Vormund, Stiefvater und Auslegung der Begriffe

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  • GlasScherer
    Benutzer
    • 25.07.2018
    • 52

    Vormund, Stiefvater und Auslegung der Begriffe

    Liebe Mitforschende,

    mich treibt zur Zeit ein Fall um, bei dem die Puzzlestücke nicht ganz zusammenpassen. Vieles könnte an den Begriffsbezeichnungen hängen.

    Um 1800 wird im heutigen Niedersachsen ein Knabe geboren, dessen Mutter ein Jahr darauf verstirbt. Im Sterbeeintrag der Mutter ist der Vater als lebend angegeben und es gibt aus anderer Quelle den Hinweis, er sei später (ohne Jahresangabe) in die nahe Stadt gezogen. Als der Knabe ca. 8 Jahre alt ist, gibt es scheinbar einen Streit um den Erlös aus dem Hausverkauf des Vaters. Nur wird dieser scheinbar mit dem Knaben geführt, der durch einen Vormund vertreten wird (nähere Angaben habe ich nicht).
    -> Bedeutet dies, dass der Vater verstorben sein muss (denn sonst würde der Streit doch wohl mit dem Vater selbst geführt)? Im Internet deutet alles darauf hin, dass nur Kinder einen Vormund bekommen, deren Eltern nicht mehr leben oder wenn diese nicht zurechnungsfähig sind.
    -> Der Knabe hatte Verwandte, sogar einen Bruder des Vaters. Der benannte Vormund ist (Stand jetzt) jedoch nicht mit dem Knaben verwandt. Warum überließ man die Verwaltung des Erbes(?) einem "Fremden"? (Onkel und Neffe verstanden sich angeblich prächtig)

    Das Rätsel geht folgendermaßen weiter: Im Heiratseintrag des Knaben werden Vater und Mutter als verstorben genannt und Trauzeuge ist ein Mann, der dort als Stiefvater bezeichnet wird.
    -> Wie kann es einen Stiefvater geben, wenn die Mutter bereits lange verstorben ist und definitiv zuvor nicht noch einmal geheiratet hat?

    Die Bezeichnung "Stiefvater" taucht auch an anderer Stelle noch einmal auf. Sehe ich das alles zu eng? War man vielleicht einfach großzügig mit der Auslegung der Verwandtschaftsverhältnisse? Wuchs der Knabe vielleicht bei einem Verwandten auf (dessen Frau tatsächlich nach dessen Tod einen Mann mit demselben Nachnamen des als Stiefvater Benannten heiratete)?
    Oder könnte der Verwandte, der diese Frau heiratete, der Vater gewesen sein (ein Vorname stimmt wohl überein) und die Vormundssache mit dem Haus hat andere Hintergründe? Auch dann wäre der neue Mann der Stiefmutter nicht direkt der Stiefvater, jedoch ein bisschen näher dran.

    Für jegliche Denkhilfe, Berichte von ähnlichen Fällen oder Hilfe bei der Begriffsklärung bin ich dankbar.

    Gruß
    GlasScherer
  • sternap
    Erfahrener Benutzer
    • 25.04.2011
    • 4072

    #2
    ich nehme an, du meinst mit dem vater den kindesvater.


    nehmen wir beim blick in die vergangenheit teils mehrere blickwinkel an.


    die mutter stirbt, ohne geheiratet zu haben. ein angeblich braver mensch nimmt den knaben zu sich, die verwaltung des vermögens könnte ihm gefallen, jedoch ist genau das zu verhindern. es muss ein vormund die interessen des waisen wahren.


    in einem anderen fall ist der pflegevater ein ehrlicher mensch, aber mit amtssachen und juristensprache überfordert.
    gut, dass bei der nachlassregelung ein fähigerer als vormund des buben eingesetzt wird.
    der vormund hat vielleicht viele mündel und kontrolliert mehrere pflege- bzw. stiefeltern. er kann außerdem verhindern, dass das kind im haushalt des kindesvaters als nützlicher diener ausgenutzt wird und wie oft, zufällig zu früh verstirbt.


    einzelne pflegeväter gewinnen ein kind wirklich lieb, aber der vormund verhindert die adoption, dann nämlich, wenn vom kindesvater ein erbe zu erringen ist, das mehr wohlstand verspricht.
    zum begriff des pflege- oder ziehvaters.
    im 19.jhdt nahm man sich seitens der staaten zunehmend das ziel vor, die kindersterblichkeit zu verringern, dazu gehörte die zu erreichende bessere versorgung der waisen. pflegeeltern konnten sich in einigen ländern kinder holen und aus der armenkasse zuschüsse erhalten, von denen sie vielleicht für die eigene familie noch etwas abzweigten, mehr als ihr ausgemachter geringer lohn war.
    mit der bezeichnung stiefvater kann ein naheverhältnis, das über die ziehelternschaft hinausging, ausgedrückt worden sein.
    Zuletzt geändert von sternap; 07.07.2022, 14:46.
    freundliche grüße
    sternap
    ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
    wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




