Interpretation des Urbar von Petschau 1615 (Böhmen)

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  • epischel
    Erfahrener Benutzer
    • 16.09.2009
    • 104

    Interpretation des Urbar von Petschau 1615 (Böhmen)

    Hallo,

    das Petschauer Urbar von 1615 (Böhmen) zeichnet die von den Bauern und Häusler
    geschuldeten Steuern (Zinsen) und Arbeiten auf. Kundige Foristen konnten einzelne Einträge transkribieren.

    Ich habe nun etliche Verständnisfragen. Vielleicht kann jemand helfen.


    Hier die Auflistung der Steuern eines Bauers:
    Peter Roth hat ein Achtel und zinßet:
    Georgi Erbzinnß .... 6 gr
    Haßengeldt .... 9 gr
    Pfingsten P(ro) ein Jede Kuhe ein Keß od(er).. 2 gr
    Galli Erbzinnß .... 6 gr
    Haßengeld .... 9 gr
    Wiesenzinnß .... 12 gr
    Ackerzinnß .... 12 gr
    Haberrn .... 1 1/2 Str(ich) [Haber = Hafer]
    Hennen..... 1
    "Achtel" war in der Gegend so etwas wie eine Einheitsgröße eines Hofes. Andere Bauern hatten auch 2 Achtel.
    Wann war / ist Georgi und wann Galli? Gemäß Hinweisen liegt Galli wohl im Oktober.

    Erbzins ist wohl sowas wie eine Grundsteuer oder Erbpacht. Welche Wiesen- und Äcker sind gemeint? Befinden die sich auf dem Pachtland des Bauern? Oder gehören sie zum Dorf?
    Ist "Hasengeld" das
    Entgeld für die Erlaubnis, Hasen jagen zu dürfen?

    Und hier die Arbeiten, die alle Bauern des Dorfes zu verrichten hatten:
    Die Pauren Jnn diesem dorff sein schuldig Prenn
    holtz auf dem Mayerhoff ohne Cost vnd Lohn zufellen,
    zu spalten und zu führen, so viel dessen von Martinj
    biß Georgj Vonnöten vnd aufgehet.
    Die Bauern haben für Brennholz auf dem Mayerhof zu sorgen, je nach
    Bedarf, und zwar von Martini bis Georgi.
    Bey dem Pflueggebew vffm Mayerhoff thuen sie meh=
    rers nichts dann dz Sie Winter Vnd Sommersaat
    müssen einegnen.

    "einegnen"=="eineggen". Zitat aus Wikipedia "Breitsaat":
    "Direkt nach der Aussaat muss das
    Saatgut in geeigneter Weise, z. B. mit der Egge in den Boden
    eingearbeitet werden um die Voraussetzungen für die Keimung zu
    schaffen und vor Vogelfraß, insbesondere der Saatkrähen, zu
    schützen.
    Daß Kraut aber führen Sie so wol alß andere ein,
    wann die Reyh an Sie khombt, wie auch den mißt auß...
    Was für Kraut? Diesen Teil verstehe ich gar nicht.
    Jhrer drey Jnn dießen dorff müssen neben den Poschitzauern Vnd Tieffenbächer Jder ein Tag Jnn Herbst seehen, Vnd gehet Jnn den dorff der Zech nach, dz es alle Jahr andere 3 Trifft.
    3 Leute aus dem Dorf müssen im Herbst was auch immer aussähen. Es soll immer "Reih-um" gehen.
    Ein stück wieß Am langen Wießmat bey der Grüe=
    ner Prugk, so man sonst die Neudörffer Wieß nen=
    net, müssen Sie Jnn d(er) Heufexung machen, dz groß
    dürr machen vnd einführen, haben dauon 4 Mad(er) ein Leibl Prodt, vnd 4. Heuer auch so viel des Tages,
    die Heußler müssen helffen mehen aber nit heuen.
    "Heufexung" schien wirklich ein Wort gewesen zu sein. Gemeint ist
    wahrscheinlich das Mähen und Einbringen von Heu. Heißt es, dass 4
    Mader (4 Leute, die die Wiese mähten) ein Laib Brot bekamen? Und
    ebenso 4 Leute, die die Mahd trockneten und das Heu aufsammelten?
    Die Häusler (Kleinbauern) mussten beim Mähen helfen, aber nicht heuen.
    Die Wieß fichtnerin genandt, müssen Bauren, Heußler
    vnd Haußgenossen mähen vnd heuen, giebet die Herr=schafft des Tages dem Mad(er) 8. kr. dem Heuer 3. kr.
    Eine zweite Währungseinheit (gr und kr). kr=Kreuzer? Ein Bauer eines "Achtel"-Hofes schuldete pro Halbjahr "6 gr" als Erbzins. Lt. [1] sind "30 Weißgroschen = [...] 70 Kreuzer", also 1 kr = 0,43 gr. und 8 kr = 3,43 gr. Das wäre also der Erbzins für ein Quartal.

