Kirchenfilialen - Was muss ich mir darunter vorstellen?

Einklappen
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge
  • Grisabel
    Erfahrener Benutzer
    • 31.01.2017
    • 245

    Kirchenfilialen - Was muss ich mir darunter vorstellen?

    Hallo zusammen,

    ich war ziemlich überrascht, als ich bei matricula feststellte, dass ich nicht noch länger auf Oberselters warten musste, sondern dass meine gesuchten Daten bereits zu finden waren, und zwar im Kirchenbuch von Bad Camberg.

    Mittlerweile weiß ich, dass die Kirchenbemeinde Oberselters zunächst als Kirchenfiliale zur Pfarrei Camberg gehörte, aber was ich mir genau darunter vorstellen muss wurde leider nicht gesagt. 1776 wurde die Kirche St Antonius in Oberselters errichtet.
    Quelle:https://bad-camberg.bistumlimburg.de...s-oberselters/

    Für Schwickershausen habe ich gelesen, dass die Taufen in Camberg sein mussten, auch an hohen Feiertagen wäre die Messe in Camberg zu besuchen. Die Begräbnisse jedoch fänden im Ort Schwickershausen statt. Zu Trauungen stand dort glaube ich nichts. Verhielt es sich in Oberselters wohl genauso? Heute gehören alle Orte zu Bad Camberg.

    Vielleicht hat das auch einen Einfluss auf den Abstand Geburt und Taufe gehabt, ich bin nämlich im Moment in der Zeit angekommen, in der nur noch die Taufe per Datum genannt wird. Ich frage mich nun auch, welchen Tag ich für die Geburt ansetzen soll. Den der Taufe, einen Tag vorher oder noch einen größeren Abstand?

    Vielleicht gibt es hier ja auch Forscher, die in dieser Region unterwegs sind.

    Danke fürs Lesen und Antworten.Liebe Grüße
    Petra
    LG Petra
  • pascho
    Erfahrener Benutzer
    • 16.06.2020
    • 242

    #2
    Filialkirchen sind ursprünglich "Tochterkirchen" bestehender Pfarrkirchen, d.h. Kirchen, die das Tauf- und Begräbnisrecht und einen ordentlich eingesetzten Pfarrer mit den entsprechenden Rechten und Vollmachten hatten. Filialkirchen wurden meistens gebaut, wenn in die Bevölkerung wuchs. Betreut und verwaltet wurde die Filiale aber von der Mutterpfarrei aus (wenn auch häufig mit eigenem Vikar/Geistlichen). War der Einzugsbereich der Filiale bzw. die Zahl der Gläubigen und die wirtschaftliche Position ausreichend, konnte eine Filiale selbst zur Pfarrei erhoben werden.


    Heute werden Pfarrkirchen häufig (hängt von den Plänen des jeweiligen Bistums ab) zu Filialkrichen, wenn Pfarreien zusammengelegt werden.
    Viele Grüße Pascal

    Kommentar

    • Grisabel
      Erfahrener Benutzer
      • 31.01.2017
      • 245

      #3
      Danke Pascal!
      Also war das eher so, dass dort ein Vikar (o.ä.) eingesetzt wurde, und nicht der jeweilige Pfarrer immer vorbeigekommen ist. In letzterem Fall würde ich eher nur Beerdigungen vor Ort annehmen, in ersterem auch Taufen. Und der Abstand zwischen Geburt und Taufe kürzer.


      Wie sah es denn mit Trauungen aus? Fanden die in jedem Fall in der Hauptkirche statt? Oder immer in der Filialkirche?
      LG Petra

      Kommentar

      • pascho
        Erfahrener Benutzer
        • 16.06.2020
        • 242

        #4
        Das wird von der Größe der Pfarrei, der Länge der Wege, der Anzahl der verfügbaren Geistlichen, dem Wohlstand der Pfarrei, etc. abgehangen haben.


        Grundsätzlich standen alle Amtshandlungen (Taufen, Trauungen, Beerdigungen) dem Pfarrer zu, an den auch die Stolgebühren - zumindest anteilig - flossen.



        Der Vikar handelt - zumindest formal - immer als Stellvertreter des Pfarrers. Ob eine Filialkirche einen festen Vikar hat, der als Quasi-Pfarrer agiert oder die Geistlichen über die verschiedenen Kirchen und Kapellen der Pfarrei rotierten, war eine Frage der Tradition und der beteiligten Charaktere.


