Familiennamensänderungen in den Kirchenbüchern - wie nachweisbar?

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  • U Michel
    Erfahrener Benutzer
    • 25.06.2014
    • 961

    Familiennamensänderungen in den Kirchenbüchern - wie nachweisbar?

    Hallo in die Runde!

    Ich bin auf eine Familiennamensänderung im KB von Sychow/ Schwichow in Polen (Syców-Gross Wartenberg, ev. KB) gestoßen, welche mir momentan einiges Kopfzerbrechen verursacht.
    Die beiden angehangenen Bilder aus dem KB Schwiechow mit den beiden Traueintägen der Familie Wrobel-Sperling sind von 1805 und 1808.
    Bei der Suche nach den Vorfahren der Familie August Sperling (geboren am 27.1.1862 in Borsinowe bei Militsch) bin ich eben auf diese beiden Namensnennungen in den Traubüchern gestoßen.

    Wie kann in der Ahnenlinie der Familienname Wrobel plötzlich als Sperling bezeichnet werden?
    Unter https://www.namenforschung.net/dfd/w...oller%5d=Names ist der polnisch/ sorbische FN Wrobel erklärt. Und dass diese Übersetzung/ Bedeutung Sperling bedeutet.
    Hat die Namensänderung um 1800 ein politisches Motiv? In der Geschichte von Niederschlesien finde ich aber um 1800 keine nennenswerten politischen Umbrüche, welche auf eine "Verdeutschung" des alten FN Wrobel hindeuten könnte.

    Nun ist aber meine Frage dahingehend:

    Wer bestimmte amtlich die Namensänderung damals?
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    Freundliche Grüße aus Böhmen von
    Michel

    (Suche alles zum :
    FN Lutoschka und FN Rose in Lettland-Riga, Litauen, Wehlisch/ Russland, Witebsk/ Weißrussland, Berlin - Cottbus Niederlausitz - Wahrenbrück - Hamburg/ Deutschland und Neustettin/ Polen;
    FN Neddermeyer in S.Petersburg, Hann.Münden-Bonaforth,
    FN Müller, FN Räbiger, FN Oertel aus Reinswalde und Waltersdorf/ Sorau, der ehemeligen Neumark;
    FN Balzke aus der Niederlausitz

  • Dudas
    Erfahrener Benutzer
    • 25.04.2021
    • 1175

    #2
    Ich habe mehrere Jahrgänge durchgesehen, um mir einen Überblick zu verschaffen.

    Manche Personen waren einfach unter anderen Namen bekannt. Bei einem anderen polnischen Namen Gwoździk gab es den Namen Nelke.

    Außerdem fällt auf, dass die Namen der Bräute meist in deutscher Schreibweise eingetragen wurden (es gab Ausnahmen), obwohl der Schreiber die polnische Schreibweise sehr gut beherrschte. Der Schreiber war mit Sicherheit polnischer Herkunft.

    Susanna Qvaschnin des Bartholom Kwaśny Tochter
    Helena Qvaschnyn des Bartholom Kwasny Tochter
    Susanna Jendryzkin des Jan Jędrycka Tochter
    Johanna Schliwionka des Jan Sliwa Tochter
    Rosina Piezuchin des Jan Piecuch Tochter

    Kommentar

    • U Michel
      Erfahrener Benutzer
      • 25.06.2014
      • 961

      #3
      Hallo Dudas!
      Vielen Dank für Deine Infos.
      Das mit der weiblichen Schreibweise ist mir schon bekannt aus anderen Gegenden östlicher Länder.

      Was mir allerdings nicht die verschieden verwendete Benennung des FN zwischen "Sperling" und "Wrobel" erklären kann. Der deutsche Name Sperling wird im Slawischen als Wrobel genannt (siehe: https://www.ancestry.de/name-origin?surname=wrobel ).
      Das erklärt mir nur die Umzwitschung des FNs zwischen der slawischen zur deutschen Schreibweise.
      Aber nicht, warum das so gemacht wurde mit den Änderungen des Namens, und in den Matriken so ohne offizielle Begründungen angewandt wurden. Konnte man den Namen damals einfach so umbenennen, wie man es wollte?

      Freundliche Grüße aus Böhmen von
      Michel

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      • Dudas
        Erfahrener Benutzer
        • 25.04.2021
        • 1175

        #4
        Wenn man in das Preußische Landrecht schaut, kann man lesen, dass:

        §. 483. Bey Trauungen müssen die Vor-, Zu- und Geschlechtsnamen, ingleichen das Alter beyder Verlobten; auch ob sie schon verheirathet gewesen, oder nicht; ob sie noch unter Aeltern und Vormündern stehen, oder nicht, verzeichnet werden.

