Dokument 79: Riga, Montag 15./28.09.1908,
Lieber Arthur,
Du bekommst die Antwort viel schneller, als Du sie verdienst, weil ich heute Nacht etwas Zeit habe und mich in der Stimmung zu schreiben fühle. Für die Kinder ist es heute zu naß, um herauszugehen. Daher bin ich heute auch nicht so müde wie sonst. Dorothy schläft friedlich, aber Harry ist aufsässig und Frieda beschäftigt sich schon mit ihm. Weil er heute Nachmittag so lange geschlafen hat, ist er jetzt lebhaft.
Wir haben hier seit letztem Donnerstag Cholera (wahrscheinlich schon länger, wenn sie es zugeben würden). Die Straßen sind mit Kalk usw. voll gestreut und sehen so schauerlich aus, daß sie mich in Schrecken versetzen. Es läßt mich an eine Plage denken. Ich mache mir solche große Sorgen um die Kinder, daß ich nicht schlafen kann. Wir haben an Dich am Tag der Silberhochzeit gedacht und wollten ein Glückwunschtelegramm schicken, sind aber noch immer am Strand und ich habe vergessen, Rudolf daran zu erinnern, als er an dem Morgen in die Stadt fuhr.
Du wirst denken, daß ich zu einem richtigen Bettler geworden bin, aber ich muß Dich wieder um einige alte Bücher bitten. Reiß die Einbände und Rücken ab, damit sie leichter werden. Es reichen solche, die Du schon einmal gelesen hast. Ich habe seit mehr als vier Wochen nichts mehr zu lesen gehabt, außer etwas deutsches. Wenn ich dann nach dem Essen eine halbe Stunde liege, kann ich das nicht anpacken. Ich habe im Guardian gesehen, daß man "the doory Gate" für 3 1/2 Pence bekommen kann. Hast Du es schon gelesen? Ich habe mir nicht viel daraus gemacht, als ich es gelesen habe. Hast du auch schon "Richard Heneril" gelesen? Ich sollte es lesen, aber wir waren die letzten zwei Sonntage in der Stadt und haben die Babies mit dem Dampfer nach Dahlen (eine Insel weiter oben im Fluß) gebracht, damit sie einige Stunden an der frischen Luft haben. Jetzt aber, wo wir hier Cholera haben, ist es, denke ich, nicht ratsam auf Dampfer, in Straßenbahnen und in Züge zu gehen. Ich hasse den Winter, wünsche mir aber, daß der Frost bald kommt und die Cholera ausmerzt. Was kann man tun, außer daß man das Wasser abkocht, um sicher zu sein. Ich habe schon Chlorkalk ins Bad, Klosett und auf die Fensterbretter gestreut, obwohl es unangenehm ist, aber es ist doch besser, als wenn die Kinder krank werden und in ein Krankenhaus gebracht werden müssen. Das würde Dorothy sofort umbringen! Wenn man Kinder hat, weiß man wirklich, was Sorgen bedeuten. Die Kinder sterben hier im Sommer wie die Fliegen zu Hunderten an Durchfall und im Winter an anderen Krankheiten. Hier ist auch wieder Typhus verbreitet. Ich wünschte, wir könnten in einer gesünderen Stadt wohnen. Hier würdest Du das Fürchten lernen!
Jennie und Du scheint überhaupt eine lustige Zeit gehabt zu haben. Wie alt sind jetzt eigentlich Ernie und Percy. Ich kann mich wirklich nicht erinnern.
Olive muß doch stolz sein und ihre Arbeit lieben. Haben Mabel und Jessie schon etwas gefunden? Ich denke doch, daß Florrie häuslich ist und Jennie hilft. Ich erinnere mich noch, wie hervorragend sie Euren Gasherd bedient hat, als ich das letzte Mal vor so langer Zeit bei Euch war. Obst war dieses Jahr sehr billig und im Massen zu haben. Heute habe ich riesige Äpfel 2 Pfund für 1 3/4 gekauft. 6 Pfund kosten 5 1/4 (15 große Äpfel). Eierpflaumen kosteten genau so viel und späte Kirschen kosteten je Pfund 1 3/4. Lammfleisch gibt es jetzt hier auch wieder (ich weiß nicht, wie sie das schaffen). Die besten Stücke kosten je Pfund zwischen 3 1/2 und 4 Pence. Andere Stücke aus der Schulter kosten 2 1/2 bis 3 Pence, aber Butter ist teuer und genau so auch Mehl. Als wir zurückkehrten haben wir unsere Wohnung voll mit Käfern gefunden. Das erste Jahr, als wir in unserer Wohnung waren, hatten wir keinen Ärger mit Ungeziefer
Liebe Grüße an Jennie und Euch alle und liebe Grüße von Rudolf.
Deine Liebe Schwester Lily K.
