Hallo Carl-Henry,
mir sind bisher drei Varianten bei der "Schaffung von Fakten" aufgefallen:
Variante 1: meinte ich mit dem von Dir wiederholten Zitat. Nennen wir sie einmal "Forschungsfortschritt ohne neue Quellen". Beispiel: Das Deutsche Geschlechterbuch, der Gotha oder andere geben Person A (*um 1520) als durch Kirchenbuch gesicherten Stammvater der Familie an. Im Vorwort heißt es außerdem: Weiterhin erscheinen die Namensträger B in einem Vertrag von 1518, C in der ältesten Steuerliste von 1490 und D als Zeuge einer Urkunde von 1465. Abschreiber 1 übernimmt die Angaben und äußert, B, C und D
könnten Vorfahren von A gewesen sein. Das liest Abschreiber 2 und meint, B, C und D sind
wahrscheinlich Vater, Großvater und Urgroßvater von A. Abschreiber 3 übernimmt das in seinen "Baum", das Programm gibt aber keine Fragezeichen her oder es sieht so vollständig einfach besser aus. Abschreiber 4, 5 und 6 freuen sich, dass Abschreiber 3 weitergekommen ist als alle anderen und übernehmen es ebenfalls, und auf einmal
sind B, C und D Vater, Großvater und Urgroßvater von A. Abschreiber 7 kennt alle Fundstellen - aber 3, 4, 5 und 6 waren doch verlässliche Forscher, "müssen" also mehr gewusst haben als die älteste Veröffentlichung und die Abschreiber 1 und 2. Prüfer 1 sucht dann die zusätzlichen Quellen - und findet natürlich keine -- vielleicht Kriegsverlust? Erst Prüfer 2 fällt auf, dass der Kaiser gar keine neuen Kleider anhat.
Variante 2: hast Du dargestellt. Es gibt eine Quelle, aber es wird etwas hineingelesen/-interpretiert, das dort gar nicht steht, weil es ja so gewesen sein muss oder nur so gewesen sein kann. Dann weiter mit den Abschreibern ähnlich der Variante 1.
Variante 3: wäre schließlich die bewusste Fälschung einer Quelle oder Fundstelle, die es nie gab - so wie man etwa
Decker-Hauff postmortal als Quellenfälscher entlarvt hat. Dann weiter mit den Abschreibern ähnlich der Variante 1.
Das Ärgerliche an dem Ganzen besteht gar nicht so sehr in der Abschreiberei, sondern vielmehr in der immer noch verbreiteten Geheimnistuerei vieler Forscher hinsichtlich der von ihnen benutzten Quellen. Hätten Abschreiber 1 und 2 vermerkt, dass sie nur den Gotha kannten und hätten Abschreiber 3-7 ordentlich notiert, dass sie sich nur darauf und auf ihre Angaben untereinander beziehen, dann hätten sich für Prüfer 1 und 2 viele Fragen nicht gestellt ...
Es grüßt der Alte Mansfelder