Bocholt - Ehe mit 15 Jahren?

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  • mengarr
    Benutzer
    • 30.08.2020
    • 28

    #16
    Hallo Antje,
    das klingt alles sehr überzeugend, was Du sagst.

    Was das Thema „Verzicht“ und Männer grundsätzlich anbelangt (unabhängig vom Thema junge Ehefrau) bin ich etwas hin- und hergerissen in meinem „Weltbild“.

    Ich weiß nicht, wie es in Westfalen war, im Rheinland war es vielerorts so: In den ländlichen Gegenden und Dörfern bekam mehr oder weniger jeder alles mit. Vor den Nachbarn konnte man wenig bis gar nichts geheim halten.

    Und dann gab es (bis weit in die frühe Neuzeit hinein) regelmäßig die kirchlichen Sendgerichte, bei denen die sittlichen Verfehlungen der Gemeindemitglieder angezeigt und verhandelt wurden. Dabei wurde niemand ausgenommen, sogar sittliche Verfehlungen des Pfarrers kamen zur Sprache.

    Wenn man sich heute die überlieferten Sendgerichtsprotokolle durchliest, sind voreheliche oder auch eheliche „Verfehlungen“ der Männer eher selten.

    Vielleicht waren meine „Geschlechtsgenossen“ in früheren Zeiten in den ländlichen Regionen doch etwas „sittsamer“, als wir heute manchmal glauben…..

    Liebe Grüße
    Bernd

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    • sternap
      Erfahrener Benutzer
      • 25.04.2011
      • 4072

      #17
      Zitat von mengarr Beitrag anzeigen
      Vielleicht waren meine „Geschlechtsgenossen“ in früheren Zeiten in den ländlichen Regionen doch etwas „sittsamer“, als wir heute manchmal glauben…..

      Liebe Grüße
      Bernd

      ich las einige jahre in originalbriefen von männern einer sippe, datiert ins 19.jhdt und anfang des 20.

      ein soldat musste in dem fremden land, wo sie die kaserne hatten, zur post. das fräulein sah auf, blickte ihn lieb an - und er hatte seine erste körperliche regung, was ihn zutiefst verstörte, weil er darüber nicht aufgeklärt war. rückgerechnet war er über zwanzig.



      er schrieb, wahrscheinlich sei er ein jahr später als der rest der stube gereift, man verspottete ihn dafür und weil sein missgeschick anderen nicht verborgen geblieben sei.
      bei seinen söhnen wollte er klug handeln, sie sollten nicht mehr rein vegetarisch, sondern kräftig ernährt - dadurch nicht nachzügler sein wie er - und früh über die anatomie belehrt werden. als er sich ganz pädagogisch zu seinen buben setzte, um ihnen lieber jahre zu früh alles zu sagen, lachten diese, ach papa, das ist schon ewig vorbei bei uns...


      fazit: die sittsamkeit war bei verspäteter (allgemeiner!) reife wahrscheinlich leichter zu wahren.
      Zuletzt geändert von sternap; 21.08.2022, 13:02.
      freundliche grüße
      sternap
      ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
      wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




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      • nav
        Erfahrener Benutzer
        • 30.03.2014
        • 715

        #18
        Zitat von mengarr Beitrag anzeigen
        Ich weiß nicht, wie es in Westfalen war, im Rheinland war es vielerorts so: In den ländlichen Gegenden und Dörfern bekam mehr oder weniger jeder alles mit. Vor den Nachbarn konnte man wenig bis gar nichts geheim halten.
        Ein Beispiel hierzu aus Dingden, aus etwas jüngerer Zeit, und zwar 1945:

        Die Cousine meiner Urgroßmutter hat sich zu dieser Zeit von einem britischen Soldaten namens Peter schwängern lassen. Sie soll es wohl tatsächlich erfolgreich geheim gehalten haben. Zu ihrem wachsenden Bauch habe sie nur gesagt, das ginge bei der Arbeit in der Sonne schon wieder weg.

