Nottaufe eines noch ungeborenen Kindes?

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  • Hintiberi
    Erfahrener Benutzer
    • 26.09.2006
    • 1075

    Nottaufe eines noch ungeborenen Kindes?

    Ich bin gestern auf einen interessanten Sterbeeintrag eines Kindes gestoßen, welches tot geboren wurde. Der Wortlaut:

    "Im Jahre Christi 1818 am 8. September abends um 9 Uhr war Anna Maria geborene Fenne , Ehefrau von Bernhard Keuth genannt Cramer, Gemeindsmann und Tagelöhner in Eringhausen, der zu dieser Pfarrei gehörigen Filial, von einem todten Sohn entbunden worden. Dieses Kind hatte mehrere Stunden zuvor, als noch sichere Lebenszeichen da gewesen, von der hiesigen Hebamme die Notthaufe erhalten, und wurde selbiges am 10. nämlichen Monats Morgens um 8 Uhr christlichem Gebrauche nach zur Erde bestattet."

    Kurze Zeit später ist auch die Mutter gestorben:
    "Im Jahre Christi 1818 am 29. im September Morgens um 11 Uhr sturbe gerade 3 Wochen nach einer schweren Entbindung von einem todten Kinde an den Foilgen derselben Anna Maria Elisabeth geborene Fenne, [...]"


    Kann denn ein noch ungeborenes Kind notgetauft werden? Ich dachte immer, daß das erst möglich ist, wenn das Kind auf der Welt ist und auch ein Lebenszeichen von sich gibt?!

    Wißt ihr Näheres über solche Fälle?!

    Viele Grüße
    -Jens
    Meine Ahnen
    http://img.photobucket.com/albums/v29/MrMagoo/K.jpg
    www.gencircles.com/users/hintiberi/17"
  • Kathy
    Benutzer
    • 24.07.2006
    • 58

    #2
    Hallo Jens,
    auch bei http://de.wikipedia.org/wiki/Nottaufe
    steht:
    Hebammen waren daher dazu verpflichtet, Neugeborene in Lebensgefahr oder sogar Totgeborene zu taufen.
    Viele Grüße
    Katharina

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    • Hintiberi
      Erfahrener Benutzer
      • 26.09.2006
      • 1075

      #3
      Hallo,

      vielen Dank für die Antwort;
      auf dieser Seite habe ich folgendes finden können (Auszug):

      "Seit dem 14. Jh. läßt es sich z. B. in Trier nachweisen, daß Kinder, bei deren Geburt Komplikationen auftraten, bereits getauft wurden, wenn ein größerer Teil ihres Körpers, etwa ein Arm oder ein Bein, aus dem Mutterleib hervorragte. Konnten die Kinder wider Erwarten doch glücklich geboren werden, wurden sie anschließend ein zweites Mal getauft. Oft war es dabei nötig, dem Kind einen anderen Namen zu geben, denn bei solchen Nottaufen war das Geschlecht des Kindes nicht immer feststellbar. Da man in der Regel annahm, es handele sich um einen Jungen, erhielten auch die Mädchen Jungennamen.
      War eine Nottaufe dieser Art nicht möglich, versuchte man sogar die ungeborenen Kinder mit Hilfe von Taufspritzen im Mutterleib zu taufen.
      Wenn Kinder dennoch ungetauft verstorben waren, brachte man sie ab dem 15. Jh. häufig zu den zahlreichen Wallfahrtsstätten, wo man hoffte, sie für einen kurzen Moment wieder zum Leben erwecken zu können. Diese Zeit sollte ausreichen, die Taufe vorzunehmen. Als Zeichen des wiedererwachten Lebens wurden dabei z. B. das Röten der Wangen oder auch Kondenstropfen, die man für Schweißtropfen hielt, anerkannt.
      Obgleich die Mütter getauft verstorben waren und somit einen Anspruch auf die Bestattung in geweihter Erde hatten, war auch ihr Tod im Verlauf dieses Grenzgangs zwischen Leben und Tod problematisch. Sie waren unrein verstorben und wurden dementsprechend bis ins 16. Jh. hinein an besonderen Orten des Friedhofs bestattet, mitunter auch außerhalb desselben.
      "

