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  #11  
Alt 07.10.2013, 20:19
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Matthias Möser Matthias Möser ist offline männlich
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Hallo, Helen!

Mit großer Aufmerksamkeit und Interesse verfolge ich als Nutzer dieses Forums die Geschichte aus dem Tagebuch Deines Großvaters. Man bekommt als "Spätgeborener", ich bin Jahrgang 1965, einen direkten Eindruck, was die Menschen auf der Flucht aus Schlesien und in den Kriegswirren alles durchgemacht und erlebt haben.
Meine Mutter und ihre Familie (FN Benke, Speer) (Jahrgang 1927) stammte auch aus der Gegend um Reichenbach/Eulengebirge (Dreissighuben), mein Urgroßvater Georg Speer besaß bis 1938 ein Haus in Gräditz und wohnte bis zur Flucht 1945 in Schweidnitz in der Bismarkstraße 2, wo sich heute ein modernes Hotel (Red Baron - Roter Baron von Richthofen) befindet.

Für das Einstellen des Tagbuchs Deines Großvaters vielen Dank!

Gruß aus Nordbaden

Matthias
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Gernoth in Adelnau, Krotoschin, Sulmierschütz (Posen)
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  #12  
Alt 07.10.2013, 22:05
Helen Helen ist offline weiblich
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Hallo Matthias, da geht es mir wie dir. Auch ich erlebe mit jeder Abschrift die Schwierigkeiten der damaligen Versuche, in den Westen zu kommen. Ich habe den Eindruck, der Treck dreht sich im Kreis und kommt nicht vorwärts. Aber so einfach ist es nicht, wie ich lese. Ich lasse mich mit jedem Teil überraschen, das ist spannender als schon vorzulesen.
Heute würde ich meinen Großvater gern noch vieles fragen. Leider hat er zu Lebzeiten nichts darüber erzählt und ich war zu jung um ihn zu fragen. Nur meine Mutter erzählte auf Nachfrage gern von "der Eule", dem Annaberg und dass sie im Winter mit der Kutsche fuhr.

Du weißt ja auch einiges über die Wurzeln deiner Familie. Vielleicht hast du die Heimat deiner schlesischen Familie schon besucht, weil du gut informiert bist.

Morgen geht's weiter.
Helen
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  #13  
Alt 08.10.2013, 18:36
Helen Helen ist offline weiblich
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Die Mehrzahl der hereinkommenden Soldaten verschwand beim Anblick der vielen Betten wieder. Einige aber musterten mit lüsternen Augen die weiblichen Inhaber der Betten, wobei sie sich immer bedenklich lange mit dem Anblick Frl. Eisenmanns befaßten. Man merkte, daß wahrscheinlich nur ein bestehendes Verbot ihre Gier in Schach hielt. Dies waren für die Frauen und auch für uns immer qualvolle Augenblicke und wir atmeten immer auf, wenn sich die Tür hinter einer solchen Gefahr wieder schloß. Es kam auch ein Soldat, dessen Blick flüchtig die Betten streifte aber auf den Rädern haften blieb. „Oh, Maschina!“ rief er und schon war er über mich hinweg gestiegen und hatte das Rad Hanflers gefaßt. Obwohl dieser sofort aus dem Bett sprang um sein Eigentum zu retten, ließ sich der Soldat durchaus nicht stören, ja wies unmißverständlich auf seine Maschinenpistole. Ich riet Hanfler, doch den Spitzbuben in Teufels Namen mit dem Rade ziehen zu lassen um nicht noch Schlimmeres für die Frauen heraufzubeschwören.

Und noch einen anderen Besucher haben wir in der Nacht gehabt. Aber niemand von uns hat ihn weder gesehen noch gehört, wir müssen alle fest geschlafen haben. Im Laufe des nächsten Morgen erst bemerkte ich, daß meine Uhr nebst Kette fehlte. Die Uhr hatte ich in der Weste und diese über den Stuhl gehängt. Einer der nächtlichen Besuche muß sie gesehen haben, ist über mich hinweggestiegen und hat sie genommen, ohne daß ich davon erwacht bin. Die Uhr, die ich vor 35 Jahren in Russland von meinem damaligen Chef als Ersatz für eine von Wilddieben zerschossene erhielt, hatte ihren Lauf in deutschen Diensten beendet, sie kehrte auf diese Weise in ihr Heimatland zurück.

So störend der Verlust auch für mich war und wie lange es auch gedauert hat bis ich mir den unwillkürlichen Griff nach der oberen linken Westentasche abgewöhnt hatte, war ich doch heilsfroh, daß wir mit diesen beiden Opfern wahrscheinlich Schlimmeres verhütet hatten.
Aber noch eine zweite Nacht dort verbringen – dazu hatten die Frauen begreiflicherweise keine Lust. Sie drängten am Morgen zum sofortigen Aufbruch – irgendwohin – und sei es in den Wald, besonders als bekannt wurde, daß in der Nacht die Frau des Postmeisters und noch ein junges Mädchen vergewaltigt worden waren.

Von seiner Tätigkeit in Glatz aus kannte Hanfler einen Dominialbesitzer Mattern in Rudelsdorf, einem Ort abseits der Hauptstraße, etwa 300 m von der tschechischen Grenze entfernt. Zu ihm gingen wir in der Hoffnung, von ihm Pferde und Wagen geliehen zu erhalten, um irgendwohin umziehen zu können.

Mattern schlug uns unser Anliegen rundweg ab mit der Begründung, daß uns die Pferde weggenommen würden. Er sagte uns, daß seine ausländischen Arbeiter ihn am Morgen alle verlassen und zum Transport ihrer Sachen sich die vier wertvollsten Zuchthengste ausgesucht hätten, da diese hochtragend teils mit Fohlen gehend, ihnen von den Russen nicht abgenommen würden, da diese für ihre Zwecke nicht geeignet seien.

Die vier Stuten, oftmals prämiert und deren Nachzucht den Ruf Matterns als bedeutenden Züchter begründet hatten, waren für diesen ein harter Verlust, aber er konnte ihre Wegnahme, die im Einverständnis mit den Russen erfolgte, nicht verhindern.

