Dokument 10: 8./26.01.1904, Riga, Große Brauer Str. 2/4.
Lieber Arthur,
Ich fürchte, wenn Du die oben beigefügten Marken siehst, daß Du es für eine Belästigung hältst. Ich schäme mich so, Dir so viel Ärger zu machen, da ich weiß, daß Du viel zu tun und wenig Zeit hast. Wenn ich es aber zu Alf schreibe, wird es vergessen und bei Ted ist es hoffnungslos. Läßt er mir eigentlich einmal die Kontenaufstellung zukommen? Wir sahen in einem "Weekly Dispatch", den uns Alf schickte, eine Karte vom Fernen Osten angeboten, auf der Forts, Schiffe, Häfen und alle wichtigen Orte sonst aufgeführt sind, die 1/- oder 2/6 kostet. Sie soll von Phillips & Sons bei der Daily Mail herausgegeben werden, aber dummerweise war keine Anschrift aufgeführt. Wenn Du sie weißt, dann schicke ihnen bitte Briefmarken dafür und 1/- fürs Porto und teile ihnen meine Anschrift mit. Karten sind hier furchtbar teuer.
Das ist jetzt aus meinem Gedächtnis heraus! Danke für die "I.P." Es ist eine gute Zeitschrift. Ich habe Deinen Artikel sehr genossen, auch wenn er viel zu kurz war. Ada Wood hat auch geschrieben, und meinte, sie wolle einige seiner Bücher lesen. Ich habe zweimal versucht, Dir von der herrlichen Karte zu erzählen, die Rudolf von Dana aus M´bro erhalten hat. Dort steht eine Bank und über ihr hängt ein Plakat, auf dem Steht "Dieser Platz ist offizielles Eigentum von Großbritannien, darf aber von allen anderen kostenlos benutzt werden". Auf ihr machten sich ein Amerikaner, ein Deutscher, ein Italiener (oder Franzose) und ein Russe mit einem äußerst grimmigen Aussehen breit und saßen nebeneinander. Sie haben fast den auf der anderen Seite sitzenden John Bull herunter geschubst, der sehr hilflos aussieht. Unten drunter steht folgende Unterschrift: "Auf geht’s John, mach Platz!" Diese Karte war so adressiert, daß sie über Deutschland kam! Sie ist eine der besten Ansichtskarten, die ich jemals gesehen habe. Der Deutsche hat darauf den besten Platz. Ich hoffe, daß es jetzt Florrie schon besser geht und sie nicht anfängt, zu langweilen. Dieser Brief ist für sie und auch für Jennie, aber aus wirtschaftlichen Gründen kann ich nicht jedem von Euch einzeln schreiben, da es jedesmal das Gleiche wäre.
Jennie wird es interessieren zu hören, daß wir gestern zu einer Taufe gingen. Die Leute waren Rudolf nur wenig bekannt. Der Vater kam erst am Donnerstag, um uns einzuladen. Aus der kurzfristigen Einladung schloß ich, da sie zu Hause stattfinden sollte, daß die Leute nicht damit angeben wollten, und daher diesen Fehler machten. Rudolf dachte wie ich, daß meine Brosche oder das weiße Seidenkleid zu großartig wäre. Also zog ich mein neues braunes Kleid an. Im ersten sah ich nett, plump und matronenhaft aus (so wie jetzt in jedem Kleid).
