Quellenkritik: Meldekartei von 1961 vertrauenswürdig?

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  • gembitzhauland
    Benutzer
    • 25.01.2010
    • 74

    Quellenkritik: Meldekartei von 1961 vertrauenswürdig?

    Ich bewege mich gerade in neuem zeitlichen Terrain, den 1950er und 1960er Jahren im Bezirk Rostock.

    Eine Person, 1895 geboren, soll nach 1945 aus Hamburg (letzte Adresse 1943) nach Dassow (damaliger Kreis Grevesmühlen) gegangen sein. Im Kreisarchiv Nordwestmecklenburg habe ich nach entsprechenden Meldedaten gefragt. Laut Auskunft aus der Meldekartei des ehemaligen Kreises Grevesmühlen (Stand 1994) soll seine Wohnanschrift am 06.10.1961 in Bäbelin (Kreis Wismar) gewesen sein.

    Im Amt Neukloster, zu dem Bäbelin gehört, war man sehr engagiert, suchte alle archivierten Haus-Meldekarten des winzigen Bäbelin durch, fand die gesuchte Person jedoch nicht. Er taucht auch nicht in den Sterbeeinträgen auf, auch nicht in denen aus Wismar (nächstgelegenes Krankenhaus).

    Nun meine Frage: wie vertrauenswürdig ist die Quelle "Meldekartei" aus den 1950er und 1960er Jahren? Wurde ein Wegzug aus Dassow nur vom Wegziehenden in die Dassower Meldekartei eintragen lassen? Oder gab es eine offizielle Bestätigung der Behörden des neuen Wohnortes an den alten Wohnort (Vier-Augen-Prinzip)?

    Spekulation an: Oder gab es gar eine Flucht kurz nach dem Mauerbau, die vertuscht oder verheimlicht werden sollte? Die Person wurde als Mitglied der Zeugen Jehovas 1935 und 1940 zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt und soll laut Familienaussagen auch in der DDR "Probleme" (genauer sind die Aussagen nicht) gehabt haben - evtl. gab es in diesem Zusammenhang eine Flucht? (ich hatte zwischenzeitlich mit dem Stasi-Unterlagenarchiv Rostock telefoniert und dort meinte ein Berater, dass eine Person vielleicht auch verschwinden *wollte* ...).

    Was meint Ihr? Herzlichen Dank für alle Hinweise!
    Zuletzt geändert von gembitzhauland; 06.04.2022, 12:39.
    Gembitzhauland, heute Gębiczyn, ist eine kleine Kolonistensiedlung bei Czarnikau / Czarnków.
    Meine FN:

    Döhner, Morawetz in Katscher/Leobschütz und Kuchelna (Schlesien)
    Fierek, Pietron in Wengern und Gleiwitz (Schlesien)
    Hube in Stettin (Pommern) und Schwetz a.W. (Westpreussen)
    Jakumeit, Knitsch in den Kreisen Niederung und Insterburg (Ostpreussen)
  • fajo
    Erfahrener Benutzer
    • 08.10.2018
    • 2351

    #2
    Guten Morgen gembitzhauland!
    Im Bezug auf die DDR habe ich im Punkt Vertuschung keine eigene Erfahrung, allerdings könnte ich mir sehr gut vorstellen, durch ein Thema womit ich mich beschäftige und ganz persönliche Erfahrungen in meiner Kindheit, das hier eine Vertuschung möglich ist.
    Kannst du evtl. Einsicht in die Stasi Akte nehmen? - Ich vermute ganz stark das du dort eine Antwort finden wirst! -
    Vorsicht : >Ich habe keine Ausbildung. Ich habe Inspiration.< von Bob Marley -**







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    • IllIlIllI
      Erfahrener Benutzer
      • 15.02.2009
      • 122

      #3
      Folgendes könnte bei der Suche weiterhelfen:
      1. Damals gab es auch in kleineren Orten Krankenhäuser, die als Sterbeort in Frage kommen könnten.
      2. Als Zeuge Jehovas dürfte interessant sein, wo diese Gemeinschaft sich getroffen hat.
      3. Im Jahr 1961 hatte der Mensch das Rentenalter bereits erreicht und könnte deshalb auch eine Ausreise in den Westen erreicht haben. Dann musste die DDR ihm keine Rente mehr zahlen.

