Technik zum Lesen verwitterter Grabsteine

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  • Zeitlupe
    Erfahrener Benutzer
    • 23.04.2012
    • 132

    Technik zum Lesen verwitterter Grabsteine

    Vorweg: Dies ist eine nicht-professionelle technische Anleitung für Ahnensucher, die eine mindestens semiprofessionelle Fotoausrüstung haben, eine Bildbearbeitungs-Software auf dem Rechner haben, und Grabsteine fotografisch dokumentieren und dabei inhaltlich auswerten wollen.

    Ein verwitterter Grabstein ist leider unleserlich?
    Der olle Stein steht nur auf dem Friedhof rum und will nichts mehr erzählen?

    Doch, es lässt sich oft noch recht gut mit ein paar kleinen Tricks da etwas an Lesbarkeit rauskitzeln.

    Benötigt werden:
    - eine möglichst gute hochauflösende Digitalkamera,
    - ein absolut standfestes schweres Kamerastativ,
    - ein leistungsfähiger Fotoscheinwerfer möglichst mit Lichttoren (Seitenklappen) und verstellbarem Licht weich/hart,
    - ein stabiles und schnell und präzise höhenverstellbares Lichtstativ,
    - eine mobile Stromversorgung für den Leuchtkörper (Akkupacks u.a.),
    - einen Computer zu Haus.

    Die Vorgehensweise:
    - Fotografieren geht nur bei Dunkelheit, also bei durchgängig bewölktem dunklen Himmel, nachts oder in den Wintermonaten, deshalb eine Genehmigung zum Fotografieren mit Kunstlicht auf dem entsprechenden Gelände unbedingt vorher einholen Bei der Gelegenheit vielleicht im Vorfeld direkt die Location und das Objekt vermessen.
    - Die Kamera auf ihrem Stativ vor dem Grabstein aufbauen. Bildfüllend und auf Augenhöhe das Objekt scharfstellen (rechtwinklig waagerechte Achse zum Objekt). Das Objekt bildet den waagerechten Horizont, nach dem die Kamera sich zu richten hat, und nicht umgekehrt.
    - Scheinwerfer auf Stativ montieren, hartes Licht einstellen, Licht als eher engen Kegel ausrichten.
    - Den Scheinwerfer in verschiedenen sequenziellen Höhen ähnlich dem Zifferblatt der Uhr seitlich das Objekt anstrahlen lassen. Wir beginnen auf der 12-Uhr-Position.
    - Wir beginnen mit der 12, gehen weiter auf 1 Uhr, 2 Uhr. usw. Jedesmal wird nach der Neuausrichtung der Lichtquelle ein Foto gemacht. Die Kamera darf sich keinesfalls dabei bewegen! Bewegt wird nur der Scheinwerfer! Der Scheinwerfer wandert gewissermaßen auf den Nummern des Zifferblattes einer senkrecht stehenden Uhr wobei er konstant das Objekt "anschaut". Jedes dieser elf Bilder zeigt also unverändert das Objekt mit einem leicht veränderten Einstrahlwinkel der Beleuchtung.

    Nach der Fotosession on location werden die 11 Bilder in den heimischen Rechner geladen. Ein Programm wie Photoshop o.ä. ermöglicht das folienartige Übereinanderlegen der einzelnen 11 Bilder in gewählter Reihenfolge. Möglich ist auch die Abspeicherung als Film, wo die Bilder hintereinander in gewünschter Geschwindigkeit in einer Loop ablaufen. Jetzt zahlt sich nachträglich das präzise Arbeiten mit der bombenfest stehenden Kamera aus. Und siehe da, der Schatten wandert!

    Durch eine variabel schnelle Sicht-Abfolge der Bilder auf dem Monitor lässt sich also eine Art künstlicher wandernder Sonnenstand simulieren, der auch noch kleine Dellen in der Oberfläche durch deren eigenen Schattenwurf sichtbar macht. Die Sonnenuhr-ähnliche Beleuchtung kreiert einen pseudo-3D-Effekt durch die variablen Schattenwürfe. Die Resultate sind erstaunlich.

    Es kann sinnvoll sein, den Bildern vorher im Rechner die Farbinformation wegzunehmen und nur Graustufen zu zeigen; kleine Spielereien mit dem Kontrast und der Helligkeit bewirken auch hier manchmal noch kleine Wunder hinsichtlich der Lesbarkeit.

    Experimentieren geht über studieren:
    Die eigentliche Fototechnik lässt sich daheim im verdunkelten Zimmer/Keller z.B. mit einer ganz grob oberflächengeschliffenen planen Holzplatte in Grabsteingröße (alte Tischplatte u.ä.), deren Oberfläche man mit verschieden stumpf eingeritzten Testzeichen in verschiedener Tiefe und Breite selbst "zerkratzt", recht gut simulieren und vorher üben. So kann man mit der richtigen Entfernung und Einstrahlwinkeln des Scheinwerfers experimentieren.