Die ablehnende Haltung Matterns enttäuschte uns sehr und wir schickten uns an, seinen Hof wieder zu verlassen, als er uns zurückrief und uns zwei Ochsen anbot und uns auch anheim stellte, bei ihm zu wohnen. Wir schlugen ihm vor, uns die Ochsen zu verkaufen, damit wir mit ihnen nach Reichenbach trecken könnten. Wir hätten dazu den Wagen Schönfelders genommen, zu welchem die Pferde gestohlen worden waren und der noch im Dorfe stand. Mattern aber konnte die Ochsen nicht verkaufen, da sie dem Dom. Heidersdorf gehörten und nur bei ihm eingestellt waren. Wir spannten die Ochsen vor einen Leiterwagen und waren entschlossen, dieselben nicht wiederzubringen, sondern mi ihnen nach Reichenbach zu fahren. Mit dem Dominium Heidersdorf würden wir uns schon auseinandersetzen, da Hanfler den Inspektor gut kannte. Wir wollten die Tiere ja nicht stehlen, sondern nur borgen.

In solchen außergewöhnlichen Situationen tut man auch mal Dinge, die man sonst als unehrenhaft weit von der Hand weisen würde, zu denen man aber durch die Not des Augenblicks einfach gezwungen wird.

Die Ochsen selbst aber waren es, die uns hinderten, unseren schwarzen Plan auszuführen. Sie hatten sich bereits die Hufe durchgelaufen, wir wären mit ihnen nicht weit gekommen. Die Genugtuung über die Erkenntnis, daß uns die Umstände zwangen, ehrlich zu bleiben, überwog die Enttäuschung über die nicht ausführbare Heimreise. Besonders Hanfler konnte dieser Entwicklung der Dinge dankbar sein, da ihn in Reichenbach nichts Gutes erwartet hätte, aber die Erkenntnis dessen kam erst später. Jedenfalls haben ihm die Eidersdorfer Ochsen durch ihre Marschunfähigkeit vor sofortiger Verhaftung in Reichenbach bewahrt, wo man eifrig nach Ortsgruppenleitern der NSDAP fahndete.

Besonders große Begeisterung erweckten wir nicht, als wir mit unserem Eichhörnchengespann bei unseren Leuten ankamen. Aber was war zu machen? Besser ein paar lahme Ochsen als gar keine Zugtiere. Ich muß sagen, daß es uns beiden an der nötigen Frechheit und Skrupellosigkeit fehlte, andernfalls wir uns auch hätten Pferde organisieren können. Gar mancher Treck zog mit seinen Gespannen nach Braunau und kam mit besseren oder mehr Tieren zurück. Woher diese waren, danach fragte niemand.
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  #14  
Alt 09.10.2013, 16:59
Helen Helen ist offline weiblich
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Nachdem wir unsere Sachen auf dem Leiterwagen verstaut hatten, machten wir, daß wir aus dem unheimlichen Ort herauskamen und hielten dann unseren Einzug auf dem Dominium Rudelsdorf. Herr Mattern stellte uns ein Zimmer zur Verfügung und hat sich sowie auch seine Frau, von da ab uns gegenüber sehr hilfsbereit gezeigt. Da ihm seine ausländischen Arbeiter alle verlassen hatten, lastete eine große Sorge auf ihm und vielleicht erhoffte er in uns eine HIlfe. Wir haben ihm auch geholfen soviel wir nur konnten, trotzdem aber mußte der größte Teil der Arbeit unterbleiben, nur das Vieh wurde versorgt so gut es möglich war.

Wie bereits erwähnt, ist Mattern ein bekannter Pferdezüchter. Sein etwa 350 Mrg. großes Gut ist sehr hügelig und besteht zur Hälfte aus Koppeln mit idealer Lage und Beschaffenheit. Auf ihnen hatte er z.Z. 26 Hengste, 8 Jungstuten und 10 Stuten mit Saugfohlen, darunter englische Vollbluttiere mit bekannten Namen. Eine Koppel war besetzt mit 6 Jungbullen und eine andere mit dem Milchvieh. Daß zur Wartung dieses Viehstandes es auch des nötigen Personals bedarf ist selbstverständlich, dies war aber am Morgen unserer Ankunft mit den vier besten Stuten abgezogen. Eine Anzahl der Milchkühe gab Mattern den Nachbarn gegen die Milchnutzung in Pflege, 10 Stk. nur behielt er selbst. Diese wurden nun zum Melken von der Koppel geholt. Gemolken wurden sie von Frau Hanfler und zwei Frauen vom Dominium Stein bei Breslau, die mit ihrem Treck auf dem Hofe weilten. Der tägliche Auf- und Abtrieb von der Weide der übrigen Tiere wurde von uns und einem noch auf dem Hofe befindlichen deutschen Arbeiter besorgt.

Eines morgens hatten wir die ungebärdigen Jungstuten auf eine Koppel gebracht. Dort losgelassen stürmten sie wild davon und waren in dem bergigen Gelände bald unseren Blicken entschwunden. Als wir zurückkamen, sahen wir verblüfft, wie sie sich im Hofe tummelten. Sie hatten in der Koppel ein Tor offen gefunden und waren nach einer stürmischen Rundreise bereits vor uns wieder daheim eingetroffen.

Die Hengste, die bisher abends in den Stall gebracht worden waren, wurden nun auf eine entlegene Koppel gebracht, wo sie auch nachts den Sommer über bleiben sollten, die Arbeit mußte auf das mit wenigem Personal ausführbare Maß eingeschränkt werden. Mit Hilfe von allen Hofbewohnern und einigen Nachbarn wurde die Umsiedelung der Hengste ohne nennenswerte Schwierigkeiten durchgeführt.

Diese große Koppel mit ihren Bergen, Tälern, Gebüschen und durchfließendem Bach war das Schönste, das ich bisher an derartigem gesehen hatte.