        Ihre Mutter war Anfang des Jahres gestorben, ihr Vater starb als die Briten ankamen, alle Brüder wurden Opfer des Krieges. Somit stand sie mit ihren Schwestern alleine da und musste sich um den Hof kümmern. Ob ihre Schwestern wohl davon gewusst haben? Wer weiß.

        Rausgekommen ist das ganze schließlich bei der Geburt, als ihre Tante zufällig zu Besuch kam und dann assistiert hat. Der Kindsvater war wohl auch anwesend, zumindest soll die Tante später jedem der es hören wollte erzählt haben, Peter hätte die arme Kindsmutter sicher umgebracht, wäre sie nicht zufällig zu Besuch gekommen.

        Nach der Geburt ihres Kindes wurde sie dann aus dem Kirchenchor geschmissen - was für den Chor wohl der größere Verlust war. Der Pfarrer soll dann zu ihr gemeint haben, wenn sie das Kind weggäbe wäre sie wieder rein wie ein Engel und dürfe wieder im Chor singen. Das Kind ist wohl gestorben (der Teil ist mir bislang nur mündlich überliefert), sie hat dennoch den Hof und Dingden verlassen und ist später auch zur evangelischen Kirche übergetreten.

        Wenn die ganzen Details so stimmen scheint es mir schon glaubhaft, dass sie es ganz gut verbergen konnte. Wer weiß, ob das auch in früheren Zeiten so leicht war, oder ob es hier auch eine Rolle gespielt hat, dass die Leute aufgrund der Nachkriegszeit ganz andere Sorgen hatten.

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        • mengarr
          Benutzer
          • 30.08.2020
          • 28

          #19
          Hallo zusammen,

          das ist schon unglaublich, was da für Geschichten zusammenkommen….ich hatte ja keine Ahnung, dass Kirchenchöre ein „Hort der Sittsamkeit“ sind ;-)

          Eine Sache kann ich auch noch beisteuern:
          In Oberbayern (das meines Erachtens unsittsamer war als das katholische Rheinland, den Schluss ziehe ich daraus, dass die als unehelich festgehaltenen Geburten in den Kirchenbüchern prozentual deutlich höher waren) kann ich mehrere Fälle belegen, die sich stark ähneln:

          Ein Bauer vergeht sich an einer Magd und diese wird schwanger. Zeitraum: 19. Jahrhundert. Die Magd wendet sich an das nächstgelegene Gericht. Sofern ihre Geschichte glaubhaft ist, wird gerichtlich angeordnet, dass der Bauer das Kind anzuerkennen hat. Er muss deshalb Geld für den Unterhalt entrichten. Soweit, so gerecht. Aber: Die Magd wird mit Schimpf und Schande aus dem Dorf gejagt. Für den Bauern ist mit einer Einmalzahlung die Angelegenheit erledigt.

          @sternap: Ich habe meinen Sohn vor vielen Jahren auch höchstpersönlich aufgeklärt. Ich war noch rechtzeitig dran. Er wusste nur, wie sich Frösche fortpflanzen (aus der Fernsehsendung „Wissen macht Ah!“). Als wir im Gespräch an den entscheidenden Punkt kamen, preschte er vor und sagte: „Bestimmt schiebt der Mann ein Samenpaket rüber, so wie bei den Fröschen…“ Es fiel mir sehr schwer, das Lachen zu unterdrücken. ;-))
          Jedenfalls hoffe ich sehr, dass es ihm durch die frühe Aufklärung nicht schwerer gefallen ist, eine gewisse Sittsamkeit zu wahren.

          Liebe Grüße
          Bernd

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          • mengarr
            Benutzer
            • 30.08.2020
            • 28

            #20
            Sternap, es lag mir fern, Deine (religiösen) Gefühle zu verletzen und ich entschuldige mich.

