Familienforschung und Moral

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  • Pavlvs4
    Erfahrener Benutzer
    • 25.05.2020
    • 191

    #16
    Zitat von Gastonian Beitrag anzeigen
    ..
    Hier in den USA, wo es keinen effektiven Personendatenschutz gibt, fühlt es sich sehr anders an.
    ...
    Für mich fühlt sich dies als etwas unmoralisch an - selbst im Zusammenhang mit Familienforschung ist das eine Art von Internet-Stalking.
    ...
    So erging es mir vergangenes Jahr. Dank Ancestry und diverser digitaler Zeitungsarchive habe ich hunderte (mit Zählen hab ich schon längst aufgegeben) noch heute lebende Anverwandte von mir in den USA ermitteln können.

    Im vergangenen Jahr starb ein Onkel 6. Grades von mir in Iowa und nur wenige Tage darauf war sein Nachruf in der folgenden Ausgabe des online zugänglichen Lokalblattes zu lesen. Bei Amerikanern werden nicht einfach nur einfache Todesanzeigen eingestellt, nein, es sind gleich ganze Nachrufe, mit allen Daten zu Geburt, Heirat, berufliche Werdegängen, Wohnorte und natürlich auch zur Familie. So habe ich die Namen seiner Kinder und auch Enkelkinder erfahren können. Irgendwie hatte mich danach auch für mehrere Tage ein flaues Gefühl befallen. Der Mann ist erst wenige Tage unter der Erde und ich freue mich dank seines Nachrufes über neu entdeckte Verwandte.

    Andererseits scheint es in Amerika auch kein ausgeprägtes Verständnis für Datenschutz zu geben, wenn online Registereintragungen offizieller Behörden zu noch lebenden Personen problemlos zu finden sind. Nachrufe werden zusätzlich auf Webseiten von Beerdigungsinstituten veröffentlicht. Und dann noch die sozialen Medien, wo ohne jedes Anfragen, Namen, Geburtstage der Kinder, Hochzeiten, politische Einstellung und sogar noch folgende Entbindungen samt Ultraschalbild unbekümmert präsentiert werden.

    Da sag ich mir, das Internet ist der Mittagstisch meiner Eltern in global. Während ich von meinen Eltern mit jeden Tratsch über die Nachbarn und Verwandten aus dem Dorf an deren Mittagstisch versorgt werde, dann sorgt die Auskunftsfreudigkeit der Verwandten von jenseits des Teiches (die mich überhaupt nicht kennen) dafür, dass ich auch über sie stets auf dem Laufenden gehalten werde. Mein flaues Gefühl hat sich inzwischen wieder etwas gelegt.

    Kommentar

    • pascho
      Erfahrener Benutzer
      • 16.06.2020
      • 242

      #17
      Meine Großmutter ist vor ein paar Monaten gestorben und ich habe quasi kaum gefiltert den schriftlichen Nachlass bekommen - ob er komplett ist, weiß ich nicht (bei z.B. knapp 600 Totenzetteln fällt der ein oder andere nicht auf). Aber ich habe z.B. ihre Korrespondenz wegen ihres kriegsvermissten Bruders, seine Briefe (die mir die Tränen in die Augen treiben - er war Jahrgang 1926 und ist seit 1945 vermisst...) und etliches anderes, was überraschenden Einblick auch in ihre Gedanken erlaubt.


      Ich hatte in der Tat gehofft (und nicht nur ich, sondern meine gesamte Familie), etwas mehr über meinen Urgroßvater und sein Leben im Dritten Reich zu erfahren, aber das hat sich leider nicht erfüllt.


      Besagter Urgroßvater ist mein "moralisches" Problem, da ich nicht viel über seine Rolle während der NS-Zeit in Erfahrung bringen konnte (meine Großmutter hat geschwiegen wie ein Grab). Es gibt Andeutungen, Indizien, Gerüchte, aber nichts handfestes.


      Ich habe alle meinen Urgroßeltern, meine Großeltern und ihre Geschwister auf der "Ofrenda" bzw. dem Hausaltar stehen. Über so gut wie alle kann ich irgendeine Geschichte erzählen um diesen Menschen in guter Erinnerung zu behalten.


      Nur bei ihm ist es sehr, sehr schwierig.
      Viele Grüße Pascal

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