Tagebuch eines Schiffsmissionars (im Herbst 1871 auf dem Segelschiff "Electrik" nach New York)

Einklappen
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge
  • Wolfg. G. Fischer
    Erfahrener Benutzer
    • 18.06.2007
    • 4918

    #16
    Sonntag, den 8. Okt. 1871

    Diese Nacht wurde der Wind günstig; wir kamen in den Kanal. Um 6 Uhr sah ich Dover und Calais. Der Kanal war wie eine belebte Straße.

    Ein Mädchen hat Bekanntschaft mit einem Matrosen gemacht und ging während des Gottesdienstes mit demselben Arm in Arm auf dem Deck herum. Ich machte den Steuermann darauf aufmerksam und er untersagte es dem Matrosen.

    Kommentar

    • Wolfg. G. Fischer
      Erfahrener Benutzer
      • 18.06.2007
      • 4918

      #17
      9. Okt. 1871

      Wundervolles Wetter. Die meisten Leute sind an Deck. Ich hielt eine kurze Andacht, an der auch die Kranken teilnahmen, da die Tür des Hospitals geöffnet wurde. Anschließend verteilte ich wieder Bücher,

      Nach etwa einer Stunde kam ein Mann und bat mich, ihm doch das Buch, welches er bekommen hatte - es war "Ein Ostindienfahrer" von Horn - zu verkaufen, es möge kosten, was es wolle.

      Wie konnte ich anders, als das Buch ihm geben. Diese braven Leute sind mit sechs Kindern an Bord, über deren Gesittung ich mich schon manchmal gefreut hatte.

      Kommentar

      • Wolfg. G. Fischer
        Erfahrener Benutzer
        • 18.06.2007
        • 4918

        #18
        Weitere Passagiere

        Maria Riedel, 33 Jahre

        Maria Peters, 62 Jahre

        Johann Schröder, 41 Jahre, mit Ehefrau ....., 36 Jahre und Tochter Louise, 13 Jahre

        Christian Holst, 48 Jahre, mit Carl und Johann, 20 und 18 Jahre


        Leider kann ich die Hamburger Passagierlisten recht schlecht lesen.

        Kommentar

        • Wolfg. G. Fischer
          Erfahrener Benutzer
          • 18.06.2007
          • 4918

          #19
          10. Okt. 1871

          "Wir sind im großen Ozean. Das Schiff fliegt wie ein Ball auf den Wogen, die schäumend auf das Deck springen.

          Auch ich fange an, der See meinen Zoll zu zahlen. Der Kapitän sagte, bis Sonntag würden wir wohl einen Sturm durchgemacht haben."

          Kommentar

          • Wolfg. G. Fischer
            Erfahrener Benutzer
            • 18.06.2007
            • 4918

            #20
            11. Okt. 1871

            "Auf dem Verdeck gab es viele ängstliche Gesichter. Ein Mann erklärte mir, hätte er gewusst, dass die Seereise so arg sei, wäre er zu Hause in seinem schönen Dorf geblieben. In 10 oder 12 Tagen denkt er in New York zu sein."

            Kommentar

            • Wolfg. G. Fischer
              Erfahrener Benutzer
              • 18.06.2007
              • 4918

              #21
              12. Okt. 1871

              "Gestern abend um vier Uhr hat der Kapitän ein Mädchen aus einem Raum geholt, wo sie mit mehreren Matrosen gesessen hatte. Der Verwalter, der auch dort gewesen war, erhielt eine Strafwache.

              Zwei unserer kranken Frauen werden Amerika wohl nicht sehen."

              Kommentar

              • renatehelene
                • 16.01.2010
                • 1983

                #22
                Guten Abend,
                es ist wirklich interessant zu lesen, was für eine Moral auf dem Schiff
                geherrscht hat.

                LG Renate

                Kommentar

                • Wolfg. G. Fischer
                  Erfahrener Benutzer
                  • 18.06.2007
                  • 4918

                  #23
                  13. Okt. 1871

                  Hallo Renate,

                  ja, es wurde sehr auf Sitte und Anstand geachtet.

                  LG Wolfgang




                  "Im Zwischendeck wurde geräuchert, deswegen waren alle Leute an Deck. Da kamen Personen, die man sonst vergeblich oben suchen würde. Nicht Krankheit hindert sie daran, sondern Faulheit. Viele liegen bis Mittag im Bett, oft junge Leute.

                  Die Schiffskost ist reichlich und gut. Für die kleineren Kinder, für Schwache und Kranke gibt es zweimal am Tag besondere Kost.

