Schmuck- und Kleidungsexperten gesucht

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  • Wanderer40
    Erfahrener Benutzer
    • 06.04.2014
    • 881

    [gelöst] Schmuck- und Kleidungsexperten gesucht

    Jahr, aus dem der Begriff stammt: 16. Jhdt.
    Region, aus der der Begriff stammt: Nordmähren


    Hallo,

    ich habe bei einem Hauskauf eines Verwandten [selig] folgenden Eintrag zu seinen Zahlungsverpflichtungen gefunden:

    Belangende aber die Kleinen Zwo schwestern, sol Keuffer Jeder geben 2 Röck
    von 3 Siegler Tuch, ein Mantel von 3 siegler Tuch, 1 Pelz von 3 Siegler
    Parchent, ein Tobinen Halßkoller mit Seyden Schnuren, Item Jeder ein…

    ich habe hierzu zwei Fragen:

    1. wie soll ich mir ein "Tobinen Halßkoller mit Seyden Schnuren" vorstellen?
    (die restlichen Begriffe sind mir klar, Anm.)

    2. kann man in etwa abschätzen, was die Schwestern da wertmäßig erhalten haben (in Gulden, Naturalien oder Euro) ? Ich habe zu Kleidung und Schmuck nämlich überhaupt keinen Bezug und Vorstellung.


    Vielen Dank im Voraus für eure Hilfe,


    LG
    Wanderer40
    Zuletzt geändert von Wanderer40; 04.01.2020, 22:51.
  • AKocur
    Erfahrener Benutzer
    • 28.05.2017
    • 1371

    #3
    Hallo,

    bei "Tobinen" musste ich nachschauen, es steht aber im Grimmschen Wörterbuch, Adjektiv zu Tobin bzw. Dobin.
    dobin tobin, schweres, gewässertes seidenzeug, aus dem franz. tabis, ital. tabi.
    Halßkoller = Koller, auch Goller, ist ab dem Ende des 15. Jh. ein separater breiter Schulterkragen mit Stehkragen am Hals, der das Dekolltee verhüllt und vorn geschlossen wurde.
    mit Seyden Schnuren = mit Seidenschnüren

    Am besten mal nach Gemälden schauen, die von Personen aus der Zeit und Gegend stammen, dann solltest du eine Idee bekommen, was da genau gemeint war, wie es hier ausgesehen haben könnte. Da gibt es viele Variationen von.

    Generell war Kleidung damals sehr viel teurer im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen als heute. In Geld umrechnen bringt da nicht wirklich viel. Um ungefähr eine Idee zu haben, wieviel sowas ganz grob gekostet hätte, stelle ich mir gerne die Frage, was es heute kosten würde, sich diese Kleidungsstücke maßfertigen zu lassen. Und zwar nicht mit Billigstoffen aus Asien.
    Es handelt sich auf jeden Fall um eine vollständige Ausstattung mit Oberbekleidung. 2 Röcke, ich nehme an einer für Alltags, einen für gut; einen Mantel und einen Pelz für den Winter (? da von Barchent, vllt doch nur ein Wintermantel?) und der Schmuckkragen. Ein Monatsgehalt würde bei den meisten dafür wohl nicht ausreichen.

    LG,
    Antje

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    • Anna Sara Weingart
      Erfahrener Benutzer
      • 23.10.2012
      • 15113

      #4
      Hallo,
      "Seidenzeug" war minderwertigere Seide. - Quelle: https://www.riha-journal.org/article.../epp-festumzug

      Wie gewässerte Seide ausschaut, kann man sehen, wenn man bei google-Bild-Suche "watered silk" eingibt.
      Auch bekannt unter dem Begriff "Moiré-Effekt"
      Angehängte Dateien
      Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 05.01.2020, 00:29.
      Viele Grüße

      Kommentar

      • Anna Sara Weingart
        Erfahrener Benutzer
        • 23.10.2012
        • 15113

        #5
        Woher das ital. Wort Tabi (wurde im Deutschen zu Tobin) herkommt, ist hier erklärt
        Answer (1 of 2): Tabby silk is one of the many varieties of cloth produced. It comes mainly from Kashmir. It's a plain silk cloth that has wave pattern. 'Tabby' originally referred to a kind of silk taffeta with an irregular wavy finish.


