Tagebuch eines Schiffsmissionars (im Herbst 1871 auf dem Segelschiff "Electrik" nach New York)

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  • Wolfg. G. Fischer
    Erfahrener Benutzer
    • 18.06.2007
    • 4928

    #76
    9. Nov. 1871

    Tagebuch:

    Heute nachmittag ist die Frau heimgegangen. Der Mann ist untröstlich. Ich las mit ihm und einigen Leuten im Hospital an der Leiche den 90. Psalm, anschließend beteten wir. Er gestand mir unter Tränen, dass er seine Frau, die nicht habe auswandern wollen, dazu gezwungen habe, das mache ihm viel Herzeleid.

    Von einigen Passagieren hörte ich freilich, die Frau habe sich schon lange krank gefühlt und ins Hospital gewollt, der Mann aber habe das nicht zugelassen. Auf mehrere Leute hat dieser Todesfall einen ernsten Eindruck gemacht. Von der Kajüte aus hörte ich, wie auf dem Deck geistliche Lieder gesungen wurden.

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    • Wolfg. G. Fischer
      Erfahrener Benutzer
      • 18.06.2007
      • 4928

      #77
      10. Nov. 1871

      Tagebuch:

      Da das Wetter günstig war, wurden die Kranken auf Deck gebracht, das Hospital ausgeräuchert und Chlorkalk gestreut.

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      • annike
        Erfahrener Benutzer
        • 06.03.2009
        • 329

        #78
        @wolf44
        Danke für diese tolle Empfehlung - das Buch ist einfach toll
        Liebe Grüße
        Annike

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        • Wolfg. G. Fischer
          Erfahrener Benutzer
          • 18.06.2007
          • 4928

          #79
          11. Nov. 1871

          Tagebuch:

          Freude und Trauer, Geburt und Tod waren heute im Hospital. Während eine Mutter mit weinenden Augen ihr sterbendes Kind auf dem Schoße hielt, wurde einem jungen Ehepaar ein Kind geschenkt. Der Kapitän glaubt nicht, dass es lange leben wird.

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          • Matthias Möser
            Erfahrener Benutzer
            • 14.08.2011
            • 2264

            #80
            Zitat von Wolfg. G. Fischer Beitrag anzeigen
            Tagebuch:

            Freude und Trauer, Geburt und Tod waren heute im Hospital. Während eine Mutter mit weinenden Augen ihr sterbendes Kind auf dem Schoße hielt, wurde einem jungen Ehepaar ein Kind geschenkt. Der Kapitän glaubt nicht, dass es lange leben wird.

            So eng liegen manchmal der TOD und das LEBEN beisammen.....

            Gruß
            Matthias
            Suche nach:
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            • Wolfg. G. Fischer
              Erfahrener Benutzer
              • 18.06.2007
              • 4928

              #81
              Sonntag, 12. Nov. 1871

              Tagebuch:

              Wegen des starken Windes konnte kein Gottesdienst auf Deck sein. Ich las deshalb im Zwischendeck eine Predigt vor, anschließend verteilte ich Bücher.

              Ein Mecklenburger sprach seine Verwunderung darüber aus, dass seine Uhr, die in der Heimat stets richtig ging, jetzt jeden Tag zurückbleibe. Heute zeige sie 11 Uhr, während es nach der Schiffsuhr schon 4 Uhr nachmittags sei.

              Ich versuchte, ihm Aufklärung darüber zu geben, aber er schüttelte den Kopf und sagte: "Das verstehe ich nicht, es wäre besser, die Uhren gingen hier wie in Mecklenburg!"

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              • renatehelene
                • 16.01.2010
                • 1983

                #82
                Hallo,

                recht hat er der Mecklemburger

                LG Renate

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                • Wolfg. G. Fischer
                  Erfahrener Benutzer
                  • 18.06.2007
                  • 4928

                  #83
                  13. Nov. 1871

                  Tagebuch:

                  Im Zwischendeck hat eine Frau ihrem Mann eine Weinflasche an den Kopf geworfen, weil er sich geweigert hatte, ihr Kind zu tragen.

                  Der Gedanke, bald am Ziel der Reise zu sein, beschäftigt alle Gemüter. Wo zwei Leute zusammenstehen, sprechen sie davon.

                  Schon mehrere Abende wird gesungen und die Handharmonika dazu gespielt. "Die Wacht am Rhein" wird immer aufs Neue angestimmt. Ich freue mich dessen, zumal das Tanzen darüber vergessen wird.

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                  • Wolfg. G. Fischer
                    Erfahrener Benutzer
                    • 18.06.2007
                    • 4928

                    #84
                    14. Nov. 1871

                    Tagebuch:

                    Den ganzen Tag hatten wir Sturm. Die Wellen schlugen über Bord. Alles, was nicht ganz fest steht, flog herum.