                  Heute ist Windstille, wir machen kaum eine achtel deutsche Meile in der Stunde. Einen Walfisch sahen wir ganz nahe beim Schiff.

                  Heute abend ist ein Knabe von zwei Jahren die Treppe hinabgefallen und hat eine große Kopfwunde erhalten. Ein Schäfer soll ihm Speck daraufgelegt und das Blut gestillt haben, so wurde mir erzählt. Ich teilte dies dem Kapitän mit und holte den Knaben herauf. Eine lange und breite Wunde hatte das arme Kind, und darauf lag gesalzener Speck. Da die Mutter beim Verbinden ohnmächtig wurde, nahm ich das Kind und kühlte die Wunde mit kaltem Wasser."

                  Kommentar

                  • dorsch
                    Erfahrener Benutzer
                    • 24.12.2011
                    • 295

                    #24
                    Das Bild zum Schiff

                    „Krönung der Alten sind die Enkel und der Stolz der Kinder sind ihre Ahnen“ (Sprüche, Kap.17, Vers 6)

                    Suche nach FN Leidiger in Thüringen.

                    Kommentar

                    • maria1883
                      Erfahrener Benutzer
                      • 20.08.2009
                      • 898

                      #25
                      hallo Wolfgang,
                      Danke für die Wiedergabe des Tagebuches.
                      Bin gespannt, wie es weiter geht.
                      Viele Grüße
                      Waltraud
                      Orte und Namen meiner Ahnen:
                      Neu Wuhrow: Pophal, Golz, Is(s)berner, Gehrke, Draheim, Zuther, Mittelste(ä)dt, Hensel, Bleck
                      Gönne (später Westgönne): Hensel, Bleck, Maronde
                      Steinklippe (Belgard/Schievelbein): wie Westgönne
                      Neudorf: Märtens, Boeck, Schulz, Mallon, Harmel, Manz
                      Pöhlen: Milbradt, Boeck, Dittberner, Kannenberg, Märtens
                      bis auf Steinklippe alles Kreis Neustettin

                      Kommentar

                      • Wolfg. G. Fischer
                        Erfahrener Benutzer
                        • 18.06.2007
                        • 4918

                        #26
                        13. Okt. 1871

                        Zitat von dorsch Beitrag anzeigen
                        Herzlichen Dank, DorSch.



                        Hallo Waltraud,

                        das freut mich.

                        LG Wolfgang




                        Für den 14. Okt. 1871 scheint es keinen Eintrag zu geben. Das Folgende steht noch unter dem 13.:

                        "Mit einem Gärtner, der mit Frau und Kind auswandert, hatte ich ein längeres Gespräch. Er ist ein rechtes Beispiel für den unverantwortlichen Leichtsinn, mit dem viele Leute auswandern.

                        Er war Obergärtner in der Provinz Sachsen, hat dann eine eigene Gärtnerei in Mecklenburg gehabt, hat sich dort verheiratet, hat auf einmal die Gärtnerei seinem Schwiegervater übergeben, und ist jetzt auf dem Wege nach Toledo."

                        Ich bin mir bei dem Währung nicht sicher und hänge daher den Rest des Textes an.
                        Angehängte Dateien

                        Kommentar

                        • dorsch
                          Erfahrener Benutzer
                          • 24.12.2011
                          • 295

                          #27
                          Hallo, Wolfgang,

                          ich habe mal den Text aus der oben eingefügten Grafik weiter abgeschrieben. Das Währungskürzel kann ich auch nicht lesen - vllt. sollte man es unter "Lesehilfe" einstellen? Ich mache "rs" *)daraus, das ergibt aber keine mir bekannte Währungsabkürzung. 1871 gab es eine Währungsreform (wenn man die Lage vorher sieht, war die auch dringend nötig!), seitdem galt die Mark, abgekürzt M. Die USA hatten schon den Dollar, abgekürzt wie heute. Hier sind die Experten im Forum gefragt!



