Mögliches Euthanasie-Opfer? (Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch)

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  • Laureate
    Erfahrener Benutzer
    • 15.02.2021
    • 603

    Mögliches Euthanasie-Opfer? (Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch)

    Hallo zusammen,

    ich versuche aktuell das Schicksal meiner Urgroßtante zu klären:

    Paula Englert wurde am 04.04.1906 in Hofstetten (Lauda-Königshofen, Main-Tauber-Kreis, BW) geboren und verbrachte laut Aussage meines Großvaters die letzten Jahre ihres Lebens in einer psychiatrischen Anstalt in Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis, BW), wo sie am 29.03.1939 unter "ungeklärten Umständen" verstarb.

    Als ich das Stichwort "Wiesloch" hörte, haben bei mir alle Alarmglocken geklingelt. Patienten der dortigen Großherzoglich Badischen Heil- und Pflegeanstalt wurden während des Zweiten Weltkrieges im Sinne der NS-Rassenideologie systematisch ermordet. Allerdings habe ich gelesen, dass man dort wohl erst 1940 mit den schrecklichen Tötungsaktionen begann.

    Wäre es dennoch denkbar, dass meine Urgroßtante Opfer der NS-Euthanasie wurde?

    Im Sterberegister ihres Heimatortes ist kein Eintrag für Paula zu finden, weder in den Kirchenbüchern noch beim örtlichen Standesamt. Das bestätigt meiner Meinung nach zumindest mal, dass sie wirklich nicht in Hofstetten gestorben ist. Ich habe mich also an das Standesamt von Wiesloch gewendet, aber leider warte ich seit Wochen schon vergeblich auf eine Antwort.

    Gibt es sonst noch irgendwelche Quellen, die ich ausschöpfen könnte?
  • sternap
    Erfahrener Benutzer
    • 25.04.2011
    • 4070

    #2
    bei wikipedia kannst du unter dem stichwort aktion t4 lesen, dass man etwa ab september 1939 mit gezielter ermordung begann.





    schloss hartheim in österreich ist einer von sechs euthanasieorten.



    es waren sechs orte, aber bei allen spricht man ab 1940 von gezielten tötungen.



    vielleicht erfährst du bei nachfrage doch, ob die verwandte vorher schon in einem der heime lag und starb.
    freundliche grüße
    sternap
    ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
    wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




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    • Svenja
      Erfahrener Benutzer
      • 07.01.2007
      • 5109

      #3
      Hallo Hubert

      Hier kannst du dir einen ersten Überblick verschaffen bezüglich der damaligen Vorgänge in Wiesloch.


      Hier ist die Website von Wiesloch selbst mit mehr Informationen:
      Das Psychiatrische Zentrum Nordbaden (PZN) ist ein modernes, leistungsfähiges Krankenhaus für die Behandlung von Erwachsenen.


      Landesarchiv Baden-Württemberg - Generallandesarchiv Karlsruhe - Findbuch Wiesloch


      Gruss
      Svenja
      Meine Website über meine Vorfahren inkl. Linkliste:
      https://iten-genealogie.jimdofree.com/

      Interessengemeinschaft Oberbayern http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=38

      Interessengemeinschat Unterfranken http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=37

      Interessengemeinschaft Sudetendeutsche http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=73

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      • Laureate
        Erfahrener Benutzer
        • 15.02.2021
        • 603

        #4
        Hallo Sternap, hallo Svenja,

        ich danke euch ganz herzlich für die vielen informativen Links! Ich werde das alles in den nächsten Tagen sorgsam durchlesen.


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        • MaJaLu
          Erfahrener Benutzer
          • 20.04.2014
          • 160

          #5
          Euthanasie

          Lieber Hubert,


          ich habe Dir eine PN geschickt.


          Viel Glück und berichte bitte, wenn es Neuigkeiten gibt.



          LG MaJaLu

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          • Laureate
            Erfahrener Benutzer
            • 15.02.2021
            • 603

            #6
            Neue Erkenntnisse

            Hallo miteinander,

            nach langem Hin und Her konnte ich endlich den Sterberegistereintrag von Paula auftreiben. Todesdatum (29.03.1939) und Todesort (Wiesloch) konnten ein für allemal bestätigt werden. Todesursache war angeblich eine Embolie. Kurios ist, dass der Tod von einem gewissen Doktor Möckel von der Medizinalanstalt in Wiesloch angezeigt wurde.

