Familienbrief Mai 1854 - T1

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  • Pierre06140
    Erfahrener Benutzer
    • 05.08.2018
    • 152

    [gelöst] Familienbrief Mai 1854 - T1

    Quelle bzw. Art des Textes: Familienbrief
    Jahr, aus dem der Text stammt: 1854
    Ort und Gegend der Text-Herkunft: Cleveland
    Namen um die es sich handeln sollte: Merlet


    Hallo,

    Hier ist ein Familienbrief vom Mai 1854. Er schrieb wenige Tage nach seiner Ankunft in den USA an seine Eltern in Deutschland.

    Danke für Ihre Hilfe
    Angehängte Dateien
  • Ulpius
    Erfahrener Benutzer
    • 03.04.2019
    • 942

    #2
    Wirklich sehr spannend und aufschlussreich.



    Seite 1


    Cleveland am Erie-See im Staat Ohio den 25 May 1854
    Vielgeliebte Eltern!
    Mit meinem heutigen Schreiben will ich Euch nun die Nachricht ertheilen,
    daß ich in Amerika gesund angekommen bin, der Brief ist zwar
    kurz u(nd) einfach, ich bitte daher Euch es mir nicht Übel zu nehmen,
    den(n) bis ich meine Reisebeschreibung fertig habe, könnte es noch
    6 – 7 Wochen anstehen, u(nd) Ihr wäret sehr in Kummer wegen mir,
    deßhalb ich Euch nur ganz kurz die Anzeige von meiner Ankunft
    mache, die Reisebeschreibung ist angefangen, u(nd) ist solche
    fertig kommt Sie sogleich auf die Post, jedoch vorher ein
    Brief von Euch, und etwas von meiner Reise.
    Am 21. April Abends 5 Uhr fuhren wir ab in Havre wir hatten
    Neblicht Wetter (= es war neblig) u(nd) guten Wind, jedoch den 23 schon Sturm, derart
    daß die Koffer von links nach rechts flogen den anderen Tag
    wurden solche angebunden auch rieß die Seekrankheit gleich
    ein, mir Gott sei Dank fehlte keine Minute etwas auf der
    ganzen Fahrt. Am 7 Mai kamen wir auf eine Englische
    Sandbank es war Nachts 10 Uhr das Schiff wurde 3 mal
    heumgedreht u(nd) in die Höhe geschleudert es schlug Wellen
    von 40 Fuß (ca. 13-14 Meter) Höhe über das Schiff eher es Zwischendeck

    Kommentar

    • Ulpius
      Erfahrener Benutzer
      • 03.04.2019
      • 942

      #3
      Seite 2 - inklusive Abwehr unerbetener Helfer


      hinunter, ein anderes Schiff, das man von unserem mit einer Stange
      langen könnte (= es war in unmittelbarer Nähe) wurden die Mastbäume abgekeukt (= gekappt)
      der Capitän erklärt uns schon für verloren, er weinte.
      Am 22 Mai Mittags 12 Uhr hollte uns ein Schleppdampfboot,
      um 3 Uhr sahen wir Land u(nd) Abends 7 Uhr ankerten
      wir im Hafen derselbe ist 36 Meilen lang u(nd) hatt
      Millionen von Schiffen. Am 23 Mittags kam ein Dampfboot u(nd)
      führte uns ans Land, die ganze Zahl der Badenser (= Leute aus Baden) auf dem
      Schiff waren 4 Personen das übrige Würtemberger, Sie
      gingen u(nd) liesen ihre Koffer in (den) Stuttgarter Hof führen (gemeint: bringen), ich
      that das gleiche um nicht lange in der liederlichen, verstohlenen
      Stadt herumzugehen u(nd) Herrn Malser zu suchen, obiger
      Gasthof ist in der Nähe des Hafens, im Grund genommen
      sind alle gleich Lüderlich (= liederlich [dissolu]). Als ich mein Koffer aufladen wollte
      kam ein anderer ein Makkler u(nd) wollte es mir abnehmen
      ich machte Ihm Grobheiten (= stieß ihn weg), er gieng aber hin, faßte mich
      derart an der Gurgel daß ich den Odem (= Atem) nicht mehr holen
      konnte, u(nd) gieng sonach zu einem andern. Es kamen ungefähr
      40 Passagiere um Ihre Koffer. Die Gögginger kamen
      auf ein anderes Schiff wegen verspätung weil Sie
      noch in Paris blieben. In Neuyork akkordirte ich bei
      der Empfhlungswerthen Gesellschaft Rischmüller u(nd) Löscher
      in Newyork ich mußte für mich bis Cleveland f(l = Gulden) 15.-
      bezahlen u(nd) Übergewicht vom Koffer f(l). 6.- 50 Kreuzer sind frey
      allso 1% f(l). 6.-. Die Ge(r)trud mußte f(l). .- zahlen und …

