Hallo zusammen,
vielleicht interessiert es den ein oder andern, etwas über das Alltagsleben eines Gutsverwalters in Livland um 1910 und folgender russ. Zivilgefangenschaft unter Baschkieren zu lesen? Es ist dem Tagebuch meines Großvaters entnommen.
Es wäre schön, wenn der ein oder andere etwas dazu sagen könnte.
Winterfeld
Es war am 1. Jan. 1910 als ich meine deutsche Heimat verließ, um im Baltikum auf dem Gut Winterfeld im Kreis Riga eine Stellung als Inspektor anzutreten. Mein neuer Chef, ein Herr von Sivers war mir kein Fremder. Hatte er doch im Vorjahr auf dem Gute, auf dem ich tätig war, unter meiner Leitung versucht, die Landwirtschaft zu erlernen. Er zeigt aber wenig Interesse dafür, denn sein Fach war die Forstwirtschaft, worin sich sein Vater bereits im In-und Ausland einen Namen gemacht hatte. Das Gut Winterfeld, das ihm sein Vater eben erst zur Verwaltung übergeben hatte, hatte eine Größe von 12000 Desjatinen, das sind etwa 50000 Morgen. Der größte Teil bestand aus Wald, einige Höfe waren verpachtet und 5000 Morgen wurden landwirtschaftlich genutzt. Der Vater lebte im 10 Werst entfernten (1 Werst = 1060 m) entfernten Schloss Römershof, wo er sich seinen forstwirtschaftlichen Studien widmete. zu diesem Zweck hatte er sich einen Teil des Forstes in Größe von etwa 1000 Morgen zurückgehalten.
Ich hatte also am 1. Jan. 1910 Deutschland verlassen und traf am 23. Dez. 1909 in meinem neuen Wirkungskreis ein. Infolge der verschiedenen Kalenderrechnungen erlebte ich also in diesem Jahr zwei Neujahrsfeiern.
Eine meiner ersten Amtshandlungen war die Weihnachtsbescherung der Kinder der Gutsarbeiter. Diese fand in der zum Gute gehörenden Schule statt. Unterricht wurde in ihr nur im Winter erteilt, da im kurzen Sommer die Kinder und der Lehrer zur Feldarbeit gebraucht wurden, letzterer als Aufseher.
Die erste Zeit meiner Tätigkeit war nicht leicht für mich. Unter meinem Vorgänger, einem Esten war die Disziplin der Leute in die Brüche gegangen. Jeder machte so ziemlich, was er wollte, von Gehorsam war nicht zu sprechen. Aus diesem Grunde hatte auch der Baron den indolenten Esten entlassen und mich zu sich gerufen. Ich musste mich oft drastischer Mittel bedienen, um mir die Leute gefügig zu machen. Zweimal zeigten sie mich an, die anzeigen wurden aber aus formellen Gründen abgewiesen. Dabei kam mir vielleicht die Tatsache zu Hilfe, dass de Friedensrichter ein deutscher Baron war. Schließlich resignierten sie, und als der Widerstand gebrochen war, kamen wir ganz gut miteinander aus.
Ich sagte schon, dass der Baron für die Landwirtschaft wenig Interesse hatte, denn diese brachte nichts ein, der Forst aber umso mehr. Ihn interessierte nur die Jagd und die Verwaltung der Forsten, in denen sich 7 Förstereien befanden. Oft musste ich ihn bei den Inspektionen der 7 Reviere begleiten, öfter als es den Belangen der Landwirtschaft zuträglich war. Wohl war noch ein Verwalter da und wen ich ihn darauf aufmerksam machte, dass ich auf den Feldern benötigt würde, tat er dies mit dem Bemerken ab, dass ja der Verwalter da sei, dem ich die nötigen Anweisungen geben könne.
So saßen wir meist den ganzen Tag im Sattel, was mir anfangs recht schwer fiel, durchstreiften die weiten Wälder, suchten die entfernten Förstereien auf oder spürten dem Wilde nach. So vermittelte er mir forstliche Kenntnisse und erweckte in mir die Liebe zur Jagd nach den Tieren des Waldes und den zahlreichen Wild- und Holzdieben. Er tat dies wohl auch in der Absicht, sich für die Zeiten seiner öfteren Abwesenheit einen Vertreter heranzubilden.