        §. 485. Bey Geburten und Taufen muß der Pfarrer den Vor-, Zu- und Geschlechtsnamen, und den Stand der
        Aeltern, ingleichen den Namen und Stand der gegenwärtig gewesenen Taufzeugen, nebst den Namen, welche dem Kinde selbst beygelegt worden, mit eintragen.


        Wie man es auch dreht und wendet – sowohl der Zuname als auch der Familienname wurden angegeben – ja, sogar mit Übersetzung!


        Außerdem trägt der Schreiber die Mädchennamen auch mit polnischer Endung ein, was wiederum zu einer anderen Schreibweise des Namens führt:

        Maria Molczonka des Martin Molka Tochter
        Helena Michalczonka des George Michałek Tochter
        Maria Babrowsconka [Babrowszczonka] des Wawrzyniec Babrowsky Tochter
        Johanna Schliwionka des Jan Sliwa [Śliwa] Tochter - das ist ein interessanter Fall, denn die Schreibweise mit sch sollte – in vereinfachter Form – den Laut wiedergeben, der im Polnischen durch den Buchstaben Ś dargestellt wird.

        Sind das fremde Familiennamen, von denen im § 1440 die Rede ist?


        4) Mißbrauch fremden Namens und Wappens.
        §. 1440. a) Wer zur Ausführung eines Betruges, sich eines fremden Familiennamens oder Wappens bedient,
        der soll mit der ordinairen Strafe des qualificirten Betrugs belegt, und dieses, zur Genugthuung für die beleidigte Familie, öffentlich bekannt gemacht werden.

        §. 1440. b) Wer, auch ohne unerlaubte Absicht, eines fremden Familiennamens oder Wappens unbefugter Weise sich bedient, dem soll dergleichen Anmaßung bey willkührlicher doch nachdrücklicher Geldstrafe untersagt, und diese Strafe, im Uebertretungsfalle, gegen ihn wirklich verhängt werden.
        Zuletzt geändert von Dudas; 05.04.2025, 00:46.

        Kommentar

        • U Michel
          Erfahrener Benutzer
          • 25.06.2014
          • 961

          #5
          Hallo Dudas,

          vielen Dank für Deine Hinweise, auch für den Hinweis auf das Preussische Landrecht mit den Paragrafen....sehr interessant.
          Bei den o.g. weiblichen FN-Bezeichnungen weiß ich dies ja auch von den böhmischen, wendischen, sorbischen, russischen, baltischen Eintragungen der Frauenfamiliennamen. Das war so im Osten so üblich.

          Erklärt mir aber immer noch nicht die Namensänderungseinträge vom FN Wrobel zum FN Sperling. Da sind ja die männlichen Veränderungen, welche sich mir nicht ganz erschließen.
          D.h.: Im Eintrag von 1808 - Jan Sperling ODER Wrobel, Sohn des Martin Wrobel...Wieso heißt der Sohn des Martin Wrobel plötzlich Sperling?
          Im Eintrag von 1805: Heirat der Johanna Sperling, Tochter des verst. Martin Wrobel....Wieso heißt die Tochter des Martin Wrobel plötzlich Sperling mit dem FN?

          Auch wenn es vermutlich eine "Übersetzung" des polnischen FNamens ist, müsste doch eigentlich dazu eine Begründung für die damalige verdeutschte Namensänderung erklärbar sein?
          Denn in den nachfolgenden Generationen des hier erstmals genannten "Sperling"FN sind dann nie mehr dem polnischer "Wrobel" in den folgenden Kirchenbüchern benannt worden. Davor, also vor 1808, sind aber die slawischen/ polnischen Benennungen des jahrhunderte lang benutzten Familiennamens nicht verändert worden.

          Hätte dazu jemand eine andere Begründung?
          Zuletzt geändert von U Michel; 07.04.2025, 12:32.
          Freundliche Grüße aus Böhmen von
          Michel

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          • Dudas
            Erfahrener Benutzer
            • 25.04.2021
            • 1175

            #6
            Zitat von U Michel Beitrag anzeigen
            Bei den o.g. weiblichen FN-Bezeichnungen weiß ich dies ja auch von den böhmischen, wendischen, sorbischen, russischen, baltischen Eintragungen der Frauenfamiliennamen. Das war so im Osten so üblich.
            Aber die weiblichen Formen sind in der deutschen Sprache unüblich, weil das eine polnische sprachliche Tradition ist.


            Zitat von U Michel Beitrag anzeigen
            Erklärt mir aber immer noch nicht die Namensänderungseinträge vom FN Wrobel zum FN Sperling. Da sind ja die männlichen Veränderungen, welche sich mir nicht ganz erschließen
            In den KBern lässt sich sowohl die Verdeutschung (Igel < Jeż; Nelke < G[w]oździk; Sperling < Wróbel) als auch die Eindeutschung (z. B. Reizik/Reitzig < Rajczyk; Schliwa < Śliwa; Qvaschny < Kwaśny) nachweisen.
            Leider sind die Kirchenbücher nicht indexiert, so dass es schwierig ist, die Entwicklung der Familiennamen zurückzuverfolgen.