      Kommentar

      • Ulpius
        Erfahrener Benutzer
        • 03.04.2019
        • 942

        #4
        Seite 3

        das Ihrige war leichter, Leute mit 2 – 3 Koffer mußten
        40 – 60 Dollars bezahlen, ich sage das ist die schlechteste,
        elendeste u(nd) liederlichste Gesellschaft ich sage es, den(n)
        so lange diese Zergsten(? wohl eine abwertende Charakterisierung) sehen daß der Auswanderer Geld
        hatt müssen sie alles haben, diese verstohlene Hund, in
        ganz Newyork ist die eine Gesellschaft wie die andere
        der eine Gasthof wie der Andere gleich Liederlich und
        Betrügerisch, das heißt nur zu den Auswandern die
        Greinen (= jammern). Ich mußte für ein Tag f(l). 5.- Kost u(nd) Logie
        bezahlen. Am 24 Abends 5 Uhr kommen wir mit den Koffer
        %dieses verlies ich nie ich saß erst 2 -3 Stund darauf%
        auf ein Dampfboth nach Albany von dort auf die Eisenbahn
        bis Dunkirk dort auf ein Dampfboth nach Erie und
        Cleveland als wir halbwegs waren, wurden die Billete
        untersucht, die Getrud vom Schnerkingen schloß sich
        an eine Frau die nach Dolito (?) gieng an, dieselbe löste ein
        Billet zu wenig zahlte aber alle u(nd) bei der Vorzeigung
        sagte der Konduktör Sie müssen wieder nach Neuyork
        u(nd) andere Billete fassen was auch geschah, Sie stiegen
        aus u(nd) der Zug fuhr weiters. Am 27 Mai Abends 4 Uhr
        kam ich in Cleveland an ich suchte Herrn Menner auf, und
        fand Ihn gleich es ist ein braver Mann er that mich in ein
        Boa(r)ding Haus %Kosthaus% wo ich alle Wochen 2 ¼ Thaler
        bezahlen muß, es ist hier sehr billig, es sind auch 4 Schreiner(-)
        gesellen in demselben. Morgens 2erlei (= zweierlei) Fleisch u(nd) Kartoffeln
        Eiereingeschlagen (= Rührei?) Kaffe 2 – 3 Tassen u(nd) Brod u(nd) Butter.


        ((links abwärts geschrieben))
        In Neyork die Scheeupe(?) Familie ich übergab Ihnen alle meine Briefe, Sie
        sagten Sie kemen(?) zu H(errn) Melser. ??

        Das kann jemand vielleicht besser lesen und verstehen, als es mir gerade gelingt

        Kommentar

        • Ulpius
          Erfahrener Benutzer
          • 03.04.2019
          • 942

          #5
          Zitat von Ulpius Beitrag anzeigen
          ... die ganze Zahl der Badenser (= Leute aus Baden) auf dem Schiff waren 4 Personen ...
          Ich habe wirklich dreimal geschaut, ob da wirklich "Badenser" steht. Carl Merlet traut sich 'was, als Badener seine Landsleute Badenser zu nennen. Zumindest heutzutage könnte das zusätzliche "s" solche Rede unangenehm ausgehen lassen. Vielleicht war der Mann, der sich an seinem Koffer zu schaffen machen wollte, ein beleidigter ehemaliger Badener?
          Zuletzt geändert von Ulpius; 23.05.2020, 19:45. Grund: Fehlendes Wort ergänzt.

          Kommentar

          • mawoi
            Erfahrener Benutzer
            • 22.01.2014
            • 3968

            #6
            S.1
            über das Schiff her ins Zwischendeck


            VG
            mawoi

            Kommentar

            • mawoi
              Erfahrener Benutzer
              • 22.01.2014
              • 3968

              #7
              Hallo Ulpius,


              Eiereingeschlagen (= Rührei?) Kaffe 2 – 3 Tassen



              Hier wurden rohe Eier aufgeschlagen und mit Kaffee aufgefüllt (= Eierkaffee),
              galt früher als nahrhaft .



              VG
              mawoi

              Kommentar

              • Ulpius
                Erfahrener Benutzer
                • 03.04.2019
                • 942

                #8
                Zitat von mawoi Beitrag anzeigen
                Hallo Ulpius,

                Eiereingeschlagen (= Rührei?) Kaffe 2 – 3 Tassen

                Hier wurden rohe Eier aufgeschlagen und mit Kaffee aufgefüllt (= Eierkaffee),
                galt früher als nahrhaft .

                VG
                mawoi
                Danke mawoi,

                mir scheint, man braucht nichts Anderes als dieses Forum, um alles mögliche fürs Leben zu lernen .
                Ich jedenfalls hatte von dieser besonderen Ausprägung der haute cuisine noch nichts gehört. Jetzt aber, neugierig gemacht, lerne ich dieses:
                "Die Zugabe eines rohen Eis bei dieser speziellen Kaffee-Zubereitungsart mag etwas gewöhnungsbedürftig anmuten, ergibt aber einen besonders milden und fein aromatischen Kaffee! Die Bitter- und Giftstoffe werden dadurch entfernt, und der wohlschmeckende Dithmarscher Eierkaffee wird deshalb auch als besonders magenfreundlich und bekömmlich gerühmt."
                Wenn ich 'mal ins Dithmarsche Land komme -dort soll er kreiert worden sein-, dann muss ich 'mal schauen, ob ein Café zu finden ist, wo man ihn probieren kann.