        Es stammt wohl vom Namen der Stadt Al-Attabiya (= Bagdad), wo diese wellenförmig aussehenden Seidenstoffe ursrünglich produziert wurden. (gewässerte Seide)
        Das würde Sinn machen, denn mit dem Fluss Tigris besaß die Stadt einen der wasserreichsten Ströme Vorderasiens.
        Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 05.01.2020, 00:43.
        Viele Grüße

        Kommentar

        • Anna Sara Weingart
          Erfahrener Benutzer
          • 23.10.2012
          • 15113

          #6
          Gewässerte Seide = Moiré


          Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 05.01.2020, 01:00.
          Viele Grüße

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          • Anna Sara Weingart
            Erfahrener Benutzer
            • 23.10.2012
            • 15113

            #7
            Zitat von Anna Sara Weingart Beitrag anzeigen
            ... "Seidenzeug" war minderwertigere Seide. - Quelle: https://www.riha-journal.org/article.../epp-festumzug
            Wobei die Begründung dieser These vom Autor, die dort genannt wird, mich nicht richtig überzeugt, ob man es wirklich als mindertwertiger bezeichnen sollte:
            Zitat:
            "Zeuch war gewebter Stoff aus unterschiedlichen Materialien, aber nicht veredelt, z.B. bei Schafswolle nicht gewalkt. Die Zeugweber waren den Tuchwebern nicht gleichgestellt, Johann Georg Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, Berlin 1773."
            Zuletzt geändert von Anna Sara Weingart; 05.01.2020, 02:08.
            Viele Grüße

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            • Wanderer40
              Erfahrener Benutzer
              • 06.04.2014
              • 881

              #8
              Hallo,

              Vielen Dank an alle für diese interessanten Beiträge, mit Mode kennt ihr euch offensichtlich besser aus als ich.
              Da lag ich ja komplett daneben, da ich immer von einem Collier ausgegangen bin, was sich ja ebenfalls vom lateinischen collare herleitet.
              Also kein Schmuck, sondern ein Kleidungsstück war das.

              Wir sprechen hier von einem Goller, nur halt nicht, wie hier abgebildet, aus Hermelin, sondern aus Doppeltaft mit seidenen Schnüren gefertigt.

              @Anna Sara: Vielen Dank für Dein "Moiré", welchen Begriff ich ebenfalls das erste mal in meinem Leben höre, bzw. mich damit auseinandersetze.

              @Antje: Ein maßgefertigtes Dirndl aus guten Stoff beginnt ab EUR 1 TSD aufwärts. Ich denke mir, dass wir hier in heutigem Geld sicherlich im 4-stelligen, wenn nicht sogar 5-stelligen Eurobereich liegen.

              Abschließend noch eine kleine Anekdote zu diesem Thema:

              Die eine der zwei kleinen Schwestern dürfte im späteren Leben auch sehr modebewusst gewesen sein. Diese hatte zeit ihres Lebens das ganze Geld ihres späteren Ehemanns für Schuhe ausgegeben und beim Schuster immer anschreiben lassen. Solange bis dieser die Schuld fällig stellte und der Ehemann die Summe im Gegenwert von damals 3 Pferden (!) begleichen hat müssen. Das Thema Frauen und Schuhe war damals offensichtlich nicht anders als heute.

              LG
              Wanderer40
              Zuletzt geändert von Wanderer40; 05.01.2020, 16:04.

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              • Verano
                Erfahrener Benutzer
                • 22.06.2016
                • 7819

                #9
                Hallo Wanderer,

                aus drei verschiedenen Ehe-Kontrakten SH, Ende 16. Jahrhundert, kann man sicher nicht genau mit Mähren vergleichen.
                Hier einige Textilien:


                ... des Erbes solle den beiden Deern …
                Jeder 20 mk. Lübsch an geldt Zur Kleidung,



                ein Perdt 5 Daler,
                ein bedde mit 2 laken, und einem höuetkußen
                sambt einer Wandes deken ein daler

                de elle wandes tho 2 ½ mk. Lubisch


                Wandes=Tuch, grober Wollstoff








                Zuletzt geändert von Verano; 05.01.2020, 13:38.
                Viele Grüße August

                Die Vergangenheit ist ein fremdes Land, dort gelten andere Regeln.