    [1] Josef Smolik: "Das Münzwesen", in: Rudolf, Kronprinz von Österreich-Ungarn (Hrsg.): "Die Österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, Böhmen - Band 2, Kronprinzenwerk Band 15", k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder, Wien, 1896, S. 586. URL
    Die Pauren aber müssen zur einführung des Heues ein Anlag, dz ist 8. Geschirr geben und Jedes Geschirr
    2. fuhr Thuen, Waß sie auch da nicht zue Laden haben, müssen Sie vff der Erlwieß erfüllen.
    Geschirr? Verstehe ich nicht.
    Mit der Haßen Vnndt Rehe Jagdt wirdt es gehalten,
    wie im andern dörffern,
    Anscheinend durften auch Rehe gejagt werden.
    Jst auch khein Kirch da, vnd ist dz dorff nacher
    Petschaw [Petschau] gepfarret.
    Die eigene Kirche sollte noch ca. 100 Jahre und die eigene Pfarrei noch ca. 150 Jahre auf sich warten lassen...

    Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr einige meiner Fragen beantworten könnt, oder auch meine Vermutungen bestätigen oder widerlegen könnt.

    Viele Grüße,
    Erik
    Meine Namensliste ist hier zu finden. Suche insbesondere nach
    PISCHEL
    ROTH (aus Neudorf bei Petschau)
    STRÄHLE (Halle/Saale)
    KÄMPF/KÄMPH (Bilin)
  • Alter Mansfelder
    Super-Moderator
    • 21.12.2013
    • 4674

    #2
    Hallo Erik,

    viele der gesuchten Begriffe findest Du im Deutschen Rechtswörterbuch (DRW) erklärt, siehe hier:



    In Deinem Beispiel (Peter Roth) besitzt der Bauer kein „Pachtland“, sondern ein Erbzinsgut, von dem er zu bestimmten Terminen einen Erbzins zu entrichten hatte. Auch Wiesenzins und Ackerzins sind Abgaben für genutzte Flächen. Zu deren Lage kann man freilich nichts sagen, sofern die Quelle sie nicht selbst benennt.
    In solchen Büchern wie diesem Urbar findet sich am Anfang häufig eine zeitgenössische Einleitung, in der vieles erläutert ist – falls vorhanden: Hast Du die schon ausgewertet?

    „Hasengeld“ ist eine Ablösesumme für die bei der Jagd zu leistenden Frondienste (siehe im DRW – obiger Link). Eine Jagderlaubnis verbirgt sich dahinter keinesfalls; dieses Privileg stand nur ausgewählten Kreisen zu.

    „Daß Kraut aber führen Sie so wol alß andere ein,
    wann die Reyh an Sie khombt, wie auch den mißt auß“

    Das heißt: Das Kraut (http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle...&lemid=GK12763) haben sie wie andere einzufahren, wenn sie an der Reihe sind; ebenso haben sie den Mist auszufahren (z. B. auf das Feld).

    „Jhrer drey Jnn dießen dorff müssen neben den Poschitzauern Vnd Tieffenbächer Jder ein Tag Jnn Herbst seehen, Vnd gehet Jnn den dorff der Zech nach, dz es alle Jahr andere 3 Trifft.“

    Drei aus dem Dorf müssen jeder einen Taglang im Herbst sähen; jedes Jahr trifft es drei andere. „Zech“ sagt mir in diesem Zusammenhang dagegen nichts – möglicherweise ist das die Person, die entscheidet, welche drei als nächste im Folgejahr an der Reihe sind.

