»Innerfamiliäres« Heiraten

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  • Jürgen_W
    Erfahrener Benutzer
    • 25.08.2021
    • 295

    #46
    Zitat von consanguineus Beitrag anzeigen
    Der Umstand, daß in evangelischen Kirchenbüchern selten eine Dispens erwähnt wird, sollte nicht zu der irrigen Annahme führen, daß Protestanten keine Dispens benötigten wenn sie eine relativ nahe verwandte Person heiraten wollten.
    Hallo,

    eine Dispens ist ja nur möglich, wenn es eine Vorschrift gibt, von der dispensiert wird. Für die katholischen Kirche sind relevante Vorschriften zum Eherecht im katholischen Kirchenrecht CIC enthalten. Gibt/Gab es im evangelischen Kirchenrecht analoge Vorschriften z.B. für Ehen bei Blutsverwandtschaft (und wo kann man die nachlesen)?
    Kennt jemand ein Beispiel für eine Ehedispens wegen Blutsverwandtschaft in einem evangelischen Kirchenbuch?

    Viele Grüße,
    Jürgen

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    • consanguineus
      Erfahrener Benutzer
      • 15.05.2018
      • 5541

      #47
      Zitat von Jürgen_W Beitrag anzeigen
      eine Dispens ist ja nur möglich, wenn es eine Vorschrift gibt, von der dispensiert wird. Für die katholischen Kirche sind relevante Vorschriften zum Eherecht im katholischen Kirchenrecht CIC enthalten. Gibt/Gab es im evangelischen Kirchenrecht analoge Vorschriften z.B. für Ehen bei Blutsverwandtschaft (und wo kann man die nachlesen)?
      Kennt jemand ein Beispiel für eine Ehedispens wegen Blutsverwandtschaft in einem evangelischen Kirchenbuch?
      Hallo Jürgen,

      ich kann Dir die Frage nach Vorschriften im evangelischen Kirchenrecht nicht beantworten. Hierzu gebe ich aber zu bedenken, daß die evangelischen Kirchen, im Gegensatz zu den Katholiken, keine homogene Masse bilden. Da mag und wird es Unterschiede geben oder gegeben haben.

      Hier das konkrete Beispiel eines 5xUrgroßelternpaares aus dem Jahre 1754:

      "Dom(inica). p(ost). Trinit(atis). XXI. XXII. et XXIII. it(em). copuliret: Sponsus: Christian Wagenführ, see(ligen). Hans Heinrich Wagenführ geweßenen Einwohners und Ackermanns ehelicher jüngster Sohn. Sponsa: Sophie Dorothee Wagenführ see(ligen). patrui Andreas Wagenführ geweßenen Ackermanns nachgelaßene ehe(liche). älteste Tochter. NB nach erhaltener landesherr(licher). Dispensation" KB Schauen, Trauungen 1750-1806, S. 5

      Die Reichsbaronie Schauen war ein deutscher Kleinstaat, der lediglich aus dem Dorf Schauen bestand. Nichtsdestotrotz politisch ein souveränes Gebilde! Ich weiß aber nicht, ob es das auch im kirchenrechtlichen Sinne war, oder ob man sich der Einfachheit halber dem Fürstentum Halberstadt bzw. Kurbrandenburg oder aber Kurhannover angeschlossen hat.

      Viele Grüße
      consanguineus
      Suche:

      Joh. Christian KROHNFUSS, Jäger, * um 1790
      Carl KRÜGER, Amtmann in Bredenfelde, * um 1700
      Georg Melchior SUDHOFF, Pächter in Calvörde, * um 1680
      Ludolph ZUR MÜHLEN, Kaufmann in Bielefeld, * um 1650
      Dorothea v. NETTELHORST a. d. H. Kapsehden, * um 1600
      Thomas SCHÜTZE, Bürgermeister in Wernigerode 1561

      Kommentar

      • Gastonian
        Moderator
        • 20.09.2021
        • 3326

        #48
        Hallo:


        Und hier im Staatsarchiv Marburg (https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/...rue&sorting=40) gibt es eine gesamte Aktenreihe zu den Ehedispense, die vom Hanauer Geheimen Rat erteilt wurden. Dies war die Regierungsbehörde der (reformierten) Landgrafschaft Hessen-Kassel für den (reformierten) Landesteil Hanau-Münzenberg.


