Vertrieben / Kriegstrauma

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  • grzmz
    Neuer Benutzer
    • 27.09.2010
    • 2

    Vertrieben / Kriegstrauma

    Hallo,

    die Familie meiner Mutter kommt aus Stolbergsdorf, Weiß, und hatten dort einen Bauernhof. Meine Mutter (geb. 1937) hat noch vier jüngere Geschwister. Sie war 8 Jahre alt, als sie 1945 vertrieben wurden und im Sauerland landeten.

    Meine Mutter hat seit einigen Jahren Demenz und kann keine Sätze mehr sprechen. Sie hat immer wieder so eine Art Flashback, wo sie sich an irgendwelche Greueltaten erinnert, die mit kleinen Kindern zusammenhängen. Sie fängt dann an zu heulen und zu schreien, hat Angst etc. Das Erlebnis (bzw. Erlebnisse) müssen mit der Zeit der polnisch/russ. Besatzung im Dorf zusammenhängen oder unmittelbar mit der Abreise. Als sie noch sprechen konnte, wollte sie nichts dazu sagen und jetzt kann sie auch nicht mehr.

    Leider sind die anderen Angehörigen entweder verstorben oder waren zu dem Zeitpunkt zu klein, als dass da etwas herauszufinden wäre.

    Weiß jemand, was da passiert ist??? War irgendwann nach August 45 (da ist der jüngste Bruder geboren und der muss wohl noch ganz klein gewesen sein).

    Danke
    Gudrun
  • Balbina
    Erfahrener Benutzer
    • 16.04.2010
    • 376

    #2
    Hallo Gudrun .. und willkommen im Forum


    Da wirst Du nichts finden.
    Das sind ja Erinnerungen Einzelner in einem gesamten kollektiven Schrecken.

    So würde ich da auch nicht dran gehen.

    Wenn es nur Neugierde ist, dann kannst Du x-beliebige Augenzeugenberichte aus der Zeit lesen, oft auch online.

    Ich vermute aber, Du möchtest Deiner Mutter helfen und versuchst zu verstehen.
    Das ist sehr schwierig.
    Wenn es Dir möglich ist, dann besorg Dir professionelle Hilfe, oder zumindest eine Beratung wie man mit diesen Leuten umgeht.

    Es ist noch nicht lange her, da hörte ich einen Bericht darüber, dass die Psychiater vermehrt mit alten Menschen zutun haben, deren Kindheits- und Jugenderlebnisse aus dem Krieg nun durch das Alter nicht mehr so unterdrückt werden können.
    Das ist eine ganze Generation, die im Krieg schlimme Dinge erlebt oder gesehen hat und nie die Gelegenheit hatte sie zu verarbeiten.
    Meist weil sie zu jung waren um sie in Worte zu fassen, aber auch weil es damals jedem so ging und es als "normal" angesehen wurde.
    ("Normal" im Sinne von "was am Häufigsten auftritt")

    Im Alter bröckelt die Kraft um solche Erinnerungen zu unterdrücken.
    Es kommt zu Problemen, die man irgendwie lösen muss.
    Besonders schlimm, wenn jemand nicht mehr in der Lage ist bewusst damit umzugehen.

    Wenn es an Deinen Kräften zehrt, dann such Dir professionelle Hilfe.

    Wünsche Dir viel Kraft und Geduld mit Deiner Mutter.


    Liebe Grüße

    Balbina

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    • Wiesenfee
      Erfahrener Benutzer
      • 30.03.2010
      • 742

      #3
      Ich weiß nicht ob ich richtig liege, wo Stolbergsdorf liegt.

      Kommentar

      • Jürgen P.
        Erfahrener Benutzer
        • 07.03.2010
        • 1071

        #4
        Hallo Gudrun,

        mich bewegt das Thema und deine Frage.
        Seit 5 Jahren lebt meine Mutter gefangen in vergleichbaren Erinnerungen. Meine Cousine Gudrun, hat über Monate gleiches mit der Schwester meiner Mutter erlebt.

        Folge dem Rat von Balbina.

        Hier wirst du nur nüchterne Zahlen, Daten, Fakten erfahren. Mein Rat, finde eine/n Verwandten, Freund der Familie der die Flucht und die Zeit erlebt hat. Nur so wirst du deine Frage beantwortet bekommen.

