Was ist ein Fürsorgezögling?

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  • Sigurdsenkelin
    Erfahrener Benutzer
    • 09.02.2025
    • 122

    Was ist ein Fürsorgezögling?

    Liebe Mitforisten,

    Ich bin dabei, die Jugend meines Opas zu rekonstruieren. Er war Sudetendeutscher, hat auf der Flucht nach Tirschenreuth seine Mutter verloren. In Tirschenreuth kam er dann als Vollwaise bei seinem Taufpaten unter. Von dort wurde er vom Jugendamt 1948 als Fürsorgezögling, mit 17 Jahren, nach Piusheim (Kinderheim bei Ebersberg) vom Jugendamt Tirschenreuth überwiesen.

    Sein Taufpate lebte zu dem Zeitpunkt noch. Was genau ist ein Fürsorgezögling? Es geht das Gerücht, nicht bestätigt, dass mein Opa in seiner Jugend mal einen Arbeitgeber beklaut haben soll. Darüber gibt es aber keine Unterlagen (mehr, weder in Tirschenreuth noch im großen Archiv Amberg). Kann es sein, dass das so eine Art Jugendstrafe war?

    Oder kann es sein, dass sein Taufpate ihn nicht mehr versorgen konnte, er war damals auch schon alt? Und er deswegen in ein Heim kam?

    Kann mir wer helfen, was ist da passiert? Und wie lange blieben die Kinder in solchen Einrichtungen? Bis 18, bis 21?

    Anbei die Meldekarte der Gemeinde Baiern mit dem Hinweis, dass er als Fürsorgezögling nach Piusheim kam.

    Einen schönen Sonntag

    Eure Christiane
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  • Anna Sara Weingart
    Erfahrener Benutzer
    • 23.10.2012
    • 16908

    #2
    Hallo,
    ja die Vermutung des Zusammenhangs mit Diebstahl ist wohl richtig.
    Piusheim war ein "Heim für Schwererziehbare". Gegründet vom katholischen "Verein zur Betreuung der verwahrlosten und bestimmungslosen Jugend"


    Fürsorgezögling = "Jugendlicher, der sich in Fürsorgeerziehung befindet" -- https://www.dwds.de/wb/wdg/Fürsorgezögling
    Fürsorgeerziehung = "Erziehung von (verwahrlosten) Kindern, Jugendlichen durch Personen, Institutionen, die die Stelle der Eltern vertreten"


    "Speziell im Piusheim waren junge Menschen untergebracht, die aufgrund eigener Verfehlungen umso mehr der Macht der Erziehungsanstalt ausgesetzt waren."
    Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 06.07.2025, 12:24.
    Viele Grüße

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    • Sigurdsenkelin
      Erfahrener Benutzer
      • 09.02.2025
      • 122

      #3
      Hallo Anna Sara,

      Vielen Dank für die rasche Antwort. Dann scheint es zumindest so, als hätte der Patenonkel nicht einfach aufgegeben. Wissen Sie, wie lange man dort untergebracht war? 1950 ging dort wohl eine Serie von schwerstem Missbrauch los... Die 2020 erst ans Tageslicht kam. Irgendwie würde es mich beruhigen, zu wissen, dass Opa 1949, mit 18, dort weg war. (Wenn ich auch keine Ahnung habe, wohin, das steht als nächstes auf der Agenda). Wobei es vermutlich auch sehr blauäugig ist, zu glauben, dass der Missbrauch erst 1950 startete...

      Liebe Grüße

      Kommentar

      • Anna Sara Weingart
        Erfahrener Benutzer
        • 23.10.2012
        • 16908

        #4
        Also im Zeitungsartikel der SZ steht, dass die Kinder bis 18 dort untergebracht waren. Aber Journalisten sind keine Wissenschaftler

        Unter "Missbrauch" ist u.a. Prügelstrafe zu verstehen. Prügelstrafe war eine übliche Erziehungsmethode, die nicht erst 1950 begann.

        In dem Dorf meiner Vorfahren, Donauschwaben in Ungarn, war das im 19. Jht. sogar "offiziell". Wenn dort ein Dorfbewohner beim Stehlen erwischt wurde, dann wurde er von den anderen öffentlich verprügelt.
        Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 06.07.2025, 14:03.
        Viele Grüße

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        • Sigurdsenkelin
          Erfahrener Benutzer
          • 09.02.2025
          • 122

          #5
          Leider sprechen wir beim Piusheim nicht "nur" von Schlägen, sondern von schwerstem sexuellen Missbrauch. Kinder haben deshalb Selbstmord begangen.

          Kommentar

          • Wolfg. G. Fischer
            Erfahrener Benutzer
            • 18.06.2007
            • 5384

            #6
            Zitat von Sigurdsenkelin Beitrag anzeigen
            Wissen Sie, wie lange man dort untergebracht war?
            Hallo Christiane,

            leider kann ich Deine Hoffnung nicht bestätigen. Falls er nicht vorher entlassen wurde, blieb Dein Großvater bis zur Volljährigkeit mit 21 Jahren dort.

