nachdem zeitgeschichtliche Reportagen auf großes Interesse stoßen, möchte ich auch etwas dazu beitragen.
Hintergrund: Meine Großmutter aus dem Raum Manchester heiratete 1903 meinen Großvater und reiste mit ihm nach der Hochzeit nach Riga, wo sie bis zu ihrem Tod 1919 lebte und an ihre Geschwister und ihre Nichte über das Leben in Riga, im "finstersten Rußland" berichtete und durch ihre Briefwechsel ihre Einsamkeit zu besiegen versuchte. ...
Die originalen Briefe liegen mir vor und wurden sortiert, erfasst, abgeschrieben und aus dem Englischen übersetzt. Viel Spaß beim Lesen.
Dokument 1: 17./02.März 1903 Riga Rußland, Weberstraße 9
( Ankunft in Riga )
Liebe Florrie,
Jetzt schreibe ich meinen ersten Brief in Rußland. Ich habe noch ein paar englische Briefmarken bei mir gefunden, die ich Annie beilege und sie bitte, sie Dir zu schicken.
Nun, Liebe Florrie, ich weiß, daß Du überrascht sein wirst, daß ich wirklich hier angekommen bin, ohne seekrank zu werden. Ich habe wirklich den Seegang auf der Nordsee genossen. Beim Essen war es sehr spaßig, wenn man eine Suppenschüssel hinstellte und sie dann über den Tisch schilderte. An einem Morgen brachte der Steward einen Krug heißes Wasser in meine Kabine bevor wir auf waren. Ich weiß nur noch, daß er rutschte, umkippte und sich alles in der Kabine verteilte.
Diese Kabine war wie ein Schrank und wir gingen ins Bett das aus zwei Fächern bestand. Auf Deck war es zwei oder drei Tage lang herrlich. In der Sonne war es Sonntag so heiß wie im Sommer, aber es wartete viel Treibeis, das vom Fluß her kam. Es scheint hier wirklich kälter zu sein und heute früh fror es.
Zur Grausamkeit des Zöllners kam, daß er uns nicht erlaubte, das Schiff vor ihm zu verlassen, sonst hätten wir gestern schon an Land gehen können.
Zur Überraschung wartete, als wir um 10.30Uhr ankamen, Rudolfs Vetter John schon seit Sonnabend auf uns, um uns zu begrüßen. Er lebt bei Rudolfs Eltern und sollte mir einen Kuß und viele Grüße geben. Wir ließen den Kuß aus, doch habe ich ihn gerne oder sollte ihn gern haben. Wenn ich mich mit ihm nur unterhalten könnte!
Es kam auch ein nettes Telegramm vom Rudolfs verheirateter Schwester und ihrem Mann aus Libau, die uns Gesundheit und viel Glück wünschten. Du hättest sie sehen sollen, als sie im Zollhaus unsere Kisten durchsuchten. Sie beschlagnahmten sogar meine Bezique-Karten, obwohl sie nicht komplett waren, weil darauf ein hoher Zoll liegt. Es war lustig, diese großen, seltsamen und dreckigen Männer zu beobachten, die sogar meine Stickmuster usw. durchstöberten und alle Bücher, sogar meine Bibel zurückhielten. Als das Boot in den Hafen kam, kam der Zöllner mit einigen Soldaten an Bord. Einer wurde über Nacht an Bord zurückgelassen, der auch in den Salon und in unsere Kabine eindrang. Man hatte das Gefühl, direkt nach Sibirien zu kommen. Jetzt bin ich zu Hause!
Wir sind auf der Suche nach einer anderen Wohnung, auch wenn diese sehr angenehm und groß ist, aber es gibt nur wenige. Es gibt kein fließendes Wasser und keinen Komfort (i.e. Waschgelegenheit u. Klo).
Das Geschäft scheint hier ewig zu gehen. Jetzt ist es schon 7.30Uhr abends und Frl. Willnet hackt noch immer auf ihrer Schreibmaschine herum, als ob sie nicht daran denken wollte, nach Hause zu gehen. Rudolf sitzt und schreibt Geschäftsbriefe auf der anderen Seite seines Schreibtisches, an dem ich sitze und John liest. Ich frage mich, wann ich einmal wieder Tee trinken werde und dürste nach einer Tasse Tee, da wir im Hotel Imperial gegessen haben und um 4Uhr damit fertig waren. Ich habe noch nicht aufgegeben, mir um 4 oder 5Uhr Tee zu wünschen, da er mir fehlt. Wenn alle Dinge etwas gesichtet sind, werde ich das einführen. Bis jetzt ist noch alles verpackt und es scheint kein Platz für das zu sein, was ich auspacke. Frag Vater, welche Zeitung gut wäre, uns zuschicken. Frage ihn auch, ob er sie uns regelmäßig schicken könnte.
Ich werde es ihm zahlen, wenn es nicht zu viel Mühe macht. Ich denke, daß die Manchester Weekly Times gut wäre. Mir gefällt der Guardian, aber ich denke, daß eine pro Woche genügt. Liebe Grüße an Mutter und erzähle ihr, daß es mir bis auf eine Erkältung, die ich mir auf der Überfahrt von Antwerpen holte, gut geht. Wenn Du uns besuchen kommst, bekommst Du russisches Essen auf den Schiffen. Aber die Eier und die Butter übertreffen alles in England - sie kommen aus Sibirien.
Viele Grüße von uns beiden ...
Deine liebe Tante Lily.
... schreibe bald und oft!