Zwei kranke Hengste, die bisher im Stall gestanden hatten, sollten nun auch in die Koppel gebracht werden. Hanfler und ich legten ihnen eine Halfter auf und führten sie an einer Leine durch das Dorf nach ihrem Bestimmungsort. Sie machten keinerlei Schwierigkeiten sondern gingen ganz brav mit. Als ganz unnötigerweise ein anderer Hengst bei unserer Ankunft an der Koppel zur lebhaften Begrüßung seines Kollegen herangesprengt kam, versetzte dies mein frommes Pferdchen in eine derart freudige Erregung, daß ich es nur mit Mühe und mit Hilfe Hanflers in die Koppel brachte. Dort machte es einige wilde Sprünge um mich herum bis ich in dem nassen Grase ausrutschte, sauste dann zu meinem und meiner Kleider Leidwesen bergauf und bergab in der Koppel herum, bis diese Schlittenfahrt, die die anderen Hengste laut wiehernd fröhlich begleiteten (mir schien, als lachten sie), am Bach endlich endete. Ich gab dem lieben Tierchen alle möglichen Kosenamen damit es sich den Halfter abnehmen ließ. Nachdem dies gelungen war, kramte ich den ganzen Schatz der mir zur Verfügung stehenden Schimpfworte aus und warf sie ihm an den Hals. Da drehte es mir sein Hinterteil zu, ließ aus diesem einen kräftigen Trompetenstoß heraus und galoppierte davon.

Und dieses Luder sollte krank sein?

Unter anderem hatten die Polen eine Stute mitgenommen, deren eine Woche altes Fohlen zurückgelassen worden war. Mattern wollte nun ein anderes, weniger wertvolles Fohlen töten und dies an Stelle dessen der Stute geben. Der Erfolg dieses Experiments war fraglich und wir versuchten deshalb, das mutterlose Fohlen mit Kuhmilch zu erhalten. Das war ein mühseliges Unterfangen, aber mit unendlicher Mühe und Geduld gelang es uns, dem Tier das Trinken beizubringen und es war uns eine Genugtuung, dasselbe dem Besitzer erhalten zu können.

Eines Morgens, wir waren gerade beim Frühstück, kam Mattern und sagte: Der Samurai ist wieder da, die Bestie“. (im vorderen Bericht hätte es auch Samurai heißen müssen) „Samurai“, das war doch der Name eines berühmten Rennpferdes, von dessen Nachkommen man in jedem Rennbericht gelesen hatte. Konnte diese Spitzenleistung der deutschen Pferdezucht gemeint sein? Ja – er war es – der Hengst, der Hunderttausende zusammengaloppiert hatte, der heute noch als Zuchthengst mehr als hunderttausend Mark wert war. Aber wie kam er hierher?

Im Hofe stand ein Bauer aus dem Nachbardorf, der fluchend und schimpfend ein wild steigendes und wieherndes Pferd zu bändigen suchte. Der noch im Hof weilende deutsche Arbeiter eilte ihm zu Hilfe und schlug mit einem dicken Knüppel auf das erregte Tier ein, was dies aber völlig ignorierte. Mit Mühe wurde der Hengst in den Stall gebracht und dort sicher verwahrt.

Und nun erzählte uns Mattern die Geschichte dieses edlen Tieres.
------------------------------

Nun habe doch mal eine Frage. Ich habe im W-Netz zwar Ruldelsdorf gefunden aber keinen Bewohner Mattern. Wenn er ein bekannter Pferdezüchter war, muss er doch in der Einwohner-Liste 1943 aufgeführt sein? Weiß jemand etwas über eine Domäne Rudelsdorf?
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  #15  
Alt 09.10.2013, 23:54
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dorsch dorsch ist offline weiblich
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Diese Kerze zünde ich virtuell für deinen Großvater an, um seines Todestages heute, am 09. Oktober vor 51 Jahren, zu gedenken.
Er muss ein ganz besonderer Mensch gewesen sein!

Ihm Dank für die Aufzeichnungen, die er der Nachwelt hinterlassen hat; dir Dank dafür, dass du sie mit uns allen hier öffentlich teilst!
Ich habe sie von der ersten Seite an gelesen, von Forum zu Forum verfolgt, und er ist dabei so lebendig für mich geworden, genau wie die Zeit, über die er schreibt, wortgewandt und mit Spaß an der Darstellung, mit manchmal geradezu spitzbübischem Humor, dabei ein guter Charakterkenner und Beobachter, nie oberflächlich, aber doch zugleich mit philosophischer Leichtigkeit und Abgeklärtheit, gerade in den schwersten Momenten, die verhindert haben, dass er angesichts seines wechselvollen und nicht leichten Schicksals in Verbitterung und Selbstmitleid verfallen ist. Wie gesagt, er muss ein ganz besonderer Mensch gewesen sein! Und du machst uns allen hier eine große Freude.

Lieben Gruß
DorSch
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„Krönung der Alten sind die Enkel und der Stolz der Kinder sind ihre Ahnen“ (Sprüche, Kap.17, Vers 6)

Suche nach FN Leidiger in Thüringen.

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  #16  
Alt 10.10.2013, 16:48
Helen Helen ist offline weiblich
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Hallo Dorsch, das hast du aber schön gesagt und ich danke dir dafür! Du hast meinen Großvater gut beschrieben, so war er. Als er starb, war ich 13 Jahre und ich habe ihn als stillen Mann erlebt, der in unserer Familie sehr zurückgezogen, aber nicht weltfremd lebte. Er bewirtschaftete in der Nähe einen Garten und brachte gute Ernten nach Hause, von Bohnen bis zu Spargel. Regelmäßig spielte er mit seinem Bruder Franz Damerius aus Detmold Schach.