    Ein bisschen Übung gehört schon dazu, die sich aber vor Ort bezahlt macht; man muss on location nicht so lang im Dunkeln/Kälte zittern, die durch das helle Kunstlicht angelockte Polizei hat keine Zeit die vermeintlichen Friedhofsterroristen präventiv zu beschlagnahmen und deren Equipment in Notwehr zu erschießen, und die Akkus sind auch nicht so schnell alle

    Mit einem eingespielten Beleuchtungshelfer geht das Ganze wesentlich zügiger und präziser! Der Beleuchter muss den Einstrahlwinkel und das virtuelle Zifferblatt permanent im Auge/Kopf behalten, auf Anweisung des Fotografen korrekt reagieren, und für jedes einzelne Foto das Lichtstativ auf der Horzontalachse bewegen sowie die Höhe (über dem Boden) des Leuchtkörpers auf der Vertikalachse neu justieren.

    Scheinwerferposition und Einstrahlwinkel sind das A und O dieser Technik. Es kann sinnvoll sein, auf der Horizontal-Bewegungsachse des Lichtstativs auf dem Boden vorher einen Zollstock auszulegen und die dortigen Positionen des Stativs vorher aufzuschreiben. Ähnliche vorberechnete Markierungen können auch an der Vertikalstange des Lichtstativs angebracht werden.

    Es gibt auch die Möglichkeit, statt des Lichts die Kamera selbst wandern zu lassen bzw. mehrere identische Kameras hohlspiegelförmig angeordnet mit sequenziellen Lichtquellen vor dem Objekt zu positionieren. Das ist allerdings wirklich nur etwas für Profis. Ich bin sicher, dass die Fotoprofis in diesem Forum hierzu noch Tipps und Verbesserungen beisteuern können.

    Viel Spaß beim Experimentieren, und viel Erfolg beim Arbeiten on location!
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  • zimba123
    Erfahrener Benutzer
    • 01.02.2011
    • 735

    #2
    Hallo Zeitlupe,

    das darfst Du mir gerne mal live demonstrieren. Ich habe hier auch ein paar ziemlich verwitterte Grabsteine, die ich demnächst erfassen muss. Ich werde mich ansonsten ganz analog mit Papier und bunter Kreide oder Kohle ausrüsten und versuchen durchzupausen. Wette, dass ich damit schneller bin als DU?

    Viele Grüße
    Simone
    Viele Grüße
    Simone

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    • Laurin
      Moderator
      • 30.07.2007
      • 5649

      #3
      @Simone:
      Gut gebrüllt, Löwe

      Wir (fast alle) hier dürften nämlich keine Profis - egal auf welchem Gebiete - sein,
      sondern reiten unsere Steckenpferde aus Freude an der Sache und/oder zur Unterstützung anderer Gleichgesinnter.
      Freundliche Grüße
      Laurin

      Kommentar

      • Xylander
        Erfahrener Benutzer
        • 30.10.2009
        • 6447

        #4
        Hallo Zeitlupe,
        das könnte ich nicht, aber auf die erzielbaren Ergebnisse wäre ich schon sehr gespannt. Kannst Du mal ein Beispiel einstellen?
        Viele Grüße
        Xylander

        Kommentar

        • Zeitlupe
          Erfahrener Benutzer
          • 23.04.2012
          • 132

          #5
          Kein Problem.

          Die Durchpaustechnik ist mir bekannt und bewährt. Die fotografische Technik ist etwas für Leute mit Zeit und fast unlösbaren Rätseln; sie setzt da an, wo andere Techniken nicht mehr weiterhelfen.

          Die Technologie stammt auch nicht von mir sondern ursprünglich aus der Archäologie. Wie man in folgendem Link sieht, ist sie jedoch vereinfacht auch durch Hobbyisten anwendbar http://www.vetoniana.de/01966e946913...c09/index.html

          Jede Technik hat ihren Einsatzzweck und ihre Berechtigung.
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          • Edeltraud
            Erfahrener Benutzer
            • 17.02.2010
            • 354

            #6
            Hallo Zeitlupe,

            klingt sehr interessant und auch ich würde gerne ein Beispiel sehen.
            Ansonsten mache ich es wie Simone, Butterbrotpapier und Bleistift bzw. Kohle.
            Schönen Gruß aus Berlin
            Edeltraud

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            • Zeitlupe
              Erfahrener Benutzer
              • 23.04.2012
              • 132

              #7
              Beispiel

              Ein Beispiel findest du hier http://www.vetoniana.de/images/eberle02.jpg
              Foto mit nur einem einzigen Seitenlicht. Die Technik wird im dazugehörigen Link (siehe mein letztes Posting) beschreiben.
              Es ist alles nicht so kompliziert wie es sich anhört.
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              • Xtine
                Administrator
                • 16.07.2006
                • 28375

                #8
                Hallo Zeitlupe,

                eine tolle Anleitung, vorallem für die, die über eine derartige Ausrüstung verfügen und öfter alte Grabsteine fotografieren wollen.