Dieses fast abenteuerliche Herumstreichen und das Spiel mit der Gefahr reizte mich und er fand in mir einen gelehrigen Schüler. Er lehrte mich die Unterschriften in dem großen Gästebuch der Natur zu lesen und zu deuten, die Spur des Wolfes von der des Luchses zu unterscheiden, die des Fuchses von der des Hundes und die des Marders von der des Iltis und er zeigte mir das große Trittsiegel des mächtigen Elches. Ich hörte die mir noch unbekannten Rufe des Schreiadlers, des Uhus und des Kolkraben, das Pfeifen des Haselhahns das in solch hohen Oktaven erklingt, dass es das Ohr mancher Menschen nicht mehr aufnehmen kann, die Rufe des Schnee- und Moorhuhns. Bei anbrechendem Frühling saß ich mit ihm auf den Balzplätzen des Birkhahns und sprang mit ihm den Auerhahn an, dessen sonderbares Liebeslied von den anderen Waldgeräuschen zu unterscheiden mir erst nach längerer Übung gelang. So manchen Wilddieb fassten wir zusammen ab.
Der Kampf mit den Wilddieben war nun nicht so, wie etwa in den bayrischen Bergen, er war humorloser. Das kam daher, dass ein ertappter Wilderer nur eine ganz geringe Geldstrafe zu erwarten hatte, das ihm abgenommene Gewehr musste er zurückerhalten. Es lohnte sich nicht das Risiko einer Verschickung nach Sibirien wegen Mord auf sich zu nehmen. Die Wilderer waren meist lettische Bauern, die ihren Grundbesitz inmitten der ausgedehnten Ländereien des Gutes bewirtschafteten, die man alle gut kannte, mit denen man freundschaftlich verkehrte, die den Abschuss des Wildes als ihr gutes Recht betrachteten.
Nur einmal ist es mir passiert, dass ein von mir gejagter Wilddieb als er die Hoffnung auf ein Entkommen schwinden sah, sich umdrehte und schoss. Ich schoss gleichzeitig, er fiel auch hin, sprang aber wieder auf und lief weiter, Da bemerkte ich, dass ich blutete, dass es mir warm am Hals herunterlief. Ein Postenkorn hatte mich am Hals erwischt, dicht neben der Schlagader war es eingedrungen. Erst später merkte ich, dass auch meine Lederweste Löcher aufwies und dass meine Uhr das Zeitliche gesegnet hatte. Der Baron entschädigte mich mit einer neuen Uhr und schenkte mir als Schmerzensgeld eine 16schüssige Winchester-Büchse.
Fortsetzung folgt
vielleicht interessiert es den ein oder andern, etwas über das Alltagsleben eines Gutsverwalters in Livland um 1910 und folgender russ. Zivilgefangenschaft unter Baschkieren zu lesen? Es ist dem Tagebuch meines Großvaters entnommen.
Es wäre schön, wenn der ein oder andere etwas dazu sagen könnte.
Winterfeld
Es war am 1. Jan. 1910 als ich meine deutsche Heimat verließ, um im Baltikum auf dem Gut Winterfeld im Kreis Riga eine Stellung als Inspektor anzutreten. Mein neuer Chef, ein Herr von Sivers war mir kein Fremder. Hatte er doch im Vorjahr auf dem Gute, auf dem ich tätig war, unter meiner Leitung versucht, die Landwirtschaft zu erlernen. Er zeigt aber wenig Interesse dafür, denn sein Fach war die Forstwirtschaft, worin sich sein Vater bereits im In-und Ausland einen Namen gemacht hatte. Das Gut Winterfeld, das ihm sein Vater eben erst zur Verwaltung übergeben hatte, hatte eine Größe von 12000 Desjatinen, das sind etwa 50000 Morgen. Der größte Teil bestand aus Wald, einige Höfe waren verpachtet und 5000 Morgen wurden landwirtschaftlich genutzt. Der Vater lebte im 10 Werst entfernten (1 Werst = 1060 m) entfernten Schloss Römershof, wo er sich seinen forstwirtschaftlichen Studien widmete. zu diesem Zweck hatte er sich einen Teil des Forstes in Größe von etwa 1000 Morgen zurückgehalten.
Ich hatte also am 1. Jan. 1910 Deutschland verlassen und traf am 23. Dez. 1909 in meinem neuen Wirkungskreis ein. Infolge der verschiedenen Kalenderrechnungen erlebte ich also in diesem Jahr zwei Neujahrsfeiern.
Eine meiner ersten Amtshandlungen war die Weihnachtsbescherung der Kinder der Gutsarbeiter. Diese fand in der zum Gute gehörenden Schule statt. Unterricht wurde in ihr nur im Winter erteilt, da im kurzen Sommer die Kinder und der Lehrer zur Feldarbeit gebraucht wurden, letzterer als Aufseher.
