Körperlich Behinderte in früheren Jahrhunderten

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  • Garfield
    Erfahrener Benutzer
    • 18.12.2006
    • 2142

    #16
    Zitat von Asphaltblume Beitrag anzeigen
    Der alte Hausarzt meiner Eltern meinte, dass Kinder mit Down-Syndrom (er sprach damals von "Mongolchen") früher häufig kurz nach der Geburt starben, weil sie nicht richtig saugen konnten. Eine vergrößerte Zunge und Muskelschwäche sind ja recht häufige Auswirkungen.
    Auch an anderen Fehlbildungen starben Menschen mit Down-Syndrom meistens recht jung, nur wenige erreichten das Erwachsenenalter.
    Eine vergrössterte Zunge und schwacher Muskeltonus kommen bei Down-Syndrom tatsächlich oft vor. Ein viel grösseres Problem dürften aber häufige Herzfehler (bei 40%; Quelle: Pueschel 1995) gewesen sein. Dagegen kann man heute gut etwas machen, in füheren Zeiten aber natürlich nicht.

    Zitat von Asphaltblume Beitrag anzeigen
    "Es ist besser so" ist sicherlich oft auch Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts des frühen Todes von Behinderten oder Kranken, denen medizinisch nicht zu helfen war. Als Trost für die verwaisten Eltern stellt man den frühen Tod dann als Gnade dar, indem man als Alternative ein elendes Leben mit der Behinderung ausmalt.
    Das würde für mich sehr viel Sinn ergeben.


    Auch wenn es für uns heute sehr unverständlich klingt, wie mit Behinderten früher umgegangen würde (Kindstötungen usw.), so darf man nicht vergessen, dass gerade im Mittelalter die gesellschaftlichen Wertevorstellungen noch völlig anders funktionierten als heute. Eltern, die ein offensichlich behindertes Kind bekamen, hatten Angst, es könnte vom Teufel besessen sein, so dass es in diesem Fall kein Verbrechen war, das Kind zu töten. Es hätte dann ja gar keine Seele, sondern nur einen Körper, der vom Bösen beherrscht wäre. Wunderheilungen gab es nur nach der Vergebung der Sünde, so dass umgekehrt eine Behinderung sozusagen eine Strafe für Sündigungen waren. (Quelle aus einem Link aus dem ersten Beitrag, sehr lesenswert: http://www.trisomie21.de/lh_fuerth.html#I.6.)


    Peinlicherweise habe ich in meinem Beitrag vor 3 Jahren versprochen, in jenem Buch nachzulesen... was ich jetzt nachholen möchte. Beim erwähnten Buch handelt es sich um: Down-Syndrom : für eine bessere Zukunft / Hrsg. Siegfried Pueschel, Thieme Verlag 1995

    Durch die Geschichte hindurch gibt es immer wieder Hinweise auf Down-Syndrom, die erste wirklich gesicherte Beschreibung stammt von Jean Esquirol aus dem Jahre 1838. 1846 taucht das Syndrom unter dem Namen "schorfige Idiotie" auf. Im Jahre 1866 veröffentlichte John Langdon Down seine detaillierte Arbeit, nannte das Syndrom aber "mongolische Idiotie" und "Mongolismus". Andere Forscher sprachen 1876 von "kalmückischen Idioten" und bemerkten das hohe Alter der Mütter. Ende 19. Jhd. bemerkten Wissenschaftler die erhöhte Rate an angeborenen Herzfehlern. Bereits 1959 entdeckte ein Forscher das zusätzliche 21. Chromosom.
    Dass vor 1838 keine Berichte über Down-Syndrom vorhanden sind, erklärt der Autor mit vier verschiedenen Gründen, unter anderem "überlebte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur die Hälfte aller Mütter ihren 35. Geburtstag (es ist bewiesen, dass bei älteren Müttern Down-Syndrom zunehmend häufiger auftritt)."

    Letztere Aussage halte ich allerdings für nicht ganz zutreffend. Sicher war die Sterblichkeit bei Müttern relativ hoch (vor allem ab der Zeit wo sich nicht nur Hebammen, sondern auch Ärzte um die Geburt kümmerten und so Infektionen häufiger wurden). Aber jene Mütter, die überlebten, bekamen bis ins hohe Alter Kinder (siehe hier und hier). Ich denke, das würde sich dann in etwa ausgleichen.

    Noch ein interessantes Zitat aus Wikipedia: "Aufgrund der Entstehungsmechanismen der Trisomie 21 geht man davon aus, dass es von jeher Menschen mit Down-Syndrom gab. Der bislang früheste Nachweis einer Trisomie 21 gelang den Tübinger Humanbiologen Alfred Czarnetzki, Nikolaus Blin und Carsten M. Pusch. Sie wiesen die typischen Symptome am Skelett einer Frau nach, die vor rund 2550 Jahren bei Tauberbischofsheim im Alter von 18 bis 20 Jahren verstorben war."
    Details zum Fund von 2003

    Die Informationen betreffend körperlichen Behinderungen hatte ich offenbar aus einem anderen Buch, von dem ich den Titel natürlich nicht mehr weiss .
    Viele Grüsse von Garfield

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    • Asphaltblume
      Erfahrener Benutzer
      • 04.09.2012
      • 1500

      #17
      Dass Chromosomenaberrationen schon immer vorgekommen sind, klingt logisch. Und wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich stark die Auswirkungen von Trisomie 21 sein können - von so starken Organschädigungen, dass das Kind ohne chirurgische Eingriffe die Geburt nur Stunden bis Tage überleben kann bis hin zu Betroffenen, die körperlich und geistig kaum beeinträchtigt sind und sogar studieren können -, ist es auch logisch, dass es in der Steinzeit Menschen mit Down-Syndrom gab, die das Kindesalter überlebten. Faszinierend aber, dass bei den wenigen, die das gewesen sein dürften, die Überreste einer dieser Personen erhalten blieben und gefunden wurden.
      Gruß Asphaltblume

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