Was ist ein "Untervogt"?

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  • Maja-Luna
    Benutzer
    • 07.04.2021
    • 25

    Was ist ein "Untervogt"?

    Hallo!
    In einem Totenregister aus dem Jahr 1812 ist unter der Berufsbezeichnung des Vaters der Verstorbenen die Bezeichnung "Untervogt" aufgeführt - Wer kann mir die Bedeutung erklären??? Welche Aufgaben hatte so ein Untervogt?
    (Lebensdaten des Vaters 1719-1772 in Frittlingen)
    Liebe Grüße...
  • Anna Sara Weingart
    Erfahrener Benutzer
    • 23.10.2012
    • 16859

    #2
    Hallo
    hast Du das gelesen --> https://de.wikipedia.org/wiki/Vogt

    Untervogt ist nichts anderes; nur, dass es darüber noch einen Obervogt gab, der der Vorgesetzte mehrerer Untervögte war.

    In Frittlingen waren die Herrschaftsrechte wohl geteilt, es gab also anscheinend verschiedene Herrscher gleichzeitig, so dass ich nicht sagen kann, ob Dein Untervogt nur einem bestimmten, oder sogar mehreren Herrschern gleichzeitig gedient hat.


    Man kann ihn auch als "örtlichen Statthalter" (des Landesherrn) bezeichnen. Andere Bezeichnung war "Amtmann"

    Wenn der Landesherr, bzw. die Landesregierung Gesetze beschlossen hatte, wachte der Vogt darüber, dass die Gesetze vor Ort beachtet und angewendet wurden.
    Viele Grüße

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    • consanguineus
      Erfahrener Benutzer
      • 15.05.2018
      • 7419

      #3
      Zitat von Anna Sara Weingart
      Man kann ihn auch als "örtlichen Statthalter" (des Landesherrn) bezeichnen. Andere Bezeichnung war "Amtmann"
      Ich kann nicht beurteilen, wie es in Frittlingen war, aber anderswo stand ein Untervogt in der Hierarchie weit unter dem Amtmann. In meiner Ecke war ein Untervogt ein Bauer, der nebenbei ein Auge auf die Ackerwirtschaft des Amtshofes warf. Es gab beispielsweise auch den "Scheunenvogt", dem, wer hätte es gedacht, die Aufsicht über die Amtsscheunen oblag. Der Amtmann hatte vollkommen andere Aufgaben.

      Viele Grüße
      consanguineus
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      • Maja-Luna
        Benutzer
        • 07.04.2021
        • 25

        #4
        Danke für die Auskünfte!
        Wenn ein Untervogt eine Art Aufseher über die Äcker anderer Bauern (im Auftrag des Landesherrn?) war, wie gliederte sich dann ein "Amtshof"? Ich war immer davon ausgegangen, dass die meisten Bauern der Umgebung freie Bauern mit kleinem Landbesitz waren, der immer an den ältesten Sohn ging.
        Liege ich da falsch?
        LG

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        • consanguineus
          Erfahrener Benutzer
          • 15.05.2018
          • 7419

          #5
          Hallo Maja-Luna,

          ich weiß nicht, ob es Dir hilft, wenn ich Dir ganz kurz erläutere, wie die ländliche Verwaltung in vielen norddeutschen Territorien aufgebaut war.

          Es gab neben "Adeligen Gerichten" die "Ämter". Manche Dörfer und ihre Einwohner gehörten zu einem Adeligen Gericht, andere zu einem landesherrlichen Amt. Dem Amt stand der Amtmann vor. Sein Pendant im Adeligen Gericht war der dortige Gutsherr. Es geht um die niedere Gerichtsbarkeit, aber auch um die Einziehung der Steuern. Das war im Prinzip die Aufgabe eines vom Landesherrn eingesetzten Amtmannes. Zu einem Amt gehörte auch eine Eigenwirtschaft (Amtshof oder Domäne), die der Amtmann vom Landesherrn gepachtet hatte. Diesbezüglich war der Amtmann auch Unternehmer. Viele Innovationen in der Landwirtschaft wurden von weitblickenden Amtmännern erdacht.

          Wie die Situation im Süden war weiß ich nicht.

          Viele Grüße
          consanguineus

          Ergänzung: Der Untervogt war nicht Aufseher über die Äcker anderer Bauern, sondern über die Äcker des Amtshofes
          So kenne ich es von meinen Vorfahren, unter denen es Untervögte gab.

          An wen die Bauern ihren Hof "vererbten", richtete sich zumeist nach lokalen oder regionalen Bräuchen. Das mußte nicht der älteste Sohn sein. Häufig war es der jüngste Sohn. "Vererbt" in Häkchen, weil ein Bauernhof zumeist kein freies Eigentum war. Dieses Thema ist zu umfangreich für eine kleine Antwort. Darüber wurden schon zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten verfaßt. Ich finde, die bäuerlichen Besitzverhältnisse sind das spannendste Thema überhaupt, bei dem auch leider mit viel Halbwissen um sich geworfen wird.
          Zuletzt geändert von consanguineus; 07.03.2022, 16:11.
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          • Anna Sara Weingart
            Erfahrener Benutzer
            • 23.10.2012
            • 16859

            #6
            In Württemberg hatten die Untervögte an der Universität studiert. Ist also nicht vergleichbar mit den Verhältnissen, die consanguineus für Norddeutschland schildert.
            In der Hierarchie-Ebene unterhalb der Untervögte kamen die Schultheiße. Diese hatten meist nicht studiert und übten noch einen anderen Beruf aus.