Die meisten anderen erschienen in weißen oder hellen Farben und herrlichen weißen Glacéhandschuhen. Zunächst hatten wir eine nette Fahrt und fuhren in einem Schlitten. Wir wollten zum Landesteg der Boote nach Hagensberg fahren. Als wir dort ankamen, war dort der nette Fuhrmann mit dem schönen Pferd, das wir am Neujahrstag hatten und fuhren die ganze Strecke mit ihm. Es war nicht sehr kalt und schneite ein wenig. Wir kamen, meiner Meinung nach, viel zu früh an. Es war 5.30 Uhr und alle anderen (etwa 40 oder 50) waren schon angekommen. In der Empfangshalle (Es ist hier so schrecklich. Sie führen einen nie in ein Schlafzimmer, wo man sich frisch machen kann. Man weiß, daß sie irgendwo schlafen, aber Schlafzimmer sind eine unwichtige Sache), legten wir ab und gaben der Gastgeberin einen silbernen Serviettenring für das Baby. Dann ging Rudolf zu den Männern in ein Zimmer. Ich wurde in einen Salon geführt und geheimnisvoll mit Namen jeder Dame vorgestellt. Es war wirklich ermüdet, dauernd "Frau Karnowsky" zu hören und die lahmen Hände zu reichen, bis es fertig war. Dann durfte ich mich setzen und fragte mich, ob mein Hut und mein Kleid richtig säßen und Aufsehen erregten. Es waren viele Kerzen und eine grüne Laube auf der einen Seite, unter der ein Tisch wie ein Altar angerichtet war. Nachdem wir lange warten gelassen wurden, kam der Pastor (ein klug aussehender großer junger Mann, wie ein Doktor oder Rechtsanwalt) in einem schwarzen Talar mit Bändern herein. Dann brachten sie das Baby in einem großen Umhang und einer Mütze mit Spitzen besetzt (hier sind sie so altmodisch). Die Männer versammelten sich an der Zimmertür um zuzusehen. Dann nahm der Taufpate das Kind und hielt es längere Zeit, während der Pastor sprach. Auf einmal kam eine Magd mit einer Wasserschale herein und sie nahmen dem Baby die Mütze ab. Der Geistliche goß Wasser auf seinen Kopf, taufte ihn "Reinhold Hermann Karl Adolf", trocknete seinen Kopf mit einem Handtuch ab und es war vorbei. Es scheint mir irgendwie etwas zu fehlen, weil ich die englische Art lieber mag, wo der Geistliche das Baby auf den Arm nimmt. Anschließend versammelten sich alle, um zu gratulieren und Diener brachten große silberne Tabletts voll mit eisgekühltem Champagner und Makronen herein. Wir alle aßen und tranken. Ich sprach ein paar Worte mit Rudolf und dann verschwanden sie wieder um sich gegenseitig zu langweilen, während wir Damen ruhig dasaßen und das Gleiche machten. Nach einiger Zeit kam der Troß noch einmal mit Tassen voll Schokolade, Schlagsahne, Süßigkeiten und Kuchen. Dann räumten sie den Altar und die Teppiche weg und tanzten hinterher etwas. Ich denke, daß es etwa 11 Uhr war, als die Gastgeberin kam und sagte: "Bitte zum Tisch!" Ich nahm Rudolf und wir gingen "zum Tisch." Ich dachte, daß es das Mittagessen sein würde, aber das richtige Mittagessen ist 2 oder 3 Stunden später. Dies war aber, was Rudolf einen "Imbiß" oder "Im Biß", eine Art Zwischenmahlzeit, nennt. Jeder von uns hatte 3 Teller, ein Messer und eine Gabel (wir behielten sie für alles). Es gab alles Mögliche zu essen: Räucherlachs, Sardinen, Hummer, Heringe in allen möglichen Sorten (Man muß wissen, daß alles in Büchsen furchtbar teuer ist und die Leute damit angeben wollen, wenn sie auftischen), Sardellen und Eier, Leberwurst, ein riesiger gekochter Schinken, viele andere Dinge, die ich nicht kenne (oder zu kennen glaube) und verschiedenste Käsesorten. Zu trinken gab es Bier, Likör und Selters Wasser. Als wir die Teller abgestellt hatten, dachten wir, daß die Gelegenheit günstig wäre, leise davon zu kommen (, da Rudolf meinte, daß alle uns rund herum die Hand geben wollten). So schafften wir es. Rudolf war auch erkältet und meinte, daß ich sehr müde aussähe, was auch der Fall war).
Als wir nach Hause kamen war es etwa 10.15Uhr und wir waren noch sehr hungrig, da wir nicht sehr viel gegessen hatten. Ich zündete den Samowar an und wir tranken Tee und aßen kalte Koteletts. Wir saßen und unterhielten uns noch bis nach 12Uhr. Ich denke, daß das immer noch das Beste am Abend ist.
Ich war zum Nachmittag-Tee und traf den Konsul und seine Frau. Sie sagte, wenn Krieg ist und England darin hinein gezogen wird, dann müssen sie uns verlassen. Ich denke, daß sie sehr glücklich sein wird, aber es wird weniger gut für alle anderen von uns. Alles, was sich darauf bezieht, ist in den Zeitungen geschwärzt. Haben eigentlich schon Schlachten stattgefunden? Mein Mädchen fürchtet, daß ihr Mann auch gehen muß, obwohl sie doch drei Kinder hat. Unser Dvornik muß auch gehen. Euch alles Liebe und schreibt bald.
Eure Lily
P.S. Mein Mädchen hat einen Hahn gebracht und ihn, bis sie nach Hause geht, ins Bad gesteckt. Er kräht sehr kräftig. Es ist hier eben ländlich!
In diesem Brief sind die ersten Vorgeplänkel des Russisch-Japanischen Krieges erwähnt. Dieser Krieg wird auch die folgenden Jahre überschatten, auch wenn man "im fernen Westen" vorläufig kaum etwas davon spürt. Alles, was sich auf den Krieg bezieht, wird in den Zeitungen, die aus dem Ausland kommen, wie hier der Manchester Guardian, den meine Großmutter bekam, zensiert ("geschwärzt").
