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#1
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Liebe Kollegen,
Jahrzehntelang wollte ich wissen, wer meine Großmutter war, gestorben weit vor meiner Geburt. Unser Vater sprach zeitlebens kein Wort über seine Mutter. War sie adlig, warum nannte man sie die Freifrau? Woher stammte sie? Alles, was an Familienlegende berichtet wurde, war, ihr Vater, also mein Urgroßvater, sei Herausgeber einer Zeitung in Augsburg gewesen, und dann vor dem bayerischen König nach Braunschweig geflohen. Die Legende war falsch, aber die Wirklichkeit hat alles getoppt. Die genealogische Bibliothek in Hamburg-Bergedorf klärte einen Krimi auf, oder löste ihn aus, je wie man es sieht. Unsere Mutter erinnerte sich an Erzählungen des Vaters, er habe in Hamburg einen kinderlosen Onkel gehabt, der ihn adoptieren wollte, um die Adelslinie v. Gerstenberg zu erhalten. Die Aufzeichnungen dieses Onkels habe ich in Hamburg entdeckt, er war nämlich Mitglied der Genealogischen Gesellschaft Hamburg-Bergedorf. Mein Großonkel hatte Familienforschung betrieben, auch um eine Adoption des Neffen(meines Vaters) etwa 1935 beantragen zu können. Dokumentiert hat er dabei aber etwas sehr Spezielles, er dürfte das so nicht gewusst haben: Sein Vater, also mein Urgroßvater, war der Sohn des Schillerfälschers Heinrich v. Gerstenbergk. Der war 1856 in Weimar verurteilt worden, weil er Schiller nachgemacht hatte.Dieser Fall war schrecklich für die Literaturwelt, schien aber aufgeklärt und abgeschlossen, vergessen. Wer sein Sohn war, hat bis zu meiner Entdeckung 2013 in den Bergedorfer Papieren niemand gewusst. Der Sohn Karl v. Gerstenberg war jedoch im Gegensatz zum Vater ein anerkannter Literaturfachmann und Zeitungsredakteur. Tatsächlich 1873-1875 Chefredakteur der damals berühmten Augsburger Allgemeinen, Mitarbeiter des Baron v. Cotta, Schriftsteller, Mitglied in Literaturvereinen, ein hochbegabter Zeichner und Maler. Bald fand ich heraus, sein Dr. war Schwindelei, nicht mal Abitur hatte er. Online gestellte alte Zeitunen berichten von seinen unglaublichen dreisten Gaunereien, die Sache wurde immer desaströser. Und dann fand ich im Goethe-Jahrbuch von 1884 Briefe von Goethe und weiteren Dichtern, von Karl v. Gerstenberg veröffentlicht. Ich kann hier meine Recherchen nicht detailliert erzählen, sie sind zu umfangreich. Ich wurde jedenfalls immer sicherer, mein Urgroßvater dürfte zahlreiche Handschriften gefälscht haben, Goethe, Schiller, Wieland, Iffland, Kleist, Lessing. Der Durchbruch gelang erneut mit dem Aufsatz meines Großonkels in der Bergedorfer Bibliothek. Darin erzählt er von einer Ahnentafel die er im Nachlass fand, und die angeblich beweist, dass der einst berühmte Dichter Heinrich Wilhelm v. Gerstenberg der Vorfahre meiner Gerstenberg-Verwandten sei. Drei Historiker versicherten mir, diese Tafel gebe es nicht, das sei Angeberei. Aber der Großonkel hat dazu genaue Angaben gemacht und auch einen dänischen Historiker genannt, der sie angesehen habe. Kurz und gut, ich fand die Tafel im Reichsarchiv Kopenhagen. Sie stammt nachweisbar vom Urenkel des berühmten Dichters, und sie ist unfassbarer Blödsinn. Tatsächlich waren die beiden Gerstenberg-Familien nicht verwandt, die Tafel behauptet aber groteske Verknüpfungen. Dieselbe falsche Ahnentafel befand sich also erstens im Besitz der dänischen v. Gerstenberg-Familie, und zweitens im Besitz der Fälscherfamilie v. Gerstenberg aus Thüringen. 1879 hat in Hamburg der Urenkel des Dichters den Nachlass nach München verkauft, er erhielt dafür 500 Mark. Der Name wird leider nicht genannt, die Personenbeschreibung passt aber gar nicht zum Nachfahren des Dichters. Seitdem geht die deutsche Literaturwissenschaft davon aus, der Dichter H.W. v. Gerstenberg habe thüringische Wurzeln gehabt, obwohl er die nachweisbar nicht hat. Wieso, das war niemand klar, bis ich diese Tafel entdeckte. Ausgelöst hat das alles die Bergedorfer Genealogische Bibliothek. Und ich kann heute sagen, von der Genauigkeit und Begeisterung, die Familienforscher an den Tag legen, sollten sich Archive und Wissenschaftler einige Scheiben abschneiden. Geändert von MarthaLU (12.11.2020 um 18:56 Uhr) |
#2
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![]() spannend ....
