Beisassen-Sohn wird Schreinermeister

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  • Jettchen
    Erfahrener Benutzer
    • 16.10.2011
    • 1763

    Beisassen-Sohn wird Schreinermeister

    Hallo in die Runde!

    Weil ich im Forum "Rheinland-Pfalz" leider keine Antwort bekam, stelle ich meine Anfrage nun nochmals in diesem Forum ein:

    Ich beschäftige mich gerade mit einer Familiengeschichte aus Worms, die mir einiges Kopfzerbrechen bereitet. Ein Ahn von mir lebte dort im 17. Jh.. Leider existieren aus dieser Zeit von Worms nur wenige Quellen.

    Gesichert ist, dass der erste bekannte Ahn in der Mitte des 17. Jh. ein Beisasse war und noch starb, ehe der Sohn eine Lehre beginnen konnte.
    1677 heiratete dieser Sohn als Junggeselle. Er ehelicht als Schreinermeister die Tochter eines Herrenküfers. Die Paten ihrer Kinder waren Zunftmeister, später sogar Ratsherren.

    Die Zünfte achteten doch sehr darauf, dass keine Fremden Zugang zu ihren Werkstätten bekamen. Wie war solch ein Aufstieg innerhalb einer einzigen Generation möglich?
    Gab es Beisassen, die so vermögend waren, dass eine Lehre finanziert werden konnte? Von welchem Geld konnte die Meisterausbildung bezahlt werden? Wie erwarb er eine Werkstatt? Die Mutter hat in 2. Ehe einen Wingertsmann geheiratet, der wohl auch nicht zu den Wohlhabenden gehört hatte.

    Vielleicht hat jemand von euch schon einmal so etwas in seiner Familiengeschichte verfolgt?

    Ich freue mich über jede Anregung!
    Jettchen
  • Ralf-I-vonderMark
    Super-Moderator
    • 02.01.2015
    • 3086

    #2
    Hallo Jettchen,

    die mögliche Erklärung könnte darin bestehen, dass der Sohn des als Beisasse verstorbenen Vater noch minderjährig war und der dann für die Erziehung verantwortliche Vormund ein Schreinermeister gewesen war mit der Folge, dass das Mündel bei ihm oder einem Standesgenossen in die Lehre gehen konnte und durch Geschick die Meisterwürde erwarb.

    Abgesehen davon könnte auch der Vater Schreiner gewesen sein und ist nur durch sozialen Abstieg zum Beisassen geworden oder lebte noch nicht lange genug in der Stadt Worms, um die Bürgerrechte zu erhalten.
    Dahingegen könnte ein Verwandter des Vaters (z.B. Bruder oder Vetter) schon Bürger von Worms gewesen sein und könnte als späterer Vormund zum sozialen Aufstieg des 1677 die Tocher eines Herrenküfers heiratenden Ahn beigetragen haben.

    Nun müsste die Theorie idealerweise noch durch geeignete Urkunden abgesichert und belegt werden.

    Ich hoffe, mein Erläuterungsversuch führt zur richtigen Spur und Erkenntnis.

    Viele Grüße
    Ralf

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    • Jettchen
      Erfahrener Benutzer
      • 16.10.2011
      • 1763

      #3
      Ganz vielen Dank, Ralf, für die vielen Hinweise!!!!
      Das Problem dabei ist, dass durch die Zerstörung Worms 1689 ganz viele Dokumente verloren gegangen sind. Sicherheit kann es in diesem Fall nicht geben.
      Aber jetzt habe ich von dir einen Hinweis, wie es möglicherweise geschehen sein könnte. Du hast verschiedene Möglichkeiten dargelegt - das hilft mir schon sehr!!!
      Viele Grüße
      von Jettchen

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      • Artsch
        Erfahrener Benutzer
        • 14.07.2013
        • 1933

        #4
        Hallo Jettchen,

        irgendwo habe ich gelesen, daß nach Epidimien oder hohen Verlusten in der Bevölkerung durch Kriegsgeschehen usw., die Zünfte ihre Ordnung gelockert haben um das Wissen weiterzugeben und die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Auch Bürger zu werden, konnte erleichtert werden.

        Jetzt wurde Heppenheim (9 km entfernt von Worms) 1676 von den Franzosen niedergebrannt. Vielleicht hat auch Worms gelitten.
        Schon 1650 hatte Hep. Befreiung von Abgaben und Haussteuer, nach schweren Verwüstungen durch den 30-jährigen Krieg.
        Über Worms läßt sich womöglich auch sowas finden.

        Übrigens waren die Kosten um Bürger zu werden verschieden hoch. Für einen Bürgersohn nicht so teuer wie für einen Beisassensohn. Aber ein Ortsfremder zahlte noch mehr.
        Nicht zu unterschätzen war sicherlich ein Fürsprecher, ein Bürge, der sich einsetzte.
        Was mir noch einfällt ist die Walz, auf der ein Wanderbuch geführt wurde. Die Walz dauerte mehrere Jahre je nach Zunftordnung. Danach war man Meister. Also nichts mit Meisterprüfung oder so. Ins Wanderbuch schrieben die verschiedenen Arbeitgeber, was der Geselle bei Ihnen gelernt hatte und stellten jeweils so etwas wie ein Zeugnis aus.