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            • sternap
              Erfahrener Benutzer
              • 25.04.2011
              • 4072

              #21
              Zitat von mengarr Beitrag anzeigen
              Sternap, es lag mir fern, Deine (religiösen) Gefühle zu verletzen und ich entschuldige mich.

              im gegenteil, ich denke, dass man früher die sache mit der fortpflanzung nicht genau erklärt bekam.
              beim märchen vom froschkönig spielt man damit.


              die ganz alten frauen bei uns erklärten, schwimmen sei nur für buben in ordnung gewesen, ein mädel hätte dabei schwanger werden können...
              wenn man den froschlaich beobachtete, was da draus wurde, konnte man durchaus angst bekommen....
              freundliche grüße
              sternap
              ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
              wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




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              • mengarr
                Benutzer
                • 30.08.2020
                • 28

                #22
                oh, dann habe ich Deine Mail "aus Sittsamkeit gelöscht" mißdeutet ☺️

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                • AKocur
                  Erfahrener Benutzer
                  • 28.05.2017
                  • 1371

                  #23
                  Hallo,

                  Zitat von mengarr Beitrag anzeigen
                  Was das Thema „Verzicht“ und Männer grundsätzlich anbelangt (unabhängig vom Thema junge Ehefrau) bin ich etwas hin- und hergerissen in meinem „Weltbild“.

                  Ich weiß nicht, wie es in Westfalen war, im Rheinland war es vielerorts so: In den ländlichen Gegenden und Dörfern bekam mehr oder weniger jeder alles mit. Vor den Nachbarn konnte man wenig bis gar nichts geheim halten.

                  Und dann gab es (bis weit in die frühe Neuzeit hinein) regelmäßig die kirchlichen Sendgerichte, bei denen die sittlichen Verfehlungen der Gemeindemitglieder angezeigt und verhandelt wurden. Dabei wurde niemand ausgenommen, sogar sittliche Verfehlungen des Pfarrers kamen zur Sprache.

                  Wenn man sich heute die überlieferten Sendgerichtsprotokolle durchliest, sind voreheliche oder auch eheliche „Verfehlungen“ der Männer eher selten.

                  Vielleicht waren meine „Geschlechtsgenossen“ in früheren Zeiten in den ländlichen Regionen doch etwas „sittsamer“, als wir heute manchmal glauben…..
                  Falls es so rübergekommen ist, ich wollte keineswegs unterstellen, dass Männer damals alle "unsittlich" gewesen wären. Ich glaube aber schon, dass sie es seien konnten, wenn sie es wollten.

                  Grundsätzlich, denke ich, sollte man im Hinterkopf haben, dass Kirchenbücher nur darüber Auskunft geben können, inwieweit "unsittliches" Verhalten zu einer ausgetragenen Schwangerschaft mit Taufe vor Ort führte. Sendgerichtsprotokolle nur über die Dinge, die der Öffentlichkeit bekannt wurden. Bei beiden dürfte es eine Dunkelziffer geben, die wir leider kaum beziffern können.

                  Ist eine geringe Anzahl an unehelichen Taufen z.B. ein Indiz für "sittliches" Verhalten der Dorfbewohner oder verließen die betroffenen Schwangeren das Dorf bevor sie niederkamen oder waren die Menschen etwas aufgeklärter/informierter wie Schwangerschaften entstehen und konnten daher durch die Wahl der sexuellen Praktik "verhüten"?

                  Was das geheim halten vor den Nachbarn/Mitmenschen angeht; in Westfalen gibt es in der Regel Kerndörfer um die Kirche mit Bauernschaften drumrum. Die Bauernschaften sind eher Streusiedlungen, wo die Höfe/Kotten auch mal ziemlich vereinzelt stehen, teilweise mit Waldstücken dazwischen. Nicht jede Hofstelle ist da gut einsehbar für neugierige Nachbarn. Dazu kommen die Möglichkeiten, die es überall gab: Nichts im eigenen Umfeld machen, sondern dafür woanders hingehen (besonders geeignet für Personen, die dafür eh einen triftigen Grund hatten, wie Einkäufe/Verkäufe in der nächsten Stadt). Kein längerfristiges Verhältnis sondern "One-Night-Stands" (besonders günstig, wenn aus irgendeinem Anlass (z.B. Jahrmarkt) die meisten eh betrunken sind). Gar kein Verhältnis mit einer anderen Person, sondern Selbstliebe (extrem leicht zu verheimlichen).