            Nun gehörte Frittlingen vor 1800 nicht zu Württemberg, so dass ich nicht weiß, wie die Untervögte dort einzuordnen sind. Aber sicherlich nicht so wie in dem von consanguineus beschriebenen Sonderfall in Norddeutschland.
            Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 07.03.2022, 16:58.
            Viele Grüße

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            • Maja-Luna
              Benutzer
              • 07.04.2021
              • 25

              #7
              Hallo Consanguineus,
              Es ist vielleicht ein wenig vergleichbar mit der Situation der Bauern in Mittelengland...
              Unter der Begrifflichkeit eines Vogtes hatte man uns in der Schule beigebracht, dass es sich um eine Art Rechtsbeistand (aus dem lateinischen "advocatus") handelt. Deshalb war es mir nicht schlüssig, warum er in Deutschland mit Bauern in Verbindung gebracht wurde, aber Deine Erklärung ist sehr einleuchtend. Die in der Urkunde erwähnte Person war auch Bauer und wird in einer anderen Urkunde als "Großbauer" bezeichnet. Ich glaube auch, ein Dokument gefunden zu haben, in dem sein Besitz unter den Kindern vererbt wird (Land und Acker Hälfte an den ältesten Sohn, Viertel an den 2. Sohn und je achtel an den 3. und 4.Sohn...Merkwürdige Erblassung!!)
              Du hast Recht, es ist ein sehr interessantes Thema! Ich werde noch nach weiteren Infos die Region Frittlingen betreffend suchen!
              Danke für Deine Erklärungen!!
              LG, Maja.

              Hallo Anna Sara,
              ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass ein Bauer um 1730 das Geld hatte, seinen jüngsten Sohn studieren zu lassen...
              Es war ja nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage der Arbeitskraft, die unnötig verloren ging, wenn ein Sohn studierte. Zudem etliche Männer aus der Region als Donauschwaben ins heutige Ungarn und nach Serbien zogen und so Mangel an Arbeitskräften war.
              LG, Maja

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              • Anna Sara Weingart
                Erfahrener Benutzer
                • 23.10.2012
                • 16859

                #8
                Möglicherweise war er das, was in Württemberg als Schultheiß bezeichnet wurde, also der erste Ansprechpartner der Landesregierung auf Dorfebene.
                Wenn er Großbauer war, dann hatte er Knechte u. Mägde, die für ihn arbeiteten, so dass er genügend Zeit hatte, die Amtsgeschäfte als "Untervogt" zu tätigen.

                Zitat von Maja-Luna
                ... ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass ein Bauer um 1730 das Geld hatte, seinen jüngsten Sohn studieren zu lassen ......
                Die Hürde war nicht das Geld, sondern die geistigen Fähigkeiten, der Lernfortschritt u. die Motivation. Da fehlte das intellektuelle Umfeld, das ein Kind benötigte, um studienreif zu werden.
                Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 07.03.2022, 17:44.
                Viele Grüße

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                • Maja-Luna
                  Benutzer
                  • 07.04.2021
                  • 25

                  #9
                  Wenn ich das richtig verstanden habe, ist ein Schultheiss in Württemberg um 1750 gleich einem Ortsvorsteher oder Bürgermeister mit Besitz von Land (als Lehen). Er muss dann aber auch Abgaben von den Bauern und Bürgern eingetrieben haben.
                  Irgendwie glaub ich, passt da was nicht...?

                  Kommentar

                  • consanguineus
                    Erfahrener Benutzer
                    • 15.05.2018
                    • 7419

                    #10
                    Zitat von Maja-Luna
                    ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass ein Bauer um 1730 das Geld hatte, seinen jüngsten Sohn studieren zu lassen...
                    Hallo Maja,

                    unterschätze nicht die wirtschaftliche Situation mancher Bauern im 17. oder 18. Jahrhundert! Die waren nicht alle bettelarm, auch wenn das im Geschichtsbuch der 5. Klasse gerne plump-pauschal so dargestellt wird.

                    Einen Sohn studieren zu lassen war für (Groß-)bauernfamilien häufig auch eine Prestigefrage. Meistens erkannte ein kluger Dorfschullehrer oder Pastor das Talent eines Bauernsohnes und es fand sich dann oft auch ein Förderer. Das gilt natürlich auch für Handwerkersöhne in der Stadt. Man denke nur an Carl Friedrich Gauß, der aus kleinen Verhältnissen stammte und dessen bereits im Kindesalter auffällige Begabung sogar dem Herzog Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel bekannt war.

                    Viele Grüße
                    consanguineus
                    Daten sortiert, formatiert und gespeichert!

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                    • Anna Sara Weingart
                      Erfahrener Benutzer
                      • 23.10.2012
                      • 16859

                      #11
                      Zitat von Maja-Luna Beitrag anzeigen
                      Irgendwie glaub ich, passt da was nicht...?
                      Was passt nicht?
                      Viele Grüße

                      Kommentar

                      • holsteinforscher
                        Erfahrener Benutzer
                        • 05.04.2013
                        • 2532

                        #12
                        Moinsen Maja-Luna,
                        schau doch mal im Onlinekatalog des Landesarchivs rein, mit viel Glück könnte man hier die Bestallung des gesuchten zum Untervogt finden lassen, evtl. wird dieser auch innerhalb seines Aufgabenbereichs an anderen Stellen erwähnt.
                        Die besten Grüsse von der Kieler-Förde
                        Roland...


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