Identität und Zugehörigkeitsgefühl der Deutschen in der Vergangenheit

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  • Skandinavierin
    Benutzer
    • 07.01.2019
    • 45

    Identität und Zugehörigkeitsgefühl der Deutschen in der Vergangenheit

    Hallo,

    ich stelle mir derzeit die Frage nach der Identität der Deutschen in der Vergangenheit.

    Ich würde behaupten, die Identität eines Bundesstaates ("Ich bin Deutscher") wiegt heutzutage meistens stärker als eine regionale Identität ("Ich bin Schleswig-Holsteinerin" oder "Ich bin Niedersachse"), wenn man zum Beispiel im Ausland nach seiner Herkunft gefragt wird. Das hat ja unter anderem damit zu tun, dass die Landesgrenze "stärker" ist als die Grenzen von Bundesländern, zudem wird innerhalb eines Landes meistens eine gemeinsame Sprache gesprochen, es werden gemeinsame Medien genutzt, es gelten gemeinsame Gesetze usw., nicht zu vergessen das Zusammengehörigkeitsgefühl bei internationalen Wettbewerben wie der Fußball-WM (es gibt ja beispielsweise keinen Wettbewerb, bei denen die 16 Bundesländer gegeneinander antreten).

    Nun frage ich mich, wie die Identität im Falle der Deutschen in der Vergangenheit aussah.

    Ich könnte mir vorstellen, dass die Deutschen nach der Reichsgründung 1871 eine gemeinsame Identität angenommen haben (Bitte um Korrektur, wenn ich falschliege). Aber wie sah es vorher aus?
    Ist der Deutsche Bund als Staatenbund mit der heutigen EU vergleichbar? Haben sich die Menschen damals als Angehörige des Königreichs Hannover/Preußen/Bayern usw. bezeichnet oder eher als Mitglieder eines „gemeinsamen“ Deutschen Bundes? Ich würde auf ersteres tippen, wobei der Deutsche Bund laut Wikipedia auch schon „bundesstaatliche Züge“ hatte. Wie war es im Rheinbund?

    Der Norddeutsche Bund war ja eigentlich auch bereits eine Art Bundesstaat. Wie sah es hier aus?

    Preußen existierte bis nach dem Zweiten Weltkrieg: Hätten die Menschen im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik eher von sich behauptet, sie seien Deutsche oder Preußen?

    Vermutlich sind diese Fragen gar nicht so eindeutig zu beantworten und ich könnte mir vorstellen, dass das Thema viel Freiraum zum Philosophieren und Diskutieren bietet.

    Ich freue mich über Beiträge.

    Viele Grüße
    Skandinavierin
    Zuletzt ge?ndert von Skandinavierin; 16.08.2019, 12:00.
  • Anna Sara Weingart
    Erfahrener Benutzer
    • 23.10.2012
    • 15111

    #2
    Hallo,
    die Identität ergab sich aus der Muttersprache. Wer deutsch sprach war Deutscher. "Teutschland" war das Gebiet, wo deutsch die alleinige Hauptsprache war. Wobei später die Eidgenossenschaft aus dem Deutschen Reich ausschied und als selbständige "Schweitz" nicht mehr zu Teutschland gerechnet wurde. Zitat:
    "Heut zu Tage grentzet Teutschland gegen Abend an Franckreich, Hochburgund, Lothringen, und die Vereinigten Niederlande, gegen Mitternacht an die Nort-See, Schleßwich, und die Ost-See, gegen Morgen an Preußen, Pohlen, Ungarn und Sclavonien, gegen Mittag aber, an des Adriatischen Meer, Italien und die Schweitz." (1745)

    Neben der Sprache, war die Zugehörigkeit zur Religion identitätsstiftend. Wer nicht Christ war, gehörte nicht dazu. Später kam es noch zur Unterscheidung zwischen Katholiken und Protestanten, und dabei noch zwischen Lutheranern, Reformierten, Calvinisten etc.