Fortsetzung folgt ... hat es euch gefallen?
Frank K.
Hintergrund: Meine Großmutter aus dem Raum Manchester heiratete 1903 meinen Großvater und reiste mit ihm nach der Hochzeit nach Riga, wo sie bis zu ihrem Tod 1919 lebte und an ihre Geschwister und ihre Nichte über das Leben in Riga, im "finstersten Rußland" berichtete und durch ihre Briefwechsel ihre Einsamkeit zu besiegen versuchte. ...
Die originalen Briefe liegen mir vor und wurden sortiert, erfasst, abgeschrieben und aus dem Englischen übersetzt. Viel Spaß beim Lesen.
Dokument 1: 17./02.März 1903 Riga Rußland, Weberstraße 9
( Ankunft in Riga )
Liebe Florrie,
Jetzt schreibe ich meinen ersten Brief in Rußland. Ich habe noch ein paar englische Briefmarken bei mir gefunden, die ich Annie beilege und sie bitte, sie Dir zu schicken.
Nun, Liebe Florrie, ich weiß, daß Du überrascht sein wirst, daß ich wirklich hier angekommen bin, ohne seekrank zu werden. Ich habe wirklich den Seegang auf der Nordsee genossen. Beim Essen war es sehr spaßig, wenn man eine Suppenschüssel hinstellte und sie dann über den Tisch schilderte. An einem Morgen brachte der Steward einen Krug heißes Wasser in meine Kabine bevor wir auf waren. Ich weiß nur noch, daß er rutschte, umkippte und sich alles in der Kabine verteilte.
Diese Kabine war wie ein Schrank und wir gingen ins Bett das aus zwei Fächern bestand. Auf Deck war es zwei oder drei Tage lang herrlich. In der Sonne war es Sonntag so heiß wie im Sommer, aber es wartete viel Treibeis, das vom Fluß her kam. Es scheint hier wirklich kälter zu sein und heute früh fror es.
Zur Grausamkeit des Zöllners kam, daß er uns nicht erlaubte, das Schiff vor ihm zu verlassen, sonst hätten wir gestern schon an Land gehen können.
Zur Überraschung wartete, als wir um 10.30Uhr ankamen, Rudolfs Vetter John schon seit Sonnabend auf uns, um uns zu begrüßen. Er lebt bei Rudolfs Eltern und sollte mir einen Kuß und viele Grüße geben. Wir ließen den Kuß aus, doch habe ich ihn gerne oder sollte ihn gern haben. Wenn ich mich mit ihm nur unterhalten könnte!
Es kam auch ein nettes Telegramm vom Rudolfs verheirateter Schwester und ihrem Mann aus Libau, die uns Gesundheit und viel Glück wünschten. Du hättest sie sehen sollen, als sie im Zollhaus unsere Kisten durchsuchten. Sie beschlagnahmten sogar meine Bezique-Karten, obwohl sie nicht komplett waren, weil darauf ein hoher Zoll liegt. Es war lustig, diese großen, seltsamen und dreckigen Männer zu beobachten, die sogar meine Stickmuster usw. durchstöberten und alle Bücher, sogar meine Bibel zurückhielten. Als das Boot in den Hafen kam, kam der Zöllner mit einigen Soldaten an Bord. Einer wurde über Nacht an Bord zurückgelassen, der auch in den Salon und in unsere Kabine eindrang. Man hatte das Gefühl, direkt nach Sibirien zu kommen. Jetzt bin ich zu Hause!
Wir sind auf der Suche nach einer anderen Wohnung, auch wenn diese sehr angenehm und groß ist, aber es gibt nur wenige. Es gibt kein fließendes Wasser und keinen Komfort (i.e. Waschgelegenheit u. Klo).
Das Geschäft scheint hier ewig zu gehen. Jetzt ist es schon 7.30Uhr abends und Frl. Willnet hackt noch immer auf ihrer Schreibmaschine herum, als ob sie nicht daran denken wollte, nach Hause zu gehen. Rudolf sitzt und schreibt Geschäftsbriefe auf der anderen Seite seines Schreibtisches, an dem ich sitze und John liest. Ich frage mich, wann ich einmal wieder Tee trinken werde und dürste nach einer Tasse Tee, da wir im Hotel Imperial gegessen haben und um 4Uhr damit fertig waren. Ich habe noch nicht aufgegeben, mir um 4 oder 5Uhr Tee zu wünschen, da er mir fehlt. Wenn alle Dinge etwas gesichtet sind, werde ich das einführen. Bis jetzt ist noch alles verpackt und es scheint kein Platz für das zu sein, was ich auspacke. Frag Vater, welche Zeitung gut wäre, uns zuschicken. Frage ihn auch, ob er sie uns regelmäßig schicken könnte.
Ich werde es ihm zahlen, wenn es nicht zu viel Mühe macht. Ich denke, daß die Manchester Weekly Times gut wäre. Mir gefällt der Guardian, aber ich denke, daß eine pro Woche genügt. Liebe Grüße an Mutter und erzähle ihr, daß es mir bis auf eine Erkältung, die ich mir auf der Überfahrt von Antwerpen holte, gut geht. Wenn Du uns besuchen kommst, bekommst Du russisches Essen auf den Schiffen. Aber die Eier und die Butter übertreffen alles in England - sie kommen aus Sibirien.
Viele Grüße von uns beiden ...
Deine liebe Tante Lily.
... schreibe bald und oft!
Fortsetzung folgt ... hat es euch gefallen?
Frank K.
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