            Der Name kam mir bekannt vor, also habe ich ihn durch Google gejagt. Laut dem Landesarchiv BW (https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs2...?bestand=52099) war die Wieslocher Anstalt unter Dr. Möckels Leitung an der Umsetzung der nationalsozialistischen Erbgesundheitsgesetzgebung beteiligt.

            Ist das also ein handfester Beweis, dass Paula Opfer von Euthanasie wurde? Nein, leider nicht. Den werde ich wohl nie finden. Aber meiner Meinung nach gibt es durchaus einige Indizien, die dafür sprechen. Allen voran, dass Paula mit nicht mal 33 Jahren an einer Embolie starb...
            Angehängte Dateien

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            • Svenja
              Erfahrener Benutzer
              • 07.01.2007
              • 5109

              #7
              Hallo

              Dass in Wiesloch Euthanasie betrieben wurde ist sicher, das geht ja auch aus den Links hervor, die ich weiter oben erwähnt habe. Zu beachten ist jedoch, dass die Euthanasie am 29.03.1939 offiziell noch nicht begonnen hatte. Zu den Euthanasieopfern im engeren Sinne kann man sie also eigentlich nicht zählen. Aber es ist nicht auszuschliessen, dass manche Klinikärzte schon vorher gewisse Experimente durchführten, um zu testen wie man die Euthanasie am besten durchführen könnte.

              Zur "Umsetzung der nationalsozialistischen Erbgesundheitsgesetzgebung" gehört übrigens nicht nur die Euthanasie sondern auch die Zwangssterilisation und die wurde bereits Mitte der dreissiger Jahre eingeführt.

              Gruss
              Svenja
              Meine Website über meine Vorfahren inkl. Linkliste:
              https://iten-genealogie.jimdofree.com/

              Interessengemeinschaft Oberbayern http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=38

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              • Laureate
                Erfahrener Benutzer
                • 15.02.2021
                • 603

                #8
                Hallo Svenja,
                tut mir leid, dass ich erst jetzt antworte, ich war beruflich viel unterwegs.

                Zitat von Svenja Beitrag anzeigen
                dass die Euthanasie am 29.03.1939 offiziell noch nicht begonnen hatte. Zu den Euthanasieopfern im engeren Sinne kann man sie also eigentlich nicht zählen
                Stimmt, da hast du recht, ich habe mich da wohl von meinem Anfangsverdacht etwas blenden lassen und dabei ganz übersehen, dass mit den Euthanasien zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht "offiziell" begonnen wurde. Danke für die Richtigstellung

                Zitat von Svenja Beitrag anzeigen
                dass manche Klinikärzte schon vorher gewisse Experimente durchführten
                Ja, möglich. Wie gesagt, ich werde wohl nie mit absoluter Sicherheit sagen können, was Paula wirklich zugestoßen ist. Ich habe alle verfügbaren Quellen ausgeschöpft, deshalb lege ich denn Fall nun zu meinen Akten.

                LG

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                • Lerchlein
                  Erfahrener Benutzer
                  • 08.10.2018
                  • 2873

                  #9
                  Liebe Laureate!
                  Ja, es könnte sein das mancher Mensch nicht mehr auffindbar ist und sein Schicksal leider nie zu klären sein wird. -

                  Wir haben auch ein Familienmitglied, was wir bisher nicht finden konnten. Seinen Bruder habe ich gefunden und auch dessen traurigen und verwischten Weg...


