelshof akzeptiert zu werden?

    Zweitens, eine Idee, warum er sich von einem Gastwirt kurzzeitig in einen Laquay und dann in einen Hofmusiker verwandeln würde? Es scheint, als wäre ein Laquay ein Schritt nach unten für einen Gastwirt. Könnte das ein Teil des Prozesses gewesen sein, Hofmusiker zu werden?

    Irgendeine Idee, warum das Begräbnis seiner Frau in der Militärgarnison für Darmstadt gefunden wird? Könnte dies mit der militärischen Situation der Zeit zusammenhängen, wie zum Beispiel mit Napoleon?

    Und die letzte Frage. Die Taufe meines Vorfahren fehlt noch, aber ich habe noch nicht viel danach gesucht. Sein Begräbnis in Singapur gibt ihn als um 1810 geboren an. Seine Eltern heirateten im Dezember 1809. Die Taufe seines Bruders, der dieses Kind als zweiten Sohn aufführte, erfolgte in Michelstadt (1812) und das 3. Kind in Darmstadt. Die Hochzeit fand in Reinheim statt.

    Als kurze Anmerkung. Bei der Erforschung von Britisch-Indien, insbesondere des Militärs, findet man ziemlich viele Deutsche, insbesondere aus Hannover. Es gibt umfangreiche jährliche Listen des Militärs, in denen der Geburtsort aufgeführt ist, und Deutschland wird oft aufgeführt. Es wurden auch bestimmte Einheiten aus Hannover gezogen, da diese für einige Zeit Teil der Herrschaft der britischen Königsfamilie waren. Wenn du also irgendwo einen Bruder verloren hast, ist es immer möglich, dass er in Indien gelandet ist. )

    Danke für Ihre Zeit.

    - David
    Zuletzt geändert von david4b; 08.02.2025, 19:40.
  • Gastonian
    Moderator
    • 20.09.2021
    • 5486

    #2
    Hallo David:

    Mit "Bürgerrecht" ist nicht Staatsbürgerschaft, sondern Stadtbürgerschaft gemeint - er ist in die Gemeinschaft der Bürger (burgher auf Englisch, vergleichbar mit einem freeman of a borough in England oder einem burgess in Schottland) in Darmstadt aufgenommen worden. Dies war normalerweise mit der Erlangung eines Meistertitels (becoming a master artisan after having been an apprentice and journeyman) verbunden und Vorbedingung, um eine Bürgerstochter heiraten zu können.

    VG

    --Carl-Henry
    Wohnort USA

    Kommentar

    • david4b
      Benutzer
      • 07.02.2025
      • 27

      #3
      Zitat von Gastonian Beitrag anzeigen
      Mit "Bürgerrecht" ist nicht Staatsbürgerschaft...
      Danke. Ich bin mit dem Bürgersystem in England vertraut, das vermutlich von diesem deutschen System abgeleitet wurde.

      Es ist also wahrscheinlich, dass er im Alter von 26 Jahren (als er den Bürgerstatus erhielt) eine Art Lehre absolviert hatte? Und dass die Tätigkeit als Branntweinwirt ein Nebenjob war?

      Kommentar

      • Gastonian
        Moderator
        • 20.09.2021
        • 5486

        #4
        Hallo:

        Ich kann es nicht belegen, würde aber vermuten, dass als Branntweinwirt er auch Branntweinbrenner war und als solcher Mitglied einer Zunft wurde.

        Wieso er sich dann einer Karriere am Hof zuwendete, weiß ich nicht - Bürgerrecht war dafür nicht Vorbedingung (als Bürger war man nur dem Stadtgericht verantwortlich, aber als Lakeie oder Hofdiener war man der Hofgerichtsbarkeit unterworfen).

        Zitat von david4b Beitrag anzeigen

        Irgendeine Idee, warum das Begräbnis seiner Frau in der Militärgarnison für Darmstadt gefunden wird?
        Die Oboe war nicht (nur) Kammermusikinstrument, sondern auch wichtiger Bestandteil der Militärmusik der Zeit, und Hautboist war ein Dienstrang in der Armee - siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Hautboist. Er hat also wohl nicht nur am Hof, sondern auch in der Armee gedient.

        VG

        --Carl-Henry

        Wohnort USA

        Kommentar

        • Gastonian
          Moderator
          • 20.09.2021
          • 5486

          #5
          Hallo David:

          Uebrigens gibt es im Staatsarchiv Darmstadt eine Akte zu den Besoldungs- und Dienstverhältnissen des Heinrich Haller, Hautboist, Klarinettist und (ab 1823) Hofmusikus - als Amerikaner würde ich dies seine "personnel file" nennen (https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/showArchivalDescriptionDetails.action?archivalDesc riptionId=2980482&executionId=37kbsg5fWf). Demnach wurde er am 30. Mai 1783 in Darmstadt geboren und war 1867 noch am Leben.