        Nachtrag: Und hier (https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/...n.hasdigi=true) die Gesuche zu einem Ehedispens in der (lutherischen) Freien Stadt Frankfurt.



        VG


        --Carl-Henry
        Zuletzt geändert von Gastonian; 02.11.2023, 12:28.
        Meine Ahnentafel: https://gw.geneanet.org/schwind1_w?iz=2&n=schwind1&oc=0&p=privat

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        • Jürgen_W
          Erfahrener Benutzer
          • 25.08.2021
          • 295

          #49
          Hallo consanguineus, hallo Carl-Henry,

          danke für Eure Beispiele. Demnach wurden evangelische Ehedispense also von weltlichen Autoritäten erteilt, anders als die von kirchlichen Autoritäten erteilten katholischen Ehedispense. Das könnte der Grund sein warum evangelische Pfarrer Ehedispense offenbar deutlich seltener in Kirchenbüchern vermerkt haben als katholische Pfarrer.
          Die relevanten Vorschriften zum Eherecht waren dann vielleicht auch gar nicht im jeweiligen evangelischen Kirchenrecht festgelegt sondern im weltlichen Recht evangelischer Territorien.

          Viele Grüße,
          Jürgen

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          • consanguineus
            Erfahrener Benutzer
            • 15.05.2018
            • 5541

            #50
            Zitat von Jürgen_W Beitrag anzeigen
            Demnach wurden evangelische Ehedispense also von weltlichen Autoritäten erteilt, anders als die von kirchlichen Autoritäten erteilten katholischen Ehedispense.
            Nein, die Ehedispense wurden vom Konsistorium erteilt, der obersten Kirchenbehörde. Deren Haupt war aber, zumindest kenne ich das so aus der hiesigen Kirche, und insofern liegst Du auf den ersten Blick nicht ganz falsch, der Herzog als Landesherr.

            Viele Grüße
            consanguineus
            Suche:

            Joh. Christian KROHNFUSS, Jäger, * um 1790
            Carl KRÜGER, Amtmann in Bredenfelde, * um 1700
            Georg Melchior SUDHOFF, Pächter in Calvörde, * um 1680
            Ludolph ZUR MÜHLEN, Kaufmann in Bielefeld, * um 1650
            Dorothea v. NETTELHORST a. d. H. Kapsehden, * um 1600
            Thomas SCHÜTZE, Bürgermeister in Wernigerode 1561

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            • Gastonian
              Moderator
              • 20.09.2021
              • 3326

              #51
              Hallo Jürgen:


              Wie schon von consanguineus gesagt, war der Landesherr auch Haupt der evangelischen Landeskirche (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Landes...irchenregiment). Ehehindernisse wurden wohl in der Landeskirchenordnung geregelt, und waren insofern Kirchenrecht - aber die Landeskirchenordnung, obwohl vom Konsistorium aufgearbeitet, wurde in der letzten Instanz vom Landesherrn als Landeskirchenoberhaupt verabschiedet. Die Einzelfragen zu spezifischen Ehedispensansuchen wurden wohl zumeist durch das Konsistorium verwaltet - zumindest in Hessen sind aber die Konsistoriumsakten in den Landeskirchenarchiven nicht in arcinsys einzeln verzeichnet, kann man also nicht sehen, ob es auch Ehedispensakten des Konsistoriums in Kassel oder Marburg gibt. Es gab auch ein Konsistorium in Hanau - aber wieso die Angelegenheiten hier vom Geheimen Rat und nicht vom Konsistorium verwaltet wurden, weiß ich nicht.



              VG


              --Carl-Henry
              Meine Ahnentafel: https://gw.geneanet.org/schwind1_w?iz=2&n=schwind1&oc=0&p=privat

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              • Jürgen_W
                Erfahrener Benutzer
                • 25.08.2021
                • 295

                #52
                Zitat von Gastonian Beitrag anzeigen
                Ehehindernisse wurden wohl in der Landeskirchenordnung geregelt
                Hallo Carl-Henry,

                gibt es ein Beispiel für Vorschriften zu Ehedispensen in einer evangelischen Landeskirchenordnung?

