mein Großvater war ein recht kritischer Geselle und hielt sich mit seinen Meinungen nicht zurück.
Er spielte gerne Schach und traf sich mit Freunden zum Schachspiel, wobei einer der Freunde der Wirt des Lokals war, in dem Schach gespielt wurde. Auch bei diesen Gelegenheiten nahm er wohl kein Blatt vor den Mund und kritisierte das Naziregime recht heftig, was meine Mutter jedes Mal in Angst und Schrecken versetzte, wie sie mir erzählte. Eventuell rettete ihren Vater nur der Umstand vor schlimmen Folgen, dass der Wirt, bei dem Schach gespielt wurde, ein Funktionär der NSDAP war.
Übrigens meldete sich der Wirt selbst zum Frontdienst, da er von der NSDAP überzeugt war. Erst in dieser Zeit änderte sich seine Überzeugung ("es ist ja noch schlimmer, als Du es immer gemutmaßt hast"), aber er bezahlte sein Eintreten für die Partei mit dem Leben: er wurde tödlich verwundet. Mein Großvater dagegen, der nach dem Weggang seines Schachkumpels seine "Protektion" verloren hatte und noch spät eingezogen wurde, überstand auch diesen Krieg ohne körperliche Blessuren. Erzählt hat er von den Kriegszeiten jedoch nie, weder aus dem 1. noch aus dem 2. Weltkrieg.
mein Opa, ein ungelernter Arbeiter und Nebenerwerbslandwirt, hat immerhin verhindert, dass sich sein ältester Sohn (* 1927) freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hat.
Mein Vater war im 3. Reich noch ein Kind. Er lebte in einer sehr katholischen Gegend auf dem platten Land.
Er erzählte mehrmals, dass sein erster (oder zumindest bewußter) Kontakt mit dem Nazi-Regime so aussah: Irgendwann kam eine Naziveranstaltung auch in sein Dorf. Es gab einen Aufzug durch die Hauptstraße mit irgendwelchen regionalen Nazigrößen und es wurde erwartet, dass die mit Hitlergruß von den Leuten am Straßenrand gegrüßt wurden. Ein richtig alter Mann am Straßenrand bekam wohl seinen Arm nicht (schnell genug) hoch. Daraufhin wurde er von irgendwelchen Nazischlägern geschlagen. Mein Vater, der das als Kind mit ansah, sagte immer, dieses Verhalten habe ihn erschüttert und von da an seien die Nazis für ihn unten durch gewesen.
Als kurz danach einige junge Männer aus der nahem Stadt kamen, um in seinem Dorf eine Hitlerjugend zu gründen (zwischen den Dorfjungen und Stadtjungen bestand ohnehin eine Rivalität) machten meine Vater und seine Freunde ihnen das Leben zur Hölle, bis sie wieder abzogen.
sehr interessante Unterhaltung. Ich lese derzeit oder immer noch Entnazifizierungsakten aus NRW. Stehen Online. Die Überlieferungen in den Familien werden da teilweise revidiert. An Ausreden und Beschönigungen waren Menschen nie verlegen. Besonders toll finde ich die das "man" 1933 in die Partei eintrat um "schlimmeres" zu verhindern. Oder "wir mussten ja jemanden da drin haben". Ein eindrucksvolle Lektüre. Oder Personen, die schon 1947 nicht mehr mit dem Geschwätz belästig werden wollten, da sie ja arbeiten müssten. Besonders schön auch die langen Listen von Belegschaftsmitgliedern die ihrem Chef einen Persilschein ausstellten. Daneben gibt es auch viele sehr ambivalente Leute, die z.B. trotz Parteimitgliedschaft einen ausgebombten kath. Priester bei sich aufnahmen oder selbstlos in Krisensituationen halfen.
Es ist jetzt mit 75 Jahren Abstand schon sehr schwierig Fiktion und Realität auseinander zu halten. Ich versuche mir zu einigen der Episoden meine Meinung zu bilden oder habe schon mal früher als Jugendlicher gefragt. Z.B. mit kleinen Fangfragen: Wie hast du denn bei der Ja Abstimmung abgestimmt? Da kam dann ein Ja.
