Wie der Schneider Lager zu seinem Namen kam (aus Selma Lagerlöfs "Mårbacka")

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  • TPG5
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    • 05.11.2016
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    Wie der Schneider Lager zu seinem Namen kam (aus Selma Lagerlöfs "Mårbacka")

    Namenswechsel machen Familienfoschern zu schaffen, nicht nur Ehenamen, sondern auch Vornamen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie häufig Menschen ihre Taufnamen nicht verwendet haben.

    Das ist die Geschichte eines ganz anderen Namenswechsels aus Selma Lagerlöfs "Mårbacka". Mårbacka war das Gut der Lagerlöfs. Die Nobelpreisträgerin Selma (20.11.1858-16.03.1940) gehörte selber zu den Kindern, die im zweiten Absatz erwähnt werden; der "Leutnant" (Erik Gustav Lagerlöf 17.08.1819-12.07.1885) war ihr Vater und der "Regimentsschreiber" (Daniel Lagerlöf 09.03.1776-03.06.1852) war dessen Vater.

    Der Gemeindeschuster, der Soldat Svens, ist wie jedes Jahr einige Tage auf Mårbacka, um die angefallenen Arbeiten zu erledigen.

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    Der Schuster war lang und mager mit schwarzem Haar und Vollbart und wer ihn zum ersten Male sah, hielt ihn für einen selbstbewusstem Kerl, der am besten in den Krieg passte. Aber wenn er sprach, hörte man eine weiche, schüchterne Stimme. Die Augen waren blau und sanft und seine ganze Haltung war ein wenig linkisch. Alles in allem war er nichts weniger als gefährlich.

    Die Kinder von Mårbacka waren überglücklich, wenn der Schuhmacher eintraf. Sobald sie eine freie Stunde hatten, stürmtem sie die schwierige Treppe hinauf in die Webkammer. Sie kamen weniger um zu schwatzen, denn der Soldat Svens war ein fleißiger und wenig redseliger Mensch, als um bei der Arbeit zuzusehen und zu beobachten, wie ein Stiefel entstand, vom Aufspannen des Leders auf den Leisten bis zum Ausschneiden der Schnürriemen.

    Meist saß der Schuhmacher still mit gesenktem Kopf da, aber er lebte ganz auf, wenn er Leutnant Lagerlöfs Schritt auf der Treppe, die zu der Knechtkammer führte, hörte.

    Er und der Leutnant waren alte Regimentskameraden und wenn sie eine zeitlang über Stiefel und Sohlleder und Wichse verhandelt hatten, so fingen sie an, von den alten Geschichten aus dem Lager bei Trosnäs zu erzählen. Wenn sie so recht im Zuge waren, konnte der Leutnant den Schuhmacher dazu bringen, ein altes Soldatenlied anzustimmen, das recht verschieden war von allen anderen Kriegsgesängen, denn es begann: "Wir Helden all von Schweden, wir schlagen uns nicht gern." Dieses Lied hatten die Soldaten selber gedichtet, als sie im Jahre 1848 nach Dänemark hinabzogen, in den Feldzug, der der "Butterbrotkrieg" genannt wurde.

    Es war sehr sonderbar, dass der Schuhmacher Svens, so gern Geschichten von den Schneider Lager erzählte, der zur Zeit des Regimentsschreibers so manches liebe Mal in der gleichen Stube gesessen und genäht hatte und der ebenso munter und spaßig gewesen war, wie der Schuhmacher düster und tiefsinnig.

    "Der Herr Leutnant haben doch gewiss gehört, wie es zuging, als der Schneider Lager seinen Namen bekam?" sagte der Schuhmacher.

    Der Leutnant kannte die Geschichte zwar so genau wie sein Vaterunser, aber er sagte trotzdem: "Vielleicht hab´ ich es schon einmal gehört, aber Ihr könnt es ja erzählen, Svens, so wie Ihr es wisst."

    "Na, also, Lager war ja Soldat wie ich, obwohl vor meiner Zeit. Man sagte im Regiment, er hätte Lars Andersson geheißen. Aber dann kam die Verordnung, die Soldaten sollten sich neue Namen wählen, weil es gar zu viele gab, die Andersson und Johansson hießen.