                Kommentar

                • Pierre06140
                  Erfahrener Benutzer
                  • 05.08.2018
                  • 152

                  #9
                  Zitat von Ulpius Beitrag anzeigen
                  Ich habe wirklich dreimal geschaut, ob da wirklich "Badenser" steht. Carl Merlet traut sich 'was, als Badener seine Landsleute Badenser zu nennen. Zumindest heutzutage könnte das zusätzliche "s" solche Rede unangenehm ausgehen lassen. Vielleicht war der Mann, der sich an seinem Koffer zu schaffen machen wollte, ein beleidigter ehemaliger Badener?
                  Hallo Ulpius,

                  Ich habe nicht verstanden, was das bedeutet ......

                  Kommentar

                  • Karla Hari
                    Erfahrener Benutzer
                    • 19.11.2014
                    • 5878

                    #10
                    hola,


                    Seite 3, Zeile 4

                    so lange diese Zergsten (vielleicht: Tropfen?)




                    %dieses verlies ich nie ich saß oft 2 -3 Stund darauf%
                    Zuletzt geändert von Karla Hari; 24.05.2020, 08:34.
                    Lebe lang und in Frieden
                    KarlaHari

                    Kommentar

                    • Ulpius
                      Erfahrener Benutzer
                      • 03.04.2019
                      • 942

                      #11
                      Zitat von Pierre06140 Beitrag anzeigen
                      Hallo Ulpius,

                      Ich habe nicht verstanden, was das bedeutet ......
                      Lieber Pierre,

                      ein Versuch, zu erklären: Nachbarn geben sich gegenseitig öfter nicht sehr charmante Namen, Spitznamen (surnoms?). Auf allen Ebenen: in Häusern, wenn mehrere Familien dort wohnen; in Straßen; zwischen Stadtvierteln, Orten, Städten etc. Aber eben auch, wenn es sich um Regionen wie -in Deutschland- Baden, Hessen, Westfalen, Sachsen und welche da alle sind, handelt. Auch wenn Witze über diese Landsleute gemacht werden, ist das nicht immer sympathisch gemeint (in Deutschland leiden zum Beispiel die Ostfriesen darunter, in Frankreich wohl in Hauts-de-France die Ch’tis, wenn ich das recht weiß).
                      Die Leute in Baden heißen korrekt Badener (oder Badner), betont auf dem a der ersten Silbe. Das Wort ein kleines bisschen zu verändern, nämlich die Betonung auf das e der zweiten Silbe zu verschieben und ein s einzufügen, hat Konsequenzen: aus Bádener wird dann Badénser, was als unfreundlich aufgefasst wird und zu Prügeleien etwa zwischen dadurch beleidigten Badenern und z.B. Württembergern, Pfälzern, Elsässern führen konnte. Mindestens bis vor nicht allzu langer Zeit waren Fußballspiele zwischen den Vereinen aus Karlsruhe und Stuttgart deswegen risikobehaftet.
                      Das Gebiet von Baden war bis 1803 sehr zerstückelt, auch links des Rheins hatten die Markgrafen Besitz, vor allem in der Nähe der Nahe (Fluss der bei Bingen in den Rhein fließt). Meßkirch, der Herkunftsort von Carl/Charles Merlet, war damals nicht Teil von Baden. Es ist den entsprechenden Politikern, vor allem Sigismund von Reitzenstein, gelungen, das Gebiet um ein Vielfaches zu vergrößern und letztlich einen zusammenhängenden Gebietskomplex zu formen. Das hat nicht alle glücklich gemacht, anfänglich sicher das Gefühl erzeugt, fremdbeherrscht zu sein. Meßkirch kam 1803 (Folge des Reichsdeputationshauptschlusses) zu Baden. Wie lange Vorbehalte gegenüber der neuen Herrschaft bestehen blieben, das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. - Vielleicht ist es auch so, dass Carl "Badenser" hier nicht wirklich als Spitznamen meint und es nur so scheint, weil wir das heute, 166 Jahre später, nicht anders kennen.
                      Ich weiß, lange Erklärung, aber ich hoffe, verständlich.

                      Ulpius

                      Kommentar

                      • Pierre06140
                        Erfahrener Benutzer
                        • 05.08.2018
                        • 152

                        #12
                        Danke Ulpius, ich verstehe.

                        In Frankreich gibt es auch zwischen jeder Region einen Wettbewerb und manchmal Spott
                        in Bezug auf den Akzent (die Art zu sprechen), die Art des Anziehens und die Geschichte jeder Region und ihrer Menschen.

                        Kommentar

                        • Ulpius
                          Erfahrener Benutzer
                          • 03.04.2019
                          • 942

                          #13
                          Zitat von Karla Hari Beitrag anzeigen
                          hola,

                          Seite 3, Zeile 4

                          so lange diese Zergsten (vielleicht: Tropfen?)


                          %dieses verlies ich nie ich saß oft 2 -3 Stund darauf%
                          Das halte ich im ersten Fall (Tropfen) für einen guten Vorschlag, im zweiten für auf jeden Fall richtig, da habe ich falsch gelesen.

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