Die erste Zeit meiner Tätigkeit war nicht leicht für mich. Unter meinem Vorgänger, einem Esten war die Disziplin der Leute in die Brüche gegangen. Jeder machte so ziemlich, was er wollte, von Gehorsam war nicht zu sprechen. Aus diesem Grunde hatte auch der Baron den indolenten Esten entlassen und mich zu sich gerufen. Ich musste mich oft drastischer Mittel bedienen, um mir die Leute gefügig zu machen. Zweimal zeigten sie mich an, die anzeigen wurden aber aus formellen Gründen abgewiesen. Dabei kam mir vielleicht die Tatsache zu Hilfe, dass de Friedensrichter ein deutscher Baron war. Schließlich resignierten sie, und als der Widerstand gebrochen war, kamen wir ganz gut miteinander aus.
Ich sagte schon, dass der Baron für die Landwirtschaft wenig Interesse hatte, denn diese brachte nichts ein, der Forst aber umso mehr. Ihn interessierte nur die Jagd und die Verwaltung der Forsten, in denen sich 7 Förstereien befanden. Oft musste ich ihn bei den Inspektionen der 7 Reviere begleiten, öfter als es den Belangen der Landwirtschaft zuträglich war. Wohl war noch ein Verwalter da und wen ich ihn darauf aufmerksam machte, dass ich auf den Feldern benötigt würde, tat er dies mit dem Bemerken ab, dass ja der Verwalter da sei, dem ich die nötigen Anweisungen geben könne.
So saßen wir meist den ganzen Tag im Sattel, was mir anfangs recht schwer fiel, durchstreiften die weiten Wälder, suchten die entfernten Förstereien auf oder spürten dem Wilde nach. So vermittelte er mir forstliche Kenntnisse und erweckte in mir die Liebe zur Jagd nach den Tieren des Waldes und den zahlreichen Wild- und Holzdieben. Er tat dies wohl auch in der Absicht, sich für die Zeiten seiner öfteren Abwesenheit einen Vertreter heranzubilden.
Dieses fast abenteuerliche Herumstreichen und das Spiel mit der Gefahr reizte mich und er fand in mir einen gelehrigen Schüler. Er lehrte mich die Unterschriften in dem großen Gästebuch der Natur zu lesen und zu deuten, die Spur des Wolfes von der des Luchses zu unterscheiden, die des Fuchses von der des Hundes und die des Marders von der des Iltis und er zeigte mir das große Trittsiegel des mächtigen Elches. Ich hörte die mir noch unbekannten Rufe des Schreiadlers, des Uhus und des Kolkraben, das Pfeifen des Haselhahns das in solch hohen Oktaven erklingt, dass es das Ohr mancher Menschen nicht mehr aufnehmen kann, die Rufe des Schnee- und Moorhuhns. Bei anbrechendem Frühling saß ich mit ihm auf den Balzplätzen des Birkhahns und sprang mit ihm den Auerhahn an, dessen sonderbares Liebeslied von den anderen Waldgeräuschen zu unterscheiden mir erst nach längerer Übung gelang. So manchen Wilddieb fassten wir zusammen ab.
Der Kampf mit den Wilddieben war nun nicht so, wie etwa in den bayrischen Bergen, er war humorloser. Das kam daher, dass ein ertappter Wilderer nur eine ganz geringe Geldstrafe zu erwarten hatte, das ihm abgenommene Gewehr musste er zurückerhalten. Es lohnte sich nicht das Risiko einer Verschickung nach Sibirien wegen Mord auf sich zu nehmen. Die Wilderer waren meist lettische Bauern, die ihren Grundbesitz inmitten der ausgedehnten Ländereien des Gutes bewirtschafteten, die man alle gut kannte, mit denen man freundschaftlich verkehrte, die den Abschuss des Wildes als ihr gutes Recht betrachteten.
Nur einmal ist es mir passiert, dass ein von mir gejagter Wilddieb als er die Hoffnung auf ein Entkommen schwinden sah, sich umdrehte und schoss. Ich schoss gleichzeitig, er fiel auch hin, sprang aber wieder auf und lief weiter, Da bemerkte ich, dass ich blutete, dass es mir warm am Hals herunterlief. Ein Postenkorn hatte mich am Hals erwischt, dicht neben der Schlagader war es eingedrungen. Erst später merkte ich, dass auch meine Lederweste Löcher aufwies und dass meine Uhr das Zeitliche gesegnet hatte. Der Baron entschädigte mich mit einer neuen Uhr und schenkte mir als Schmerzensgeld eine 16schüssige Winchester-Büchse.
Fortsetzung folgt
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