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Neue Familiennamen in Galizien um 1780
Hallo zusammen,
soeben bin ich auf den Stammbaum einer amerikanischen Forscherin in Ancestry gestoßen, der einen meiner größten toten Punkte aufklärt. Die Spur meiner um 1800 endenden Wolowiec-Ahnen führt die Forscherin ziemlich gut belegt weiter zurück. Der Grund, warum ich nicht weiter gekommen bin, ist ein Nachnamenswechsel der Familie. Wie die amerikanische Forscherin anhand zahlreicher Familien in der katholischen Pfarrei Bolesław feststellen konnte, wurden dort zwischen 1770 und 1800 etliche neue Nachnamen vergeben. Vor 1770 tauchen nur die alten Nachnamen (in meinem Fall "Brodka") und nach 1810 nur die neuen Nachnamen in den Kirchenbüchern auf. Warum aber kam es zu dieser Verteilung der neuen Nachnamen? Und woher stammen diese Nachnamen? Wer hat sie vergeben? Im Internet bin ich nur auf diesen Artikel gestoßen: https://www.tagesspiegel.de/nochems-...n-8935267.html Nach der ersten polnischen Teilung haben Juden demzufolge von österreichischen Beamten neue, "deutschere" Nachnamen bekommen. Aber inwiefern passt das zu katholischen Familien, deren neuer Nachname weiterhin einen polnischen Hintergrund hat? Habt ihr Ideen und könnt mir weiterhelfen? Besten Dank im Voraus! Max |
#2
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Auch E.T.A.Hoffmann soll ja an dieser administrativen Neuvergabe von Namen an die jüdische Bevölkerung Galiziens beteiligt gewesen sein ...
Ich schreibe das nur, um die Frage zum Wochenende nochmal hochzuholen. Finde ich sehr interessant. LG Schischka |
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Zitat:
Die Namensänderung war ganz normal und üblich. Dafür gab's viele Gründe. |
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Aber waren auch systematische Namensänderungen in einer ganzen katholischen Pfarrei (oder möglicherweise auch in der ganzen Region) normal? Kennst du dazu irgendwelche Artikel / wissenschaftliche Aufsätze?
Was wären denn beispielsweise Gründe, mit denen du dieses Phänomen erklären würdest? |
#5
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Zitat:
Das war so normal, dass in Galizien ein Edikt erlassen wurde, das Pfarrer dazu verpflichtete, die Angaben (Name, Ehe etc.) des Anzeigenden über die Geburt des Kindes zu überprüfen. In den anderen polnischen Gebieten gab es keine solche Verpflichtung, und wenn der Pfarrer die Familie nicht kannte, trug er ein, was der Vater angegeben hatte. Kannst du polnisch? Zitat:
Damals waren die Menschen nicht an ihren Namen gebunden. Daher ist zu berücksichtigen, dass ein Nachname in der Vergangenheit eher bedeutete, "wie man mich nennt" als "wie ich heisse". Aus diesem Grund hatten sich die Familiennamen über viele Jahre hinweg gebildet und verändert. Der polnische Bauer Jan Słomka, der 1842 geboren wurde, schrieb in seinen Memoiren folgendes: Fast jeder Bauer hatte damals einen Spitznamen oder einen Beinamen, mit dem er im Dorf angeredet wurde. Wojciech Łuczak aus Podłęże wurde zum Beispiel "Pończocha" [Strumpf] genannt, Józef Wójcikowski "Drab" [ein großer plumper Kerl/Bauerkerl/ein Kerl wie ein Soldat], Ignacy Gronek "Kozieja" [Ziege], Jan Szczytyński "Ryś" [Luchs], Jan Mortka "Karolik" [Karlchen], Stanisław Antończyk "Mastelarczak" [Stallmeister] und so weiter und so fort. Mehrere von ihnen waren eher unter ihrem Spitznamen als unter ihrem Nachnamen bekannt, oder sogar nur unter ihrem Spitznamen. Łuczak wurde zum Beispiel nur als Pończocha genannt, Wójcikowski als Drab, Mortka als Karolik und so weiter. Sie selbst gaben bei der Anfertigung von Urkunden und bei anderen Angelegenheiten Spitznamen anstelle von Nachnamen an. Manche von ihnen kannten nicht einmal ihre richtigen Nachnamen und fühlten sich durch Spitznamen natürlich nicht beleidigt. Mortka wurde Karolik genannt, weil der Vorname seines Großvaters Karol war. Antończyk wurde Mastalerczak genannt, weil sein Vater Stallknecht beim Grafen war - meist war jedoch der Ursprung der verschiedenen Spitznamen und Beinamen unbekannt. Übrigens empfehle ich sein Tagebuch jedem, der sich für die Ahnenforschung polnischer Familien interessiert, denn man kann in die Geschichte des Alltags der damaligen Bauern eintauchen. Leider auf Polnisch. Ein weiteres Phänomen war das sog. Einheiraten, d.h. die Übernahme des Familiennamens des ersten Ehepartners durch den nächsten Ehepartner. Die Bauernhöfe (Behausung samt Wirtschaftsgebäuden) wurden früher nach den Familien benannt, die sie zuerst besaßen. Wenn sich eine neue Bauernfamilie ansiedelte, wurde diese Familie nach dem Namen des jeweiligen Hofes benannt. Dies sind nur einige Beispiele aus der Unermesslichkeit der Gründe |
#6
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Vielen Dank für deine ausführlichen Erklärungen! Natürlich kenne ich die Verwendung von Haus- oder Hofnamen und Vulgo-Namen auch aus anderen Regionen. Was mich so stutzig gemacht hat, ist, dass in dieser Pfarrei wirklich systematisch ab einer gewissen Zeit ganze Großfamilien einen neuen Namen erhalten haben. Also wurden beispielsweise nicht nur Johann Meyer, seine Frau und Kinder plötzlich mit einem neuen Namen bezeichnet, sondern auch Johann Meyers Bruder, Cousin und Vater, die aber jeweils auf einem anderen Hof lebten - also schlichtweg alle, die den Nachnamen "Meyer" trugen. Dieses Phänomen ist mir bisher noch nicht untergekommen und dafür funktionieren auch Erklärungsversuche mit Einheirat und Hofübernahme nicht.
Zitat:
Das Tagebuch von Jan Słomka klingt wirklich nach einem ausgezeichneten Werk! Genau nach solchen Büchern halte ich schon lange Ausschau. Ich habe entdeckt, dass es davon auch eine englische Version gibt. Die werde ich mir zulegen. Tausend Dank für diesen Tipp! |
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