Nicht nur die Henker gesellen sich genealogisch zu Ihresgleichen...

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  • Friedrich
    Moderator
    • 02.12.2007
    • 11325

    Nicht nur die Henker gesellen sich genealogisch zu Ihresgleichen...

    Moin zusammen,


    ich habe beim Durchsehen meiner pdfs aus dem KB Rhoden in Waldeck einen Heiratseintrag vom 21. Juni 1656 gefunden, der wie folgt lautet:

    Am 21. Eiusd. Herman Leprosus, cum Anna, qua et ipsa lepra infecta


    Da scheinen sich also zwei Betroffene miteinander verbunden zu haben. Ich denke, dass das für beide hilfreich war, aber ich wusste bisher nicht, dass es solche Ehen gabe. Wie lief das technisch ab? Doch bestimmt nicht in der Kirche.


    Friedrich
    "Bärgaf gait lichte, bärgop gait richte."
    (Friedrich Wilhelm Grimme, Sauerländer Mundartdichter)
  • assi.d
    Erfahrener Benutzer
    • 15.11.2008
    • 2680

    #2
    Ich wußte gar nicht, dass es hier die Lepra gab.... habe immer gedacht nur im Orient oder in Afrika.

    wieder was gelernt

    Astrid

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    • Bergkellner
      Erfahrener Benutzer
      • 15.09.2017
      • 2351

      #3
      Auch in Europa war die Lepra im Mittelalter weit verbreitet - unter dem Namen "Aussatz".
      Und die Aussätzigen lebten ausserhalb der Gesellschaft der Gesunden, aber nicht ohne Gemeinschaft.

      Bei vielen Orten gab es spezielle Siechenhäuser für sie, mit eigener Kapelle und eigenem Friedhof.
      Und es wurde auch geheiratet - denn in den Siechenhäusern wurden die Kranken von Mönchen betreut, sowohl körperlich als auch geistig...

      Hier ein erhaltenes Beispiel wikipedia - St.Jost(Trier)

      Lg, Claudia
      Wollt' ich für Arschlöcher bequem sein, wäre ich ein Stuhl geworden.(Saltatio Mortis, Keiner von Millionen)


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      • AKocur
        Erfahrener Benutzer
        • 28.05.2017
        • 1371

        #4
        Hallo,

        ich hätte da was dazu Passendes. Im ältesten KB von Wulfen(Westf.) finden sich die zwei folgenden Taufeinträge:

        1649: 26 novem. Margareta N. filia nat. nostri leprosi et legitima coniuge et Spri. Melhioris Joannis et Margareta Althuß
        1651: 3. Sept. Joannes filius naal. et legit. leprosi. Spirit. Joannis in Erwick et Elizabetha Kottendorp

        Eine Eheschließung der leprakranken Eltern(paare?) ist nicht verzeichnet, könnte aber gut vor die KB Zeit fallen (da das erst 1649 beginnt). Bis zu deinem Eintrag hier hatte ich angenommen, die Eltern der Kinder wären halt nach der Eheschließung krank geworden, aber anscheinend kann es durchaus anders sein. Was aus den Kindern wurde ist bisher nicht bekannt (ich hab aber auch noch nicht speziell gesucht).

        Die überlieferten Verhaltenregeln (mit Strafen wie Ausstoß aus dem Lepriosum bei erwiesenem Koitus, etc.) für die verschiedenen Lepriosien sind ja aus dem Mittelalter, unsere Daten aber aus der frühen Neuzeit, nach der Reformation. Ob das möglicherweise zusammenhängen könnte? Meine beiden Taufen stammen zumindest aus der calvinistischen Zeit der Gemeinde.

        Interessant finde ich ja auch, dass anscheinend der Nachname flöten ging, wenn man an Lepra erkrankte.

        LG,
        Antje

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        • Bergkellner
          Erfahrener Benutzer
          • 15.09.2017
          • 2351

          #5
          Zitat von AKocur Beitrag anzeigen
          Die überlieferten Verhaltenregeln (mit Strafen wie Ausstoß aus dem Lepriosum bei erwiesenem Koitus, etc.) für die verschiedenen Lepriosien sind ja aus dem Mittelalter, unsere Daten aber aus der frühen Neuzeit, nach der Reformation. Ob das möglicherweise zusammenhängen könnte? Meine beiden Taufen stammen zumindest aus der calvinistischen Zeit der Gemeinde.