                  Da ich mich mit Sendgerichtsprotokollen noch nicht befasst habe, habe ich mal gegoogelt, ob ich was zu den westfälischen finde und bin auf diese Rezension von "Sühne oder Sanktion?. Die öffentliche Kirchenbuße in den Fürstbistümern Münster und Osnabrück während des 17. und 18. Jahrhunderts" von Christine Schmidt gestoßen. Darin heißt es für Münster, dass sexuelle Verfehlungen den überwiegenden Teil der sanktionierten Vergehen ausmachten und Frauen in einem deutlich höherem Ausmaß bestraft wurden als Männer.


                  Aus den westfälischen Kirchenbüchern, die ich kenne, sind mir eine Reihe von un-, vor- und außerehelichen Verfehlungen beider Geschlechter bekannt. An einem meiner Hauptorte (Wulfen) sind es über die gesamte KB-Laufzeit, die bei Matricula einsehbar ist (insgesamt 232 Jahre), nur 75 uneheliche Kinder, die getauft wurden (voreheliche Kinder eingeschlossen) bei insgesamt über 6000 Taufen; d.h. fast 99% aller Taufen waren eheliche Kinder, nur etwas mehr als 1% waren es nicht. Leider fehlt mir für andere Orte eine ähnliche Übersicht (hat da jemand Zahlen für ein anderes westfälisches Kirchspiel?); rein vom Bauchgefühl her würde ich aber schon sagen, dass mir teilweise an anderen Orten mehr uneheliche Kinder begegnet sind. Aber möglich, dass mich mein Gefühl da trügt, weil ich einfach an diesen anderen Orten mehr Uneheliche als Teil meiner VF+Angehörigen habe als in Wulfen. So z.B. in Herzfeld in der Familie meiner sehr jungen Braut, über die ich oben geschrieben habe. Von ihren 10 Töchtern bekamen 4 insgesamt 6 uneheliche Kinder.

                  Insgesamt kann man aber schon Trends bei den Eltern unehelicher Kinder erkennen. Die Mütter stammen meist aus dem Ort (oder lebten dort zumindest schon eine Weile), kommen tendentiell eher aus ärmeren Familien (Tagelöhner, kleine Kötter, etc.) und sind fast immer unverheiratet (Witwen sind selten, kommen aber auch vor). Die Väter kommen deutlich häufiger aus anderen Orten als die Mütter und ihr sozialer Status ist auch breiter gestreut. Meist sind sie ebenfalls unverheiratet, aber auch verheiratete Männer kommen vor (ganz sicher in einem höheren Prozentsatz als bei den Müttern).


                  Zufällig (ich hatte eigentlich etwas anderes gesucht) bin ich gestern noch auf einen Eintrag im Dorsten Lexikon zum Charakter der Einwohner auf den Dörfern gestoßen, mit zwei Quellen, in denen auch etwas über die "Sittlichkeit" der Bevölkerung ausgesagt wird. Interessanterweise sind die beiden Aussagen widersprüchlich.

