Heiratsalter in unterschiedlichen Regionen

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  • Scherfer
    Moderator
    • 25.02.2016
    • 2511

    Heiratsalter in unterschiedlichen Regionen

    Liebe ForscherInnen,

    ich habe versucht, ein entsprechendes altes Thema hier zu finden, leider erfolglos. Falls ich blind gewesen sein sollte, bitte gerne verschieben!

    Mich würde einmal eine eher größere Gesamtsicht interessieren zu der Frage, in welchem Alter durchschnittlich früher geheiratet wurde und zwar abhängig von der jeweiligen Region.

    Ich habe festgestellt, dass in Mittelpolen das durchschnittliche Alter bei der ersten Heirat bei Männern deutlich höher lag als andernorts. Die Lebensbedingungen waren offenbar so harsch, dass ein Mann erst einmal genügend für ein eigenes Heim zusammenhaben musste.

    In einigen Gebieten Deutschland scheint es vollkommen üblich gewesen zu sein, mehrere voreheliche Kinder zu zeugen, um dann erst Jahre später zu heiraten. Auch das wohl, weil eine gute finanzielle Basis die Voraussetzung für die offizielle Ehe war.

    Umgekehrt scheint es aber auch Regionen zu geben, in den sehr früh geheiratet wurde.

    Kann man hier allgemeine Feststellungen treffen - z.B. reiche/arme Regionen, Nord-Süd, katholisch-protestantisch? Mich würde interessieren, ob es hierzu evtl. eine gute Buchquelle gibt.

    Danke!
  • Sbriglione
    Erfahrener Benutzer
    • 16.10.2004
    • 1177

    #2
    Hallo Scherfer,

    leider habe ich selbst auch keine konkrete Einzelquelle, auf die ich mich beziehen könnte, würde aber als zusätzliche Kategorien auf jeden Fall auch noch die Zeit und den jeweiligen Stand mit aufnehmen:

    Zumindest von Sizilien weiß ich, dass da (so weit ich bisher zurück gekommen bin) Mädchen teilweise (aber bei weitem nicht "immer") schon im Alter von 12 - 14 Jahren verheiratet wurden (die Männer waren da fast immer schon mindestens 21 Jahre alt), während beispielsweise im Raum Halberstadt von wenigen Ausnahmen abgesehen auch die Bräute schon in den 20ern waren und teilweise sogar erst im Alter von um die 30 Jahren (!!!) ihre erste Ehe geschlossen haben. Das höhere Heiratsalter bei den Frauen dürfte in diesen Fällen durchaus mit deren Stand zu tun gehabt haben, weil bei ärmeren Familien BEIDE künftigen Ehepartner das notwendige "Startkapital" selbst erarbeiten mussten.
    In "ritterbürtigen" Adelskreisen war es anscheinend häufig so, dass die Männer erst dann geheiratet haben, wenn sie eine gute Position erreicht hatten bzw. sich nicht mehr ein "Gesamthandlehen" mit all zu vielen anderen Verwandten teilen mussten. Die Bräute waren da aber wiederum häufig sehr jung (gar nicht mal so selten waren es im wortwörtlichen Sinne "Onkel-Ehen").

    Ein weiterer Aspekt, der mir insbesondere bei bäuerlichen Familien häufiger aufgefallen ist: man hat geheiratet, wenn ein Hof frei geworden ist (Tod oder "Altenteil" des Vaters bzw. Schwiegervaters, Tod eines Bruders oder Schwagers mit eigenem Hof, den man übernehmen konnte etc.). Dabei hat "Mann" sich dann jeweils um eine Frau bemüht, die noch im gebährfähigen Alter war und/oder (wenn man selbst keine hinreichende Aussicht hatte) entweder als Erbtochter oder als Witwe eine Hofübernahme "versprochen" hat.

    Die Sache mit den vorehelichen Kindern scheint nach meiner eigenen Erfahrung wohl überwiegend seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und bis in die 1860er Jahre hinein häufiger (in meinen eigenen Vorfahrenregionen aber insgesamt doch eher selten) vorgekommen zu sein.

    Ich meine, zu einem Teil dieser Punkte auch etwas in der Sekundärliteratur gefunden zu haben, bin mir aber nicht zu 100 % sicher, wo.

    Ich vermute aber u.a.:
    Jürgen Kuczynski: "Geschichte des Alltags des deutschen Volkes" (ein mehrbändiges Werk aus den 1980er Jahren) und
    André Burguiére u.a.: "Geschichte der Familie" (gleichfalls ein mehrbändiges Werk, das die Frage vom Altertum bis in die "Moderne" und stark kulturübergreifend behandelt), aus den 1990er Jahren.
    Beim letzteren Werk bin ich mir sogar ziemlich sicher!