                In der Kirchenordnung für die evangelischen Gemeinden der Provinz Westfalen und die Rheinprovinz von 1835 steht jedenfalls nichts zu Ehedispensen, aber in §114: „Die kirchliche Einsegnung der Ehe findet nur statt, bei Ehen, welche nach den Landes-Gesetzten erlaubt sind.“


                Mit den Landesgesetzen ist wohl das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 gemeint, das im Abschnitt „Von den Erfordernissen einer gültigen Ehe“ Vorschriften zu Ehedispensen enthält:

                Gemäß §7 war bei Blutsverwandschaft 2. und höheren Grades keine Dispens erforderlich. In den in §8 genannten Fällen war eine Erlaubnis des Staates erforderlich.

                Viele Grüße,
                Jürgen

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                • Gastonian
                  Moderator
                  • 20.09.2021
                  • 3326

                  #53
                  Hallo Jürgen:


                  Das evangelische Recht hierzu wird wohl eine geschichtliche Entwicklung untergangen sein; insbesondere im 19. Jahrhundert war man viel liberaler (nicht deutsch, aber ich weiß, daß im lutherischen Norwegen in der Mitte des 19. Jahrhunderts Onkel-Nichten-Ehen ohne Dispens möglich waren).



                  In Hessen wurden Ehehindernisse zuerst geregelt in der Reformations-Ordnung 1572 der vier Söhne von Landgraf Philipp I., die unter sich Hessen geteilt hatten (siehe S. 365-366 hier: https://archiv.ub.uni-marburg.de/ubf...2010-0354/View Nachtrag: siehe https://digi.hadw-bw.de/view/eko8/0360/image,info und https://digi.hadw-bw.de/view/eko8/0422/image,info); in den früheren Kirchenordnungen wurde dieses Thema noch zukünftiger Regelung vorbehalten (siehe z.B. in der Kirchen-Ordnung von 1566 auf S. 322 des ersten Links oben). Laut der Regelung von 1572 waren eine Heirat im 2. oder 3. Grad der Blutsverwandschaft oder Schwagerschaft, in gleichen oder ungleichen Linien, verboten, aber eine Heirat im 3. Grad der Blutsverwandschaft konnte mit Dispens des Landgrafen geschehen (welche nur aus erheblichen und hochwichtigen Gründen zu erteilen war). Eine Blutsverwandschaft im 4. Grad war anscheinend kein Ehehindernis.


                  In der neuen Landeskirchenordnung ("Reformations-Ordnung") Hessen-Kassels von 1656 (siehe S. 422, Image 00538 hier: https://archiv.ub.uni-marburg.de/ubf...2010-0355/View) war das Ehehindernis das gleiche, aber jetzt konnte der Landgraf auch einen Dispens für den 2. Grad geben.


                  VG


                  --Carl-Henry
                  Zuletzt geändert von Gastonian; 02.11.2023, 21:19.
                  Meine Ahnentafel: https://gw.geneanet.org/schwind1_w?iz=2&n=schwind1&oc=0&p=privat

                  Kommentar

                  • jebaer
                    Erfahrener Benutzer
                    • 22.01.2022
                    • 1911

                    #54
                    Überlegungen zum gesellschaftlichen Hintergrund, schon 35 Jahre alt, aber ganz amüsant:



                    LG Jens
                    Ist nur meine Ansicht.
                    Kann jeder seine eigene haben - meiner Ansicht nach!

                    Kommentar

                    • Jürgen_W
                      Erfahrener Benutzer
                      • 25.08.2021
                      • 295

                      #55
                      Hallo Carl-Henry,

                      vielen Dank!
                      Dann gibt es also Beispiele für Vorschriften zu evangelischen Ehedispensen sowohl im Kirchenrecht (Reformationsordnungen) als auch im weltlichen Recht (Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 1794).

                      Zitat von Gastonian Beitrag anzeigen
                      insbesondere im 19. Jahrhundert war man viel liberaler (nicht deutsch, aber ich weiß, daß im lutherischen Norwegen in der Mitte des 19. Jahrhunderts Onkel-Nichten-Ehen ohne Dispens möglich waren).
                      Es gibt auch ein prominentes Beispiel einer deutschen Onkel-Nichte-Ehe im 19. Jahrhundert: Der Dichter des Deutschlandliedes August Heinrich Hoffmann (von Fallersleben) und seine Nicht Ida zum Berge heirateten am 28. Oktober 1849 in Braunschweig (laut einem Geneanet-Stammbaum in St. Martini). Es wäre noch interessant ob im evangelischen Kirchenbuch eine Dispens für diese Onkel-Nichte-Trauung vermerkt ist (ich habe derzeit keinen Archion-Pass und kann deshalb nicht selbst nachschauen).

