Geschlechtsumwandlung anno 1713

[Gast]

mein wohl seltsamster Fall:
Diesen Heiratstext habe ich schon länger. Leider war mit der Randnotitz bisher nichts anzufangen, da die ersten Seiten des Buches nicht auffindbar waren, udn ich habe mich immer gefragt was das femina quondam nunc vir (einst Frau jetzt Mann) zu bedeuten hat.


den 10ten 9br ist Martin Schütz, femina quondam nunc vir, * Heinrich Schützens, Schäfers alhier jüngster Sohn mit Jgfr Catharina, Erhardt Rittwegers allhier jüngsten Tochter copuliret worden, Hosp praecipui Hans Rittweger XII Hans Hoffmann Jun e paranymhus Hanß Schütz von Gauerstadt * davon siehe die Nachricht im Anfang dieses Kirchenbuches


Jetzt hatte ich Gelegenheit in einem Schrank auf dem Dachboden des Pfarrhauses zu stöbern und habe tatsächlich in einem Bündel Akten die ersten Seiten des Kirchenbuches gefunden:

Ich kann da nur den Kopf schütteln, und mich halb krank lachen *sorry, aber für die Betroffenen war es damals sicher eine sehr schwierige ernste Angelegenheit.

LG
Dunkelgraf

[Dunkelgraf]

wem's zu viel Mühe macht das Original zu lesen, hier die Transscription?
PS. Hat jemand schon mal so etwas ähnliches irgendwo gelesen?

Zeit meiner des Pfarrers Johann Michael Conradi abgehaltenen Dienste allhier hat sich ein sonderbahrer Casus begeben. Nemlich Es hatte Heinrich Schütz Schäfer allhier eine Tochter von 21 ½ Jahren von der stetig die Rede gieng, weil die statur, die Sprache , der gang p männlich, daß sich bey ihr eine mixtur von beyden Geschlechtern finden mögte, allein weil man auf solche blose Reden nicht gehen konnte, auch deswegen Untersuchung zu thun ich an meinen Ort ziemlich anstand fande, so begab sichs indeßen daß diese person sich selbst bey mir meldete ihren Zustand wehmüthig eröfnete, u daß wegen des wachsenden Barthes und anderen umständen halben sie die Kleider zu wechßeln gezwungen sich befände, als ich nun daher gelegenheit genommen die Sache etwas genauer zu erforschen u befunde daß es auch nicht anders seyn könnte als solche Veränderung vorzunhemen, habe ich die gantze Sache an hochfürstl Consistorium berichtet, welches denn der Adjunctur Rodach gnädg. Commission erheilet eine Besichtigung vornehmen zu laßen, da es sich denn wieder aller Vermuthen befunden daß diese Person so zuvor einen weibl Nahmen Margaretha geführet auch weibl Kleider getragen kein Weib, auch nicht ein hermaphrodit, sondern eine wahrhafftige Mannsperson seye, u seye nach der Mutter ausage der Fehler dahin zu rechnen weil bey der schweren geburth das Kind ganz verschwollen gewesen u das geschlecht nicht habe können dignosciret werden, daß sie aber die Sache so lange verschwiegen seye aus einer zu besorgender Schand geschehen. Hierauff ist in der Kirchen

von mir ernstl ein Vortrag geschehen ex Cob . I. V 10 so denn die bedeutung der Sache selbst wie sie von hochlöbl Adjunctur Rodach vorgeschrieben worden vorgelesen, u mit werb Hinlegung der weibl. u. anlegung der mannskleider, der weibl Nahm aber gegentheilt der männl Nahm Martinus Ihme bey geleget worden. Und ist zumercken daß dieser Martinus der sp viele gelegenheit gehabt sich an Gott u seinen eigenen Leibe zu versündigen dennoch so Erbar, keusch u schamhafft sich verhalten, daß es Ihme zum billigen Lobe hieher zu setzen ist. Ist geschen Mense Novembr Anno 1713
NB natus d a 20 7br 1692
denatus d 24 Febr 1721 aet 28 ann 7 mens
conjug 4 ann 3 mens

[Joanna]

Hallöchen,

eine Geschlechtsumwandlung hat hier ja nicht stattgefunden. Witzig ist nur, dass niemand (außer der Mutter selbst) früher etwas gemerkt hat!