    Grüße!
    Zuletzt geändert von Sbriglione; 11.08.2022, 16:56.
    Suche und biete Vorfahren in folgenden Regionen:
    - rund um den Harz
    - im Thüringer Wald
    - im südlichen Sachsen-Anhalt
    - in Ostwestfalen
    - in der Main-Spessart-Region
    - im Württembergischen Amt Balingen
    - auf Sizilien
    - Vorfahren der Familie (v.) Zenge aus Thüringen (u.a. in Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und NRW)
    - Vorfahren der Familie v. Sandow aus dem Ruppinischen

    Kommentar

    • gki
      Erfahrener Benutzer
      • 18.01.2012
      • 4842

      #3
      Hallo Scherfer,

      solche Sachen haben sich nur regional, sondern auch zeitich unterschieden.

      Beispiel:

      - Kurfürstentum Bayern (also Bayern vor 1800, insbesondere Niederbayern, ländliche Bevölkerung).

      - Heiraten durfte nur wer vom Staat eine Lizenz bekam. Dazu war nachzuweisen, daß eine zu erwartende Familie ernährt werden konnte. Konkret bedeutete das, daß das Paar den Hof seiner oder ihrer Eltern, oder einen anderen Hof, übernehmen konnte. Bei Handwerkern galt das entsprechend.

      - Es war üblich, daß der jüngste Sohn den Hof übernahm, falls nicht der überlebende Ehepartner nochmal heiratete.

      Konkret war es bei so einer Konstellation üblich, daß Männer etwa mit 25 heirateten, Frauen 2-3 Jahre früher. Wer in dem Alter nicht heiraten konnte, hatte später oft schlechte Karten. (Noch vor 20 Jahren hat mir gegenüber eine junge Frau ihren anstehenden 25ten Geburtstag als "Schachtelgeburtstag" bezeichnet...).

      Es gab allerdings sowas wie einen zweiten Heiratsmarkt, wo auch Frauen über 30 die erste Ehe schließen konnten. Das betraf dann eher die kleineren Hofstellen, wenn ein Witwer Kinder erster Ehe hatte und eine Hausfrau brauchte, aber nicht weitere Kinder. In solchen Fällen wurde dem neuen Ehepartner oft nicht der halbe Hof verheiratet, wie es sonst üblich war, sondern nur ein Auszug.
      Gruß
      gki

      Kommentar

      • schulkindel
        Erfahrener Benutzer
        • 28.02.2018
        • 872

        #4
        Scherfer:
        dass in Mittelpolen das durchschnittliche Alter bei der ersten Heirat bei Männern deutlich höher lag als andernorts. Die Lebensbedingungen waren offenbar so harsch, dass ein Mann erst einmal genügend für ein eigenes Heim zusammenhaben musste.
        Dem möchte ich nicht zustimmen.
        Ein Mann meiner Vorfahren heiratete mit 19 Jahren in Zgierz (Mittelpolen), seine Braut war 16.
        Meine (deutschen) Vorfahren aus dem Lubliner Gebiet haben in der Regel auch sehr früh geheiratet, ich könnte da Beispiele anführen, wo der Mann 20 Jahre alt war, seine Braut ebenso, andere männliche Vorfahren waren Anfang bis Mitte 20.
        Irgendwo in der Literatur habe ich gefunden, dass die Leute dort sehr jung heirateten. Ein Grund z. B. war, dass die Anwerber für die Deutschen zwecks Ansiedlung im Lodzer Gebiet und dann später im Lubliner Gebiet gern junge Leute nahmen, die verheiratet waren bzw. die Heiratsabsicht hatten.

        Weiter muss man sich auch vorstellen, dass die Ehepaare manchmal zehn Kinder hatten und die Hütten manchmal nur zwei Stuben hatten. Da war es sicherlich gewollt, dass die ältesten Kinder recht bald das Haus verließen um anderswo ihr Brot zu verdienen bzw. einen Hausstand zu gründen.

        Da kann ich auch entsprechende Beispiele für meine westpreußischen Vorfahren nennen.
        Da ist mir aber öfters in den Kirchenbucheinträgen des 19. Jahrhunderts aufgefallen, dass bei der Heirat nicht volljähriger Personen sowohl Männer als auch Frauen vermerkt wurde, dass ein Elternteil, der Vater meist und wenn der verstorben war, die Mutter ihre Einwilligung gegeben haben, schriftlich, aber auch mündlich, wenn sie nicht schreiben konnten. Ich habe da einige Fälle gefunden, wo die Braut erst 16 Jahre alt war, Männer 19 Jahre.
        In Preußen war man damals erst mit 21. Jahren volljährig.

        Aus Pommern kann ich ein Ehepaar anführen, die heirateten 1910 mit 21 und 19 Jahren (ein Kind kam erst ein Jahr später). Aber die Provinz Pommern gehörte ja auch zum Königreich Preußen.

        Was die vor- bzw. nicht ehelichen Kinder anbelangt, da gab es Regelungen, dass ein junger Mann nicht heiraten durfte/konnte, weil er aus wirtschaftlichen Gründen keinen Hausstand gründen konnte bzw. das Wohnrecht durch den Gutsherrn verweigert wurde.
        Der niederdeutsche Dichter Fritz Reuter hat mit seinem Werk "Kein Hüsung" (kein Haus bzw. Zuhause) so ein Beispiel aus Mecklenburg gegeben.