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      • AKocur
        Erfahrener Benutzer
        • 28.05.2017
        • 1371

        #4
        Hallo,
        Zitat von gembitzhauland Beitrag anzeigen
        Oder gab es gar eine Flucht kurz nach dem Mauerbau, die vertuscht oder verheimlicht werden sollte?
        Mit einem Geburtsjahr 1895, hatte deine gesuchte Person bereits 1960 das Rentenalter erreicht. Er dürfte es damit deutlich leichter gehabt haben in den Westen zu kommen als Personen im erwerbsfähigem Alter. Der Bau der Mauer könnte aber für ihn die gefühlte Dringlichkeit erhöht haben (Motto: wenn man jetzt nicht geht, geht's nachher vielleicht gar nicht mehr) und vielleicht auch den Gedanken, man müsste das vertuschen.


        Meine Familie kam in den 50ern rüber. Erst meine Urgroßeltern Anfang der 1950er, dann, nach den Ereignissen von 1957 und weil es Freunde meinem Opa nahelegten, folgten meine Großeltern mit ihren Kindern. Sie konnten noch regulär mit dem Zug ausreisen (Verwandtenbesuch bei den jetzt im Westen lebenden Eltern meiner Oma), wenn auch als reine Urlaubsreise getarnt.
        Nachdem die Familie meiner Großeltern bereits ca. 3 Monate im Westen lebte (mit in den 2 Zimmern, die die Wohnung der Urgroßeltern waren) und gerade anfing, wieder ein geregeltes Leben zu haben (Kinder gingen in die Schule, Opa hatte einen Job gefunden, bei dem er kurz darauf anfangen sollte), bekamen sie die Aufforderung sich in Friedland melden. Dort waren sie dann für 3 Monate im Flüchtlingslager, bevor sie entgültig im Westen Fuß finden durften.

        Wenn deine gesuchte Person tatsächlich in den Westen "rübergemacht" hat, dürfte auch er vermutlich in einem der Flüchtlingslager zur Erstaufnahme gelandet sein. Da es davon nicht so viele gab, könntest du es auch dort mal versuchen.

        LG,
        Antje

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        • Zetteltante
          Erfahrener Benutzer
          • 02.11.2009
          • 615

          #5
          Zitat von gembitzhauland Beitrag anzeigen
          Nun meine Frage: wie vertrauenswürdig ist die Quelle "Meldekartei" aus den 1950er und 1960er Jahren? Wurde ein Wegzug aus Dassow nur vom Wegziehenden in die Dassower Meldekartei eintragen lassen? Oder gab es eine offizielle Bestätigung der Behörden des neuen Wohnortes an den alten Wohnort (Vier-Augen-Prinzip)?

          Was meint Ihr? Herzlichen Dank für alle Hinweise!
          Ich erinnere mich an diverse online gestellte alte Meldekarteien, wo im Feld "verzogen nach" auch schon mal "Wanderschaft" stand.
          Wie konnte so etwas geprüft werden? Oder bestätigt?

          Ich glaube, man gab die Anschrift bei der Abmeldung an.
          Wo derjenige tatsächlich hin ging, wer weiß?

          Heute ist es ja andersherum. Man meldet sich am neuen Wohnort an.
          Von dort wird Meldung an den alten Wohnort gemacht.

          Ich würde beim Kreisarchiv Nordwestmecklenburg oder in Dassow selbst nachfragen, wie es in Dassow gehandhabt wird und seit wann.