      [Der Artikel enthält noch weitere interessante Informationen...]
      Meine Ahnen
      http://img.photobucket.com/albums/v29/MrMagoo/K.jpg
      www.gencircles.com/users/hintiberi/17"

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      • roi
        Erfahrener Benutzer
        • 15.11.2006
        • 377

        #4
        Aus religiöser Sicht war es damals eine Katastrophe, wenn ein Kind ungetauft starb. Ich kann mir vorstellen, dass manche Hebamme so ein Kind im Mutterleib getauft hat, selbst wenn sie keine Lebenszeichen mehr wahrnahm - aber erstens konnte sie das ja nicht 100% wissen und zweitens war es für die Eltern sicher ein Trost und konnte somit nie schaden.
        Das mit dem Namen habe ich nicht gewusst, weil ich etliche Einträge von totgeborenen oder direkt gestorbenen Kindern habe, wo nur das Geschlecht, aber kein Name angegeben ist.

        Kommentar

        • Svenja
          Erfahrener Benutzer
          • 07.01.2007
          • 4354

          #5
          Hier mal ein paar Auszüge aus dem Buch "Ägerital - seine Geschichte" zu diesem Thema. Das Ägerital liegt übrigens im Kanton Zug in der Schweiz und ist meine Heimat.

          "Nach der Geburt kam die Frau ins Wochenbett, wo ihr noch manche Gefahren wie das bisweilen tödliche Puerperal- oder Kindbettfieber drohten. Weit stärker gefährdet war der Säugling, weshalb er möglichst rasch getauft wurde, um ihm das Seelenheil zu sichern. In lebensbedrohlichen Situation hatte die Hebamme die Aufgabe, die Nottaufe zu spenden. Für die Rettung der Seele eines Säuglings wurden grösste Anstrengungen unternommen. Ein ungetauftes Kind hingegen war ein namenloses Nichts, das allenfalls summarisch ins Pfarrbuch eingetragen wurde. Noch in den 1930er Jahren wurden gemäss einer Gewährsperson Totgeburten in Oberägeri achtlos ohne Zeremoniell in eine Grube auf dem Friedhof gelegt."

          "Die Hebamme hatte gemäss ihrem Eid alles anzuwenden, "damit dem Kind sein eintziges und ohnumgängliches, höchst nothwendiges Seelen Mittel, so ist der Heiligen Tauff könne mitgetheilt werden". Dabei kam es bisweilen zu grässlichen Szenen. 1705 taufte die Hebamme das Kind der Sarah Hess und des Melchior Müller wegen schwerer Komplikationen schon in der Gebärmutter. Das Kind starb und musste vom Chirurgen stückweise herausgeschnitten werden. Während dieser Operation verblutete die Mutter."

          "Am 3. März 1768 starb die in der zwanzigsten Woche schwangere Maria Magdalena Nölli aus Schwyz, Ehefrau des Nikolaus Wildpret, beide als Fremde im Ägerital bloss geduldet. Zur ewigen Rettung des Kindes schnitt der Chirurg Dr. Stocker aus Baar den Fötus aus der Gebärmutter. Sogleich taufte der Pfarrer das Kind auf den Namen Maria Raimund Nonnatus, der "Ungeborene". Er hatte diese verzweifelte Aktion geplant, damit Gott auf die Fürsprache des Heiligen Raimundus Nonnatus, der im 13. Jahrhundert ebenfalls aus dem Uterus der toten Mutter geschnitten worden war, das Kind errette. Das Kind hatte natürlich keine Überlebenschance, war aber gemäss kirchlicher Lehre dennoch für das ewige Leben gerettet, was viel wichtiger war als das kümmerliche irdische Dasein."