            Ob Jan den Namen Sperling als Familiennamen angab oder ob er lediglich im täglichen Umgang so genannt wurde, weiß ich nicht. Der Schreiber hat jedoch vermerkt, dass er unter einem anderen Namen bekannt ist.

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            • U Michel
              Erfahrener Benutzer
              • 25.06.2014
              • 961

              #7
              Hallo Dudas!
              Vielen Dank für Deine Erklärungen zu den verschiedenen Namensnenungen. Vielleicht war nach Deiner Deutung der betreffende Jan ja unter beiden Namen bekannt, denn sein verstorbener Vater war als "Wrobel" bekannt. Seine Schwester Johanna benutzte den Familiennamen "Sperling" schon 1805, also 3 Jahre vor ihrem Bruder Jan. Da wird es eine familiäre Entscheidung gegeben haben - ob man sich slawisch oder deutsch benennt.
              Die Benutzung/ Umnennung in die deutsche Version des slawischen Familiennamens Wrobel wird vielleicht kann ja auch eine Art "Identifikationsbekundung" gewesen sein?
              Freundliche Grüße aus Böhmen von
              Michel

              (Suche alles zum :
              FN Lutoschka und FN Rose in Lettland-Riga, Litauen, Wehlisch/ Russland, Witebsk/ Weißrussland, Berlin - Cottbus Niederlausitz - Wahrenbrück - Hamburg/ Deutschland und Neustettin/ Polen;
              FN Neddermeyer in S.Petersburg, Hann.Münden-Bonaforth,
              FN Müller, FN Räbiger, FN Oertel aus Reinswalde und Waltersdorf/ Sorau, der ehemeligen Neumark;
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              • Dudas
                Erfahrener Benutzer
                • 25.04.2021
                • 1175

                #8
                In letzter Zeit habe ich die Stenogramme des Preußischen Reichstags gelesen - das ist schon ein bildungsmasochistisches Unterfangen meinerseits , aber ich bin auf ein Thema über Nachnamen gestoßen. Ich zitiere die Aussagen zweier Abgeordneter, von denen einer für mich wenig glaubwürdig ist. Aber selbst wenn er konkrete Beispiele erfunden hat, schließt das nicht unbedingt solche Situationen aus, die sogar in polnischen Quellen bestätigt werden, wie z.B. ein persönliches Tagebuch eines polnischen Adligen aus dem 17. Jahrhundert.


                Kokot.png Wróblewski.png Müller.png

                Pulzin.png Sterne.png



                Eine ähnliche Situation wie bei Gwiazdowski wurde im erwähnten Tagebuch aus dem 17. Jahrhundert festgehalten:


                Blau.png
                Übersetzung: Wir hielten uns in einem ordentlichen Wirtshauz [sic] auf, wo Laurentius Blau der Wirt war, er weilte einst in Polen, nannte sich dort Kwiatkowski, denn Blau heißt kwiat* [Blume].

                *Vermutlich aufgrund der Assoziation mit Blumen dieser Farbe hielt man es wohl für dasselbe. Eventuell verwechselte man die Wörter.



                Aus diesen Beispielen lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen:

                1. Die Namensform hing stark vom sozialen und sprachlichen Umfeld ab.
                ↪ Eine Person nahm die Namensform an, die mit der dominierenden Sprache oder Kultur ihrer Umgebung übereinstimmte.


                2. Der neue Name hatte nicht unbedingt etwas mit einer neuen Identität zu tun
                ↪ Je nachdem, ob jemand in einem polnischen oder deutschen Dorf lebte oder arbeitete, wurde sein Name vorübergehend übersetzt.

                Kokot → Hahn → Kokociński


                3. Die Änderung des Nachnamens konnte einen Spitznamencharakter haben.
                ↪ Vielmehr war die Namensänderung ein praktisches Mittel zur Identifizierung einer Person in der lokalen Gemeinschaft.
                ↪ Der polnisch klingende Nachname "Pulzinski" unterschied diese Person eindeutig von anderen mit demselben Nachnamen.


                4. Namensänderungen erfolgten häufig von außen.
                ↪ Nicht die betroffene Person selbst entschied, wie sie genannt wurde – es war oft die Gemeinde



                Man muss aber bedenken, dass letztlich der Pfarrer entschied, wie der Nachname im Kirchenbuch eingetragen wurde.


                PS Sorry, dass ich mich erst jetzt melde - ich habe mich nicht dazu geäußert, weil ich mir in dieser Frage nicht sicher war.

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