Hier stelle ich mal einige Fotos vor, die Qualität ist leider nicht die beste:

von oben li nach unten re:
Opa - Opa neben seiner Tochter Margarete, hinten links seine 1. Tochter Helga aus Petersburg, neben ihr Sohn Klaus-Wolfgang, li von ihm Sohn Arwed - Helga Bulla mit ihren beiden Kindern aus Frankfurt - Tochter Margarete mit Sohn Peter - Peter mit ? (Haushaltshilfe Milintina Iwlewa - unten die Familie seines Bruders Franz Damerius, dem die Gärtnerei im Foto daneben gehörte - schlesische Landschaft - Rest ist beschriftet

LG Helen

Geändert von Helen (12.08.2017 um 16:56 Uhr)
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  #17  
Alt 10.10.2013, 17:00
Helen Helen ist offline weiblich
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Samurai wurde in Trakehnen gezüchtet, lief einige Jahre als Sieger über die Rennbahnen Deutschlands und als ihn seine Nachkommen ablösten, wurde er in Trakehnen als Zuchthengst verwendet. Er ist ein Tier mit außergewöhnlichem Temperament, der in der Nähe von Stuten nur schwer zu bändigen ist. Um seiner Herr zu werden, mußte er von seinen Pflegern öfters durch einen Kunstgriff mittels Leinen zur Erde geworfen werden, dann war er einige Tage lang ruhiger. Er war der Schrecken aller Gestütspfleger, bei denen er zu Gast war.

Als die Russen gegen Ostpreußen vorrückten, wurde das wertvolle Tier ins Gestüt Rastenberg gebracht. Als dies bedroht wurde, schaffte man den Hengst ins Gestüt Fürstenstein und als es auch dort nicht sicher stand, brachte man ihn zu Mattern in der Hoffnung, daß er auf dessen unauffälligem Hof gesichert sei. Von Fürstenstein nach Rudelsdorf wurde er von einer Frau geritten, eine hervorragende reiterliche Leistung.

„Und nun hatte ich die Bestie hier – und wußte nichts mit ihr anzufangen“, schloß Mattern seinen Bericht.

Am Tage bevor wir zu Mattern kamen, war ein Russe auf den Hof gekommen und hatte ein Reitpferd verlangt. Mattern bot ihm ein engl. Vollblut an, aber dem Russen stach der Hengst in die Augen. Mattern machte ihn darauf aufmerksam, daß dies ein äußerst schwieriges Pferd sei, ohne natürlich zu verraten, welch wertvolles Tier er vor sich habe. Der Russe lachte nur, ließ satteln und schwang sich hinauf. Nach russischer Art hieb er sofort auf den Hengst ein, der wie der Blitz mit seinem Reiter absauste. Als der Russe ihn noch weiter mit der Peitsche bearbeitete, warf ihn der Hengst ab, im Stacheldraht einer Koppel blieb er hängen, ein zerfetztes, blutendendes Reiterlein ohne Pferd.

In Tuntschendorf wurde das Tier wieder eingefangen. Wieder versuchte sich ein Russe auf ihm, den Erfolg habe ich bereits beschrieben.

Und nun hatte ihn ein Bauer aus dem Nachbardorf, wo er wieder eingefangen worden war, zu Mattern zurückgebracht. Hier im äußersten Winkel des Reiches hatte sich der Hengst aus eigener Kraft seiner Häscher entledigt. Freilich, hätte man gewußt, welch edles Tier man in Händen hatte, wäre man wohl anders verfahren und hätte diesen wertvollen Besitz besser gehütet. – Das ist die Geschichte von „Samurai“, der Bestie, dem Wunderhengst, einem der besten Pferde Deutschlands.

Eine Woche habe ich versucht, mich auf dem Hofe nützlich zu machen. Außer den genannten Arbeiten habe ich noch so manches andere gemacht. Ich habe den Kuhstall ausgemistet, habe die Sämaschine umgestellt, die Kutschgeschirre auf dem Schnitt unter einem Schnitzelberg vergraben, die Koppeln ausgebessert und das Rindvieh sowie die Hengst in den Koppeln kontrolliert.

Oft kamen alarmierende Nachrichten aus dem Nachbardorfe Tuntschendorf. Die Russen hatten Spiritus gefunden, sich sinnlos betrunken und Frauen und Mädchen vergewaltigt. Eines abends kam die Schreckensnachricht, die Russen seien unterwegs zu uns. Alles flüchtete Hals über Kopf in den nahen Wald, auch Mattern mit Frau und Kindern und dem Hauspersonal. Nur Hanfler, ich und der deutsche Arbeiter blieben auf dem Hofe und warteten der Dinge die kommen sollten. Es kamen keine, die Nachricht war falsch. Die scheußlichen Vorkommnisse in Tuntschendorf hatten die Frauen nervös gemacht und es war auch durchaus damit zu rechnen, daß plötzlich ein Trupp dieser Bestien bei uns auftauchte. Wie uns telefonisch mitgeteilt worden war, sollte in den Städten bereits Ordnung herrschen und Vorkommnisse, wie sie noch in Tuntschendorf paßierten, dort nicht mehr möglich sein.

Meine Unruhe mehrte sich von Tag zu Tag, ich wollte nachhaus und wußte nicht, wie. Mich peinigte fortwährend die Vorstellung, Klaus-Wolfgang käme nachhaus und fände eine verschlossene Tür. Wo sollte er dann hin? Ich fürchtete auch, daß sich die Russen in der verlassenen Wohnung einquartiert hätten, und da vieles darin auf die politische Richtung der Bewohner hinwies, alles darin demoliert worden sei. Ich mußte unbedingt heim.

Da hörte ich, daß bis Birgwitz die Eisenbahn fahre. Ich ging zum Bahnhof und erkundigte mich, ob dies zutreffe. Es stimmte, und von Glatz aus sollte auch ein Zug in Richtung Kamenz fahren. Auch ab Kamenz sollten Züge verkehren. Ich bat Hanfler, er solle meinen Koffer und Mantel dem nach Stein zurückfahrenden Treck mitgeben. Der Treckführer sollte die Sachen in Reichenbach im Gasthof „Drei Kronen“ abgeben, wo er vorbeifahren mußte.

Montag, den 14. Mai fuhr ich in Tuntschendorf ab. Der Zug fuhr nur bis Birgwitz, da vor Glatz eine Brücke gesprengt war. Dort erfuhr ich, daß ab Glatz keine Züge gehen, weil das Tunnel bei Wartha ebenfalls gesprengt war.