Aber immerhin, einen solch langen Text dazu verfassen! Es muss dem Pfarrer sehr wichtig gewesen sein, den Vorgang genau zu schildern und Klarheit zu schaffen.

Gruß Joanna

[Mariolla]

Hallo,
richtig, eine Geschlechtsumwandlung hat nicht stattgefunden.
Ich frage mich nur, ob es der einzige Fall war oder ob das öfters
auftrat? Wurde nach der Aufklärung der Mutter der kirchliche Taufeintrag des Kindes um- bzw. abgeändert?
Oh, es war damals bestimmt nicht einfach, sich nach der Klärung im Dorf noch normal zu bewegen. Sicherlich waren Spott und Schande für eine Zeit lang der tägliche Begleiter der Familie.

Viele Grüße Mariolla

[Cardamom]

Hallo Dunkelgraf,
Danke!!! für die Transskription.
Eine sehr "sonderbahrer Casus"! "Geschlechtsbestimmung aus Versehen". So etwas habe ich noch nicht gehört; ich denke Hermaphroditen, bei denen erst mit der Pubertät das Ausmaß ihres geschlechtlichen Ausgestattetseins deutlich wird, dürften bei aller Seltenheit noch häufiger sein als so ein Fall.
By the way: da liegen noch Kirchenbuchreste auf dem Dachboden des Pfarrhauses???!!!! Schande! - und Glück für Dich!

Und was mich noch interessiert: Hat der Pfarrer versucht, für Verständnis in diesem Extremfall zu werben? "Hierauff ist in der Kirchen von mir ernstl ein Vortrag geschehen ex Cob . I. V 10" - was hat der Pfarrer gepredigt? Das müsste eigentlich eine Bibelstelle angeben; ich lese auch ein "b", aber so ein Buch gibts nicht; am ehesten wäre noch "1. Cor I. V.10" denkbar: dann hat er versucht, gegen Aufsehen und für den Zusammenhalt in der Gemeinde einzutreten. Das scheint ja einer von den Aufgeklärteren gewesen zu sein, so, wie er sich für eine Lösung eingesetzt hat.

Liebe Grüße
Cornelia

[rocco]

Hallo,

einen ähnlichen Fall hatte ich auch schon mal:

http://forum.ahnenforschung.net/showthread.php?t=45203

VG

Rocco

[Dunkelgraf]

Hallo,
Wurde nach der Aufklärung der Mutter der kirchliche Taufeintrag des Kindes um- bzw. abgeändert?
Viele Grüße Mariolla

Das würde mich auch interessieren.
Ich kann's aber nicht sagen, da ich den Taufeintrag noch nicht gefunden habe. Der Vater war Schäfer und ist weit umhergezogen. Ich habe zwar eine Spur, komm aber das Kirchenbuch nicht ran. Man kann dort nur schriftlichge Anfragen stellen, die gefühlte 5 Jahre Antwortzeit haben und pro angfeangene halbe Stunde Suchzeit 25 € kosten.

Hallo Dunkelgraf,
So etwas habe ich noch nicht gehört; ich denke Hermaphroditen, bei denen erst mit der Pubertät das Ausmaß ihres geschlechtlichen Ausgestattetseins deutlich wird, dürften bei aller Seltenheit noch häufiger sein als so ein Fall.

Da bin ich ganz Deiner Meinung

Das müsste eigentlich eine Bibelstelle angeben; ich lese auch ein "b", aber so ein Buch gibts nicht; am ehesten wäre noch "1. Cor I. V.10" denkbar: dann hat er versucht, gegen Aufsehen und für den Zusammenhalt in der Gemeinde einzutreten.

An Corinther habe ich auch gedacht.
Da das ganze im Herzogtum Coburg stattfand, die ein eigenes Coburger Gesang- und Getbüchlein hatten, wäre es aber auch möglich, dass sie die Angabe darauf bezieht. Über das Werken des Pfarrers Conradi weiß ich leider gar nichts, nur etwas über seine Lebensdaten


Bei der ganzen Sache wundert mich aber - Agnst voir Schande hin oder her - der lange Zeitraum 21 Jahre, bei dem niemanden aufgefallen sein will, dass es sich um eine männliche Person gehandelt hat?

Liebe Grüße
Dunkelgraf