        Beispiel: Zu der Pfarrei aus der meine Familie stammt gehörte über Jahrhunderte eine Filialkirche, die aber spätestens seit dem 30jährigen Krieg von einem Vikar fest betreut wurde, eine eigene Buchführung hatte, einen eigenen Friedhof und deren Angehörige weder für Taufe noch Trauung noch Beerdigung zur Mutterkirche mussten. Diese Filialkirche wurde dann irgendwann später zur eigenen Pfarrei erhoben. Heute sind beide Kirchen Filialen der neuen Großpfarrei.


        Aber ich kenne auch Beispiele für Pfarren in denen alle Kasualien in den Büchern der Mutterpfarrei notiert und die Vikare nach Bedarf eingesetzt wurden.
        Viele Grüße Pascal

        Kommentar

        • Grisabel
          Erfahrener Benutzer
          • 31.01.2017
          • 245

          #5
          Danke nochmals Pascal.
          Notiert wurde in den Büchern von Camberg. Aber ob die Taufe, die Trauung oder das Begräbnis nun in Camberg, oder in der Filialkirche stattfanden kann ich aus den Unterlagen nicht herauslesen. Vielleicht steht der Buchstabe ganz zu Beginn für genau das, aber ich habe dazu bisher keine Erläuterung gefunden und kann es nur vermuten. Warum sonst sollte ein Ort eine Kirche haben, wenn dort nichts stattfand ausser vielleicht den Gebeten der Ortseinwohner?
          LG Petra

          Kommentar

          • pascho
            Erfahrener Benutzer
            • 16.06.2020
            • 242

            #6
            Zitat von Grisabel Beitrag anzeigen
            Warum sonst sollte ein Ort eine Kirche haben, wenn dort nichts stattfand ausser vielleicht den Gebeten der Ortseinwohner?
            Als Katholik finde ich das schon gar nicht so wenig. Der sonntägliche Gottesdienst bzw. die sonntägliche Messe waren für die Altvorderen schon wichtig genug - gerade, wenn die Mutterkirche weiter weg war.



            Um die Rolle von St. Antonius genauer zu beleuchten, hätte ich ein paar Anregungen, mit denen man dem vielleicht etwas näher kommt:


            Gibt es eine Chronik in der z.B. die Aufstellung eines Taufbeckens oder die Anschaffung einer Taufschale/-kanne für St. Antonius als Neuerung beschrieben wird?



            Gibt es Informationen, wann ein eigener Friedhof angelegt wurde?


            Gibt es eine Ortschronik, in der das Verhältnis von Mutterkirche und Filiale skizziert wird?


            Werden die Kasualien der Familien von Oberselters immer von demselben Geistlichen vorgenommen (zumindest die Taufen und Eheschließungen)? Dazu passt auch, ob in den Büchern von Camberg immer nur ein Schreiber die Eintragungen vorgenommen hat, oder ob es unterschiedliche Schriften gibt?
            Viele Grüße Pascal

            Kommentar

            • Grisabel
              Erfahrener Benutzer
              • 31.01.2017
              • 245

              #7
              Hallo Pascal,
              mit Gebet meinte ich auch tatsächlich nur Gebete. Weder Messen noch die Abnahme der Beichte. Eine Messe ist ja mehr als nur ein Gebet.
              Was war "damals" weiter weg. Meine Großeltern sind in Ostpreußen mal eben nachts über eine Stunde zum Arzt gelaufen. Und zeitlich dürften Oberselters und Camberg genauso weit auseinander liegen. War das weit? War das nah? Und welche Möglichkeiten der Fortbewegung ausser laufen hatten die jeweiligen Einwohner?



              Danke für deine Anregungen. Manchmal kommt man eben nicht auf die einfachsten Dinge.
              LG Petra

              Kommentar

              • Andre_J
                Erfahrener Benutzer
                • 20.06.2019
                • 1908

                #8
                Zitat von Grisabel Beitrag anzeigen
                Und welche Möglichkeiten der Fortbewegung ausser laufen hatten die jeweiligen Einwohner?
                Das Rad ist schon vor einiger Zeit erfunden worden. Wenn zahlreiche Dorfbewohner ins entfernte Kirchdorf mussten, hat man eventuell ein oder mehrere Pferdefuhrwerke organisiert.

                Die Stellung einer Filialkirche war in erster Linie eine Frage des Geldes: was dem Pfarrer entging, und dem Dorfgeistlichen (Vikar) zukam. Wenn die Filiale zu umfangreich wurde, war der Pfarrer eventuell auch froh, wenn er nicht mehr dorthin musste.