Ich beschloß also, nicht erst bis Glatz zu gehen, sondern gleich rückwärts in Richtung Kamenz loszumarschieren. Die Frau eines Arztes aus Ottendorf, deren Mann in Breslau im Allerheiligen-Hospital tätig war und die zu ihm fahren wollte, schloß sich mir an. In den Dörfern wurden wir mehrmals von Russen angehalten, da die Frau aber gut und sehr viel tschechisch sprach, kamen wir immer ungeschoren durch.

Totmüde kamen wir abends in Kamenz an um dort zu erfahren, daß dort jeder Zugverkehr ruhe. Das war für mich eine arge Enttäuschung, für die Frau aber ein schwerer Schlag. Was sollte sie nun tun?
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  #18  
Alt 12.10.2013, 13:49
Helen Helen ist offline weiblich
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Allein zurückkehren – oder allein nach Breslau laufen? Während sie sich verzweifelt ein Quartier suchte und in der Nähe des Bahnhofs auch fand, ging ich auf den Bahnhof zurück und schlich mich in einen Wagen I. Klasse , den ich mir als Nachtquartier wählte und auf dessen Polstern ich sehr gut schlief. Da der Bahnhof wie ausgestorben dalag, bemerkte mich niemand.

Am anderen Morgen holte ich die Frau ab, trank bei deren Wirtin Kaffee und um 8 Uhr machten wir uns wieder auf den Weg. Sie hatte sich zum weiteren Fußmarsch nach Breslau entschlossen, hoffend unterwegs irgendeine Fahrgelegenheit zu finden. Bald trennten sich unsere Wege, sie ging in Richtung Münsterberg, während mein Weg nach Frankenstein führte.

Auf diesem Marsch kam mir immer noch der von meiner Tochter besorgte Proviant zugute. Die Sonne brannte heiß vom Himmel und nur noch mich mühselig schleppend erreichte ich Reichenbach. Was würde ich wohl dort antreffen? Auf Seitenstraßen erreichte ich das Haus, scheu blickte ich zu den Fenstern hinauf. Nichts Ungewöhnliches war zu bemerken. Der Hausschlüssel paßte noch, die Türglocke schellte wie immer, es schien noch alles in Ordnung zu sein. Und es war alles in Ordnung, alles unberührt. Gott sei Dank – wieder zuhaus!

Wo aber mochte meine Tochter sein? Wo mein liebes Peterle? Wo Klaus-Wolfgang? Um Helga machte ich mir weniger Sorge. In ihrem abgelegenen Dorfe würde nicht viel paßieren – und wenn doch, so wird ihre russische Sprachfertigkeit ihr und den Ihren sicher von großem Nutzen sein.

In war noch nicht zwei Stunden zuhaus, als auch mein Hauswirt, Herr Schmidt und dessen Frau sowie Frau Schulte aus ihrem Zufluchtsorte Friedrichsgrund in ihrem Heim wieder eintrafen. Nun waren wir ganz zufällig alle gleichzeitig wieder heimgekehrt, es fehlten nur meine Tochter und Peter. Frau Langer, die Tochter Herrn Schmidts sollte am nächsten Tage nachkommen, ihre beiden Kinder hatten sich den Großeltern bereits angeschlossen.

Daß ich nun nicht mehr allein im Haus war, gab mir ein gewisses Gefühl der Zuversicht und der Erleichterung und auch Gelegenheit mich mit jemandem, den gleiches Leid bedrückte, auszusprechen. Am nächsten Tage unternahm ich nichts, ich hatte nur das Bedürfnis mich gründlich auszuruhen.

Am Donnerstag, den 17. Mai ging ich nach Faulbrück um zu sehen, ob Helene schon vom wahrscheinlichen Treck zurück sei und um sie evtl. wieder mit nach Reichenbach zu nehmen. Ich brauchte sie zum Waschen der noch verbliebenen Wäsche, die zum größten Teil in Peterswaldau zurückgeblieben war sowie zum Ausbessern derselben und Stopfen der Strümpfe. Da sich bei meiner Wohnung in Peterswaldau eine schöne Waschküche befand, hatte Helene eine Menge Wäsche aus Reichenbach nach dort gebracht, ebenso einen Posten sauberer Wäsche, da sie uns in Peterswaldau sicherer erschien als in Reichenbach. Helene arbeitete bereits auf dem Dominium. Die Mutter weigerte sich, dieselbe mit nach Reichenbach gehen zu lassen da sie befürchtete, es könnte ihr in Reichenbach von Seiten der Russen etwas zustoßen.

Am nächsten Tage ging ich nach Peterswaldau, um die dort zurückgelassenen Sachen zu holen. Sie waren nicht mehr da, geraubt. Von Juden geplündert. Ich hatte bisher die meinem ältesten Sohn gehörenden Sachen sorgfältig gehütet, hatte sie stets mitgenommen, nun waren sie fort. Sein Bild, seine Auszeichnungen, sein Offiziersdolch, mir liebe unersetzliche Andenken von den freigelassenen Juden gestohlen. Den noch vorhandenen kümmerlichen Rest brachte ich in der Aktentasche unter, ein Beil, eine Säge und einen alten Mantel ließ ich vorläufig zur späteren Abholung zurück. Hätte ich nur alles gleich mitgenommen.

Die Juden, das ist ein besonders düsteres, umstrittenes Kapitel.
In Reichenbach bestand ein Konzentrationslager, in welchem 1700 männliche und über 2000 weibliche Juden untergebracht waren. Sie arbeiteten in den Rüstungswerken Reichenbachs und Peterswaldaus, ein großer Teil der männlichen Insassen wurde zum Bau der Panzersperren eingesetzt. Wenn ihre Kolonnen durch die Straßen geführt wurden, eskortiert von unsren Soldaten und man ihre haßerfüllten Augen auf sich gerichtet sah, da habe ich oft gedacht, wehe wenn diese einmal frei werden. Sie werden sich bitter rächen, uns ihre jahrelange Haft schwer vergelten. Und nun war es soweit, sie waren frei.