                  Aber bei ihm finden wir mehr Fragezeichen als Antworten. – Nun haben wir versucht alles andersherum aufzurollen und stoßen auf noch unerklärlicheres. Ein Mitarbeiter vom Archiv in Pilsen hat freundlicher Weise zusätzlich alles nach seiner Geburtsurkunde durchsucht und konnte sie genauso wenig wie ich finden? - Meine Cousine hat sich nun auch noch einmal auf den Weg gemacht um alles selber vor Ort durchgesehen, aber auch ohne Erfolg. Doch wir beide wissen das dieses Familienmitglied wirklich existierte und das es auch nach Dobrany kam, obwohl beide eigentlich schon erwachsen waren? – Und wir besitzen auch ein Foto von dem Familienmitglied. Einen anderen Geburtsort können wir auch ausschließen. Als nächstes versucht meine Cousine Einsicht in die Kirchenbücher zu bekommen, da wir offenlassen ob nicht die Einträge in Lichtenstadt damals sogar evtl. manipuliert (?) worden sein könnten, wieso auch immer? – Das ist dann wieder ein neues Fragezeichen, wo ich noch gar keinen Anhaltspunkt habe wieso evtl. eine Geburtsurkunde gelöscht worden sein könnte? Nach allem was ich inzwischen nun an Infos gelesen haben, bin ich für alles nicht vorstellbare offen! Denn durch dieses Forum und die Hilfe von so manchem Mitglied bin ich über die letzten Jahre auf so vieles gestoßen, was mir noch völlig unbekannt war und worauf ich im Traum nicht gekommen wäre. -
                  Manchmal gibt es mehr Fragezeichen als Antworten und man kann sich bald keinen Reim mehr darauf machen....

                  Ich wünsche dir, dass du doch noch irgendwann weiter kommst mit deinem Familienmitglied und nicht noch mehr Fragezeichen auftauchen bzw. alles noch verworrener wird! – Wir packen nichts zu den Akten, da die Fragezeichen auf die wir stoßen eher auffordert sind noch genauer zu suchen.




                  PS.: Ist evtl. schon einmal jemand darüber gestolpert, welchen Hintergrund es haben könnte das eine Geburtsurkunde evtl. gelöscht worden sein könnte? -
                  Zuletzt geändert von Lerchlein; 17.12.2021, 08:22.
                  Vorsicht : >Ich habe keine Ausbildung. Ich habe Inspiration.< von Bob Marley -**







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                  • Laureate
                    Erfahrener Benutzer
                    • 15.02.2021
                    • 603

                    #10
                    Hallo Fajo,

                    ich danke dir für deinen informativen und wirklich ausführlichen Kommentar zum Thema. Da zeigt sich mal wieder, auf welche Stolpersteine und Sackgassen man stößt, wenn man im Leben der eigenen Vorfahren gräbt. Bei einem Fall wie deinem scheint meiner doch im Vergleich recht simpel, immerhin kann ich nun belegen, dass meine Ahnin tatsächlich in der Anstalt in Wiesloch verstarb, so wie es in der Familie immer erzählt wurde. Ich wünsche dir für deine eigene Suche viel Glück und Kraft!

                    LG

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                    • Lerchlein
                      Erfahrener Benutzer
                      • 08.10.2018
                      • 2873

                      #11
                      @Laureate schmeiß dein Gefühl und deine Gedanken nicht so weit weg. Behalte es im Augenwinckel! -
                      Vielleicht hast du ja Glück und kommst evtl. irgendwann einmal an die Kranken Akte, wenn sie noch existiert? - Dann wirst du Gewissheit gaben.

                      Habe gerade vor ein paar Tagen ein wenig mehr Informationen zu unserem Fall bekomme. Und siehe da, wir haben nun eine Patienten oder auch eine Transport Nr. (?)! Zu erst bin ich auch nur über einen Sterbeeintrag (der etwas eigenartig war) gestolpert, dann kam ein vollkommen eigenartiger Transporteintrag in eine wierdersprüchliche Richtung dazu und nun haben wir gerade noch dieses Teil zum Puzzle bekommen! -

                      Mit Sackgassen, die auch ganz bewusst angelegt wurden, musst du bei dem Thema immer rechnen.- Es wurde ja nicht nur schon sehr viel früher darüber diskutiert. Als es dann Realität wurde, wurde sich auch nicht nur Behinderter, Psychisch Kranker und Kranke (z. B. Schüttellähmung) auf dem Weg entledigt! - Und nach der offizellen Abschaffung, war noch lange, lange keine Ende.... Einige dieser Kranken Gedanken (nicht direk Euthanasie), wie man mit Menschen zum Nutzen der Medizien umgehen könnte, habe sogar den Kieg überlebt. Was mehr als erschreckend ist! -
                      Zuletzt geändert von Lerchlein; 21.03.2022, 13:18.
                      Vorsicht : >Ich habe keine Ausbildung. Ich habe Inspiration.< von Bob Marley -**







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                      • Laureate
                        Erfahrener Benutzer
                        • 15.02.2021
                        • 603

                        #12
                        Hallo fajo,
                        du wirst es nicht glauben, aber kaum, dass ich deine Nachricht gelesen habe, habe ich heute eine E-Mail vom Landesarchiv BW bekommen. Darin: die komplette Krankenakte von Paula Englert sowie ihre Fürsorgeakte!

