Ich überlege es mir, Corinna. Jetzt wird es nochmal spannend...
Während meiner Tätigkeit in Winterfeld hatte ich bei einem deutschen Baumschulenpächter in Römershof dessen Nichte kennen gelernt, die bei ihm zu Besuch weilte. Sie war eine Waise und lebte bei ihrem Onkel, dem Direktor einer Dachpappenfabrik in Petersburg. Ihre Herkunft war von einem Geheimnis umgeben. Ihr Großvater war als kleines Kind auf einem russischen Kriegsschiff nach Libau gebracht worden und dem dortigen Pfarrer mit einer größeren Geldsumme zur Erziehung übergeben worden. Dem Kinde hatte man den Namen „Radatus“ gegeben. Radatus ist kein russ. Name, das Wort stammt aus dem Griech. und bedeutet „Der Ausgesetzte“.
(Meine (Helens) Anmerkung dazu: Das in einem der nächsten Beiträge genannte Kind, meine Tante, die in Petersburg aufwuchs, erzählte mir, dass dieser Junge in die Familie eines Tischlers namens Reichard in Pflege gegeben wurde. Sein Familienname sollte Radatus heißen. Als Erkennungszeichen wurde ein Ring mit einem Stein, in den ein Georgsritter eingeschliffen war, übergeben. Als das Kind etwa 12 Jahre alt war, kam wieder ein Schiff, um ihn abzuholen, doch er lief weg und versteckte sich, so dass das Schiff ohne ihn abfahren musste. Als er erwachsen war, kam eine Erbschaft, die er aber nicht annahm, weil seine Eltern sich nicht um ihn gekümmert hätten.)
Mit diesem Frl. Radatus hatte ich mich verlobt. Von Winterfeld aus hatte ich sie schon einmal in Petersburg besucht. Petersburg von damals war nicht zu vergleichen mit dem späteren Leningrad. Petersburg, als Residenz des Herrschers aller Preußen, mit seinen prächtigen Bauten, den wuchtigen Standbildern Peter des Großen, Katharina der Zweiten, Alexander des Dritten, mit den wundervollen ehernen Rossebändigern auf der Moika-Brücke, dem Winterpalast, dessen Korridore 33 km lang sind, war eine Stadt, deren Sehenswürdigkeiten man bei einem einmaligen Besuch nur teilweise aufsuchen konnte.
Da war das Bootshaus Peter des Großen, ein einfaches Bretterhaus, in dem der Zar seine in Holland erlernte Kunst des Bootsbaus ausübte, über dem ein großes steinernes Gebäude errichtet worden war, um es vor Einflüssen der Witterung in seiner Ursprünglichkeit zu erhalten.
In der Eremitage, einem der berühmtesten Museen der Welt bewunderte ich die unsterblichen Werke eines Michelangelo, Raffael, Rubens, Rembrandt, Dürer und vieler anderer Meister. Ich war im kaiserlichen Marstall und durfte die vielen edlen Pferde bewundern, die dort in seiner ganz bestimmten Reihenfolge standen. Zuerst standen die Pferde, die nur für den Gebrauch des Zaren bestimmt waren. Dahinter folgten die des Thronfolgers, darauf die der Zarinmutter und dann der Zarin.
Über dem Marstall befand sich, wenn ich es so nennen darf, eine museale Rumpelkammer. Dort standen die Schlitten in denen Katharina II. mit ihren Günstlingen ausgefahren war, Schlitten, auf denen bis zu 20 Personen Platz fanden. Dort stand auch der zerfetzte Wagen, in welchem Alexander der Zweite saß, als ihn eine Bombe zerriss. Zum Gedenken dieses Zarenmordes wurde über der Stelle des Attentats die Sühnekirche erbaut. In ihr ist der Teil der Straße mit Rinnstein und Pflaster, die Stelle, auf die die Bombe fiel, zu sehen.