Lieber Arthur,
Ich fürchte, wenn Du die oben beigefügten Marken siehst, daß Du es für eine Belästigung hältst. Ich schäme mich so, Dir so viel Ärger zu machen, da ich weiß, daß Du viel zu tun und wenig Zeit hast. Wenn ich es aber zu Alf schreibe, wird es vergessen und bei Ted ist es hoffnungslos. Läßt er mir eigentlich einmal die Kontenaufstellung zukommen? Wir sahen in einem "Weekly Dispatch", den uns Alf schickte, eine Karte vom Fernen Osten angeboten, auf der Forts, Schiffe, Häfen und alle wichtigen Orte sonst aufgeführt sind, die 1/- oder 2/6 kostet. Sie soll von Phillips & Sons bei der Daily Mail herausgegeben werden, aber dummerweise war keine Anschrift aufgeführt. Wenn Du sie weißt, dann schicke ihnen bitte Briefmarken dafür und 1/- fürs Porto und teile ihnen meine Anschrift mit. Karten sind hier furchtbar teuer.
Das ist jetzt aus meinem Gedächtnis heraus! Danke für die "I.P." Es ist eine gute Zeitschrift. Ich habe Deinen Artikel sehr genossen, auch wenn er viel zu kurz war. Ada Wood hat auch geschrieben, und meinte, sie wolle einige seiner Bücher lesen. Ich habe zweimal versucht, Dir von der herrlichen Karte zu erzählen, die Rudolf von Dana aus M´bro erhalten hat. Dort steht eine Bank und über ihr hängt ein Plakat, auf dem Steht "Dieser Platz ist offizielles Eigentum von Großbritannien, darf aber von allen anderen kostenlos benutzt werden". Auf ihr machten sich ein Amerikaner, ein Deutscher, ein Italiener (oder Franzose) und ein Russe mit einem äußerst grimmigen Aussehen breit und saßen nebeneinander. Sie haben fast den auf der anderen Seite sitzenden John Bull herunter geschubst, der sehr hilflos aussieht. Unten drunter steht folgende Unterschrift: "Auf geht’s John, mach Platz!" Diese Karte war so adressiert, daß sie über Deutschland kam! Sie ist eine der besten Ansichtskarten, die ich jemals gesehen habe. Der Deutsche hat darauf den besten Platz. Ich hoffe, daß es jetzt Florrie schon besser geht und sie nicht anfängt, zu langweilen. Dieser Brief ist für sie und auch für Jennie, aber aus wirtschaftlichen Gründen kann ich nicht jedem von Euch einzeln schreiben, da es jedesmal das Gleiche wäre.
Jennie wird es interessieren zu hören, daß wir gestern zu einer Taufe gingen. Die Leute waren Rudolf nur wenig bekannt. Der Vater kam erst am Donnerstag, um uns einzuladen. Aus der kurzfristigen Einladung schloß ich, da sie zu Hause stattfinden sollte, daß die Leute nicht damit angeben wollten, und daher diesen Fehler machten. Rudolf dachte wie ich, daß meine Brosche oder das weiße Seidenkleid zu großartig wäre. Also zog ich mein neues braunes Kleid an. Im ersten sah ich nett, plump und matronenhaft aus (so wie jetzt in jedem Kleid).
Die meisten anderen erschienen in weißen oder hellen Farben und herrlichen weißen Glacéhandschuhen. Zunächst hatten wir eine nette Fahrt und fuhren in einem Schlitten. Wir wollten zum Landesteg der Boote nach Hagensberg fahren. Als wir dort ankamen, war dort der nette Fuhrmann mit dem schönen Pferd, das wir am Neujahrstag hatten und fuhren die ganze Strecke mit ihm. Es war nicht sehr kalt und schneite ein wenig. Wir kamen, meiner Meinung nach, viel zu früh an. Es war 5.30 Uhr und alle anderen (etwa 40 oder 50) waren schon angekommen. In der Empfangshalle (Es ist hier so schrecklich. Sie führen einen nie in ein Schlafzimmer, wo man sich frisch machen kann. Man weiß, daß sie irgendwo schlafen, aber Schlafzimmer sind eine unwichtige Sache), legten wir ab und gaben der Gastgeberin einen silbernen Serviettenring für das Baby. Dann ging Rudolf zu den Männern in ein Zimmer. Ich wurde in einen Salon geführt und geheimnisvoll mit Namen jeder Dame vorgestellt. Es war wirklich ermüdet, dauernd "Frau Karnowsky" zu hören und die lahmen Hände zu reichen, bis es fertig war. Dann durfte ich mich setzen und fragte mich, ob mein Hut und mein Kleid richtig säßen und Aufsehen erregten. Es waren viele Kerzen und eine grüne Laube auf der einen