Auf den Straßen Reichenbachs war erst etwa jeder vierte Passant ein Deutscher, die übrigen waren Juden. Alle gut gekleidet und wenn sie nicht besondere rassische Merkmale aufwiesen, erkannte man sie nur an der ausgeschorenen Scheitellinie, wenn sie nicht auch dies Erkennungszeichen durch Hüte oder Mützen verdeckt hatten. Mit Genehmigung der Russen hatten sie die verlassenen Villen und Wohnungen besetzt, sich dort die nötige Kleidung und Wäsche verschafft und hausten nun dort nach Herzenslust. Viele hätten ja Reichenbach verlassen, aber infolge der oft vorgenommenen unsinnigen Sprengungen der Eisenbahnbrücken war jeder Zugverkehr unterbrochen. Und so bevölkerten sie die Stadt und aßen uns die kärglichen Lebensmittel weg, zu deren Bezug sie vorberechtigt waren. Viele wurden als Hilfspolizisten eingestellt mit roter Armbinde und Gewehr auf dem Rücken durchstreiften oder durchfuhren sie auf beschlagnahmten Rädern den Ort. Das war für sie eine besondere Genugtuung.

Genauso wie in Reichenbach war es in Peterswaldau, wo sie die von mir innegehabte Wohnung ausgeräumt hatten. Wenn man sich nun, wenn auch widerstrebend, zur gerechten Beurteilung dieser Zustände zwingt, kann man da ihr Handeln verurteilen? Tun sie nicht nur dasselbe was ihnen selbst widerfahren ist? Haben nicht auch sie einmal alles verloren und mußten sie nicht 5 Jahre lang Zwangsarbeit verrichten? Sicher sind unter ihnen viele anständige Menschen die weiter nichts verbrochen haben als der jüdischen Rasse anzugehören. 5 Jahre lang aufgespeicherter Gram ist zum Grimm und zum Verlangen nach Vergeltung geworden und ich muß ganz offen sagen, ich habe eine schlimmere Vergeltung erwartet als sie nun von ihnen ausgeübt wurde. Um leben zu können und um die nötige Kleidung zu erhalten waren sie einfach gezwungen, zu nehmen was und wo sie etwas fanden. Vor 5 Jahren hatten wir sie von ihrem Eigentum vertrieben, verschleppt und festgesetzt. War das nicht viel schlimmer? War unsere Politik richtig?
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Ich wünsche allen ein schönes Wochenende!
Helen
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  #19  
Alt 13.10.2013, 13:27
Helen Helen ist offline weiblich
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(Nun habe ich den Teil ausgelassen, in dem sich der Großvater über die politische Situation äußert, die durchaus Verständnis mancher Aktionen zeigt, andere verurteilt. Manche würden es vielleicht als braunes Gedankengut ansehen, ich selbst sehe das nicht so, denn ich lese es als die Meinung eines einzelnen, der in der damaligen Geschichte involviert war.)

Anscheinend sollen wir Polen werden. Ich habe heute Plakate gelesen, auf diesen steht, daß die „urslawischen Gebiete Niederschlesien und Brandenburg dank der siegreichen Roten Armee und der mit ihr verbündeten polnischen Armee wieder mit dem großen polnischen Reiche vereinigt wurden.“

Ich kann es nicht glauben, daß man der Ländergier Polens seitens der Westmächte nicht entgegentreten wird. Meiner Ansicht nach wird im schlimmsten Falle die Oder als Grenzlinie gelten. Wie könnte man in den feindlichen Sendern beständig das Wort von den befreiten Ländern im Munde führen und gleichzeitig zulassen, daß ein großer Teil unstreitig deutschen Landes unter Feindherrschaft gerät? Aber – ich habe so vieles nicht begriffen, grüble über so manches Unbegreifliche nach und komme zu keinem Ergebnis – warum sollten wir nicht Polen werden?

(Darüber wurde in der Politik bis heute lange diskutiert und die Geschichte ist inzwischen abgeschlossen, von vielen vielleicht nicht vergessen.)

Durch Herrn Raabe, der wieder beim Arbeitsamt beschäftigt ist, erfuhr ich, daß kein ehemaliger Pg (heißt Parteigenossen?) auf Wiedereinstellung rechnen darf. Der jetzige Leiter des Amtes ist Kommunist, früherer Metallarbeiter. Eingestellt wurden wieder Raabe, Wurm, Probst, Frl. Schirdewahn, Frl. Munser, Frau Lattke und Frl. Hellmann, obwohl letztere Pg war. Warum man diese Ausnahmen machte ist unerklärlich.

Ich habe es unterlassen, mich beim Leiter zum Dienstantritt zu melden. Unter der derzeitigen Leitung stelle ich mich dem Amt nicht zur Verfügung, die Abfuhr die ich erhalten würde, will ich mir ersparen.

Raabe sagte mir, daß für den Klinkenhof ein Inspektor gesucht wird und ich solle mich um den Posten bewerben. Daraufhin habe ich mir das Angebot an Ort und Stelle angesehen und – verzichtet. Auf dem Hofe befinden sich drei russische Soldaten, die den Betrieb leiten soweit es das Vieh, Hof, Ställe und Scheunen betrifft. Um die Feldbestellung kümmern sie sich nicht, die ist für sie ohne Interesse. Wenn er überhaupt geduldet wird, so ist der Inspektor von der Gnade der Russen abhängig. Angefordert hatte den Inspektor der Maschinist, ein Mensch zweifelhaften Leumunds. Sobald man erfahren hätte, daß ich Pg war, hätte ich sicher die größten Schwierigkeiten gehabt. Also Hände weg!


Am Pfingstmontag ging ich über den Ring als mich ein Mann fragte, wohin ich gehe. „Nachhaus.“ erwiderte ich, worauf er sagte, er sei der Leiter des Arbeitsamtes und ich könne mal gleich mit arbeiten kommen. Nachdem er noch einige Paßanten angehalten hatte, führte er uns zu einem vor dem Landratsamt wartenden russischen Soldaten. Dieser verlangte die sofortige Stellung von 20 Mann, zu deren Einfang sich der Arbeitsamtsleiter wieder eiligst entfernte.