                Natürlich kam es auch vor, daß Kirchen zu Filialen degradiert wurden, wenn die Finanzierung durch adlige Stiftungen wegbrach, und bei Einwohnerschwund infolge Kriegswirren oder Unwetterschäden.
                Gruß,
                Andre

                Kommentar

                • pascho
                  Erfahrener Benutzer
                  • 16.06.2020
                  • 242

                  #9
                  In vielen Fällen ging auch nicht der ganze Haushalt jeden Sonntag nach der Kirchen sondern oft nur ein oder zwei "Stellvertreter".


                  Was als "weit" empfunden wird, dürfte geschwankt haben. Rheinische Pfarreien (Köln-Bonner-Bucht) z.B. sind in der Regel flächenmäßig eher klein - selbst, wenn zu einem Kirchspiel mehrere Siedlungsplätze gehörten, waren es wohl nur selten mehr als 2 km zu Fuß.



                  Meine Vorfahren in Hessen dagegen, mussten von Weilers zur Kirche nach Wächtersbach rund 5,5 km zurücklegen.



                  In Österreich sind mir noch sehr viel weitere Entfernungen begegnet. In Gebieten mit ausgesprochener Einzelhofsiedlung (Münsterland, Friesland, Schwarzwald, etc.) ist das ja auch unvermeidlich. In Österreich wurde mit der josephinischen Kirchenreform festgelegt, daß jedes Gemeindemitglied nur 1 Stunde Weg zur Kirche hat (und für je 700 Seelen sollte eine Kirche zur Verfügung stehen). Ob das so umgesetzt wurde, weiß ich allerdings nicht.
                  Viele Grüße Pascal

                  Kommentar

                  • Grisabel
                    Erfahrener Benutzer
                    • 31.01.2017
                    • 245

                    #10
                    Danke euch beiden. Natürlich ist mir bekannt, dass das Rad vorher erfunden wurde. Meine Vorfahren aus Oberselters waren sicher nicht so begütert dass sie ein Pferd besessen haben. Dorf heißt ja nicht zwangsläufig Land- und Tierbesitzer bzw. nutzer.

                    Mittlerweile habe ich auch Auskunft vom Stadtarchiv Bad Camberg bekommen:
                    In der fraglichen Zeit wurden Eheschließungen, Taufen und Todesfälle aller Filialen, auch der Oberselterser, in der Pfarrkirche in Camberg vorgenommen und im Kirchenbuch verzeichnet. Zur Filiale St. Antonius gibt es keine eigene Veröffentlichung.
                    LG Petra

                    Kommentar

                    • sternap
                      Erfahrener Benutzer
                      • 25.04.2011
                      • 4072

                      #11
                      Zitat von Grisabel Beitrag anzeigen
                      War das nah? Und welche Möglichkeiten der Fortbewegung ausser laufen hatten die jeweiligen Einwohner?
                      eine fortbewegungsmöglichkeit war, nur den schall reisen zu lassen.

                      zur verständigung über dorfgrenzen hinweg gab es in bergiger gegend das jodeln, sonst das läuten der fressglocke in einem alarmmodus, trompeten, schiffshorn, gewehrschüsse, totenglocken, lawinenglocken, u.v.a.m.


                      wer keine pferde besaß, konnte vielleicht ochsen vorspannen, ärmere leute schickten kinder auf hundegespannen mit botschaften los.


                      kapellen mit kleiner einrichtung waren immerhin treue geldbringer, zumal dort die teuer gekauften geweihten kerzen aufgestellt wurden.
                      letztlich war es eine reviermarkierung. die gefahr, dass wandermönche begeisterung für andere katholische orden, somit für fremde grundherren, wecken könnten, war in unterversorgten gegenden immer gegeben.
                      es ging folglich um strikte kundenbindung.

                      tägliche gebete in kapellen, gottesdienste in kleinen kirchen, messen ohne ansprache zum volk, große messfeiern samt donnerpredigt in pfarreien, boten unterschiedliche nähe zu gott.


                      die kapellen und kirchen konnten zudem durch ihre glockenaufrufe zum gebet den menschen eine zeitliche orientierung geben, allein deshalb war es günstig, flächendeckend kirchliche gebäude zu haben.
                      freundliche grüße
                      sternap
                      ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
                      wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




                      Kommentar

                      Lädt...
                      X