        Renate

        Das hat sich nun während ich schrieb, mit Gki überschnitten, schade.
        Renate
        Zuletzt geändert von schulkindel; 11.08.2022, 16:53. Grund: Einen Satz als Nachtrag hinzugefügt

        Kommentar

        • Garfield
          Erfahrener Benutzer
          • 18.12.2006
          • 2142

          #5
          Hallo

          Ich kenne leider keine Literatur dazu, und in der Schweiz habe ich noch zu wenig auf das Heiratsalter geachtet.

          In Süditalien (Region Molise, also etwas weiter weg von Sizilien) habe ich aber genauer auf das übliche Heiratsalter geachtet. Im 18. und 19. Jhd. war das übliche jüngste Alter bei 17 Jahren für beide Geschlechter. Zeitweise gab es auffällig viele Brautpaare im Alter von 17 Jahren oder ein paar wenige Jahre darüber, fast so als wenn im katholischen Dorf die Jugendlichen verheiratet werden sollten, bevor sie auf dumme Gedanken kommen konnten.
          Ein paar Ausnahmen von etwa einer Hand voll Bräuten und etwa ein Bräutigam im Alter von 15-16 Jahren habe ich im selben Zeitraum gefunden. Bei diesen war aber meistens mindestens ein Elternteil bereits verstorben, so dass vermutlich versucht wurde, heiratsfähige Halb-Waisen anderswo unterzubringen.
          Letzte Woche habe ich die bisher jüngste Braut gefunden, die mit 15 Jahren minus 4 Tage (also 14 Jahre +) geheiratet hat. Auch ihr Vater war bereits verstorben. Immerhin sind bei jungen Bräuten auch die Bräutigame nicht massiv älter, also geschätzt bis zu 5 jahre älter, aber nicht bis zu 10 Jahre. Ab dem Alter der Braut von 17 Jahren oder mehr konnte der Bräutigam aber auch 10 Jahre oder mehr älter sein, wenn er verwittwet war. Während verwittwete Frauen eher verwittwete ähnlich alte Männer heirateten (auch da gabs natürlich wieder Ausnahmen).
          Zum Stand kann ich nicht viel sagen, auch darauf habe ich bisher nicht geachtet. Aber in meiner entfernten Verwandtschaft in jenem Dorf fanden sich fast nur Tagelöhner, Bauern und vereinzelte einfachere Handwerker (Karrer, Schumacher, Schneider).

          Ich habe dafür mal die unehelichen Geburten in den Jahren 1810-1855 in "meinem" süditalienischen Dorf statistisch erhoben.
          1810-1822 gab es pro Jahr 1-5 Findelkinder, dh. auf der Strasse oder vor dem Kloster ausgesetzte Kinder. Danach muss irgendwas geändert haben, denn ab 1823 wurden die Mütter im Geburtsregister genannt, aber die Väter als unbekannt eingetragen. Dies mit anfangs 3 Fällen und danach nur noch 0-1 Fällen pro Jahr.
          Interessant ist, dass die angegebenen Mütter gar nicht mal so jung waren. Hier chronologisch das angegebene Alter: 33, 18, 24, 40, 20, 32, 32, 30, 23 Jahre.
          Viele Grüsse von Garfield

          Suche nach:
          Caruso in Larino/Molise/Italien
          D'Alessandro in Larino und Fossalto/Molise/Italien und Montréal/Kanada
          Jörg von Sumiswald BE/Schweiz
          Freiburghaus von Neuenegg BE/Schweiz
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          • consanguineus
            Erfahrener Benutzer
            • 15.05.2018
            • 5533

            #6
            Hallo Scherfer,

            ich kann Sbrigliones Ausführungen zu den Verhältnissen in Halberstadt vollumfänglich unterstreichen. Im benachbarten Wolfenbüttel war es genauso. Innerhalb der Bauernklassen fällt mir auf, daß der Ackermann (Großbauer) im Schnitt später heiratete als der Kothsaß (Kleinbauer).

            Was meine studierten Vorfahren (Juristen und Pastoren) betrifft, so wurde noch einmal deutlich später geheiratet als beim "einfachen Volk", was nicht wirklich überrascht, da die Ausbildung sehr viel länger dauerte.

            Am meisten Zeit ließ sich tatsächlich der (landsässige) Adel, wie Sbriglione bereits anmerkte. Ich kann allerdings nur für den märkischen Adel sprechen. Die Frauen waren häufig deutlich jünger als ihre Ehemänner.

            Ich spreche vom 16. bis 18. Jahrhundert. Vorher habe ich keine Zahlen. Nachher verwischen sich die Sitten ein wenig.

            Viele Grüße
            consanguineus
            Suche:

            Joh. Christian KROHNFUSS, Jäger, * um 1790
            Carl KRÜGER, Amtmann in Bredenfelde, * um 1700
            Georg Melchior SUDHOFF, Pächter in Calvörde, * um 1680
            Ludolph ZUR MÜHLEN, Kaufmann in Bielefeld, * um 1650
            Dorothea v. NETTELHORST a. d. H. Kapsehden, * um 1600
            Thomas SCHÜTZE, Bürgermeister in Wernigerode 1561

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