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          • huetes
            Benutzer
            • 02.05.2012
            • 5

            #6
            Zitat von gembitzhauland Beitrag anzeigen
            Im Amt Neukloster, zu dem Bäbelin gehört, war man sehr engagiert, suchte alle archivierten Haus-Meldekarten des winzigen Bäbelin durch, fand die gesuchte Person jedoch nicht. Er taucht auch nicht in den Sterbeeinträgen auf, auch nicht in denen aus Wismar (nächstgelegenes Krankenhaus).
            Lagen im Amt Neukloster überhaut Unterlagen zu anderen gemeldeten Personen aus den Jahren 1961/1962 für Bäbelin vor? Falls die Jahrgänge fehlen, dann deutet es darauf hin, dass die Unterlagen auf Grund der Eingemeindung auch bei den archivierten Unterlagen von Züsow liegen könnten.

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            • gembitzhauland
              Benutzer
              • 25.01.2010
              • 74

              #7
              Herzlichen Dank für alle Hinweise!



              Das Rätsel hat sich mittlerweile gelöst. Laut Kreisarchiv wurden in der DDR Meldekarten von verstorbenen Personen nach einer gewissen Frist vernichtet. Es gibt im Archiv keine Haupt- und keine Verzogenen-Kartei zur Person, sie muss also verstorben sein. Dass es keinen Sterbeeintrag im Standesamt Neukloster gibt, liegt daran, dass meine Person "ein Amt weiter nordwestlich", in Neuburg, verstorben ist.



              Letzteres habe ich vor 2 Tagen durch den Nebeneintrag auf der Gnoiener Geburtsurkunde der Ehefrau der gesuchten Person erfahren - dort stand als Sterbeort Neuburg 1972, daraufhin fand sich in Neuburg auch eine Sterbeurkunde meiner gesuchten Person 1973. So sind 2 Monate Suche mit diversen Nadeln im Heuhaufen doch noch glücklich zu Ende gegangen.


              Zu meiner Flucht-Mutmaßung: stimmt, die Person war 1961 schon Rentner. Ich hatte schon ein Schreiben an die Deutsche Rentenversicherung Nord formuliert, weil ich mir dort archivierte Bescheide erhoffte, hatte aber verdrängt, dass DDR-Renter ja auch nach 1961 relativ frei reisen durften.

              Laut Kreisarchiv wurde übrigens bei einer Flucht auf der Meldekartei entweder "Illegal verzogen" oder "Verzogen nach WD" vermerkt.
              Gembitzhauland, heute Gębiczyn, ist eine kleine Kolonistensiedlung bei Czarnikau / Czarnków.
              Meine FN:

              Döhner, Morawetz in Katscher/Leobschütz und Kuchelna (Schlesien)
              Fierek, Pietron in Wengern und Gleiwitz (Schlesien)
              Hube in Stettin (Pommern) und Schwetz a.W. (Westpreussen)
              Jakumeit, Knitsch in den Kreisen Niederung und Insterburg (Ostpreussen)

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              • gembitzhauland
                Benutzer
                • 25.01.2010
                • 74

                #8
                Zitat von huetes Beitrag anzeigen
                Lagen im Amt Neukloster überhaut Unterlagen zu anderen gemeldeten Personen aus den Jahren 1961/1962 für Bäbelin vor? Falls die Jahrgänge fehlen, dann deutet es darauf hin, dass die Unterlagen auf Grund der Eingemeindung auch bei den archivierten Unterlagen von Züsow liegen könnten.

                Mein Kontakt im Amt Neukloster war extrem gut über die Lokalgeschichte informiert - die diversen Eingemeindungen wurden schon berücksichtigt. Ohne die engagierte Dame würde ich hier immer noch im Nebel stochern ...
                Gembitzhauland, heute Gębiczyn, ist eine kleine Kolonistensiedlung bei Czarnikau / Czarnków.
                Meine FN:

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                Fierek, Pietron in Wengern und Gleiwitz (Schlesien)
                Hube in Stettin (Pommern) und Schwetz a.W. (Westpreussen)
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