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#3
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![]() Hallo MarthaLU,
sehr interessant, was Du da herausgefunden hast. Bitte teile doch weiterführende bibliographische Angaben inkl. Deines Aufsatzes mit. |
#4
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![]() Danke für die Antworten!
Ja, ich muss jetzt auch überlegen, was ich weiter tun soll mit meinen Entdeckungen. Eine Möglichkeit wäre vielleicht, meinen Aufsatz ebenfalls in Hamburg in der Genealogischen Bibliothek einzulagern. Auch wenn ich nicht in Hamburg lebe, aber dort ist nun einmal das entscheidende Dokument. kkhno, meinst du, ich könnte den Aufsatz plus Literaturangaben hier einstellen? Das ist doch zuviel Stoff? Danke euch, und weitere Anregungen sehr gerne.... Geändert von MarthaLU (09.11.2020 um 12:36 Uhr) |
#5
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![]() Vielleicht ein Buch veröffentlichen? Selbstverlag?
Verstehe ich schon, dass die Besitzer dieser Schriften nicht scharf auf eine Prüfung sind, könnten doch ihre Heiligtümer nichts mehr wert sein. |
#6
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![]() Hallo MarthaLu,
vielleicht ist es hier nicht die exakte Zielgruppe für eine solchen Aufsatz, aber Du könntest den Artikel unter einem Namen/Url auf einer eigenen Seite veröffentlichen und dann den Link in relevante Foren stellen. Der Blog von Klaus Graf "Archivalia" hat m.E. die richtige Zielgruppe und bietet auch die Möglichkeit zum Einstellen umfangreicher Artikel. Vielleicht nimmst Du einfach Kontakt mit ihm auf. |
#7
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![]() Moin,
es ist nun einmal höchst peinlich, wenn man Falsifikate in seinen Archiven hat, die nicht als solche erkannt sind. Allerdings ist die Sache nur dann wirklich peinlich, wenn man die Sache nicht aktiv angeht. Menschen sind immer an Kriminalgeschichten interessiert, und so könnte sich ein Archiv durchaus eine interessante Abteilung zulegen, die sich mit dem Thema "Fälschungen" beschäftigt. Das ließe sich wunderbar vermarkten, und dabei ließe sich auch Interesse an Literatur vermitteln. Dazu müsste man aber aus dem Dunstkreis heraustreten, in dem sich alle umeinander drehen und sich mit wohlgesetzten Worten gegenseitig die Wichtigkeit bescheinigen. Bin ich da zu sarkastisch? Zumindest könnte ich der Literaturwissenschaft nicht unbedingt ein großes Marketingtalent zuerkennen. Es ist eine der vielen Blasen, in denen die Interessenten sich wohnlich eingerichtet haben und wenig an Meinungen von außerhalb der Blase interessiert sind. Das zeigt sich ja im Endeffekt auch an den Reaktionen auf Deine Forschungsergebnisse. ![]() Schon aus diesem Grunde wäre eine Veröffentlichung Deiner Forschungsergebnisse von allgemeinem Interesse. Da der Text offensichtlich für einen Beitrag u lang ist: wie wäre es mit einer pdf-Datei als Anhang? |
#8
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![]() Zitat:
Hallo kkhno, Das ist exakt das, was ich suchte. Ganz herzlichen Dank! Geändert von MarthaLU (12.11.2020 um 18:58 Uhr) |
#9
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![]() Zitat:
Hallo fps, Du sprichst einen Gedanken an, der mich auch schon lange umtreibt. Als mir diese Geschichte aus heiterem Himmel passierte, war das nicht nur lustig oder peinlich. Sie hat auch die Lust an Literatur enorm befördert, bei mir und im Umfeld. Wie oft dachte ich schon, eigentlich wäre das ein wahrer Marketing-Gag....Aber es soll eben nicht sein. liebe Grüße Martha |
#10
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![]() Hallo Martha
Spannende Sache! Ich möchte dich hier auch unbedingt weiter dazu motivieren, deinen Aufsatz oä. irgendwie zu publizieren. Gedruckt bei einem Verlag wäre natürlich super, so dass ein Exemplar davon in der Deutschen Nationalbibliothek "archiviert" werden würde. Dann kann dir egal sein, was die Zweifler dazu sagen. Falls es bei einem normalen Verlag nicht klappt: Bei einem Book on Demand Verlag versuchen (unbedingt dafür sorgen, dass eben ein Exemplar bei der DNB landet) oder als "Open Access" im Internet - ob hier als PDF oder auf einem Blog, einer Webseite oder sonst irgendwo im Internet ist dann egal. Hauptsache, möglichst viele Leute können das lesen. Ein PDF halte ich für sachdienlich, dann kannst du auch Bilder einbinden, sinnvoll formatieren usw. und der Aufwand hält sich in Grenzen. "Open Access" wäre auch für die Forschung interessant, da manche neueren Bibliothekskataloge auch Open Access Artikel und Bücher aus dem Internet anzeigen. Ich empfehle eine "Creative Commons" Lizenz, dann kannst du selbst genau festlegen, wie es um deine Urheberrechte und die Verwertungsrechte steht (darf der Artikel weiter verteilt werden, darf zitiuert werden, muss dein Name immer genannt werden usw.). |
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