Danke Florrie für ihren Brief in den "Weldons".
Lieber Arthur,
Du bekommst die Antwort viel schneller, als Du sie verdienst, weil ich heute Nacht etwas Zeit habe und mich in der Stimmung zu schreiben fühle. Für die Kinder ist es heute zu naß, um herauszugehen. Daher bin ich heute auch nicht so müde wie sonst. Dorothy schläft friedlich, aber Harry ist aufsässig und Frieda beschäftigt sich schon mit ihm. Weil er heute Nachmittag so lange geschlafen hat, ist er jetzt lebhaft.
Wir haben hier seit letztem Donnerstag Cholera (wahrscheinlich schon länger, wenn sie es zugeben würden). Die Straßen sind mit Kalk usw. voll gestreut und sehen so schauerlich aus, daß sie mich in Schrecken versetzen. Es läßt mich an eine Plage denken. Ich mache mir solche große Sorgen um die Kinder, daß ich nicht schlafen kann. Wir haben an Dich am Tag der Silberhochzeit gedacht und wollten ein Glückwunschtelegramm schicken, sind aber noch immer am Strand und ich habe vergessen, Rudolf daran zu erinnern, als er an dem Morgen in die Stadt fuhr.
Du wirst denken, daß ich zu einem richtigen Bettler geworden bin, aber ich muß Dich wieder um einige alte Bücher bitten. Reiß die Einbände und Rücken ab, damit sie leichter werden. Es reichen solche, die Du schon einmal gelesen hast. Ich habe seit mehr als vier Wochen nichts mehr zu lesen gehabt, außer etwas deutsches. Wenn ich dann nach dem Essen eine halbe Stunde liege, kann ich das nicht anpacken. Ich habe im Guardian gesehen, daß man "the doory Gate" für 3 1/2 Pence bekommen kann. Hast Du es schon gelesen? Ich habe mir nicht viel daraus gemacht, als ich es gelesen habe. Hast du auch schon "Richard Heneril" gelesen? Ich sollte es lesen, aber wir waren die letzten zwei Sonntage in der Stadt und haben die Babies mit dem Dampfer nach Dahlen (eine Insel weiter oben im Fluß) gebracht, damit sie einige Stunden an der frischen Luft haben. Jetzt aber, wo wir hier Cholera haben, ist es, denke ich, nicht ratsam auf Dampfer, in Straßenbahnen und in Züge zu gehen. Ich hasse den Winter, wünsche mir aber, daß der Frost bald kommt und die Cholera ausmerzt. Was kann man tun, außer daß man das Wasser abkocht, um sicher zu sein. Ich habe schon Chlorkalk ins Bad, Klosett und auf die Fensterbretter gestreut, obwohl es unangenehm ist, aber es ist doch besser, als wenn die Kinder krank werden und in ein Krankenhaus gebracht werden müssen. Das würde Dorothy sofort umbringen! Wenn man Kinder hat, weiß man wirklich, was Sorgen bedeuten. Die Kinder sterben hier im Sommer wie die Fliegen zu Hunderten an Durchfall und im Winter an anderen Krankheiten. Hier ist auch wieder Typhus verbreitet. Ich wünschte, wir könnten in einer gesünderen Stadt wohnen. Hier würdest Du das Fürchten lernen!
Jennie und Du scheint überhaupt eine lustige Zeit gehabt zu haben. Wie alt sind jetzt eigentlich Ernie und Percy. Ich kann mich wirklich nicht erinnern.
Olive muß doch stolz sein und ihre Arbeit lieben. Haben Mabel und Jessie schon etwas gefunden? Ich denke doch, daß Florrie häuslich ist und Jennie hilft. Ich erinnere mich noch, wie hervorragend sie Euren Gasherd bedient hat, als ich das letzte Mal vor so langer Zeit bei Euch war. Obst war dieses Jahr sehr billig und im Massen zu haben. Heute habe ich riesige Äpfel 2 Pfund für 1 3/4 gekauft. 6 Pfund kosten 5 1/4 (15 große Äpfel). Eierpflaumen kosteten genau so viel und späte Kirschen kosteten je Pfund 1 3/4. Lammfleisch gibt es jetzt hier auch wieder (ich weiß nicht, wie sie das schaffen). Die besten Stücke kosten je Pfund zwischen 3 1/2 und 4 Pence. Andere Stücke aus der Schulter kosten 2 1/2 bis 3 Pence, aber Butter ist teuer und genau so auch Mehl. Als wir zurückkehrten haben wir unsere Wohnung voll mit Käfern gefunden. Das erste Jahr, als wir in unserer Wohnung waren, hatten wir keinen Ärger mit Ungeziefer
Liebe Grüße an Jennie und Euch alle und liebe Grüße von Rudolf.
Deine Liebe Schwester Lily K.
Danke Florrie für ihren Brief in den "Weldons".
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