Seite, unter der ein Tisch wie ein Altar angerichtet war. Nachdem wir lange warten gelassen wurden, kam der Pastor (ein klug aussehender großer junger Mann, wie ein Doktor oder Rechtsanwalt) in einem schwarzen Talar mit Bändern herein. Dann brachten sie das Baby in einem großen Umhang und einer Mütze mit Spitzen besetzt (hier sind sie so altmodisch). Die Männer versammelten sich an der Zimmertür um zuzusehen. Dann nahm der Taufpate das Kind und hielt es längere Zeit, während der Pastor sprach. Auf einmal kam eine Magd mit einer Wasserschale herein und sie nahmen dem Baby die Mütze ab. Der Geistliche goß Wasser auf seinen Kopf, taufte ihn "Reinhold Hermann Karl Adolf", trocknete seinen Kopf mit einem Handtuch ab und es war vorbei. Es scheint mir irgendwie etwas zu fehlen, weil ich die englische Art lieber mag, wo der Geistliche das Baby auf den Arm nimmt. Anschließend versammelten sich alle, um zu gratulieren und Diener brachten große silberne Tabletts voll mit eisgekühltem Champagner und Makronen herein. Wir alle aßen und tranken. Ich sprach ein paar Worte mit Rudolf und dann verschwanden sie wieder um sich gegenseitig zu langweilen, während wir Damen ruhig dasaßen und das Gleiche machten. Nach einiger Zeit kam der Troß noch einmal mit Tassen voll Schokolade, Schlagsahne, Süßigkeiten und Kuchen. Dann räumten sie den Altar und die Teppiche weg und tanzten hinterher etwas. Ich denke, daß es etwa 11 Uhr war, als die Gastgeberin kam und sagte: "Bitte zum Tisch!" Ich nahm Rudolf und wir gingen "zum Tisch." Ich dachte, daß es das Mittagessen sein würde, aber das richtige Mittagessen ist 2 oder 3 Stunden später. Dies war aber, was Rudolf einen "Imbiß" oder "Im Biß", eine Art Zwischenmahlzeit, nennt. Jeder von uns hatte 3 Teller, ein Messer und eine Gabel (wir behielten sie für alles). Es gab alles Mögliche zu essen: Räucherlachs, Sardinen, Hummer, Heringe in allen möglichen Sorten (Man muß wissen, daß alles in Büchsen furchtbar teuer ist und die Leute damit angeben wollen, wenn sie auftischen), Sardellen und Eier, Leberwurst, ein riesiger gekochter Schinken, viele andere Dinge, die ich nicht kenne (oder zu kennen glaube) und verschiedenste Käsesorten. Zu trinken gab es Bier, Likör und Selters Wasser. Als wir die Teller abgestellt hatten, dachten wir, daß die Gelegenheit günstig wäre, leise davon zu kommen (, da Rudolf meinte, daß alle uns rund herum die Hand geben wollten). So schafften wir es. Rudolf war auch erkältet und meinte, daß ich sehr müde aussähe, was auch der Fall war).
Als wir nach Hause kamen war es etwa 10.15Uhr und wir waren noch sehr hungrig, da wir nicht sehr viel gegessen hatten. Ich zündete den Samowar an und wir tranken Tee und aßen kalte Koteletts. Wir saßen und unterhielten uns noch bis nach 12Uhr. Ich denke, daß das immer noch das Beste am Abend ist.
Ich war zum Nachmittag-Tee und traf den Konsul und seine Frau. Sie sagte, wenn Krieg ist und England darin hinein gezogen wird, dann müssen sie uns verlassen. Ich denke, daß sie sehr glücklich sein wird, aber es wird weniger gut für alle anderen von uns. Alles, was sich darauf bezieht, ist in den Zeitungen geschwärzt. Haben eigentlich schon Schlachten stattgefunden? Mein Mädchen fürchtet, daß ihr Mann auch gehen muß, obwohl sie doch drei Kinder hat. Unser Dvornik muß auch gehen. Euch alles Liebe und schreibt bald.
Eure Lily
P.S. Mein Mädchen hat einen Hahn gebracht und ihn, bis sie nach Hause geht, ins Bad gesteckt. Er kräht sehr kräftig. Es ist hier eben ländlich!
In diesem Brief sind die ersten Vorgeplänkel des Russisch-Japanischen Krieges erwähnt. Dieser Krieg wird auch die folgenden Jahre überschatten, auch wenn man "im fernen Westen" vorläufig kaum etwas davon spürt. Alles, was sich auf den Krieg bezieht, wird in den Zeitungen, die aus dem Ausland kommen, wie hier der Manchester Guardian, den meine Großmutter bekam, zensiert ("geschwärzt").
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