                Kommentar

                • Wanderer40
                  Erfahrener Benutzer
                  • 06.04.2014
                  • 881

                  #10
                  Hallo Verano,

                  Vielen Dank, das Preisverhältnis der Waren wird bei Dir im Verhältnis wahrscheinlich in etwa gleich gewesen sein.

                  Bei mir ist 1 Mährische Mark = 32 Dienstgroschen, den Dienstgroschen zu 7 Weißpfennig gerechnet.

                  ich rechne das dann so:

                  Eine Viehmagd hatte bei uns damals einen jährlichen Dienstlohn von rund 4 Mark, eine Köchin rund 5 Mark. Wenn ich jetzt grob annehme, dass 1 Groschen rund EUR 100 entspricht, dann käme ich für die Viehmagd auf EUR 12.800 und für die Köchin auf EUR 16.000 an Dienstlohn.

                  Das Pferd kostete bei uns damals rund 6 Mark = EUR 19.200
                  Die Schuhpreise von damals kenne ich...
                  1 Paar einfache Arbeitsstiefel rund 1 Mark = EUR 3.200
                  bessere Stiefel mit Knie 2 - 3 Mark
                  1 Paar Niederschuhe rund 10 Groschen = EUR 1.000
                  1 Paar Frauen-Niederschuhe rund 15 Groschen = EUR 1.500

                  wenn man Antjes Eingabe berücksichtigt, nämlich dass damals Kleidung im Verhältnis zum Einkommen sehr viel teurer war als heute, so könnte das über den Daumen gerechnet her stimmen.

                  Da jetzt nur 5 Kleidungsstücke und kein Schmuck zu rechnen sind, meine ich, dass man dafür dann sicherlich gesamt 2 - 4 Mark an Wert ansetzen könnte.

                  LG
                  Wanderer40
                  Zuletzt geändert von Wanderer40; 05.01.2020, 15:54.

                  Kommentar

                  • Verano
                    Erfahrener Benutzer
                    • 22.06.2016
                    • 7819

                    #11
                    Hallo Wanderer,
                    danke für die Aufstellung.

                    Ist ja interessant in alten Protokollen zu stöbern.

                    Ende 16. Jahrhundert, die Aussteuer betrug hier:
                    ... eine Ehestifftung geschen Alß Datt He midt
                    ehr tho Bruettschatte bekumptt 100 mk Lubb

                    Bei einer anderen Familie, selbe Zeit, 60 Mark.

                    Eine wohl besser gestellte Bauernfamilie:

                    Undt bekumbtt mit ehr tho Bruttschaz einhundertsechtzich mk Lubb
                    Welche 160 mk sollen auff
                    Kunftigen Michaelis Dises Jares erlecht Undt
                    bezaldt werden, Dartho Kisten Undt bette wie Landes gebruek …

                    An anderer Stelle, Wert Mitgift: vier Tonnen Bier und ein Ochse 8 Mark.
                    Viele Grüße August

                    Die Vergangenheit ist ein fremdes Land, dort gelten andere Regeln.

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                    • AKocur
                      Erfahrener Benutzer
                      • 28.05.2017
                      • 1371

                      #12
                      Hallo Wanderer40,

                      das klingt richtig für mich.

                      Mit den Preisen für maßgefertigte Dirndl kann man tatsächlich gut rechnen. Man muss nur bedenken, dass es damals weder künstliche Fasern noch Farben gab, alles also sozusagen mit Naturfarben gefärbter Bio-Stoff war. Also besser vom oberen Preisrahmen ausgehen damit das mitbedacht ist.
                      Hier also eher 4 Mark als 2, eventl. sogar etwas mehr. Ich kann leider nicht einschätzen, wieviel Arbeitszeit wohl in die 2 Mäntel und den Goller geflossen ist; je mehr, umso teuer, logischerweise.

                      Die Preise für Kleidung fielen seit der Industrialisierung immer mehr, zuerst durch neue Maschinen und Transportmöglichkeiten (Eisenbahn, Dampfschiff), dann auch durch die Erfindung künstliche Farben (2. Hälfte 19. Jh.) und künstliche Stoffe (ab 20. Jh.).

                      LG,
                      Antje

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                      • Wanderer40
                        Erfahrener Benutzer
                        • 06.04.2014
                        • 881

                        #13
                        Vielen Dank nochmals an alle Mode-Experten!

                        Das Thema scheint ja jetzt gelöst zu sein!

                        LG
                        Wanderer40

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