    Neben der deutschen Identität gab es im Reich Bestrebungen regionale Machtbereiche zu schaffen und die Bevölkerung dazu zu missbrauchen regionale Hegemonie auszubauen. Während im Mittelalter noch Ritter- und Söldnerheere gegeneinander antraten, um die Machtfantasien der Herrscher zu befriedigen, wurde später eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt, wodurch dann in den regionalen Machtkonflikten das ganze Volk beteiligt war, und es zum Aufeindertreffen "regionaler Volksmassen" kam: Sachsen gegen Preußen, Preußen gegen Bayern, Bayern gegen Österreicher, Württemberger gegen Österreicher, Lothringer gegen Badener usw.

    Dadurch zerfiel das deutsche Reich in die Struktur, die wir heute haben: Bundesländer mit ihren eigenen Hauptstädten in denen "Landesfürsten" mit ihrem eigenen teuren Hofstaat sitzen.
    Zuletzt ge?ndert von Anna Sara Weingart; 16.08.2019, 12:47.
    Viele Grüße

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    • Basil
      Erfahrener Benutzer
      • 16.06.2015
      • 2414

      #3
      Hallo,

      Zitat von Anna Sara Weingart Beitrag anzeigen
      Dadurch zerfiel das deutsche Reich in die Struktur, die wir heute haben: Bundesländer mit ihren eigenen Hauptstädten in denen "Landesfürsten" mit ihrem eigenen teuren Hofstaat sitzen.
      Das deutsche Reich zerfiel in Bundesländer? Und die Schweiz gehörte mal zum Deutschen Reich? So langsam frage ich mich, welches Geschichtsbuch du eigentlich liest, Anna Sara Weingart.

      Schon das Ostfränkische Reich war ein Staatenbund, ein Zusammenschluss germanischer Stämme, den Stammesherzogtümern. Das Heilige Römische Reich, Rheinbund, Deutscher Bund, Norddeutscher Bund und das Deutsche Reich von 1871 waren Nachfolger Ostfrankens, natürlich in veränderter Zusammensetzung, aber immer nach dem Prinzip eines Staatenbundes. Und die Landesfürsten gab es auch schon immer, nicht erst in der Bundesrepublik. Allen voran die Kurfürsten, von denen einige später Könige wurden. Und der Kaiser war der Vorstandsvorsitzende. Der heutige Bundesstaat BRD ist das Ergebnis der Vereinigung der deutschen Staaten und nicht des Zerfalls wegen deren Auseinandersetzungen untereinander, wie du es darstellst.



      Viele Grüße
      ein Hamburger
      Zimmer: Oberlausitz und Dresden; Stephanus: Zittau, Altenburg und Ronneburg
      Raum Zittau: Heidrich, Rudolph
      Erzgebirge: Uhlmann, Lieberwirth, Gläser, Herrmann
      Burgenlandkreis: Wachtler, Landmann, Schrön


      Kommentar

      • Anna Sara Weingart
        Erfahrener Benutzer
        • 23.10.2012
        • 15111

        #4
        Hallo Du "Hamburger", vielleicht einfach mal nachlesen:

        "Die Schweiz im Mittelalter: ... Alamannien blieb hingegen als Stammesherzogtum Schwaben im späteren Heiligen Römischen Reich deutscher Nation integriert." -- https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Sc...im_Mittelalter
        Viele Grüße

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        • Anna Sara Weingart
          Erfahrener Benutzer
          • 23.10.2012
          • 15111

          #5
          Zitat von Basil Beitrag anzeigen
          ... Schon das Ostfränkische Reich war ein Staatenbund, ein Zusammenschluss germanischer Stämme, den Stammesherzogtümern ....
          Das ist nicht ganz richtig. Es war ein Königreich, und nicht mit einem Staatenbund zu vergleichen. Die "Stammesherzöge" waren oftmals als Verwandte und Freunde vom König eingesetzt, dazu Zitat: "Im Jahr 817 übergab König Ludwig der Fromme seinem Sohn Ludwig II. dem Deutschen ... das bairische Stammesherzogtum"