          Quelle: Ägerital - seine Geschichte, Kapitel Bevölkerung und Gesundheit, von Renato Morosoli und Roger Sablonier, Band 1, Seiten 322/323
          Meine Website über meine Vorfahren inkl. Linkliste:
          https://iten-genealogie.jimdofree.com/

          Interessengemeinschaft Oberbayern http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=38

          Interessengemeinschat Unterfranken http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=37

          Interessengemeinschaft Sudetendeutsche http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=73

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          • Hintiberi
            Erfahrener Benutzer
            • 26.09.2006
            • 1075

            #6
            Hallo Svenja,

            besten Dank für Deinen (im Wortsinne zu verstehen) "merk-würdigen" Artikel! Schon irgendwie befremdlich, diese gerade mal 300 Jahre alten Riten...

            Viele Grüße und gute Nacht!
            -Jens
            Meine Ahnen
            http://img.photobucket.com/albums/v29/MrMagoo/K.jpg
            www.gencircles.com/users/hintiberi/17"

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            • Svenja
              Erfahrener Benutzer
              • 07.01.2007
              • 4354

              #7
              Jens hat weiter oben folgendes zitiert:

              "Obgleich die Mütter getauft verstorben waren und somit einen Anspruch auf die Bestattung in geweihter Erde hatten, war auch ihr Tod im Verlauf dieses Grenzgangs zwischen Leben und Tod problematisch. Sie waren unrein verstorben und wurden dementsprechend bis ins 16. Jh. hinein an besonderen Orten des Friedhofs bestattet, mitunter auch außerhalb desselben."

              Dazu habe ich im Bericht zur Moorleiche Rosalinde (Frau von Peiting) folgendes gefunden:

              "Die Tatsache, dass die Frau in einem Moor und nicht auf einem Friedhof bestattet wurde, könnte darin begründet liegen, dass sie vor ihrem plötzlichen Tod eventuell ein nichteheliches Kind geboren hatte. (Die Sektion der Leiche ergab, dass die Frau noch kurz vor ihrem Tode ein Kind geboren hatte und wahrscheinlich im Wochenbett verstorben war, was auch durch das extrem geweitete Bauchgewebe der Toten angezeigt wird.) Ein weiterer Grund für die Bestattung im Moor könnte aber auch in der mittelalterlichen Kirchenlehre begründet liegen, wonach ungesegnet gestorbene Wöchnerinnen nicht in gesegneter Erde bestattet werden durften. Man glaubte außerdem, dass sie noch sechs Wochen lang nach dem Kind sehen würden, deshalb mussten sie mit neuen Schuhen bestattet werden, da man sonst ihre schlurfenden Schritte gehört hätte."

              Falls jemand mehr über diese Moorleiche wissen möchte, findet man hier weitere weitere Untersuchungsergebnisse. (In Peiting lebten auch Vorfahren von mir).

              Jens, falls du noch eine andere merk-würdige Geschichte lesen möchtest, dann schau mal hier Schicksal einer Frau mit mehreren unehelichen Kindern

              Gruss
              Svenja
              Meine Website über meine Vorfahren inkl. Linkliste:
              https://iten-genealogie.jimdofree.com/

              Interessengemeinschaft Oberbayern http://forum.ahnenforschung.net/group.php?groupid=38

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              • roi
                Erfahrener Benutzer
                • 15.11.2006
                • 377

                #8
                Die Sache mit den Kaiserschnitten zu Taufzwecken dürfte letztlich doch extrem selten gewesen sein. Bis ins 19. Jahrhundert gab es ja kaum eine Chance für die Mutter, einen Kaiserschnitt zu überleben und das Leben der Mutter durfte nicht aufs Spiel gesetzt werden, wenn sie eine Überlebenschance hatte - Kinder starben so häufig auch nach der Geburt...
                Es reichte für die Taufe wohl auch, wenn die Hebamme Körperkontakt mit dem Kind hatte. Durch den wenigsten teilweise geöffneten Muttermund konnte sue ja den Kopf des Kindes (oder notfalls was sonst im Geburtskanal steckte) berühren und die Taufworte sprechen.

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