„Ich warte nur noch 20 Minuten“ rief ihm der Soldat nach, was den Herrn Amtsleiter zu eiligen Sprüngen veranlaßte. Noch vor Ablauf der 10 Minuten war die Zahl voll. Der Soldat führte uns alle nach dem Sonnensaal. Dieser war von der Firma Raiffeisen als Lagerraum benutzt worden für Rübensamen, Grassamen, Erbsen, Peluschken(??), Mais usw. Die im Saal ringsherum lagernden Säcke mußten auf einer Seite hoch übereinander gestapelt werden.

Gegen Mittag waren wir mit der Arbeit fertig, durften aber noch nicht nachhaus gehen sondern sollten die im Hofe stehenden Wagen waschen. Da ich hierzu nicht die paßende Kleidung anhatte, ich überhaupt wenig Neigung dazu verspürte, beschloß ich mich zu drücken. Das Hoftor war aber verschlossen und außerdem mit einem Posten besetzt. Ich ging zurück in den Garten, stieg über eine Mauer in den benachbarten alten Friedhof und von dort über eine zweite Mauer und gelangte von hier aus auf die „Gänsegurgel“ und auf weiteren Umwegen nachhaus, wo ich mir mit einigen Stunden Verspätung mein karges Mittagsgericht kochte.

Am nächsten Tage, den 22. Mai, suchte ich das Arbeitsamt auf, wo sich die männlichen Personen zwischen 16 und 65 Jahren und die weiblichen zwischen 16 und 55 Jahren melden mußten, andernfalls ihnen keine Lebensmittelkarten zugeteilt wurden.

Raabe nahm meine Meldung entgegen. Auf ein Karteiblatt wurden Name, Alter, Beruf, Parteizugehörigkeit, Eintrittsdatum in die Partei, ob SS oder SA und Funktionen in der Partei notiert. Mit diesem Karteiblatt wurde ich in ein anderes Zimmer geschickt. Nachdem ein dort sitzender junger Mann das Blatt gründlich studiert hatte, schrieb er einen Zettel aus, den er mir mit der Weisung übergab, mich sofort beim Abbau der Panzersperren zu melden. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, daß ich infolge überstandener schwerer Magenoperation derartige schwere körperliche Arbeiten nicht verrichten könne und ihn ersuchte, mir eine leichtere Arbeit zuzuweisen, sprach er die von tiefgründiger Weisheit zeugenden Worte: „Sie sagen, Sie haben eine schwere Operation durchgemacht. Warum sind Sie aber dann der Partei beigetreten?“ Ich sagte ihm, daß ich der Partei lange vor der Operation beigetreten bin, ich aber nicht verstehen kann, was die Operation mit der Parteizugehörigkeit zu schaffen hat.

Nun hielt er mir vor, daß wir das braune Haus in die Luft gesprengt und mit den darunter begrabenen Menschen kein Mitleid gehabt hätten. Darauf erwiderte ich, daß dies eine falsche Anschuldigung sei, daß ich erstens mit der Sprengung nichts zu tun und zweitens niemand unter den Trümmern liege und ich auf jede weitere Verhandlung mit ihm verzichte und er solle nur die Zuweisung zu den Panzersperren hergeben.

Mit dieser Zuweisung schickte er mich wieder zu Raabe zurück, um dort die Bescheinigung zum Empfang der Lebensmittelkarten zu erhalten. Raabe wußte, daß ich meines Magens wegen schonungsbedürftig bin. Er ging deshalb zu dem jungen Manne und erwirkte von diesem, daß ich vorläufig nachhause gehen und auf Zuweisung leichterer Arbeit warten solle.

Abends erfuhr ich, daß Mikeleitis die Inspektorstelle auf dem Klinkenhof angenommen habe. Ich war neugierig, wie dies Experiment verlaufen würde.

Am 23. Mai ging ich nach Peterswaldau, um den Rest meiner Sachen abzuholen. Dort erfuhr ich, daß Bürgermeister Zapke, sein Stellvertreter Höh und mein Arbeitskamerad Kunert verhaftet worden seien. Neuer Bürgermeister war Herr Naß, der Mann, der durch seine politische Einstellung und die Tatsache, daß er längere Zeit im Gefängnis gesessen hatte, die Vorbedingungen für diesen Posten besaß.

Als ich auf dem Rückwege beim Rathaus vorbeiging, wurde ich von einem Polizeidienst verrichtenden Juden angehalten und nach einem Ausweis gefragt. Er fragte mich, ob ich Pg war und wo ich meinen Parteiausweis habe. Ich sagte ihm, daß ich einen solchen nicht mehr besitze und auf die Frage: „Warum nicht“, daß ich diesen vernichtet hätte. Nun wollte er wissen, warum ich ihn vernichtet habe, worauf ich ihm sagte, daß er sich diese Frage wohl selbst beantworten könne. Darauf mußte ich mich setzen und etwa 1 Stunde auf den „Kommandanten“ warten.

Kommandant von Peterswaldau war ein bei der Firma Preschona beschäftigt gewesener ukrainischer Arbeiter. Als er erschien, legte ihm der Jude, der mich vernommen hatte, meine Ausweise vor. Doch auch diesem genügten sie nicht. Er sagte, daß wir jetzt in Rußland leben und einen Ausweis mit russischer Schrift besitzen müßen. Meine Einwendung, daß solche Ausweise niemand besitze und auch nicht ausgestellt werden, ließ er unbeachtet.

Ich mußte nun sämtliche Sachen aus den Taschen nehmen und auf den Tisch legen. Alles wurde genau besichtigt, das Geld gezählt und zu den Sachen anderer Häftlinge in einen Schrank gelegt. Die Hosenträger mußte ich abknöpfen und ebenfalls abgeben und nun mußte ich wieder warten, die Hosen beständig vor dem Abrutschen bewahrend.