          Es war also ein Franke, der als Sohn des Königs, in Bayern eingesetzt wurde. Das war also eine Herrschaft "von oben". Nicht zu vergleichen mit den späteren, und heutigen, föderalen Strukturen.
          Zuletzt ge?ndert von Anna Sara Weingart; 16.08.2019, 15:20.
          Viele Grüße

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          • Juergen
            Erfahrener Benutzer
            • 18.01.2007
            • 6041

            #6
            Ich könnte mir vorstellen, dass die Deutschen nach der Reichsgründung 1871 eine gemeinsame Identität angenommen haben (Bitte um Korrektur, wenn ich falschliege).
            Wenn man die östlichen preußischen Provinzen, wie Posen und Schlesien ect. betrachtet,
            waren deren Bewohner ab 1871 alle Deutsche Reichs-Bürger (ausser Ausländer).

            Ob die sich aber alle so die katholischen ethnischen Polen als Deutsche fühlten,
            kann man anzweifeln.

            Schließlich gab es immer auch Unabhängigkeitsbestrebungen so ua. der Polen.
            Die lange Fremdherrschaft des mehrmals geteilten Polen, wird bei den Polen nicht beliebt
            gewesen sein.

            Ansonsten hatte z.B. die Ethnischen Polen in z.B. Posen als Deutsche bessere Arbeitsmöglichkeiten im DR. Viele sind ja in den Pott gezogen.

            Deren Nachfahren sehen sich sicher als "echte Deutsche" mit polnischen FN und "Wurzeln".
            Manche haben gar ihre polnischen FN abgelegt bzw. eindeutschen lassen.

            Wahrscheinlich, schließt aber deine Frage, jene Deutsche aus.

            Gruß Juergen
            Zuletzt ge?ndert von Juergen; 16.08.2019, 15:53.

            Kommentar

            • Basil
              Erfahrener Benutzer
              • 16.06.2015
              • 2414

              #7
              @ Anna Sara Weingart

              Heiliges Römisches Reich deutscher Nation ≠ Deutsches Reich

              Das Deutsche Reich wurde 1871 gegründet und die Schweiz gehörte nie dazu. Das muss ich nicht erst nachlesen.
              Wenn du das HRR meinst, dann schreib das bitte auch!

              Königreich und Staatenbund schließen sich nicht aus. Das Deutsche Kaiserreich war auch ein Staatenbund, wurde doch die Verfassung des Norddeutschen Bundes übernommen. Der Kaiser war eigentlich ein Bundespräsident. Nicht vergleichen kann man dagegen die Königreiche West- und Ostfranken bzw. die späteren Frankreich und HRR. Frankreich ist noch heute ein Zentralstaat.

              Im Jahre 911 wählten die Stammesherzöge den ersten Nicht-Karolinger zum König. Ab 1356 regelte die Goldene Bulle die Wahl der römisch-deutschen Könige und Kaiser durch die Kurfürsten. Die Herrschaft "von oben" sehe ich eher in einem Zentralstaat wie Frankreich. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika nahmen sich das HRR zum Vorbild - Stichwort Staatenbund.

              Basil
              Zimmer: Oberlausitz und Dresden; Stephanus: Zittau, Altenburg und Ronneburg
              Raum Zittau: Heidrich, Rudolph
              Erzgebirge: Uhlmann, Lieberwirth, Gläser, Herrmann
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              • Anna Sara Weingart
                Erfahrener Benutzer
                • 23.10.2012
                • 15111

                #8
                Zitat von Basil Beitrag anzeigen
                ... Wenn du das HRR meinst, dann schreib das bitte auch! ...
                Warum denn.

                Zitat: "Der Ausdruck Deutsches Reich wird gelegentlich auch gebraucht, um das mit dem deutschen Sprachraum nicht übereinstimmende Heilige Römische Reich (962–1806) zu bezeichnen."

                Jetzt weißt Du es auch.

                1790 geschrieben:
                Angehängte Dateien
                Zuletzt ge?ndert von Anna Sara Weingart; 16.08.2019, 16:15.
                Viele Grüße

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                • Juergen
                  Erfahrener Benutzer
                  • 18.01.2007
                  • 6041

                  #9
                  Das jetzt ein Disskussion zwischen Euch beiden geworden, die den Fragenden wohl
                  nicht so interessiert, vermute ich.

