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Alt 11.03.2018, 11:04
Artsch Artsch ist offline
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Hallo,

Meine Eltern lernten sich kennen, als sie 16 und er 20 Jahre alt waren. Mein ältester Bruder wurde 1952 unehelich in Sachsen im Elternhaus meiner Mutter geboren und von meinem Vater auf dem Standesamt angemeldet. Da war meine Mutter 18 Jahre alt. Nach dem dort geltenden Gesetz waren beide volljährig.

Nach Angaben meiner Mutter, ( die immer darauf bestand bei dieser Geburt schon 19 gewesen zu sein und meinen Vater erst mit 18 kennengelernt zu haben), hat sie nie etwas nachteiliges sich anhören müssen. Von niemanden, außer von Kumpels meines Vaters, als dieser 2 Jahre später, für ein halbes Jahr als verschollen galt. Das lautete dann in etwa so: "Wo ist denn nun der Beste?" Nun meine Mutter wußte es tatsächlich nicht und ließ sich auf kein Gespräch ein.

Meine Großeltern von beiden Seiten lebten in verschiedenen Dörfern, nur 2 km auseinander. Die evangelische Taufe fand verspätet statt, da man lange versucht hatte, einen Termin zu finden, bei welchen beide Großväter sowie der Vater, arbeitsbedingt zugegen sein konnten. Zum Schluss begnügte man sich mit einem Termin, bei welchen Vaters Vater nicht dabei war. Der Täufling hatte 5 Paten, darunter jeweils die Schwester von jedem Elternteil (15 und 28 J.) und die Freundin meiner Mutter, die 2 weiteren Paten vermute ich bei den Großeltern beider Seiten.
Die Mutter meines Vaters, die noch bei einer eventuellen Schwangerschaft seiner Freundin mit Rauswurf gedroht hatte, sorgte nun dafür, daß um und im Haus alles kindersicher wurde, damit jeder Zeit das kleine Enkelsöhnchen auf Besuch kommen konnte. Als die Kohlen im Elternhause meiner Mutter ausgingen und keine zu bekommen waren, trieb die Mutter meines Vaters Kohlen auf und brachte mit einem geliehenen Pferdefuhrwerk Kohlen in den Nachbarort zu meiner Mutter.
Als mein Bruder ein Viertel Jahr alt war, wog er weniger als bei der Geburt und mein Vater vermutete "Böses" und sprach das auch aus. Meine Mutter stillte bzw. pumpte ab, da sie ja arbeitete, doch ihre Mutter, die den Säugling versorgte, vermutete wegen beginnenden benachbarten Tagebau, daß das Wasser nicht in Ordnung sein könnte. Fortan brachte mein Vater täglich Wasser aus dem Nachbarort und mein Bruder nahm endlich an Gewicht zu.
Die Mutter meiner Mutter, in deren Haus mein Bruder aufwuchs, war meinem Vater sehr zugetan, sie äußerte mehrmals, weil sie schon lange sehr krank war: "Ich möchte ihn nur einmal noch sehen!" Nach 16-jähriger Abwesenheit und einer Amnestie, kam mein Vater mit uns unangemeldet das erste Mal wieder in seine Heimat und wir wohnten während der Messezeit bei ihnen. Wenige Wochen nach diesem Besuch erhielten wir die Nachricht von ihrem Tod.
Von der Bevölkerung und Freunden wurde mein Bruder "Perle" genannt. Warum auch immer!
Erst am Sterbetag meiner Mutter, erfuhr ich von selbigen Bruder, daß er im Kindergarten von der Erzieherin, erst nur mit dem Nachnamen der Mutter und auf einmal nur mit dem Nachnamen des Vaters gerufen wurde. Er beharrte schon immer darauf, daß er diskriminiert worden sei. In seinem Fall spielt mit Sicherheit auch eine Rolle, daß sein Vater ein erklärter Staatsfeind war.
Mein Bruder hat übrigens nach einer Trennung von seiner Freundin, als er von deren Schwangerschaft erfuhr, sie kurzerhand geehelicht, um seinem Kind das zu ersparen, was er selbst erlebt hat. Diese Ehe geht jetzt schon 40 Jahre.
Auf meine frühere präzise Frage nach dem Nachnamen bei der Geburt, hatte meine Mutter entrüstet und genervt geantwortet: "Na, wie der Vater, wie denn sonst!"