                @alle Anderen:
                Keiner ist gezwungen es nachzumachen!
                Aber für die, die es bisher versucht und nicht geschafft haben, ist es sicher mal einen Versuch wert.
                Wer lieber bei Stift und Papier bleiben will, soll das ruhig weiter so machen
                Viele Grüße .................................. .
                Christine

                .. .............
                Wer sich das Alte noch einmal vor Augen führt, um das Neue zu erkennen, der kann anderen ein Lehrer sein.
                (Konfuzius)

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                • Garfield
                  Erfahrener Benutzer
                  • 18.12.2006
                  • 2142

                  #9
                  In meiner Gegend bleiben Grabsteine leider gar nicht so lange bestehen, dass ich in diese Situation kommen könnte...

                  Trotzdem noch eine wichtige Frage dazu: wo müsste der Scheinwerfer stehen? Über/unter, neben der Kamera?

                  Dafür noch ein Tipp, der mir fürs Abfotografieren von Kirchenbüchern gegeben wurde: ein Fernauslöser für die Kamera würde das ganze wohl vereinfachen.
                  Viele Grüsse von Garfield

                  Suche nach:
                  Caruso in Larino/Molise/Italien
                  D'Alessandro in Larino und Fossalto/Molise/Italien und Montréal/Kanada
                  Jörg von Sumiswald BE/Schweiz
                  Freiburghaus von Neuenegg BE/Schweiz
                  Wyss von Arni BE/Schweiz
                  Keller von Schlosswil BE/Schweiz

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                  • liseboettcher
                    • 26.03.2006
                    • 696

                    #10
                    verwitterte Grabsteine

                    Ich bin nur ein ziemlicher Laie in bezug auf Fotografie. Aber ich habe mal alte Grabsteine, die ich für das Denkmalprojekt fotografieren wollte, einfach mit Wasser und Schwamm bearbeitet. Vermutlich geht das nur bei Steinen aus Sandstein, die das Wasser aufsaugen.
                    Einen schönen Sonntagabend wünscht Euch Lise

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                    • Zeitlupe
                      Erfahrener Benutzer
                      • 23.04.2012
                      • 132

                      #11
                      Scheinwerferposition: In jedem Fall seitlich des Objekts, siehe Beschreibung http://www.vetoniana.de/01966e946913...c09/index.html letzter Absatz, sowie mein Ursprungsposting.

                      Oberflächenvorbehandlung des Objekts: Anfeuchten bei Sandstein ist ein guter Tipp

                      Aus der epigraphischen Praxis gibt es noch die Cliché-Technik (Abklatschtechnik), wo ein reißfestes und saugfähiges ungeleimtes Spezialpapier durchgeweicht auf die Oberfläche des Grabsteins aufgebracht und mit einer Tapezierbürste festgeklopft wird (so ähnlich wie beim Tapeziererhandwerk). Nach der Durchtrocknung kann man somit ein exaktes dreidimensionales Bild der Oberfläche inklusive Schrift im Maßstab 1:1 mit nach Haus nehmen. Bedingt funktioniert dieses auch bei Gußeisenkreuzen.

                      Der Vollständigkeit halber hier noch der aktuelle technologische Stand der Wissenschaft http://www.spiegel.de/wissenschaft/t...703508,00.html
                      Zuletzt geändert von Zeitlupe; 30.04.2012, 09:00. Grund: thematisch ergänzt
                      ~ Datenaustausch über lebende Personen nur via Privatnachricht ~
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                      • gustl
                        Erfahrener Benutzer
                        • 25.08.2010
                        • 676

                        #12
                        Hallo "Zeitlupe",

                        vielen Dank für diese ausführliche Anweisung. Wir werden diese Technik mal bei ganz abgegriffenen Münzen ausprobieren. Das ist weniger schwierig in der Durchführung und eine gute Übung, falls uns doch noch mal ein verwitterter Grabstein auffällt. Einer fällt mir schon ein, den ich noch suchen möchte.

                        Also vielen Dank für Deine Mühe!

                        Beste Grüße
                        Cornelia

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