    Kommentar

    • sternap
      Erfahrener Benutzer
      • 25.04.2011
      • 4072

      #3
      Zitat von GlasScherer Beitrag anzeigen
      Als der Knabe ca. 8 Jahre alt ist, gibt es scheinbar einen Streit um den Erlös aus dem Hausverkauf des Vaters. Nur wird dieser scheinbar mit dem Knaben geführt, der durch einen Vormund vertreten wird (nähere Angaben habe ich nicht).
      als nachgeborene erliegen wir dem irrtum, nur die familiären seiten zu sehen. der staat, die kommunen hatten aber interesse daran, nicht für sämtliche halbwaisen und verlassenen kinder nahrung, kleidung und schulkosten zahlen zu müssen. wo möglich, nahm man nun die väter stärker in die pflicht.

      ->
      Bedeutet dies, dass der Vater verstorben sein muss (denn sonst würde der Streit doch wohl mit dem Vater selbst geführt)? Im Internet deutet alles darauf hin, dass nur Kinder einen Vormund bekommen, deren Eltern nicht mehr leben oder wenn diese nicht zurechnungsfähig sind.
      nein, denn der vormund entlastete durch gute arbeit die kommunen und er selbst erhielt auch mehr, wenn er mehr für den knaben vom kindesvater zu dessen lebzeiten lukrierte.

      Der Knabe hatte Verwandte, sogar einen Bruder des Vaters. Der benannte Vormund ist (Stand jetzt) jedoch nicht mit dem Knaben verwandt. Warum überließ man die Verwaltung des Erbes(?) einem "Fremden"? (Onkel und Neffe verstanden sich angeblich prächtig)
      das kann so wie heute gewesen sein, dass ämter und gerichte nach ihren kriterien entscheiden, vormund und zieheltern sich kannten und frühere fälle zu beider finanziellem vorteil gelöst hatten.
      das zum allgemeinen.
      freundliche grüße
      sternap
      ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
      wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




      Kommentar

      • Geschichtensucher
        Erfahrener Benutzer
        • 03.09.2021
        • 733

        #4
        Ich stimme sternap zu und ergänze eigene Erfahrungen:


        Meinem Vorfahren starben in kurzer Zeit Ehefrau und Schwiegereltern. Es gab eine Mühle zu erben, die er schon bewirtschaftete. Sein einziges Kind war erbberechtigt. Trotzdem er selbst mit ihr lebte, sie ehelich war und er sogar Richter in seinem Dorf, bekam sie einen Vormund für die Erbsache (gelesen im Gerichtshandelbuch). Das schützte offenbar die Interessen Abhängiger.



        Stiefvater ist der nach dem Tode an Vaters Statt agierende Mann, im Sinne von Adoptivvater, bin ich sicher.
        Beste Grüße, Iris

        Kommentar

        • sternap
          Erfahrener Benutzer
          • 25.04.2011
          • 4072

          #5
          Zitat von Geschichtensucher Beitrag anzeigen
          Meinem Vorfahren starben in kurzer Zeit Ehefrau und Schwiegereltern. Es gab eine Mühle zu erben, die er schon bewirtschaftete. Sein einziges Kind war erbberechtigt. Trotzdem er selbst mit ihr lebte, sie ehelich war und er sogar Richter in seinem Dorf, bekam sie einen Vormund für die Erbsache (gelesen im Gerichtshandelbuch). Das schützte offenbar die Interessen Abhängiger.



          wir hatten vergessen, das kind könnte bereits mit dem tod der mutter einen anteil des besitzes geerbt haben, was nun ein vormund verwalten sollte
          mit dem anteil im hintergrund könnten gegenüber einem unehelichen kindesvater weitereunterhaltsansprüche geltend gemacht werden.
          möglicherweise nur zu erzeugers lebzeiten, bis zur volljährigkeit des sohnes, in manchen ländern beim erben jedoch nicht mehr.
          freundliche grüße
          sternap
          ich schreibe weder aus missachtung noch aus mutwillen klein, sondern aus triftigem mangel.
          wer weitere rechtfertigung fordert, kann mich anschreiben. auf der duellwiese erscheine ich jedoch nicht.




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          • Julie1906
            Erfahrener Benutzer
            • 12.02.2017
            • 211

            #6
            Vormund

            Hallo,


            ich hatte einen Fall um 1850, da verstarb die Mutter. Die zum Teil minderjährigen Kinder wurden von einem Vormund vertreten. Die Informationen standen in einer Akte des Vormundschaftsgerichtes. Da waren Rechnungen, Belege und Protokolle von Zusammenkünften der "Beteiligten" vermerkt.

            Sehr interessant das Ganze!! Kann ich nur empfehlen.

            Mal ins Staatsarchiv des betreffenden Ortes schauen, die Akte kann 20 Seiten umfassen, aber auch 80... die braucht man dann nicht alle. Also ansehen vor Ort kann nicht schaden!


            Viele Grüße
            Edith

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