Ich besuchte die Peter-Paul-Festung, wo in den unterirdischen Räumen die verstorbenen Mitglieder der Zarenfamilie ruhen und blutige Geheimnisse der Romanovs begraben sind. Der gewaltige Kirchenbau des orthodoxen Glaubensbereiches ist die Isaak-Kathedrale. Das Innere birgt Kostbarkeiten, die nur der Kunstkenner richtig würdigen kann. Goldene Gefäße und blitzende Edelsteine blenden den Blick und wenn man Gelegenheit hat, einem feierlichen Gottesdienst beizuwohnen, so kann man nur mit Erschütterung und Bewunderung den dröhnenden Bässen der Popen lauschen, deren Gesang grollend durch die weiten Räume rollt. Dort stand ich auch vor einem kostbaren Schrein, in welchem der Rock Jesu hing. Der Rock, den Christus getragen hat und den ein römischer Soldat im Würfelspiel gewann. Beim Anblick dieser hl. Reliquie wollte mir aber kein frommer Gedanke kommen, sondern ketzerische Überlegungen beherrschten mein Denken. Wie war denn das doch, wird nicht auch in Trier ein Hl. Rock gezeigt? Und in Paris doch auch – und in Barcelona auch – und in drei andern Orten der Welt doch ebenfalls? Und war nicht bei jedem dieser Röcke eine Echtheitsbescheinigung des Papstes vorhanden? Es konnte doch nur einen von Jesu getragenen Rock geben. – Oder war überhaupt kein echter vorhanden? Waren die Röcke nur das Produkt einer Idee eines geschäftstüchtigen Papstes? Die Bescheinigungen werden nicht billig gewesen sein, denn für die jeweiligen Besitzer der Röcke waren diese ein wertvolles Propagandamittel. Der Rock in Trier wird heute nicht mehr öffentlich gezeigt, man rückt also von diesem frommen Betrug ab. die Kirche ist vorsichtig geworden, sie macht auch den Schwindel von Herolsbach nicht mit und hält sich auch den Vorgängen in Konnersreuth gegenüber zurück. Beides sind Fälle, die sie in früheren Zeiten nicht versäumt hätte, sie ihren Zwecken nutzbar zu machen.
Nach dieser Abschweifung nun wieder zu anderen meiner Petersburger Erlebnisse.
Allen ein schönes Wochenende!
Helen
Während meiner Tätigkeit in Winterfeld hatte ich bei einem deutschen Baumschulenpächter in Römershof dessen Nichte kennen gelernt, die bei ihm zu Besuch weilte. Sie war eine Waise und lebte bei ihrem Onkel, dem Direktor einer Dachpappenfabrik in Petersburg. Ihre Herkunft war von einem Geheimnis umgeben. Ihr Großvater war als kleines Kind auf einem russischen Kriegsschiff nach Libau gebracht worden und dem dortigen Pfarrer mit einer größeren Geldsumme zur Erziehung übergeben worden. Dem Kinde hatte man den Namen „Radatus“ gegeben. Radatus ist kein russ. Name, das Wort stammt aus dem Griech. und bedeutet „Der Ausgesetzte“.
(Meine (Helens) Anmerkung dazu: Das in einem der nächsten Beiträge genannte Kind, meine Tante, die in Petersburg aufwuchs, erzählte mir, dass dieser Junge in die Familie eines Tischlers namens Reichard in Pflege gegeben wurde. Sein Familienname sollte Radatus heißen. Als Erkennungszeichen wurde ein Ring mit einem Stein, in den ein Georgsritter eingeschliffen war, übergeben. Als das Kind etwa 12 Jahre alt war, kam wieder ein Schiff, um ihn abzuholen, doch er lief weg und versteckte sich, so dass das Schiff ohne ihn abfahren musste. Als er erwachsen war, kam eine Erbschaft, die er aber nicht annahm, weil seine Eltern sich nicht um ihn gekümmert hätten.)
Mit diesem Frl. Radatus hatte ich mich verlobt. Von Winterfeld aus hatte ich sie schon einmal in Petersburg besucht. Petersburg von damals war nicht zu vergleichen mit dem späteren Leningrad. Petersburg, als Residenz des Herrschers aller Preußen, mit seinen prächtigen Bauten, den wuchtigen Standbildern Peter des Großen, Katharina der Zweiten, Alexander des Dritten, mit den wundervollen ehernen Rossebändigern auf der Moika-Brücke, dem Winterpalast, dessen Korridore 33 km lang sind, war eine Stadt, deren Sehenswürdigkeiten man bei einem einmaligen Besuch nur teilweise aufsuchen konnte.