Meine Patentante (* 1940) erzählte mir, der Vater von Frau X sei im KZ an Typhus gestorben, weil er Juden Lebensmittel zugesteckt und auch sonst geholfen habe.
Viele Jahre habe ich das geglaubt, bis ich die Akte im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden sah.
Vater X hatte Juden um Geld erpresst, z. B. "Wenn Ihr mir das und das gebt, sorge ichdafür, das Ihr auf den gleichen Transport in den Osten kommt."
Dafür (Bereicherung) war er tatsächlich ins KZ gekommen.
sehr interessante Unterhaltung. Ich lese derzeit oder immer noch Entnazifizierungsakten aus NRW. Stehen Online. Die Überlieferungen in den Familien werden da teilweise revidiert. Um Ausreden und Beschönigungen waren Menschen nie verlegen.
Spätestens 1944 war Dienst in der Waffen-SS auch für Deutsche nicht mehr freiwillig.
Nein, der Dienst in der (Waffen-) SS war bis zum Schluß für alle freiwillig. Daß es ggf. "Überzeugungsgespräche" gegeben haben wird, ist unstrittig. Aber alle haben brav ihren Aufnahme und Verpflichtungsschein ausgefüllt und unterschrieben.
Ich weiß, daß bei Wikipedia was anderes steht, aber wer "nein" sagte und nicht unterschrieb, kam schlicht zur Wehrmacht.
Suche FN: Dülge (Stettin, Lublin) / Streich und Hintz (Großpolen, Lublin) / Seeger (Elbing, Danzig und Berlin) / Havemann, Thiede und Stolz (Breslau, Bernau und Berlin).
Nein, der Dienst in der (Waffen-) SS war bis zum Schluß für alle freiwillig. Daß es ggf. "Überzeugungsgespräche" gegeben haben wird, ist unstrittig. Aber alle haben brav ihren Aufnahme und Verpflichtungsschein ausgefüllt und unterschrieben.
Ich weiß, daß bei Wikipedia was anderes steht, aber wer "nein" sagte und nicht unterschrieb, kam schlicht zur Wehrmacht.
Auf Wikipedia berufe ich mich nicht, sondern auf einen sehr nahen Verwandten. Während jenes "Vortrages", von dem er immer wieder berichtete, soll ein SS-Mann durch die Reihen gegangen sein: "Du kommst mit, du kommst mit, ..." Das war also in etwa so "freiwillig" wie FDJ-Mitgliedschaft in der DDR.
Zuletzt geändert von Erny-Schmidt; 07.11.2023, 22:56.
Gruß E. Schmidt.
WANTED! SCHMID(t)/Halle/S, MAER(c)KER/Saalkreis, HAUBNER & HEINE(c)KE/Mansfelder Land
Bezüglich der Freiwilligkeit in der Waffen-SS muss angeführt werden, dass es insbesondere für Volksdeutsche am Balkan keine Alternative gab. Die SS-Division Prinz Eugen beinhaltete zwar "freiwillig" im Namen, doch aufgrund des Mangels an Soldaten wurde hier genauso eingezogen wie bei den "normalen" Einheiten der Wehrmacht. Ich möchte hier keinesfalls etwas beschönigen, verharmlosen oder gar die unsäglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnen, aber dieser Zwang ist mittlerweile fachhistorischer Konsens.
Nein, der Dienst in der (Waffen-) SS war bis zum Schluß für alle freiwillig. Daß es ggf. "Überzeugungsgespräche" gegeben haben wird, ist unstrittig. Aber alle haben brav ihren Aufnahme und Verpflichtungsschein ausgefüllt und unterschrieben.
Ich weiß, daß bei Wikipedia was anderes steht, aber wer "nein" sagte und nicht unterschrieb, kam schlicht zur Wehrmacht.
Mein Opa hätte 1944 zur Wehrmacht eingezogen werden sollen. Er entging dem indem er sich freiwillig zur Waffen SS medete, da diese erst mit einem Jahr älter rekrutierte. Der Krieg war aus, bevor das Jahr um war.
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