    „Heufexung“ ist die Heuernte, siehe hier: http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle...&lemid=GH08006. Den restlichen Deutungsteil dazu sehe ich ebenso.

    Kr = Kreuzer.

    Zur „Anlag“ siehe hier: http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle...&lemid=GA04230.

    Zum „Geschirr“ siehe hier: http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle...&lemid=GG10214. Jedes Geschirr hat zwei Fuhren zu leisten.

    „Anscheinend durften auch Rehe gejagt werden.“ – Das wage ich zu bezweifeln (siehe oben). Es wird eher wie oben darum gehen, wer bei der Jagd welche Dienste zu leisten hatte.

    Ich hoffe, dies trägt zur Klärung Deiner Fragen bei.

    Es grüßt der Alte Mansfelder
    Gesucht:
    - Tote Punkte im Mansfelder Land, Harz und Umland
    - Tote Punkte in Ostwestfalen
    - Tote Punkte am Deister und Umland
    - Tote Punkte im Altenburger Land und Umland
    - Tote Punkte im Erzgebirge, Vogtland und Böhmen
    - Tote Punkte in Oberlausitz und Senftenberg

    Kommentar

    • epischel
      Erfahrener Benutzer
      • 16.09.2009
      • 104

      #3
      Dank

      Hallo Alter Mansfelder,

      vielen Dank (mal wieder) für Deine Ausführungen.

      Auch den Link auf das deutsche Rechtswörterbuch und das Grimmsche Wörterbuch ist sehr hilfreich.

      "Hasengeld": heißt "Ablösung für Jagdfron", dass dies Geld vom Bauern bezahlt wurde, damit er nicht bei der Jagd helfen musste?

      "Anlag": verstehe ich trotzdem noch nicht ganz. Meine Interpretation: Sie müssen für die Heuernte eine Abgabe bezahlen und zwar geht jedes 8. Geschirr (d.h. dessen Inhalt) d.h. "Heuwagen", an die Herrschaft. Siehst Du das auch so?

      Viele Grüße,
      Erik
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      Kommentar

      • Alter Mansfelder
        Super-Moderator
        • 21.12.2013
        • 4674

        #4
        Hallo Erik,

        Zitat von epischel Beitrag anzeigen
        "Hasengeld": heißt "Ablösung für Jagdfron", dass dies Geld vom Bauern bezahlt wurde, damit er nicht bei der Jagd helfen musste?
        ja, genau das bedeutet es.

        Zitat von epischel Beitrag anzeigen
        "Anlag": verstehe ich trotzdem noch nicht ganz. Meine Interpretation: Sie müssen für die Heuernte eine Abgabe bezahlen und zwar geht jedes 8. Geschirr (d.h. dessen Inhalt) d.h. "Heuwagen", an die Herrschaft. Siehst Du das auch so?
        Nein, das sehe ich nicht so. Du hast aber Recht, dass der Begriff "Anlage" im Sinne von Steuer/ Abgabe im Zusammenhang mit dem Geschirr etwas widersprüchlich ist. Ich habe dafür auch keine Patentlösung. Ich würde den Passus jedoch so verstehen, dass es um Gespanndienste als Leistung in natura gehen soll: Die Bauern haben 8 Wagen zu stellen, und jeder Wagen muss zwei Heufuhren einbringen. Ist soviel Heu am konkreten Ort gar nicht vorhanden, dann müssen sie diese Fuhren von der Erlwiese aus leisten (wo es scheinbar immer genug Heu gegeben hat).

        Es grüßt der Alte Mansfelder
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        • Schlosser1
          Neuer Benutzer
          • 14.04.2014
          • 3

          #5
          hallo Epischel,
          im "Wörterbuch zur Familien- und Heimatforschung in Bayern und Österreich" 3. Ausgabe von Reinhard Riepel, ist der Begriff "Zeche" (Zöch) so erklärt:
          1) Zunft, Lade; allg.: Vereinigung, Bruderschaft
          2) in einigen Gerichten (in Österreich) waren mehrere Bauerngüter u. Ortschaften zu Rotten, mehrere Rotten zu Zechen vereint.
          3) Bergwerk
          zum Begriff "zechen": (umzechen, der Zech nachgehen) der Reihe nach Dorfdienste tun (Württ.).
          mfG - Schlosser1

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