                  Ich denke meine Vorfahren aus den ehemaligen preussichen Ostgebieten,
                  haben sich als Preußen in Pommern, Posen ec. gefühlt, wenn überhaupt über sowas nachgedacht wurde. Deutsche waren sie, keine ethnischen Polen ect.

                  Den mehrheitlichen Bayern wird die Reichsgründung vielleicht nicht so gefallen haben,
                  zusammen mit dem Preußen.

                  Manche Generation, wird nicht mal gewußt haben, wo deren Vorfahren einst
                  herstammten.

                  Es gab ja dann auch Wahlen, mit den verschiedensten Parteien, Deutsch National ect.
                  Wen meine Vorfahren wählten weiß ich nicht.
                  Die Wahergebnisse und die Programme der Parteien, lassen ja auch einiges ableiten, über die Denke der damaligen Wähler.

                  Juergen
                  Zuletzt ge?ndert von Juergen; 16.08.2019, 17:23.

                  Kommentar

                  • Dunkelgraf

                    #10
                    Nach meinem Geschichtsverständnis kam so etwas wie Nationalbewußtsein in dem sogenannten Vormärz auf, was dann auch zu der "Deutschen Revolution " von 1848 führte und schließlich 1871 in der Deutschen Reichsgründung gipfelte. Aus dieser Zeit stammen die Farben der Deutschland Fahne (von einer Studentenverbindung) und der Text der Nationalhymne.
                    Vorher denke ich, dachte man weniger in Nationalitäten, sondern vielmehr in Schichten. Sagen wir mal salopp so, viele Könige oder Herzöge, war es Wurscht ob sie König von Bayern oder von Griechenland waren, Hauptsache König. Viele Handelsmänner bzw Kaufleute war es egal ob sie ihren Handel in Nürnberg, Hamburg oder in Amsterdam betrieben, Hauptsache sie gehörten zum angesehnen Bürgertum und hatten Einfluß im Rat. Ähnlich dürften es die Handwerker gesehen haben.

                    Da die Sprachbarrieren früher noch weitaus engere Grenzen hatten, wird so etwas wie ein Deutscher Nationalgedanke eher schwer aufgekommen sein.
                    So gesehen fühlte man sich als Kurhesse, Altmärker oder Oberfranke eher als Deutscher.
                    Kommt aber auch immer auf das Gegenüber an. Einem Engländer gegenüber würde ich wohl zugeben, dass ich Deutscher bin, einem Ostfriesen gegenüber würde ich darauf bestehen, dass ich ein Bayer bin und einem Niederbayern würde entgegenschleudern, dass Ich Franke bin, und ein Mittelfranke muss sich damit zufrieden geben, dass ich ihm sage, ich sei Oberfranke, wohingegen ein Bamberger zu hören bekommt, dass Ich evangelischer Coburger bin und den Coburger Residenzlern wiederum, sage ich, dass ich bloss nicht für einen Neustadter Hundsfresser gehalten werden möchte, alles andere ist mir wurscht.
                    Zuletzt ge?ndert von Gast; 16.08.2019, 23:01.

                    Kommentar

                    • gustl
                      Erfahrener Benutzer
                      • 25.08.2010
                      • 676

                      #11
                      Hallo Dunkelgraf und Skandinavierin,

                      ich habe lange genug in Mittelfranken gelebt, um Dich, Dunkelgraf, zu verstehen; als geborene Berlinerin war es mir gelegentlich, wenn Ihr dann so richtig losgelegt habt, einfach unmöglich!

                      Aber insgesamt gebe ich Dir recht. Nach den napoleonischen Besatzungen und Kriegen entwickelte sich ein Nationalbewußtsein, dass sich vor allem an der deutschen Sprache festmachte. Die Menschen, die gemeinsam gegen Napoleon gekämpft hatten, fanden es albern, danach wieder in kleine und kleinste Fürstentümer zu zerfallen, Grenzen zu ziehen, eigene Gulden oder Thaler zu prägen, Gesetzbücher zu schreiben (wovon vieles aus Napoleons code civil ja erhalten blieb).