        Herzliche Grüße
        Jürgen
        "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen" (I.Kant)

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        • Fronja
          Erfahrener Benutzer
          • 12.10.2007
          • 586

          #5
          Ich kann dir nur erzählen, was meine Oma miterlebt hat.

          Sie selber stammt aus dem Kreis Wollstein (heute Polen) und ist mit ihrer Mutter und Oma auf der Flucht von den Russen eingeholt worden. Meine Oma wurde nach Polen verschleppt, da war sie 7 Jahre. Dort mußte sie 5 Jahre leben, bis ihre Mutter sie durchs Rote Kreuz gefunden hat. Meine Uroma ist ins Arbeitslager gekommen und meine Ururoma wurde sich selber überlassen, weil sie krank war. Sie ist aber bis nach Niedersachsen durchgekommen, zusammen mit anderen Flüchtlingen aus Wollstein. Die Schwester meiner Oma hatte Glück und ist unbaschdet entkomme, weil sie mit dem Fahrrad vorgefahren ist, während die anderen mit Pferd und Wagen nachgekommen ist.

          In dieser Zeit in Polen hat meine Oma mit ansehen müssen, wie immer wieder Lehrer und Mitschüler erschossen wurden. Am schlimmsten war für sie das Erlebniss, als man einen Teil der Schüler und Lehrere vor die Schule trieb und die Schule dann, samt der restlichen Schüler und Lehrer, in Brand steckte. Alle die aus Türen und Fenstern flüchten wollten, sind erschossen worden.

          Was sie noch alles erlebt hat, hat sie nicht erzählt. Aber noch heute sitzt sie senkrecht im Bett und ist hellwach, wenn ein Auto sehr langsam am Haus vorbeifährt. Sie ha mir nur einmal davon erzählt und seitdem schweigt sie. Ich möchte auch nicht ständig wieder Erinnerungen wachrütteln.

          LG
          Stefanie
          Bickhard(t), Rühl - Simmershausen
          Jantzen, Jentz, Grabow, Zeisi(n)g - Kröpelin, Dorf Glashagen, Grevesmühlen, Grebbin, Wismar
          Badzinski, Gellerich - Hannover
          Badzinski, Heiermann, Schafstein, Hö(oe)v(f)ener - Castrop-Rauxel, Herne und Umgebung
          Badzinski, Trojan - Kr. Sensburg

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          • AlAvo
            • 14.03.2008
            • 6277

            #6
            AW: Vertrieben / Kriegstrauma

            Zitat von grzmz Beitrag anzeigen
            Hallo,

            die Familie meiner Mutter kommt aus Stolbergsdorf, Weiß, und hatten dort einen Bauernhof. Meine Mutter (geb. 1937) hat noch vier jüngere Geschwister. Sie war 8 Jahre alt, als sie 1945 vertrieben wurden und im Sauerland landeten.
            ...
            ...
            Weiß jemand, was da passiert ist??? War irgendwann nach August 45 (da ist der jüngste Bruder geboren und der muss wohl noch ganz klein gewesen sein).

            Danke
            Gudrun

            Hallo Gudrun,

            ich kann Dir keine Angaben zu den Geschehnissen jener Tage machen.
            Lediglich zwei nachfolgende Kartenausschnitte zu Stolbergsdorf anbieten:

            Stolbergsdorf, 1896


            Stolbergsdorf, heute Bratoszow


            Vielleicht findest Du ja über den Bund der Vertriebenen weiterführende Informationen?


            Ich hoffe, dennoch damit ein wenig zu helfen?


            Viele Grüße
            AlAvo
            War Mitglied der Lettischen Kriegsgräberfürsorge (Bralu Kapi Komiteja)

            Zirkus- und Schaustellerfamilie Renz sowie Lettland

            Reisenden zu folgen ist nicht einfach, um so mehr, wenn deren Wege mehr als zweihundert Jahre zurück liegen!


            Kommentar

            • Liisa

              #7
              Hallo Gudrun,

              es gibt ein Buch mit Augenzeugenberichten: "Die Flucht, Niederschlesien 1945" von Rolf O. Becker.
              Enthalten sind Berichte von Augenzeugen u.a. aus dem Kreis Reichenbach, in dem auch Stolbergsdorf liegt. Es gibt zwar keinen Bericht direkt über Stolbergsdorf, aber aus anderen Orten dieses Kreises.
              Wenn Du dieses grauenvolle Buch gelesen hast, weißt Du, was dort damals überall passiert ist.