        Beste Grüße
        Artsch

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        • Jettchen
          Erfahrener Benutzer
          • 16.10.2011
          • 1763

          #5
          Danke, Artsch, für diese Hinweise!
          Dass dies mit den Folgen des 30-jährigen Kriegs zusammenhängen könnte, habe ich mir auch schon überlegt.
          Ich werde mich wohl noch einmal an das Stadtarchiv in Worms wenden, um vielleicht einen Hinweis erhalten zu können. Falls ich dort etwas erfahre, lass ich es hier im Forum wissen.
          Viele Grüße
          von Jettchen

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          • holsteinforscher
            Erfahrener Benutzer
            • 05.04.2013
            • 2532

            #6
            Hallo Jettchen,
            die Bezeichnung Beisasse (Bürger mit eingeschränkten Rechten,
            als auch Aufgaben, sagt nichts über die Vermögensverhältnisse aus.
            Es gab durchaus Gründe, insbesondere wirtschaftliche, nicht das volle
            Bürgerrecht zu erwerben.
            Seitens der Bürgerschaft (Zunft) gab es natürlich auch Gründe, das volle
            Bürgerrecht nicht zu verleihen z.B. bei sgn. Freimeistern, die keiner Zunft
            angehörten.
            Da der Vater schon vor der Großjährigkeit seines Sohnes verstorben ist,
            stand dieser wohl unter Vormundschaft oder die Ehefrau ist eine zweite
            Ehe eingegangen. Jetzt kann man darüber spekulieren, auf welcher Seite
            ein gewisses Vermögen vorhanden war, da eine Ausbildung mit erheblichen
            Kosten verbunden war.
            Was auch möglich war, zwar selten, aber es kam vor, dass der Lehherr
            ein *Meisterlegat* für einen Gesellen ausgesprochen hat. Hintergrund
            war dabei z.B., dass der Altmeister keine männlichen Nachkommen hatte.

            Organisation der Zünfte:
            Hier müsste man einmal schauen, wie die Zünfte zu dieser Zeit organisiert
            waren. Es gab durchaus Zünfte, die sich zusammengeschlossen haben, um
            ihre Stellung zu stärken. So gab es regionen in denen Küfer und Bierbrauer
            eine Zunft bildeten.

            Zunftfremde Eheschliessungen:
            Man war natürlich darum bemüht, Eheschliessungen innerhalb einer
            Zunft zu belassen, teilweise war es sogar verboten, zunftfremde Ehen
            einzugehen.
            Oftmals wurden die Heiratskreise so eng, dass die sgn. Zunftehre nicht
            eingehalten werden konnte. Somit waren zunftfremde Ehen ein not-
            wendiges Übel.
            Soderle, bischen viel Text...sorry, aber Zünfte sind ganz mein Thema.
            LG. Roland
            Die besten Grüsse von der Kieler-Förde
            Roland...


            Kommentar

            • Jettchen
              Erfahrener Benutzer
              • 16.10.2011
              • 1763

              #7
              Hallo Roland,
              Entschuldigung, dass es so lange mit meinem Dank für deine ausführlichen Erläuterungen gedauert hat. Es ist ganz toll, was du geschrieben hast und wie viel Zeit du dir hierfür genommen hast!
              Zum meinem Ahn gibt es wegen der vernichteten Unterlagen leider keine Chance, alles genau zu recherchieren. Ich werde die verschiedenen Möglichkeiten aber in meine Chronik übernehmen. Soll sich dann jeder selbst denken, wie es gewesen sein könnte.

              Vielen Dank
              von Jettchen

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              • holsteinforscher
                Erfahrener Benutzer
                • 05.04.2013
                • 2532

                #8
                Moinsen Jettchen,
                gerne doch, wenn es einige Anregungen gebracht hat..??
                Ich möchte allerdings noch zwei Korrekturen anbringen, die
                mir dann doch keine Ruhe gelassen haben:
                1.) auch Meistersöhne mussten ein Meisterstück anfertigen.
                Mit Sicherheit gab es Ausnahmen, wie immer.
                2.) auch die Wanderzeit hat nichts mit dem Erwerb des Titels
                zu tun. Dennoch hatten diese die Möglichkeit, auf Antrag, ihre
                Wanderzeit zu verkürzen.
                Soderle,
                dann auf zu den nächsten retseln, die uns unsere Ahnen hinter-
                lassen haben.
                LG. Roland
                Die besten Grüsse von der Kieler-Förde
                Roland...


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                • Jettchen
                  Erfahrener Benutzer
                  • 16.10.2011
                  • 1763

                  #9
                  Hallo Roland,
                  ich habe mich eben mit deinem Hinweis zu "Freimeister" befasst. Weißt du, ob diese an dem jeweiligen Ort als Bürger oder Beisassen registriert waren?

                  Dann las ich im Internet noch dies:
                  "Handwerker, die sich als Künstler durch besonderes Können auszeichneten oder als Unternehmer mit ihrer Wirtschaftskraft aus dem Zunftniveau herausragten, bekamen von der Obrigkeit gelegentlich den Status eines Freimeisters. Sie sind vergleichbar den Hofhandwerkern, die als Beschäftigte des Adels den städtischen Ordnungsstrukturen entzogen waren."

                  Der letzte Satz fiel mir ins Auge!

                  Könnte mein Ahn in Worms als Schreiner bei einem Adeligen oder der Kirche tätig gewesen sein und dann in der Stadt nur als Beisasse registriert gewesen sein?

                  Dies würde aber eher verständlich machen, dass der Sohn des Beisassen Schreinermeister werden konnte und die Tochter eines Herrenküfers zur Frau bekam.

                  Das ist jetzt natürlich pure Spekulation! Aber ich finde es einfach interessant.
                  Im dortigen Archiv habe ich bereits nachgefragt. Da es keine Unterlagen mehr aus dieser Zeit gibt, lassen die Mitarbeiter dort alles offen.

                  Viele Grüße aus dem Frankenland
                  von Jettchen

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