                      Es ging ursprünglich aber um mehr als den reinen Nationalismus. Es ging um Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, den Wunsch nach einer Verfassung, Niederlassungsfreiheit (die Berufe betreffend), Wahlrecht, Parlamente.
                      Nachdem eigentlich nichts davon wirklich durchgesetzt werden konnte in dem von Dunkelgraf erwähnten "Vormärz" und die Revolution(en) von 1848 gescheitert waren, wurde das "Deutschsein" ziemlich überhöht und zu einer Art Fetisch. (Siehe die sog. Altdeutsche Tracht, die eine Erfindung des Vormärz war.)
                      Die oben gestellte Frage ist also so nicht einfach zu beantworten. Die Reichsgründung 1871 war eine "kleine Lösung". Österreich war nicht dabei. Ja, man kann sagen, dass die heutige Bundesrepublik als föderaler Staat ein Ergebnis der Vielstaaterei des Absolutismus ist. Das zu belegen, würde hier zu weit führen, man muss dann auch den Wiener Kongress noch einbeziehen, der ganz, ganz, ganz kleine souveräne Gebilde einfach aufgelöst hat, ganz, ganz kleine aber nicht.

                      Kann man sagen, dass das in irgendeiner Weise irgendwie die heutige EU spiegelt? Ich denke, es gibt Ähnlichkeiten. Innerhalb des Deutschen Reiches gab es ja immer noch souveräne Staaten mit eigenen Landesfürsten. Es gab aber im Deutschen Reich diesen einen dominierenden Staat, Preußen, der erst nach 1918 seine Vormachtstellung verlor. Das ist m. E. der Hauptunterschied zur EU, in der die Staaten gleichberechtigt sind.

                      Die landsmannschaftliche Frage hat Dunkelgraf ja beantwortet - es ist für viele nicht mehr so wichtig, außer man trifft sich irgendwo - bei der Kirchweih, beim Schützenfest, der Kindstaufe, der Jugendweihe oder sonstwo familiär. Da kommt es dann schon noch hoch, das ist richtig. Aber ist das nur in Deutschland so?
                      Da meine Familie ausschließlich "Preußen" waren, kann ich Dir aus meiner Sicht erklären: sie waren Ostpreußen zuallererst, oder Schlesier, schließlich, als es das nicht mehr gab, Berliner. Heute sind sie auf viele Bundesländer zerstreut und fühlen sich dort, wo sie jetzt leben, heimisch und pflegen die Bräuche. Ob sie sich alle zuerst als EU-Europäer fühlen, das weiß ich nicht, ich tue es jedenfalls, aber dann (siehe wieder Dunkelgraf)?
                      Du, Skandinavierin, willst noch wissen, wie die Menschen sich in dieser Übergangszeit nach dem Wiener Kongress bis 1871 gefühlt haben, wo sie ihre Zugehörigkeit gesehen haben? Das weiß ich nicht. Und obwohl ich mich mit dieser Frage im Augenblick sehr intensiv beschäftige, kann ich sie nicht beantworten. Es sieht für einen Preußen, damals, anders aus als für einen Bayern. Jeder hatte eigene Sorgen und das Königreich Hannover war ja nun untergegangen. Was die "Welfen" ja heute noch nicht so recht glauben wollen.

                      Ich für mich teile das 19. und frühe 20. Jahrhundert in folgende Abschnitte.
                      1. 1806 bis 1848 (Säkularsierung nicht vergessen!)
                      2. 1849 bis 1871
                      3.1871 bis 1918 (für mich gehört der erste Weltkrieg ganz zwingend dazu)
                      4. 1919 bis 1945 (der noch viel katastrophalere zweite Weltkrieg entstand für mich aus den Folgen des ersten Weltkrieges.)