              Geschrieben hat der Autor dieses Buch nach Dokumenten des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge u. Kriegsgeschädigte, nach Dokumenten aus dem Bundesarchiv Koblenz, nach Dokumenten des Arbeitskreises "Flucht und Vertreibung". In allen diesen Ämtern liegen Unterlagen darüber, vielleicht auch über Stolbergsdorf.

              Viele Grüße
              Liisa

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              • Haber
                Erfahrener Benutzer
                • 03.04.2009
                • 204

                #8
                Buch von Professor Dr.med. Helmut Radebold (gebren 1935)
                Transgenerationelle Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten.Kindheit im Krieg.
                Der Kasseler Psychologieprofessor Hartmut Radebold, Jahrgang 1935, leistet Pionierarbeit bei der Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen älterer Menschen. Er schätzt, dass etwa die Hälfte von Angehörigen der Jahrgänge 1930 bis 1947/48 "unter beträchtlichen bis schwer wiegenden und dazu teilweise anhaltenden Folgen des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit leiden".
                Haber

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                • Ahrweiler
                  Erfahrener Benutzer
                  • 12.12.2009
                  • 1062

                  #9
                  Hallo zusammen.
                  Vertrieben werden von Haus und Hof ist fürchterlich.Man hatte ja damals alles unter großen entbehrungen und viel arbeit aufgebaut.Ich kann mir sehr gut vorstellen dass dies zu einem Trauma wird,dass man nie vergißt.manchmal sprach ich mit meinem Vater der Frontsoldat war über dn Krieg doch viel kam dabei nicht raus denn er schwieg sich darüber aus.Er nahm seine sicherlich fürchterlichen Erlebnisse mit ins Grab.Bei Demenskranken kommen diese Dinge allerdings zum Vorschein.Dies merkte ich bei meiner Tante die mit 90 starb.Sie wußte nicht was sie 2 Minuten vorher gegessen hatte oder ob sie überhaupt was gegessen hatte.Aber sie wußte noch ganz genau wenn sie mit den Geschwistern zu den Großeltern fuhren mußten sie dann dort antreten und die hanflächen und den Handrücken vorzeigen.Falls die Hände schmutzig waren bekamen sie eins mit dem Rorstock drauf.Daran erinnerte sie sich unter anderem bis an ihr Lebensende.
                  LG
                  Franz Josef

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                  • Wolfg. G. Fischer
                    Erfahrener Benutzer
                    • 18.06.2007
                    • 5384

                    #10
                    Vertrieben, Nachkriegstrauma im Sudetenland

                    Hallo Gudrun,

                    das mit Deiner Mutter tut mir sehr leid. Ich selbst habe öfter versucht, Gertrud Hollitzer geb. Pickert zu befragen, die im Apr. 1924 in Klösterle an der Eger geboren wurde.

                    Sie konnte nicht über die Zeit von Mai 1945 bis zur Vertreibung 1946 sprechen, es war ihr einfach unmöglich. :-(((

                    Mit besten Grüßen
                    Wolfgang



                    Zitat von grzmz Beitrag anzeigen
                    Hallo,

                    die Familie meiner Mutter kommt aus Stolbergsdorf, Weiß, und hatten dort einen Bauernhof. Meine Mutter (geb. 1937) hat noch vier jüngere Geschwister. Sie war 8 Jahre alt, als sie 1945 vertrieben wurden und im Sauerland landeten.

                    Meine Mutter hat seit einigen Jahren Demenz und kann keine Sätze mehr sprechen. Sie hat immer wieder so eine Art Flashback, wo sie sich an irgendwelche Greueltaten erinnert, die mit kleinen Kindern zusammenhängen. Sie fängt dann an zu heulen und zu schreien, hat Angst etc. Das Erlebnis (bzw. Erlebnisse) müssen mit der Zeit der polnisch/russ. Besatzung im Dorf zusammenhängen oder unmittelbar mit der Abreise. Als sie noch sprechen konnte, wollte sie nichts dazu sagen und jetzt kann sie auch nicht mehr.

                    Leider sind die anderen Angehörigen entweder verstorben oder waren zu dem Zeitpunkt zu klein, als dass da etwas herauszufinden wäre.

                    Weiß jemand, was da passiert ist??? War irgendwann nach August 45 (da ist der jüngste Bruder geboren und der muss wohl noch ganz klein gewesen sein).