            Liebe Grüße
            Wolfgang

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            • Sigurdsenkelin
              Erfahrener Benutzer
              • 09.02.2025
              • 122

              #7
              Hallo Wolfgang,

              Danke für die Antwort. Ich muss wohl doch versuchen, seine Akte anzufordern. Nur, um zu wissen, wie lange er da war und wohin er ging. Irgendwann ist er im Landkreis Pfaffenhofen Ilm gelandet, wo er geheiratet hat, eine Tochter und zwei Enkelinnen bekommen hat. Habe heute mal an unser Stadtarchiv geschrieben und die Meldekarte angefordert, quasi das Pferd von hinten aufgezäumt... müsste ja drauf stehen, woher er kam. Ob Piusheim oder, mal wieder, eine völlig überraschende Wendung.

              Er hatte eine starke Abneigung gegenüber der Kirche. Was sich mit Erlebtem aus dem Heim decken würde. Wir wussten auch nie, dass er in einem solchen Heim war. Und nur die Scham über einen Diebstahl von Geld würde diese absolute Verschlossenheit nicht ganz erklären. War ja kein Mord. Weißt, wie ich meine?

              Weiß jemand, wie ich an die Akte komme? Das Piusheim selbst scheint mittlerweile eher ein Restaurant zu sein. Könnte die Caritas da weiterhelfen?

              Vielen Dank an alle, die mir helfen, ich weiß das so sehr zu schätzen.

              Grüße aus der Hallertau

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              • petobin
                Erfahrener Benutzer
                • 11.02.2016
                • 160

                #8
                Ein "Fürsorgezögling" ist eine Person, die im Rahmen der Jugendhilfe oder Sozialarbeit betreut wird. Es handelt sich um einen Begriff, der oft für Kinder und Jugendliche verwendet wird, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder in Pflegefamilien untergebracht sind. Der Begriff wird auch im Kontext der Fürsorgeerziehung verwendet, die eine erzieherische Maßnahme im Rahmen der Jugendhilfe darstell das sagt Tante Google. Und was die absolute Verschwiegenheit angeht, bedeutet es in der Regel eine schwerste Traumatsierung, welches durch o.g Handlungen verursacht worden ist. Das reicht von Missbrauch bis zu schweren Gewalttaten VG Peter

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                • Sigurdsenkelin
                  Erfahrener Benutzer
                  • 09.02.2025
                  • 122

                  #9
                  Hallo Peter,

                  Danke auch dir für deinen Input. Ja, ich befürchte, da ist viel vorgefallen, das über eine damals "legitime erzieherische Watschn" (Ohrfeige) hinausgeht. Vielleicht auch untereinander, da kamen ja Jungs bzw junge Männer zusammen, die alle ätzende Erfahrungen gemacht haben, Aggressionsprobleme hatten, und so weiter. Das war unter Garantie kein Hort der ewigwährenden Freude. Aber an seiner Arbeitsstelle auf dem Bauernhof (dort musste Opa vom Piusheim aus arbeiten)wurde er wenigstens sehr gut behandelt. Mit der Familie hatte er noch später freundlichen Kontakt bis fast zu seinem Tod. Wer weiß, wie es ihm ohne Familie Frey ergangen wäre.

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                  • Franz-J
                    Erfahrener Benutzer
                    • 14.09.2021
                    • 186

                    #10
                    ULB Münster / 50 (1901) [2035 / Suche "Ausführung des Fürsorgeerziehungsgesetzes"

                    Auszugsweise: Erfahrungen in Ausführung des Fürsorgeerziehungsgesetzes: „Mehrere Monate sind vergangen, seitdem in Preußen das Gesetz vom 2. Juli 1900 über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger in Kraft getreten ist. Wohl selten ist ein Gesetz so einmütig von allen Faktoren der gesetzgebenden Körperschaften beraten, von den obrigkeitlichen Behörden und nicht minder allen einsichtsvollen Personen, denen das Volkswohl im Ganzen und besonders eine Verbesserung der vielfach verwahrlosten Jugend so freudig begrüßt worden. … Es zeigen sich darin nicht nur Messerhelden in dem 16. bis 17. Lebensjahre, sondern auch zahlreiche rohe Burschen, die jedes Gefühl für Sitte und Anstand verloren haben, von Religion und Kirche nichts mehr wissen wollen, ihren Eltern trotzen, schlechten Umgang pflegen und zu ernstlicher Arbeit sich nicht anhalten lassen wollen. Daneben befindet sich, Gott sei es geklagt, eine bedenklich große Zahl von jungen Dirnen, die trotz ihrer Jugend bereits völlig verdorben waren.“
                    Gruß Franz

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