                      Ich finde diese Fragen äußerst spannend, weil sie meine Familiengeschichte betreffen, vor allem aber die meines Mannes, von der wir -gerade aus dem 19. Jahrhundert - außerordentlich viel wissen.
                      Ich bin ganz neugierig auf weitere Meinungen und Erkenntnisse von Euch!
                      Danke für Eure Geduld - es wurde ja doch etws länger - und beste Grüße

                      Cornelia

                      Kommentar

                      • Dunkelgraf

                        #12
                        Hallo Gustl,


                        mit fast allem was Du schreibst gehe ich konform.
                        Nur bei den Zeitabschnitten, würde ich den ersten Abschnitt erst mit dem Ende des Wiener Kongresses beginnen wollen.
                        Also 1815 bis 1848.
                        Napoloen war verbannt, hatte aber doch vieles hinterlassen, was man einfach weiter verwendete u.a. z.B. hat er in Dörfern und Städten die Hausnummerierung eingeführt, Die Kirchenbuchregister mit den vorgefertigten Seiten und Angaben zu den Eltern wie Stand, Geburtsort, Beruf etc, gehen eben falls auf eine Anordnung Napoleons zurück.

                        Die Königreiche Würtemberg und Bayern verdanken ihre Königswürde Napoleon, was eben später zu den Bundesländern geführt hat. Auch die teilweise zwanghafte Rekrutierung von Soldaten aus allen europäischen Gebieten mag vielleicht zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl geführt haben.
                        Nach dem Wiener Kongreß, wo die Mächtigen versuchten Europa neu zu ordnen, kam nicht nur bei denen sondern auch bei den vielen ehemaligen Soldaten die Sehnsucht auf zu Hause zu bleiben und den Frieden zu genießen. Die Menschen Europas waren schlichtweg Kriegsmüde. Es beginnt die Epoche des Biedermeier! Die Familie wurde wichtig, vermutlich fand zum ersten mal tatsächlich so etwa wie Familienleben statt, man begann sich für die Natur zu interessieren, das Bürgertum hungerte nach Bildung, jeder der etwas auf sich hielt versuchte sich in Gedichten und Poesie. Zum Sinnbild des Biedermeiers wurde eine Blume nämlich, das Vergissmeinnicht, bescheiden im Wuchs, kräftig in der Farbe und immerwärende Erinnerung.
                        Mit der "Deutschen Revolution" 1848 endet das Biedermeier für mich abrupt. Aber ich würde die Revolution nicht als gescheitert ansehen. Vielleicht keine Revolution wie in Frankreich 60 Jahre zuvor, aber doch änderte sich einiges. Das seit dem Mittelalter gültige Lehnswesen wurde weitestgehend abgeschafft, die vielen Extra-Steuern für die Bauern fielen weg, wenn sie einen erhöhten Betrag auf einmal zahlten. Viele taten das auch. Aber auch andere Punkte von 1848 blieben erhalten, nicht alles machte die Frankfurter Versammlung von 1851 zu nichte z.B. das der Staat und nicht mehr die Kirche für Volksschulen zuständig war, der zudem kein Schulgeld verlangte, die allgemeine Wehrpflicht wurde eingeführt und man konnte sich nicht mehr wie bisher durch Präsentation eines Stellvertreters entziehen. Zum Heiraten brauchte man ab jetzt einen Militärfreischein, die Versammlungsfreiheit wurde zwar nochmals verschoben aber letztendlich setzte sie sich durch. Ab den 1850er Jahren war es möglich Vereine zu einem bestimmten Zweck zu gründen. Es entstanden die ersten Gesangvereine (aus den bisher existierenden Choradstanden, die nun nicht mehr ausschließlich in der Kirche ihren Gesang darboten), Hühnerzuchtvereine, Leibesertüchtigunsgvereine (heute Sportvereine), Schützenvereine entstanden. Ist es nicht diese Vereinsmeierei, die man als besonders Deutsch den Deutschen nachsagt? So gesehen hat die Zeit nach 1848 und die Möglichkeit von Vereinen zu einem Deutschen Nationalbewußtsein geführt. Die zeitgleiche Industrielle Revolution trug ebenso dazu bei (Stahl aus Deutschland war schon damals begehrt, Leinenstoffe, landwirtschaftliche Produkte waren Exportschlager). Diese Zeit wird darum als Gründerzeit in die Geschichte eingehen und kennnzeichnet so vielleicht wirklich den Beginn des Deutschen Bewußtseins?