Nach mir wurde ein Hilfspolizist aus Peterswaldau vernommen. Nachdem auch er die Sachen und Hosenträger abgegeben hatte, wurden wir zusammen in eine Zelle gesperrt. Ein jüdischer Posten hielt vor der Tür Wache.

30 Stunden blieben wir eingesperrt, ohne etwas zu essen oder zu trinken zu erhalten. Nach Ablauf dieser Zeit wurden wir wieder aufs Rathaus geschafft, wo wir zunächst auf den Gängen herumstehend und die Hosen haltend 3 Stunden warten mußten. Außer mir warteten noch 13 Personen, darunter ein Mädchen. Endlich wurden wir einzeln in ein Zimmer gerufen, wo der russische Zivilist mit Hilfe eines Dolmetschers ein Protokoll aufnahm. Anzugeben war Name, Beruf, ob der Partei angehört, Dauer der Mitgliedschaft, ob bei SS oder SA, ob Söhne vorhanden und deren Aufenthaltsort.

Als alle vernommen waren, erhielten wir die abgenommenen Sachen einschließlich des Geldes zurück. Nicht zurück erhielt ich ein Küchenbeil, eine kleine Säge, das Taschenmesser und die Taschenschere. Die Gegenstände wurden als „Waffen“ einbehalten. Leider waren meine Hosenträger nicht zu finden. Als Ersatz wurde mir eine Koppel gegeben.

Vor dem Rathaus mußten wir antreten, und eskortiert von vier Gewehre tragenden Juden marschierten wir nach Reichenbach. Den Juden machte ihr Amt offensichtlich viel Spaß.

In Reichenbach wurden wir dem russischen Kommandanten vorgeführt. Friedlich schnarchend lag dieser auf einem Sofa, während wir mit Hilfe einer sich die Nägel polierenden Dolmetscherin von einem Leutnant vernommen wurden. Bald erwachte auch der Kommandant und übernahm die Vernehmung. Mein Zellengenosse wurde von ihm als erster verhört. Nach einigen Fragen sagte er zu diesem: „I ditche domoi!“ (?) was ihm die Dolmetscherin mit „Gehen Sie nachhause“ übersetzte. Der damit Entlassene glaubte aber nicht recht verstanden zu haben und fragte noch einmal. Als es ihm wiederholt wurde, war er so überrascht, daß er in der Verwirrung die Hacken zusammenknallte und die Hand zum Deutschen Gruß emporwarf. Wir waren – und er selbst wohl auch, über diese spontane Freudenbezeugung nicht schlecht erschrocken und erwarteten unliebsame Folgen. Der Offizier tat jedoch so als hätte er es gar nicht bemerkt.

Als Nächster kam ich an die Reihe. Der Kommandant las sich das in Peterswaldau aufgenommene Protokoll durch und stieß darin auf die Bemerkung, daß ich als Spion zu behandeln sei. Er fragte nach meinen Söhnen, wo und was sie seien, ob ich Parteimitglied gewesen sei und von wann ab und beriet mit der Dolmetscherin, warum wohl in dem Protokoll die Bemerkung aufgenommen worden sei. Ich verstand wohl was sie über mich verhandelten, hütete mich aber dies merken zu lassen, da auch ihnen der Verdacht hätte auftauchen können.

Nachdem der Kommandant mich eine Weile scharf gemustert hatte, sagte er auch zu mir plötzlich: „I ditche domoi!“ Ich dankte und machte mich schleunigst davon, vorbei an den bewaffneten Juden, denen man die Enttäuschung über unsre Entlassung auf den Gesichtern ablesen konnte.

Mein Hauswirt hatte sich bereits über mein Verschwinden Sorge gemacht. Bei einem mir vorgesetzten Glase Grog und einer guten Zigarette mußte ich ihm über meine jüngsten Erlebnisse berichten.

Wieder einmal waren Zettel angeschlagen, daß sich alle Parteimitglieder, Mitglieder der SS, de SA, der Frauenschaft und des Frauenwerks beim Arbeitsamt melden sollen. Wieder wurden registriert: Tag des Eintritts, ob Amtswalter, welches Amt usw. Vor mir ließ sich ein Beamter des Landratsamtes eintragen, der mit erhobener Stimme als Eintrittsdatum den 1.10.1928 und das Amt Zellenleiter angab. Trotz und Stolz klang aus seinen Worten.

Es gab aber auch solche, die ein falsches, späteres Eintrittsdatum angaben, die sich angeblich geweigert hatten, ein Amt anzunehmen und die überhaupt nur gezwungen worden waren in die Partei einzutreten. Feige Kreaturen, die entweder bisher nur nationalsozialistische Gesinnung geheuchelt hatten oder sich jetzt vor Angst die Hosen vollmachten.

Nach der Eintragung mußten wir uns wieder bei dem Angestellten melden, der mich zu den Panzersperren geschickt hatte. Er schien eine besondere Vorliebe für mich zu empfinden, denn ich mußte mich setzen. Nachdem ich etwas 1 Std, gewartet hatte, gab er mir auf, mich jeden Morgen 8 Uhr bei ihm zu melden, vorläufig aber solle ich noch weiter warten, es würden wahrscheinlich gleich Transportarbeiter benötigt werden.

Als dann einmal das dort wieder beschäftigte Frl. Munser hereinkam und mich sitzen sah, fragte sie, warum ich hier warte. Nachdem ich sie aufgeklärt hatte, sagte sie, sie werde meinen besonderen Freund gleich bearbeiten. Dies machte sie nun auf ganz eigenartige Weise. Sie legte ihm den Arm um den Hals, flüsterte ihm etwas ins Ohr und streichelte ihm dabei die Backen. Dann zwinkerte sie mir zu und ging wieder. Nach einer Weile sagte mein auf solch sonderbare Weise bearbeitete Freund, ich solle nachhaus gehen, wenn man mich brauche, würde ich Bescheid erhalten. Ich sah, beim Arbeitsamt hatte man merkwürdige Gebräuche eingeführt.
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  #20  
Alt 13.10.2013, 14:16
Acanthurus Acanthurus ist offline
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Hallo Helen, ich finde die Auslassung nicht gut. Grüße, A.
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