Unfehlbare Wissenschaftler? Ein Streitwort von mir.

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  • Zeitlupe
    Erfahrener Benutzer
    • 23.04.2012
    • 132

    Unfehlbare Wissenschaftler? Ein Streitwort von mir.

    Verschiedene Onomastiker bieten ihre Dienste für eine Namensdeutung an. Gratis oder nicht soll in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen.

    Ich möchte zu bedenken geben, dass auch studierte und diplomierte Onomastiker nicht perfekt sind. Sie sind auch nur Menschen und fehlbar. Manche von ihnen mögen das aber nicht zugeben. Ich selber war Zeuge erstaunlicher und abenteuerlicher Deutungen von Familiennamen, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrten. Warum?

    Weil kein studierter Wissenschaftler einen Überblick über sämtliche europäischen Namen und Sprachen haben kann. Selbst wenn er dieses hätte, wie kann er dann noch dazu zu jeder Sprache den historischen Kontext der Namensgebung und alle anderen Lebensumstände des betreffenden Volkes über Jahrhunderte im Kopf haben?

    Ein Wissenschaftler kann nur interpretieren im Kontext der ihm beigebracht wurde. Ein Sprachwissenschaftler muss nicht primär Ahnung davon haben wie das Volk dessen Sprache er studiert hat, tatsächlich auch bis ins Detail gelebt hat.

    Das führt zu üblen Missdeutungen, wenn der promovierte Wissenschaftler Dr. Ratekönig zum Beispiel auf Basis seines erlernten Hintergrundes einen Familiennamen aus Polnischen Gebiet evaluiert, der Name aber aus dem Baltischen kommt und der Wissenschaftler keine Ahnung davon hat, dass auf Baltischem Gebiet beispielsweise die selbstgegebenen Familiennamen der Balten im Gegensatz zu den Polnischen Nachnamen oft von Tätigkeiten und auf alle Fälle praktisch niemals von Heiligen abgeleitet wurden. So ist nicht der Heilige Veit der Namensgeber des Weituschatis/Vaitušaitis, sondern nur der Vaitas, der Herrscher über eine Stadt oder einen Gutsbesitz im mittelalterlichen Litauen.

    Auch baskische Namen, die auf spanischem Hintergrund gedeutet werden, gehen regelmäßig in die Hose. Müssen sie auch, denn die Basken, die keine indogermanische Sprache sprechen, hatten immer ihre eigene Art der Familiennamensgebung, und die hatte nichts mit der spanischen Namensgebung gemein.

    Nur mal so zwei Beispiele.

    Also, aufpassen, kritisch sein und nicht alles sofort glauben was der Herr Professor Ratelustich so alles erzählt. Jeder Akademiker hat auch einen studierten Opponenten der eine Gegenthese vertritt.

    Augen auf und hinterfragen.
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  • Laurin
    Moderator
    • 30.07.2007
    • 5640

    #2
    Zitat von Zeitlupe Beitrag anzeigen
    Das führt zu üblen Missdeutungen, wenn der promovierte Wissenschaftler Dr. Ratekönig zum Beispiel auf Basis seines erlernten Hintergrundes einen Familiennamen aus Polnischen Gebiet evaluiert, der Name aber aus dem Baltischen kommt und der Wissenschaftler keine Ahnung davon hat, dass auf Baltischem Gebiet beispielsweise die selbstgegebenen Familiennamen der Balten im Gegensatz zu den Polnischen Nachnamen oft von Tätigkeiten und auf alle Fälle praktisch niemals von Heiligen abgeleitet wurden.
    Hallo Zeitlupe,

    mit Verlaub - in welchem onomastischen Zeitfenster befindest Du Dich denn?

    Deine Darstellungen treffen sicherlich für frühere Onomastiker zu, vor allem wenn diese nur "deutsch" fixiert waren. Vor ca. 150 Jahren setzte unter Philologen und Germanisten (z.B. Gymnasiallehrer) ein Trend ein, sich für die Bedeutung von Familiennamen zu interessieren. Sie verfaßten mehr oder minder gute Abhandlungen, von denen einige (z.B. Förstemann, Pott, Heintze) auch heute noch einen hohen wissenschaftlichen Wert haben und zur onomastischen Grundausstattung gehören. Auch die Letztgenannten sind oft vom damaligen Zeitgeist geprägt und nicht von Fehlinterpretationen und Irrungen frei. Selbst bei Gottschald (ca. 1930) finden sich zur Interpretation slawischer FN einige "Ausrutscher".

    Für heutige Onomastik-Wissenschaftler - und hier schließe ich die selbsternannten Beutelschneider kategorisch aus, sondern meine stellvertretend die renommierten Professoren Udolph, Kunze und Ramge sowie sicherlich viele ungenannte promovierte Onomastiker - gehe ich davon aus, daß sie auch die Ethnologie anderer Völker und Kulturkreise nicht außer Acht lassen.