                  So schrieb Franz Brunn (Amtsmann für die Ämter Lembeck und Altschermbeck) in seiner 1840-42 verfassten amtlichen Chronik der Herrlichkeit Lembeck:
                  "Ein religiöser Sinn und ein tiefes Gefühl für Sittlichkeit machten einen Hauptzug ihres Charakters aus, ebenso wie eine erheuchelte Demut, Erbitterung und Misstrauen gegen die Machthaber."
                  Dagegen steht die Darstellung von Pierre-Hippolyte-L. Paillot, der als französischer Revolutionsflüchtling Lembeck besucht hat:
                  "Durch die eingewurzelte Vertraulichkeit beider Geschlechter und die schamlose Unbefangenheit, womit auch die Eheleute von Dingen sprechen, die kein Ohr des Jünglings oder der Jungfrau hören sollte, wird unter dem Volke der Geschlechtstrieb zu früh entwickelt und in Gärung gebracht […]."
                  Quellenkritisch sollte man dazu wissen, dass Franz Brunn, dessen Angaben sich auf die Bevölkerung um die Jahrhundertwende 1800 beziehen sollen, im Januar 1806 in Wulfen geboren und getauft wurde. Das Haus der Familie (in dem Franz Brunn aufwuchs) war eine Gastwirtschaft und befand sich nicht im Dorf, sondern außerhalb an der Straße nach Wesel (heute B58) an der Abzweigung zur Straße nach Lembeck. Sein Vater wurde 1816 Bürgermeister Lembecks (die Bürgermeisterei umfasste neben Lembeck auch die Kirchspiele Wulfen und Hervest). 1832 heiratete Franz in Wulfen die Tochter des Vorgängers seines Vaters als Lembecker Bürgermeister. 1837 löste er dann seinen Vater ab. Eigene Erfahrungen mit der Bevölkerung um 1800 kann er also keine gehabt haben, aber er könnte natürlich ältere Personen gefragt haben; sein Vater z.B. starb erst 1857.
                  Paillot dagegen war tatsächlich kurz vor dem Jahrhundertwechsel in Lembeck, allerdings bleibt offen, wie lange. Einen Tag? Mehrere Tage oder sogar Wochen? Und mit welchen Menschen kam er dort überhaupt in Kontakt? Möglich, dass das durch die Originalquelle klarer wird. Er schrieb jedenfalls Tagebuch, veröffentlicht wohl erstmals von seinem Enkel lange nach Paillots Tod. Man kann also vermuten, dass seine Worte nicht für ein größeres Publikum bestimmt waren.
                  Unklar bleibt auch, was für Paillot "zu früh" ist. Extrem junge Mütter sind mir aus Lembeck ebensowenig bekannt wie aus Wulfen (19 Jahre habe ich als jüngstes in der Gegend unter den VF+Angehörigen). Das Durchschnittsalter für eine Erstheirat bei Frauen dürfte aber unter 25 Jahren liegen. Dazu kommen auch schwangere Bräute vor, was aber bei den Heiraten idR nicht besonders gekennzeichnet wird. Durch das erste Kind wird's dann aber klar. Bis nach der Heirat mit dem Kinderzeugen zu warten wurde anscheinend nicht unbedingt erwartet (oder zumindest nicht von allen praktiziert).


                  Insgesamt würde ich sagen, spricht ein bisschen mehr für nicht allzu übertriebene Sittlichkeit, allerdings ist das auch nur die Makroebene. Ahnenforschung ist Mikrogeschichte; wir beschäftigen uns ja mit den Lebensläufen individueller Personen. Auf die Sittlichkeit bezogen heißt das, nur weil jemand in einer extrem sittsamen Gegend lebte, kann dieser jemand sich trotzdem unsittlich verhalten haben und umgekehrt kann natürlich auch eine extrem sittsame Person inmitten eines Sündenpfuhls gelebt haben. Solange wir da nichts Konkretes wissen (z.B. aus einem KB oder Sendgerichtsprotokoll), sollten wir, meiner Meinung nach, am besten alle Möglichkeiten im Hinterkopf haben, während wir versuchen soviel Konkretes wie nur möglich in Erfahrung zu bringen.