                      Viele Grüße,
                      Jürgen

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                      • Gastonian
                        Moderator
                        • 20.09.2021
                        • 3326

                        #56
                        Hallo Jürgen:


                        Im Anhang der Traueintrag. Da gab es eine Dispensation vom braunschweigischen Staatsministerium, aber es wird nicht ausdrücklich gesagt, ob das eine Dispensation wegen der Blutsverwandschaft oder nur eine Dispensation von der Aufgebotspflicht war.


                        Der Bestand des braunschweigischen Staatsministeriums im Landesarchiv Wolfenbüttel enthält eine Aktenreihe zu Dispensationen vom Aufgebot (http://www.arcinsys.niedersachsen.de...rue&sorting=41 und spezifisch https://www.arcinsys.niedersachsen.d...ailid=v9848274), aber, soweit ich es sehe, nicht zu Dispensation wegen Blutsverwandschaft.



                        VG


                        --Carl-Henry
                        Angehängte Dateien
                        Zuletzt geändert von Gastonian; 03.11.2023, 15:43.
                        Meine Ahnentafel: https://gw.geneanet.org/schwind1_w?iz=2&n=schwind1&oc=0&p=privat

                        Kommentar

                        • Jürgen_W
                          Erfahrener Benutzer
                          • 25.08.2021
                          • 295

                          #57
                          Hallo Carl-Henry,

                          außer dem Braunschweigischen Staatsministerium hat wohl auch das Konsistorium Wolfenbüttel Ehedispense erteilt:
                          Dispenserteilung in Ehesachen Enthält auch: Dispens für Christoph Schaper in Rühle zur Ehelichung der Witwe seines Bruders (1747), Arcinsys ist ein Archivinformationssystem der Landesarchive Hessen und Niedersachsen mit einer Onlinesuche für Archivalien und Funktionen für alle archivischen Aufgabenbereiche.


                          Vielleicht war das Konsistorium ja für Ehedispense wegen Blutsverwandtschaft zuständig.

                          Viele Grüße,
                          Jürgen

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                          • Genau geahnt
                            Erfahrener Benutzer
                            • 01.09.2023
                            • 143

                            #58
                            Wie läuft das »in der Praxis« ab?

                            Wie kann man sich denn eigentlich den Ablauf vorstellen, der typischerweise passiert sein muss, damit überhaupt ein Dispens in die Heiratsurkunde eines gegebenen Brautpaars eingetragen wird?

                            Sagen wir mal, wir haben das Jahr 1790, sind im Gebiet eines katholischen Kirchspiels, und der Antonius Bertold und die Tochter seiner Tante mütterlicherseits, die Catharina Demut, wollen heiraten. Was muss ab jetzt passieren, damit bei ihrer Heirat schließlich ein Dispens in der Urkunde steht?

                            Kommentar

                            • Genau geahnt
                              Erfahrener Benutzer
                              • 01.09.2023
                              • 143

                              #59
                              Ablauf

                              OK – ich helfe mal ein bisschen mit ...

                              Es muss doch wohl damit beginnen, dass irgendjemand aus dem Umfeld des Brautpaares (oder einer der Brautleute selbst) zu der Auffassung gelangt, dass in dem gegebenen Fall ein Dispens angebracht oder erforderlich ist, oder?

                              Und wenn dem so ist: Wer dürfte das in der Regel gewesen sein, wenn seine Auffassung der Beginn eines Ablaufs ist, an dessen Ende tatsächlich ein Dispenseintrag in der Heiratsurkunde steht?

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                              • PetraZey123
                                Erfahrener Benutzer
                                • 19.02.2023
                                • 288

                                #60
                                Dispenz

                                Ich, ehrlich gesagt kannte meine Ururgroßeltern nicht beim Namen bevor ich Ahnenforschung betrieb. Ich kann mir auch schlecht vorstellen, dass meine Mutter die urgroßeltern noch it Namen kannte. Jetzt sind damals auch viele meiner ahnen schon um die 60 gestorben. Mich wundert, dass die verwandschaftlichen Beziehungen so wichtig erachtet wurden dass man dieses Wissen pflegte. Auch wenn man bedenkt das 4 Kinder und mehr keine Seltenheit waren und dementsprechend weitverzweigt die 4 Generationen sind.

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