    Die Geschichte lehrte leidvoll, daß am deutschen Wesen die Welt tatsächlich nicht genesen ist. Ein in meinen Augen unseliges Beispiel dafür sind Menschen dunkler Hautfarbe in Namibia, die Familiennamen deutscher und sogar baltischer Herkunft tragen (müssen).

    Zur Deutung baltischer Familiennamen gibt es mehrere gute und allgemein zugängliche Quellen, von denen ich hier nur die Interpretation baltischer FN bei GenWiki als gute Grundlage für Hobby-Namensforscher erwähnen möchte.

    Zitat von Zeitlupe Beitrag anzeigen
    So ist nicht der Heilige Veit der Namensgeber des Weituschatis/Vaitušaitis, sondern nur der Vaitas, der Herrscher über eine Stadt oder einen Gutsbesitz im mittelalterlichen Litauen.
    Diese Deutung stimmt mit der mir bekannten nicht so recht überein, siehe hier
    Zitat:
    • pr(e)ußisch-litauisch „veidas“ = Gesicht, Angesicht, Antlitz, Miene
    • Im Bereich Stallupönen (Ebenrode) = Erscheinung (haben)
    • „veidmainys“ = der/ die Scheinheilige, Heuchler
    Zuletzt ge?ndert von Laurin; 28.04.2012, 09:36. Grund: Ergänzt
    Freundliche Grüße
    Laurin

    Kommentar

    • Zeitlupe
      Erfahrener Benutzer
      • 23.04.2012
      • 132

      #3
      Danke!

      Danke für diesen fundierten Kommentar.

      Meine Informationen zur Deutung des genannten Beispielnamens habe ich unter anderem vor Ort in Litauen erhalten, aus verschiedenen Quellen mit ähnlichem Resultat.

      Man sieht, es gibt so viele Meinungen wie es Wissenschaftler gibt

      Ich wehre mich lediglich gegen einen deutungshoheitlichen Anspruch einzelner akademischer Vertreter ihrer Fachgebiete. Auch Wissenschaftler kochen nur mit Wasser, und dies gilt selbstverständlich nicht nur für Deutsche Akademiker.

      Was nicht ausschließt dass ich mich auch weiterhin aus möglichst vielen konträren Fach-Quellen (auch fachbereichsübergreifend) informiere und mir mein eigenes Bild mache.
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      Kommentar

      • Hina
        Erfahrener Benutzer
        • 03.03.2007
        • 4661

        #4
        So viel ich weiß, vergreifen sich renommierte Onomastiker auch nicht unbedingt an Namen, die nicht aus unseren Breiten stammen, wenn sie sich nicht sicher sind, dass sie es mit den fremden Gebieten genauso drauf haben oder es in entsprechender onomastischer Literatur der entsprechenden Region nachschlagen können. Ausnahmen bestätigen natürlich immer die Regel. Unfehlbar ist natürlich niemand aber ich glaube auch nicht, dass das jemand glaubt.

        Grundsätzlich ist aber eine Deutung, wenn sie nicht wirklich eindeutig ist, immer nur soviel wert, wie der Suchende auch selbst in Vorlage gegangen ist und versucht hat, die entsprechende Familie so weit wie möglich genealogisch zu erforschen. Je besser die Familie erforscht ist, desto größer wird die Chance, mehrdeutige Namen zuordnen zu können. Aber selbst bei intensiver Forschung ist das nicht immer möglich.

        Es gibt viele Namen, die international verbreitet sind und die dann eine regional unterschiedliche Bedeutung haben können. Wenn ich nicht weiß, woher die Familie stammt, kann ein Onomastiker auch nur die möglichen Varianten aufzählen, ohne dass das der Weisheit letzter Schluss sein muss. Etwas verwerflich ist es natürlich, wenn dann suggeriert wird "Die Familie kann nur aus Schottland stammen und ihr Name bedeutet dies oder das." Das ist nur in seltenen Fällen eindeutig über den Namen sicherzustellen, wenn man ansonsten wirklich gar keine weiteren Anhaltspunkte hat.

        Übrigens habe ich auch schon mal ein Gutachten aus Leipzig gelesen, was leider so nicht stimmte, zumindest auf die Familie bezogen (die Deutung des Namens selbst war korrekt aber die drauf zurückgeführte Herkunft der Familie nicht). Die Familie war nämlich nicht sonderlich erforscht und im Nachhinein stelle sich heraus, dass ihr ursprünglich nicht so häufige Name zu einem eher gängigen und gut zuordenbaren Namen verschliffen war. Für dieses gar nicht so seltene Problem, kann man aber nicht die Onomastiker, die das Gutachten erstellt haben, an die Wand stellen .

        Ich gehe aber überhaupt nicht davon aus, dass jemand meint, dass es einen Onomastiker geben würde, der sich NIE irren könnte. Das wäre unrealistisch.

        Viele Grüße
        Hina
        "Der Mensch kennt sich selbst nicht genügend, wenn er nichts von seiner Vergangenheit weiß." Karl Hörmann

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