                  LG,
                  Antje


                  PS: Kleine Anmerkung noch zur Sittlichkeit der Bayern im 19. Jh.: Dort gab es strenge Heiratsbeschränkungen finanzieller Art, was es gerade den Ärmeren sehr erschwerte zu heiraten. Viele lebten daher in wilder Ehe zusammen, was ich jetzt nicht unbedingt als "besonders unsittlich" werten würde. Personen aus ähnlichen Umständen in anderen deutschen Ländern ohne solche Heiratsbeschränkungen (wie u.a. Preußen) heirateten einfach. Das Bedürfnis danach dürfte bei den Paaren, die zu der Zeit in Bayern lange in wilder Ehe lebten, vermutlich vorhanden gewesen sein.

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                  • nav
                    Erfahrener Benutzer
                    • 30.03.2014
                    • 715

                    #24
                    Zitat von AKocur Beitrag anzeigen
                    Leider fehlt mir für andere Orte eine ähnliche Übersicht (hat da jemand Zahlen für ein anderes westfälisches Kirchspiel?)
                    Dingden kann von 1670 bis etwa Mitte des Jahres 1761 einen Anteil von ca. 1,6 % unehelicher Kinder vorweisen (65/4023).

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                    • mengarr
                      Benutzer
                      • 30.08.2020
                      • 28

                      #25
                      Hallo Antje,

                      wow, Deine Ausführungen könnten der Einstieg zu einer Masterarbeit im Studiengang Geschichtswissenschaften sein 😊

                      Falls es so rübergekommen ist, ich wollte keineswegs unterstellen, dass Männer damals alle "unsittlich" gewesen wären. Ich glaube aber schon, dass sie es seien konnten, wenn sie es wollten.
                      Nein, so ist es (zumindest bei mir) nicht rübergekommen.

                      Dein Beitrag ist sehr, sehr interessant! Ich habe ihn zweimal rauf- und runtergelesen. Da ich kein Westfalen-Experte bin, kann ich aber leider nicht viel dazu beisteuern.

                      Zu Deinem PS habe ich jedoch einen Einwand. Deine Anmerkung zum Thema Heiratsbeschränkung in Bayern ist zwar richtig. Knechte und Mägde, die Kinder zeugten, hatten kaum eine Chance zu heiraten. Infolgedessen hatten sie uneheliche Kinder. Was ich aber vor Augen habe ist die Tatsache, dass Übergriffe von Bauern auf Mägde beinah schon an der Tagesordnung waren (bis in das beginnende 20. Jahrhundert hinein). Dies lässt sich z.B. in Oberbayern (Aschheim, Erding, Anzing usw). sehr gut anhand von Urteilen der Amtsgerichte belegen (Feststellungen von Vaterschaften).

                      Im Gegensatz dazu findet man solche Fälle z.B. im Raum Voreifel (von Meckenheim über Lechenich bis Zülpich) recht selten, sowohl in den Gerichts- als auch in den Sendgerichtsprotokollen. Dabei sind diese beiden Regionen mit ihrer ländlich-kleinstädtischen Sozialstruktur sehr gut vergleichbar.

                      LG
                      Bernd

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                      • mengarr
                        Benutzer
                        • 30.08.2020
                        • 28

                        #26
                        Zitat von NVMini1009 Beitrag anzeigen
                        Dingden kann von 1670 bis etwa Mitte des Jahres 1761 einen Anteil von ca. 1,6 % unehelicher Kinder vorweisen (65/4023).
                        1,6 % erscheint mir wenig. Dann war ja zumindest ein Teil meiner Vorfahren recht sittsam 😁

                        LG
                        Bernd

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                        • nav
                          Erfahrener Benutzer
                          • 30.03.2014
                          • 715

                          #27
                          Zitat von mengarr Beitrag anzeigen
                          1,6 % erscheint mir wenig. Dann war ja zumindest ein Teil meiner Vorfahren recht sittsam 😁
                          In Bocholt komme ich im Zeitraum 1654 bis 1721 interessanterweise auf den gleichen Prozentsatz von 1,6 %, bei 193 von 11662 unehelichen Kindern.

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