                        Gruß
                        Dunkelgraf
                        Zuletzt ge?ndert von Gast; 17.08.2019, 20:41.

                        Kommentar

                        • Andrea1984
                          Erfahrener Benutzer
                          • 29.03.2017
                          • 2543

                          #13
                          Hallo.

                          Was ist dann mit den Österreichern ?
                          Hier sind einige vertreten , die sich vielleicht durch diese Frage irgendwie "auf den Schlips getreten" vorkommen ?


                          Also:

                          Ich bin Österreicherin, meine Vorfahren sind es auch - abgesehen von einem Zweig der mütterlichen Linie der nach Südtirol führt, dass seit dem Ende des 1. Weltkriegs zu Italien gehört - soweit ich das recherchiert bzw. erfahren habe. Die Vorfahren waren Österreicher oder sind es bis dahin jedenfalls gewesen. Es hat nicht sollen sein.

                          Väterlicherseits führt bis dato, falls ich nicht doch noch eine Linie finde, jede Spur nach Österreich.

                          Ja, ich bin stolz darauf. Stolz auf meine Ahnen, was sie alles geleistet haben.

                          Herzliche Grüße

                          Andrea
                          Mühsam nährt sich das Eichhörnchen. Aufgeben tut man einen Brief.
                          Wenn man lange genug Ahnenforschung macht, bekommt man zu dem Ahnenschwund und den Toten Punkten eine Generationsverschiebung gratis dazu.

                          Kommentar

                          • DoroJapan
                            Erfahrener Benutzer
                            • 10.11.2015
                            • 2510

                            #14
                            Hallo,

                            hm...ich mach es mal ganz einfach.

                            Bei den Vorfahren ist der Urgroßvater (10): sorbischer NSDAP-Anhänger - der sich selbst als Preuße bezeichnet hat.

                            Mein Mann und ich sind Ossis im Westen.
                            Bin ich in Sachsen unterwegs, dann bin ich Brandenburgerin.

                            Also eher so wie bei Dunkelgraf

                            liebe Grüße
                            Doro
                            Zuletzt ge?ndert von DoroJapan; 17.08.2019, 21:49.
                            Brandenburg: Lehmann: Französisch Buchholz; Mädicke: Alt Landsberg, Biesdorf; Colbatz/Kolbatz: Groß Köris; Lehniger, Kermas(s), Matzke: Schuhlen-Wiese(Busch)
                            Schlesien: Neugebauer: Tschöplowitz+Neu-Cöln (Brieg); Gerstenberg: Pramsen; Langner, Melzer, Dumpich: Teichelberg (Brieg); Kraft: Dreißighuben (Breslau), Lorankwitz
                            Pommern-Schivelbein: Barkow: Falkenberg; Bast: Bad Polzin
                            Böhmen-Schluckenau: Pietschmann: Hainspach, Schirgiswalde; Kumpf: Alt Ehrenberg 243, 28; Ernst: Nixdorf 192

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                            • Kasstor
                              Erfahrener Benutzer
                              • 09.11.2009
                              • 13440

                              #15
                              Hallo,


                              zur Entwicklung ein Beitrag aus der Bundeszentrale für politische Bildung von 2004: https://www.bpb.de/apuz/28089/nation...schichte?p=all tlw. sehr wissenschaftlich.
                              Ich als Schleswig-Holsteiner meine auch, dass immer die Sprache ein bindendes Element darstellt, so dass wir die Lage vor 1864 mit einem dänischen Oberhaupt nicht als natürlich ansahen.


                              Gruß


                              Thomas
                              FN Pein (Quickborn vor 1830), FN Hinsch (Poppenbüttel, Schenefeld), FN Holle (Hamburg, Lüchow?), FN Ludwig/Niesel (Frankenstein/Habelschwerdt) FN Tönnies (Meelva bei Karuse-Estland, später Hamburg), FN Lindloff (Altona, Lüneburg, Suderburg)

                              Ceterum censeo progeniem hominum esse deminuendam

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