    Eines Tages bei einem Appell in Trosnäs wurde von der Mannschaft einer nach dem anderen zum Regimentsschreiber Lagerlöf, dem Vater des Herrn Leutnants hereingeführt, um sich zu äußern, unter welchem Namen man ihn die Stammrolle eintragen solle. Lars Andersson kam dann auch mit den anderen herein und der Regimentsschreiber kannte ihn recht wohl; er wusste, was für ein Spaßvogel dieser Schneider war, denn er hatte ja Jahr für Jahr wochenlang in Mårbacka gehockt und Anzüge für ihn selber und die Leute genäht. Von seinem Kommen bis zum Gehen gab es nichts als Possen und Gelächter. Er konnte alle Leute auf jedem Hofe im ganzen Kirchspiel nachahmen, er ließ Gegenstände verschwinden wie ein Taschenspieler und konnte auf einem Stock blasen, dass man glaubte, ein ganzes Regiment anmarschieren zu hören. Aber er war auch gefährlich, denn er log allerhand Geschichten zusammen und hetzte die Leute auf den Höfen gegeneinander auf.

    'Nun, Lars Andersson, wie willst du heißen?' fragte der Regimentsschreiber und setzte seine ernsthafteste Miene auf, damit ihm der andere nicht mit irgendwelchen Possen kommen solle.

    'Ei, der Tausend, Herr Regimentsschreiber!' erwiderte der Schneider. 'Darf ich mich nennen, wie ich will?' Und er legte seine Stirne in Falten,
    damit es aussehen sollte, als dachte er angestrengt darüber nach, welchen Namen er sich zulegen sollte.

    'Ja, Lars Andersson, das darfst du', antwortete der Regimentsschreiber. Aber er kannte seinen Mann, und deshalb fügte er hinzu, es müsse ein ordentlicher, anständiger Name und nicht irgendein Unsinn sein.

    Können sich der Herr Leutnant noch erinnern, wir Ihr Herr Vater aussah ? Er war gewiss ein guter Mann, aber es gab doch viele, die sich vor ihm fürchteten, nur weil er groß und stattlich war und schwarze buschige Augenbrauen hatte.

    Aber der Schneider fürchtete sich nicht, o nein.

    'Nun dann will ich Lagerlöf heißen, denn das ist ein ehrlicher und geachteter Name. Ich kenne keinen zweiten in ganz Wermland, der einen so guten Klang hätte.'

    Als der Regimentsschreiber hörte, dass der Schelm sich Lagerlöf heißem wollte, stieg ihm da Blut in den Kopf.

    'Nein, das geht nicht', sagte er, 'Zwei gleiche Namen sollten nicht in demselben Regimente sein.'

    'Es sind aber mindestens drei da, die sich Uggla, und vier, die sich Lillehöök heißen', erwiderte der Schmeider. 'Da wird wohl niemand an mir und dem Herrn Regimentsschreiber Anstoß nehmen', setzte er hinzu.

    'Aber begreifst du denn nicht, Lars Andersson, dass dies nicht angeht?' fragte der Regimentsschreiber.

    'Ich hätte den Namen gar nicht gewählt, wenn der Herr Regimentsschreiber mir nicht selber erlaubt hätte, mich zu heißen, wie ich will', sagte der Schneider und stellte sich recht ernsthaft und demütig. 'Ich weiß ja, wenn der Herr Regimentsschreiber etwas sagt, so kann man sich darauf verlassen.

    Damit schwieg er, aber der Regimentsschreiber saß in tiefe Gedanken versunken da, wie er sich wohl aus dieser schwierigen Lage zuehen könne. Denn er wusste nicht nur, dass er zum Gespött des ganzen Regiments werden würde, sondern er wollte auch um keinen Preis, dass so ein Schlingel wie dieser Schneider Lagerlöf heißen sollte.

    'Hör mal, Lars', begann er, 'es wäre ja vielleicht möglich, dass wir beide denselben Namen innerhalb des Regimentes führten, aber siehst du, daheim auf Mårbacka ist das ganz ausgeschlossen. Du musst also darauf gefasst sein, nie wieder in Mårbacka nähen zu dürfen, wenn du auf dieser Sache beharrst.'

    Nun war die Reihe des Erschreckens an dem Schneider, denn die Wochen, die er auf Mårbacka verbrachte, waren die schönsten des ganzen Jahres. Nirgends wurde er so gut aufgenommen, und nirgends freute man sich so über seine Geschichten und Späße wie dort.

    'Vielleicht begnügst du dich damit, Lager zu heißen', fuhr der Regimentsschreiber fort, als er bei dem anderen ein Schwanken zu bemerken glaubte.

    So musste sich also der Schneider für den Namen Lager entschließen, und so er hieß dann auch sein ganzes Leben lang."
    Zuletzt geändert von TPG5; 05.08.2019, 15:20.
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