Nach 2-jähriger Ehe mit 25 Jahren bekam ich als 3. und jüngstes Kind meiner Eltern, selbst einen Sohn, als ich von dieser Schwangerschaft meinen Eltern erzählte, erlitt meine Mutter einen Nervenzusammenbruch. Sie brach in Tränen aus und beschimpfte mich aufs Schlimmste. Tränen kannte ich bei meiner Mutter zur Genüge, aber eher Tränen aus Mittel zum Zweck. Dieses Trauerspiel aber hatte mit Sicherheit mit ihrer eigenen 1. Schwangerschaft zu tun.
Sonst hielt meine Mutter jedem Sturm stand.

Zur Zeit der Silbernen Hochzeit meiner Eltern, fiel mir mit 18 Jahren erst auf, daß mein älterer Bruder unehelich geboren war. Als ich dies meinen 20-jährigen anderen Bruder mitteilte, bezeichnetete dieser mich als Lügnerin. Er weigerte sich auch in das Familienstammbuch zu sehen, welches ich ihm hin hielt.
Meine Mutter, meinte, ich solle mich schämen, überhaupt eine Frage dazu zu stellen und verbot sich dies.
Mein Vater, der 1954 aus der DDR als politisch Verfolgter geflohen ist, heiratete meine Mutter erst 1955, 6 Wochen nachdem sie den Boden der BRD betreten hatte. Mir erklärte er, Eheschließung sei ein staatliches (oder auch kirchliches) Instrument, welchem er sich nicht beuge, solange er den Staat nicht als seinen anerkennt. Ein Staat, der seinen jungen Bürgern keinen mietbaren Wohnraum schaffen läßt, sondern durch Enteignung, niedrige Mieten, Baumaterialstop für privates Bauen oder Instandhaltung verhindert, diesen Staat darf man in keinsten Fall unterstützen oder sich dessen Gesetzen unterwerfen.

Der zweitgeborener Bruder bezeichnete sich später als Erstgeborenen, weil nur die Ehe für ihn zählt.

Bei der Grabrede meiner Mutter vor wenigen Jahren, für welche der Zweitgeborene einen Grabredner bestellte und diesen auch unterrichtete, begann deren Biographie erst 1955 mit der Eheschließung, mein ältester Bruder, welcher auch auf der Beerdigung war, wurde mit keiner Silbe erwähnt.
Im Vorfeld, auf dem Friedhof, als Bruder 2 verkündete, er trägt die Urne, hat einer der Trauergäste laut gesagt: "Wieso Du allein? Ihr seid 3 Kinder!" Das wollte er aber nicht einsehen. Nun begehrte die ganze Trauergemeinde auf. So kam es, daß jeder von uns ein Drittel des Weges mit der Urne beschritt.
Von mir aus hätte er die Urne bis zum Sanktnimmerleinstag tragen können!
Der Beerdigung meines Vaters bin ich gleich ganz fern geblieben. Der wußte immer, was er von wem zu halten hatte. Zu ihm habe ich eine Verbundenheit, die auch über den Tod anhält. Er hat seine 3 Kinder immer gleich behandelt und ist immer bei der Wahrheit geblieben.

Wieviel verblendeter mögen früher die Leute gewesen sein, wenn so ein Getue jetzt noch möglich ist? Aber auch da gab es hoffentlich Menschlichkeit!

Beste Grüße
Artsch

Geändert von Artsch (11.03.2018 um 11:08 Uhr) Grund: Rechtschreibung
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