          LG,
          Antje
          Hallo Antje,

          offensichtlich richtet sich das auch nach der Region. Vermutlich durfte da jedes Bistum o.ä. selbst entscheiden.
          Ich vermute, mit den Regeln wollte man u.a. verhindern, dass in den Leprosien Kinder zur Welt kamen, um die man sich - nach dem Tod der Eltern - hätte kümmern müssen, da sie länger als ihre Eltern gelebt hätten.

          Lg, Claudia
          Wollt' ich für Arschlöcher bequem sein, wäre ich ein Stuhl geworden.(Saltatio Mortis, Keiner von Millionen)


          Kommentar

          • assi.d
            Erfahrener Benutzer
            • 15.11.2008
            • 2680

            #6
            Bei vielen Orten gab es spezielle Siechenhäuser
            Das habe ich nur in Äthiopien und im Jemen gesehen. Wobei "Haus" sehr übertrieben ist: es war wenig mehr als eine große Hundehütte....

            Habe in Äthiopien auch einmal einen Mann mit Elefantiasis gesehen. Das will auch kein Mensch haben.

            Gruß
            Astrid

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            • AKocur
              Erfahrener Benutzer
              • 28.05.2017
              • 1371

              #7
              Zitat von Bergkellner Beitrag anzeigen
              offensichtlich richtet sich das auch nach der Region. Vermutlich durfte da jedes Bistum o.ä. selbst entscheiden.
              Wenn ich das richtig verstanden habe, waren die Regel von Leprosium zu Leprosium schon unterschiedlich. Also jeder für sich. Waren ja auch im Prinzip fast sowas wie heute ein Privatkrankenhaus (nur halt ohne wirkliche KH-Behandlung )

              Was nur wirklich immer in den verschiedenen Vorschriften dringestanden hat, war die Verpflichtung an der Messe teilzunehmen. Nur, ne Kirche betreten, wo die normalen Gläubigen waren, ging ja nicht und war ja der Grund, warum die Leprosien (wenn groß genug, also meist städtisch) idR eine eigene Kapelle hatten. Wo das Leprosium zu klein war für eine eigene Kapelle, hat man sich wohl entweder mit einem Kapellraum im Siechenhaus beholfen oder mit einem Hagioskop.
              Ob man jetzt durch ein Hagioskop hinweg eine Trauung vollzogen hätte, weiß ich nicht, aber in der eigenen Kapelle oder Kapellraum sollte das ja kein Problem gewesen sein.

              Ich habe auch noch eine Dissertation gefunden, in der folgendes zur prinzipiellen Ehefähigkeit der Leprakranken steht:
              Nach einhelliger Auffassung spätmittelalterlicher Kirchenrechtslehrer bedeuteten Geistesschwächen eine mangelhafte oder fehlende Voraussetzung für den Ehekonsens. Die Kriterien des Vernunftgebrauchs verbunden mit der Fähigkeit, dem Vernunftwillen verständlichen Ausdruck zu verleihen, markieren hier eine fundamentale Scheidelinie zum Eherecht der Leprakranken: insofern nämlich deren intellektuelle Leistungsfähigkeit von den Krankheitsprozessen unbeeinträchtigt blieb, waren die organischen Voraussetzungen für eine Einwilligung in die Eheschließung gewahrt, so dass die Kirche keinen Widerspruch gegen Heiratswünsche der Leprosen erhob.

              Eher im Nebensatz bestätigte schließlich Papst Alexander III. (1159-1181) im 12. Jahrhundert den Leprosen offiziell das individuelle Recht, eine Ehe einzugehen, in dem an den Bischof von Bayeux gerichteten Dekretale ‚Quoniam ex multis’ (X IV.8.2 = JL 13773), welches durch seine Aufnahme in die päpstlich autorisierte Kirchenrechtssammlung des ‚Liber Extra‘ von 1234 dauerhafte und höchste kirchliche Legitimation erhalten sollte. (S. 239f.)

              Quelle Antje Schelberg: Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft. 2001 (via de.Wikipedia:Leprosium)
              Und noch für Astrid und jeden anderen interessierten:
              Es gibt im ehemaligen Münsteraner Leprosium ein Lepramuseum. Hier ist die sehr inforative Internetseite mit vielen Infos allgemein zu Lepra (allgmein) und Leprosien in Deutschland.

              LG,
              Antje

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