                    Danke
                    Gudrun

                    Kommentar

                    • Wolfg. G. Fischer
                      Erfahrener Benutzer
                      • 18.06.2007
                      • 5384

                      #11
                      Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten

                      Hallo Haber,

                      das Buch klingt ja äußerst interessant.

                      Mir ist aufgefallen, dass viele Frauen aus der Generation von Gertrud Hollitzer kinderlos blieben.

                      Mit besten Grüßen
                      Wolfgang



                      Zitat von Haber Beitrag anzeigen
                      Buch von Professor Dr.med. Helmut Radebold (gebren 1935)

                      Transgenerationelle Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten.Kindheit im Krieg.
                      Der Kasseler Psychologieprofessor Hartmut Radebold, Jahrgang 1935, leistet Pionierarbeit bei der Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen älterer Menschen. Er schätzt, dass etwa die Hälfte von Angehörigen der Jahrgänge 1930 bis 1947/48 "unter beträchtlichen bis schwer wiegenden und dazu teilweise anhaltenden Folgen des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit leiden".

                      Haber

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                      • holl
                        Benutzer
                        • 12.10.2010
                        • 10

                        #12
                        Zitat von Wolfg. G. Fischer Beitrag anzeigen

                        Ich selbst habe öfter versucht, Gertrud Hollitzer geb. Pickert zu befragen, die im Apr. 1924 in Klösterle an der Eger geboren wurde. Sie konnte nicht über die Zeit von Mai 1945 bis zur Vertreibung 1946 sprechen
                        Hallo Wolfgang,

                        ich bin auf der Suche nach meinem Urgroßvater und suche inzwischen alles was zum Namen "Hollitzer" gehört. Kannst Du mir die Daten zu Deiner "Hollitzer-Linie" zukommen lassen?

                        Vielen Dank und herzliche Grüße, Tom

                        Kommentar

                        • Wolfg. G. Fischer
                          Erfahrener Benutzer
                          • 18.06.2007
                          • 5384

                          #13
                          Hallo Tom,

                          ich kenne nur Wenzel Hollitzer, * Kaaden 1915, + Heimboldshausen 1969, oo 1955 Gertrud Pickert, sowie seine Schwester ......., nach 1945 wohnhaft in Heimboldshausen, oo ....... Püschel oder Püschl.

                          Mit besten Grüßen
                          Wolfgang

                          Kommentar

                          • Wolfg. G. Fischer
                            Erfahrener Benutzer
                            • 18.06.2007
                            • 5384

                            #14
                            Traumata der Vertriebenen

                            Zitat von Wolfg. G. Fischer Beitrag anzeigen
                            Hallo Gudrun,

                            das mit Deiner Mutter tut mir sehr leid. Ich selbst habe öfter versucht, Gertrud Hollitzer geb. Pickert zu befragen, die im Apr. 1924 in Klösterle an der Eger geboren wurde.

                            Sie konnte nicht über die Zeit von Mai 1945 bis zur Vertreibung 1946 sprechen, es war ihr einfach unmöglich. :-(((

                            Mit besten Grüßen
                            Wolfgang

                            Inzwischen hat mir eine andere, 1926 in Klösterle geborene Frau von ihren Erlebnissen 1945/46 erzählt. Werden solche Berichte irgendwo - seriös - gesammelt?

                            Kommentar

                            • irmengard
                              Erfahrener Benutzer
                              • 06.01.2010
                              • 188

                              #15
                              Hallo grzmz

                              Das mit den Kriegserlebnissen muss sehr schlimm gewesen sein.
                              Eine Großtante von mir bekam auch Demenz und mußte dann das letzte Jahr ins Altersheim, dort fing sie dann an tschechisch zu sprechen. Keiner von der Familie wußte überhaupt das sie tschechisch konnte und sie waren und sind heute noch geschockt,das ihre Mutter ihnen nie erzählte das sie tschechisch konnte.
                              In dem Altersheim war eine Schwester die tschechisch konnte und die sagte ihnen dann das die Mutter immer wieder von der Flucht und den Umständen redete.
                              Ihr Leben lang haben viele unserer Kriegsgeneration diese Erlebnisse einfach weggeschoben um weiterleben zu können, aber vor ihrem Tod kommen diese verdrängten Erlebnisse dann doch an die Oberfläche.

                              MFG
                              Irmengard

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