          Zur Bestellung von Reproduktionen aus dem Archiv, siehe https://landesarchiv.hessen.de/nutze...reproduktionen

          VG

          --Carl-Henry
          Wohnort USA

          Kommentar

          • Gastonian
            Moderator
            • 20.09.2021
            • 5486

            #6
            Zitat von david4b Beitrag anzeigen
            Und die letzte Frage. Die Taufe meines Vorfahren fehlt noch, aber ich habe noch nicht viel danach gesucht. Sein Begräbnis in Singapur gibt ihn als um 1810 geboren an. Seine Eltern heirateten im Dezember 1809. Die Taufe seines Bruders, der dieses Kind als zweiten Sohn aufführte, erfolgte in Michelstadt (1812) und das 3. Kind in Darmstadt. Die Hochzeit fand in Reinheim statt.
            Hallo David:

            Ist es möglich, dass dein Vorfahre 1809 als vorehelicher Sohn in dem Heimatort der Mutter (also wohl Reinheim) geboren wurde und dort zuerst den Nachnamen der Mutter trug?

            VG

            --Carl-Henry

            Wohnort USA

            Kommentar

            • Gastonian
              Moderator
              • 20.09.2021
              • 5486

              #7
              Hallo David:

              Laut dem Taufeintrag von Johann Heinrich 1783 (https://www.archion.de/p/8570af3b22/) war sein Vater Johann Adam Haller Friseur der Prinzessin Auguste (wohl diese: https://en.wikipedia.org/wiki/Prince...esse-Darmstadt) und daher auch schon am Hof tätig.

              VG

              --Carl-Henry
              Wohnort USA

              Kommentar

              • david4b
                Benutzer
                • 07.02.2025
                • 27

                #8
                Zitat von Gastonian Beitrag anzeigen
                Hallo David:

                Laut dem Taufeintrag von Johann Heinrich 1783 (https://www.archion.de/p/8570af3b22/) war sein Vater Johann Adam Haller Friseur der Prinzessin Auguste
                Hallo,

                Danke, dass Sie die Taufe und die anderen Einzelheiten gefunden haben. Ich habe diese Einträge in den Hess-Archiven gesehen und habe vor, sie zu bestellen. Aber ich habe nicht gesehen, dass er in Darmstadt geboren wurde. Da ich kein Deutsch spreche, fehlen mir wahrscheinlich einige Dinge. Und für mich ist es derzeit daher mühsam, in den Aufzeichnungen zu navigieren.

                Ich hatte in Betracht gezogen, dass der erste Sohn von Johann Heinrich Haller möglicherweise unehelich geboren wurde, und werde das untersuchen. Aber ich bin mir nicht sicher, wo das geschehen sein könnte ... Das wäre wahrscheinlich Reinheim, unter dem Nachnamen Dielmann, Dillmann, Tillmann.

                Der erste Sohn hieß Maximilian Joseph Daniel August Haller (bekannt als August). Die ersten Aufzeichnungen, die ich von ihm habe, finden sich in britischen Veröffentlichungen, in denen einige Bewegungen von ihm in der Funktion eines Militärkapellenführers eines Regiments indischer Eingeborener vermerkt sind. Da er einen exotischen religiösen Hintergrund (nach englischen Maßstäben) hat, erscheinen seine Aufzeichnungen nicht in den europäischen Kirchenaufzeichnungen, die als Duplikate nach London zurückgeschickt wurden. Also fehlt auch Augusts Frau, die, wie ich glaube, ebenfalls Deutsche war. Seine erste Frau, da er eine zweite Frau heiratete. 1851 zog er nach Singapur, wo er offenbar ein erfolgreicher „Musikprofessor“ oder Musiklehrer wurde, und er gab sich in Zeitungen dramatisch als MJDA Haller aus Darmstadt aus. Ich vermute, dass diese Stadt für ihre Musiker bekannt ist. Innerhalb eines Jahres war er in die wohlhabendste Straße der Insel gezogen, die „Armenian Street“, die von reichen armenischen Kaufleuten bewohnt wurde. Aber es hielt nicht lange an, denn in einer Ausgabe der (Singapore) Straits Times vom Dezember 1853 wurde vermerkt, dass August in ein Delirium verfiel und sich mehrere Male mit einem Messer erstach, woraufhin ihn sein damals vierjähriger Sohn tot in einer Blutlache fand.

                Kommentar

                • david4b
                  Benutzer
                  • 07.02.2025
                  • 27

                  #9
                  Es scheint, dass ein Laquay und ein Oboist ein Weg waren, sich in den Bräuchen eines Adelshauses und der Musik zu bilden.

                  Auch Bach ging diesen Weg:

                  Bach wuchs wie sein 8 Jahre jüngerer Vetter Johann Sebastian in einem musikalischen Haushalt auf. Bereits 1699 als "Hoboist und Laquay" am Meininger Hof tätig, übernahm Bach im Mai 1703 das Amt als Pageninformator und Kantor.

                  Neben dem Unterricht der Pagen in Religion, Schreiben, Rechnen, Geschichte, höfischen Etiketten war er für die Betstunden, die Führung der Kirchenbücher und die sonntägliche Intonierung des Chorals im Gottesdienst verantwortlich.
                  - https://meiningen.de/so-ist-meininge...nn-ludwig-bach

                  Kommentar

                  Lädt...
                  X