Da war das Bootshaus Peter des Großen, ein einfaches Bretterhaus, in dem der Zar seine in Holland erlernte Kunst des Bootsbaus ausübte, über dem ein großes steinernes Gebäude errichtet worden war, um es vor Einflüssen der Witterung in seiner Ursprünglichkeit zu erhalten.
In der Eremitage, einem der berühmtesten Museen der Welt bewunderte ich die unsterblichen Werke eines Michelangelo, Raffael, Rubens, Rembrandt, Dürer und vieler anderer Meister. Ich war im kaiserlichen Marstall und durfte die vielen edlen Pferde bewundern, die dort in seiner ganz bestimmten Reihenfolge standen. Zuerst standen die Pferde, die nur für den Gebrauch des Zaren bestimmt waren. Dahinter folgten die des Thronfolgers, darauf die der Zarinmutter und dann der Zarin.
Über dem Marstall befand sich, wenn ich es so nennen darf, eine museale Rumpelkammer. Dort standen die Schlitten in denen Katharina II. mit ihren Günstlingen ausgefahren war, Schlitten, auf denen bis zu 20 Personen Platz fanden. Dort stand auch der zerfetzte Wagen, in welchem Alexander der Zweite saß, als ihn eine Bombe zerriss. Zum Gedenken dieses Zarenmordes wurde über der Stelle des Attentats die Sühnekirche erbaut. In ihr ist der Teil der Straße mit Rinnstein und Pflaster, die Stelle, auf die die Bombe fiel, zu sehen.
Ich besuchte die Peter-Paul-Festung, wo in den unterirdischen Räumen die verstorbenen Mitglieder der Zarenfamilie ruhen und blutige Geheimnisse der Romanovs begraben sind. Der gewaltige Kirchenbau des orthodoxen Glaubensbereiches ist die Isaak-Kathedrale. Das Innere birgt Kostbarkeiten, die nur der Kunstkenner richtig würdigen kann. Goldene Gefäße und blitzende Edelsteine blenden den Blick und wenn man Gelegenheit hat, einem feierlichen Gottesdienst beizuwohnen, so kann man nur mit Erschütterung und Bewunderung den dröhnenden Bässen der Popen lauschen, deren Gesang grollend durch die weiten Räume rollt. Dort stand ich auch vor einem kostbaren Schrein, in welchem der Rock Jesu hing. Der Rock, den Christus getragen hat und den ein römischer Soldat im Würfelspiel gewann. Beim Anblick dieser hl. Reliquie wollte mir aber kein frommer Gedanke kommen, sondern ketzerische Überlegungen beherrschten mein Denken. Wie war denn das doch, wird nicht auch in Trier ein Hl. Rock gezeigt? Und in Paris doch auch – und in Barcelona auch – und in drei andern Orten der Welt doch ebenfalls? Und war nicht bei jedem dieser Röcke eine Echtheitsbescheinigung des Papstes vorhanden? Es konnte doch nur einen von Jesu getragenen Rock geben. – Oder war überhaupt kein echter vorhanden? Waren die Röcke nur das Produkt einer Idee eines geschäftstüchtigen Papstes? Die Bescheinigungen werden nicht billig gewesen sein, denn für die jeweiligen Besitzer der Röcke waren diese ein wertvolles Propagandamittel. Der Rock in Trier wird heute nicht mehr öffentlich gezeigt, man rückt also von diesem frommen Betrug ab. die Kirche ist vorsichtig geworden, sie macht auch den Schwindel von Herolsbach nicht mit und hält sich auch den Vorgängen in Konnersreuth gegenüber zurück. Beides sind Fälle, die sie in früheren Zeiten nicht versäumt hätte, sie ihren Zwecken nutzbar zu machen.
Nach dieser Abschweifung nun wieder zu anderen meiner Petersburger Erlebnisse.
Allen ein schönes Wochenende!
Helen
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