                        Für den Tag ihres Todes wurde dort vermerkt: "Patientin starb heute Vormittag ganz plötzlich u. unerwartet. Herzschlag." Und auf einem anderen Dokument heißt es unter Todesursache: "Elepsie. Emobilie"

                        Was soll man dazu sagen...

                        LG
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                        • Lerchlein
                          Erfahrener Benutzer
                          • 08.10.2018
                          • 2873

                          #13
                          @ Laureate, es freut mich das du nun die Krankenakte bekommen hast. -
                          Natürlich kann, meiner Info nach, ein Epileptischer Anfall evtl. eine Embolie hervorrufen.

                          Das Jahr 1939 sollte einen nicht evtl. über etwas hinweg täuschen....
                          Hier ein Link dazu:
                          Bereits 1935 kündigt Hitler an, "unheilbar Geisteskranke" beseitigen zu wollen. Im September 1939 ist es dann soweit: Das "Euthanasie"-Programm startet. Es legt die Grundlage für die systematische Ermordung Behinderter und psychisch Kranker.


                          So ein Program braucht ja Vorbereitung- und Testzeit. - Im Übrigen war diese Ermächtigung im Nachhinein erlassen! Bzw. gab es ja auch noch die Aktion 14f13 nach dem angeblichen Stopp! Wer kann da schon genau wissen was ansonsten noch so an Realität war? -

                          Allerdings bekomme ich persönlich immer ein Grummeln im Bauch, wenn ich in so einem Fall, Begriffe wie psychiatrischen Anstalt „Heil- und Pflegeanstalt“, "Fürsorgeakte" und "Epilepsie" in diesem Zeitraum lese.- Natürlich kann diese Todesursachen auch (manchmal trotz dieser Faktoren) stimmen!
                          Obwohl zu diesem Zeitpunkt auch so viel Unmögliches möglich war. Was wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können.
                          Vielleicht nimmst du dir die Akte erst einmal Stück für Stück (und nach Vertragen!). Kann sein das du dann eine Antwort hast oder sich dein Verdacht verhärtet? –

                          Ich wünsche dir ein gutes und auch beruhigendes Ergebnis!
                          Zuletzt geändert von Lerchlein; 25.03.2022, 07:48.
                          Vorsicht : >Ich habe keine Ausbildung. Ich habe Inspiration.< von Bob Marley -**







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                          • Laureate
                            Erfahrener Benutzer
                            • 15.02.2021
                            • 603

                            #14
                            Hallo fajo,
                            es ist immer wieder schön, einen Kommentar von dir zu lesen. Man merkt, wie nahe dir dieses Thema geht. Mir geht es ebenso. Ich werde mir die Akten erst mal in Ruhe durchlesen und auf mich wirken lassen. Falls es neue Erkenntnisse gibt, melde ich mich!
                            LG

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                            • Lerchlein
                              Erfahrener Benutzer
                              • 08.10.2018
                              • 2873

                              #15
                              @Laureate ja, es geht mir nahe. Allerdings sehe ich auch das Glück was anderen verwert ist und bleibt, die die suchen und nichts mehr finden werden.
                              Auch ich habe nach dem Griff nach einem winzigen (war mehr als unwahrscheinlich) einen Faden gefunden.
                              Gerade heute ist auch unser Hans (Johann) gefunden worden, dank ganz, ganz großer Hilfe von 3 Personen die momentan neue Dokumente digitalisieren!

                              Hier einmal ein ganz herzliches Dankeschön an alle "Weltweit" die sich immer wieder und weiter bemühen dabei zu helfen, egal in welcher Form auch immer!
                              Zuletzt geändert von Lerchlein; 27.03.2022, 18:18.
                              Vorsicht : >Ich habe keine Ausbildung. Ich habe Inspiration.< von Bob Marley -**







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