                          Tagebuch:
                          <<Ich fragte ihn, ob er auch Geld genug habe, die Reise von New York nach Toledo, die etwa 50 -?- kostet, zu machen. Da antwortete er mir ganz naiv: "Nein, Geld habe ich nicht; schon in Hamburg musste ich das Federbett meiner Frau versetzen und habe dafür kaum den dritten Teil des Wertes erhalten." "Aber lieber Freund, wie wollen Sie denn nach Toledo kommen?", fragte ich. Er antwortete: "Ein Verwandter meiner Frau wohnt in Toledo, dem habe ich vor unserer Abreise geschrieben, er solle mir das Reisegeld nach New York schicken." Auf eine solche Ungewissheit hin geht der Mann mit seiner Familie nach Amerika! Wenn er nun kein Geld in New York findet, was dann?>>

                          *) PS: Könnte auch "rf" sein - ich kann die alte Schrift nicht. "f" war die Abkürzung für Gulden (Florin) - "r" wie "Reich"? -> Reichsgulden? Gab es den in Hamburg?
                          LG
                          DorSch
                          Zuletzt geändert von dorsch; 03.12.2013, 02:34. Grund: PS u. Rechtschreibfehlerkorrektur
                          „Krönung der Alten sind die Enkel und der Stolz der Kinder sind ihre Ahnen“ (Sprüche, Kap.17, Vers 6)

                          Suche nach FN Leidiger in Thüringen.

                          Kommentar

                          • dorsch
                            Erfahrener Benutzer
                            • 24.12.2011
                            • 295

                            #28
                            Mir ist nachträglich aufgefallen, dass ich oben vergessen habe, die Quelle des Bildes anzugeben. Ich habe es aus:http://www.ende-genealogy.de/ships.htm. Es muss im Museum für Hamburgische Geschichte hängen.

                            Dein Missionar hatte übrigens Glück, dss er nicht ein Jahr später mit dem Schiff gefahren ist:

                            The Electric was one of the famous clipper ships built in America. About 1860 she was sold to R. M. Sloman & Edye of Hamburg, perhaps as a result of the Civil War. This three-master made one passage around Cape Horn to San Francisco in 109 days from New York in 1854-55-a relatively fast time. In 1868 she went ashore at Great Egg Harbor, New Jersey, but extensive repairs restored her to service. In November 1872 she was abandoned in the Atlantic in a sinking condition. (http://user.xmission.com/~nelsonb/sh...c.htm#electric)
                            Auf der Seite gibt es auch noch ein Bild:


                            Was müssen die Leute früher für einen Mut gehabt haben, wenn man das mit heutigem Reisen vergleicht!
                            LG
                            DorSch
                            „Krönung der Alten sind die Enkel und der Stolz der Kinder sind ihre Ahnen“ (Sprüche, Kap.17, Vers 6)

                            Suche nach FN Leidiger in Thüringen.

                            Kommentar

                            • Wolfg. G. Fischer
                              Erfahrener Benutzer
                              • 18.06.2007
                              • 4918

                              #29
                              Sonntag, 15. Okt. 1871

                              Hallo DorSch,

                              herzlichen Dank für die interessanten Ergänzungen. Mit der Währung warte ich erst mal ab, ob es hier jemand löst.

                              LG Wolfgang




                              Tagebuch

                              "Ich machte mit dem Kapitän einen Gang durch's Zwischendeck. Mehrere Leute lagen im Bett, ohne krank zu sein. Als der Kapitän eine Frau aufforderte aufzustehen, wurde sie grob und sagte: 'Wir haben unser Geld bezahlt, das Bett ist mein, ich bleibe liegen.' Trotzdem wurde ihr gesagt, wenn sie nicht in einer halben Stunde auf Deck sei, würde sie hinaufgetragen.

                              Solche Maßregeln sind notwendig, sonst würde bald Krankheit unter den Leuten ausbrechen. Ein Mann musste ins Hospital getragen werden, er leidet an der Auszehrung.

                              Auf Deck fand eine Zusammenrottung statt. In einigen Schiffskontrakten, die vom vorigen Jahr waren, steht, dass den Männern jeden Morgen ein glas Branntwein gereicht werden soll. Der Kapitän hatte nicht davon gewusst. Von morgen an soll denen, die einen dahinlautenden Kontrakt haben ein kleines Glas voll verabreicht werden."

                              Kommentar

                              • wolf44
                                Erfahrener Benutzer
                                • 19.09.2011
                                • 272

                                #30
                                Verfolge das Schiffstagebuch mit großem Interesse. Vielen Dank an den TS.
                                Habe in der Auswandererliste meines Heimatortes auch eine Familie, die mit der der Electric auswanderte. Aufgrund dieses Themas habe ich mich mal näher mit der entsprechenden Fahrt befasst:

                                Abfahrt Hamburg 1.11.1867, Ankunft NY 24.12.1867. An Bord des Schiffes waren 461 Passagiere. Davon verstarben auf der Überfahrt 6 Kleinstkinder und eine erwachsene Person.
                                Viele Grüße
                                Wolfgang

                                Blog:Genealogische Fundstücke

                                Kommentar

                                Lädt...
                                X