                    Während der heftigsten Schwankungen war ich im Hospital, in dem es furchtbar aussah. Kisten und Koffer, Wasserbehälter und Essigfass rollten und rumorten umher. Dabei jammerten die Kranken, denn sie dachten, das Schiff werde untergehen.

                    Im Zwischendeck sollen Leute aus den Betten gefallen und Kinder zwischen Kisten geraten sein.

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                    • Guter Nordwind
                      Erfahrener Benutzer
                      • 30.10.2012
                      • 1060

                      #85
                      Lieber Wolfgang,
                      vielen Dank für das Einstellen des Berichts! Wollte ich Dir schon lange sagen .
                      Das ist ein bisschen so wie diese Fortsetzungsromane, die es früher in den Tageszeitungen gab. Nur eben real, diesmal.
                      Wirst Du diese Einträge irgendwann in einem Stück veröffentlichen?

                      Gruß,
                      Katrin (die bei der Beschreibung des Wellenganges ein bisschen auf dem Stühlchen geschwankt hat)

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                      • Wolfg. G. Fischer
                        Erfahrener Benutzer
                        • 18.06.2007
                        • 4928

                        #86
                        15. Nov. 1871

                        Hallo Katrin,

                        besten Dank für die Anerkennung. Wo könnte ich den Text denn Deiner Meinung nach als Ganzes veröffentlichen?

                        LG Wolfgang




                        Tagebuch:

                        Der Sturm hält an. Es ist, als wollten die Wellen das Schiff begraben. Ein furchtbarer und großartiger Anblick ist es, wenn rings die Wellen wie Berge aufsteigen. Das Schiff fliegt wie ein Ball und taucht bald die Spitze, bald das Hinterteil tief in die Fluten des Meeres.

                        Ich war im Zwischendeck und versuchte, die erschrockenen und bangen Gemüter zu beruhigen.

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                        • Guter Nordwind
                          Erfahrener Benutzer
                          • 30.10.2012
                          • 1060

                          #87
                          Moin Wolfgang,

                          ich könnte mir vorstellen, dass die Ballinstadt vielleicht Interesse daran hätte?
                          Bei hohem Seegang unterwegs zu sein auf der See ist schon in der deutschen Bucht kein Spaß, auf einigermaßen modernen Schiffen, aber auf so einem alten Segler muss das noch mal viel schlimmer gewesen sein, vor allem, weil man ja nicht nach 3Std am Ziel angekommen ist.

                          LG,
                          Katrin

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                          • Wolfg. G. Fischer
                            Erfahrener Benutzer
                            • 18.06.2007
                            • 4928

                            #88
                            16. Nov. 1871

                            Hallo Katrin,

                            ja, das stimmt. Gute Idee.

                            LG Wolfgang




                            Tagebuch:

                            Der Wind hat sich gedreht, aber noch gehen die Wellen sehr hoch. Allmählich wagen sich die Passagiere wieder an Deck. Einige Kinder sind übel zugerichtet. Ein Knabe ist mit dem Gesicht auf die Kante einer Kiste geworfen worden und hat ein dickes Auge.

                            Abends sahen wir die Leuchtfeuer von Philadelphia. Der erste Gruß von der Neuen Welt.

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                            • Grapelli
                              Erfahrener Benutzer
                              • 12.04.2011
                              • 2223

                              #89
                              Hallo Wolfgang, danke für die interessanten Berichte. Es gibt wohl nur wenige Texte,
                              die einem so bewusst machen, in was für einer anderen Zeit wir heute doch leben. Sehr berührend!
                              Herzliche Grße
                              Grapelli

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                              • Matthias Möser
                                Erfahrener Benutzer
                                • 14.08.2011
                                • 2264

                                #90
                                Zitat von Grapelli Beitrag anzeigen
                                Hallo Wolfgang, danke für die interessanten Berichte. Es gibt wohl nur wenige Texte,
                                die einem so bewusst machen, in was für einer anderen Zeit wir heute doch leben. Sehr berührend!
                                Stimmt, und wenn man bedenkt, welche Strapazen diese Auswanderer auf sich nahmen, um ein neues Leben in der fremden Welt zu beginnen.....ich habe großen Respekt vor diesen Menschen Heute kann man ja an den letzten Winkel der Welt fliegen.....oder tippt den Weg ins Navi!

                                Gruß
                                Matthias
                                Suche nach:
                                Gernoth in Adelnau, Krotoschin, Sulmierschütz (Posen)
                                und Neumittelwalde/Kruppa (Schlesien)
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                                Burkhardt in Nieder-Peterswaldau (Schlesien)
                                Schmidt in Nesselwitz u. Wirschkowitz im Kreis Militsch (Schlesien)

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